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22.06.2016

Frank Kaufmann: Bericht des Untersuchungsausschusses 19/1

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich lege Ihnen heute mit der schon erwähnten Drucksache Nr. 19/3429, die insgesamt vier Teile umfasst, den Bericht des Untersuchungsausschusses 19/1, wie er von der Ausschussmehrheit am 20. April 2016 beschlossen wurde, einschließlich zweier abweichender Berichte, einerseits der Mitglieder der Fraktionen der SPD und DIE LINKE, andererseits des Mitglieds der Fraktion der FDP, vor.
Mit dieser Vorlage und der anschließenden Debatte im Plenum endet üblicherweise die Arbeit eines Untersuchungsausschusses. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen Mitgliedern des Ausschusses sowie allen, die uns in der Kanzlei und in den Fraktionen zugearbeitet haben, einen herzlichen Dank für ihr Engagement zu sagen.
(Allgemeiner Beifall)
Wir haben – dies gilt es hervorzuheben, weil das keineswegs selbstverständlich ist – in weitestgehend einvernehmlichen Verfahren unsere Aufgaben erledigt und konnten uns stets über den Fortgang der Untersuchung verständigen. Das dies möglich war, bedurfte konstruktiver Beiträge aller Beteiligten, wobei uns die besonnene und ausgleichende Sitzungsleitung des Vorsitzenden dabei sehr unterstützt hat. Ich möchte nicht vergessen, auch hierfür danke zu sagen.
(Allgemeiner Beifall)
Meine Damen und Herren! Mein Auftrag besteht darin, Ihnen den beschlossenen Bericht des Ausschusses nahezubringen. Die abweichenden Berichte verantworten die jeweiligen Fraktionen selbst. Auf diese Berichte werde ich als Berichterstatter nicht weiter eingehen.
Allein der Bericht des Ausschusses umfasst schon 333 Druckseiten. Es ist daher völlig klar, dass ich ihn hier nicht in Gänze vortragen kann, sondern mich auf wenige Punkte beschränken muss.
Nicht nur weil in dem Bericht viel Arbeit steckt, sondern auch weil etliches durchaus spannend zu lesen ist, empfehle ich ihn ihnen als Lektüre. Sie können z. B. einen Krimi weniger in den Urlaub mitnehmen und stattdessen die Drucksache 19/3429 einpacken. Nehmen Sie es, wenn Sie so wollen, als meinen Literaturtipp für den Sommer.
(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))
Meine Damen und Herren, der Ablauf des Ausschusses in Stichworten: Der Untersuchungsausschuss wurde am 13. März 2014 eingesetzt und hat sich am 2. April 2014 konstituiert.
(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Die Namen der Mitglieder und der Funktionsträger entnehmen Sie bitte der Drucksache. Es gab insgesamt 19 Sitzungen; 8 davon enthielten öffentliche Teile. Wir haben insgesamt 55 Aktenordner mit Material bearbeitet. Alles in allem wurden 20 Zeuginnen und Zeugen vernommen. Ein besonderer Termin war sicherlich die letzte Zeugenbefragung im Bundeskanzleramt in Berlin am 6. November 2015. Am 16. Dezember 2015 schlossen wir die Beweisaufnahme einvernehmlich ab, und am 11. März 2016 – exakt am 5. Jahrestag der Fukushima-Katastrophe – konnte ich als Berichterstatter des Untersuchungsausschusses den Obleuten den Entwurf für den Bericht vorlegen.
Ich erlaube mir, an dieser Stelle eine Anmerkung zu meiner Rolle als Berichterstatter zu machen, nicht zuletzt, weil ich für einige Aussagen in dem Bericht durchaus heftig kritisiert wurde. Nichts gegen Kritik, aber ich bitte, nicht – wie sprichwörtlich geläufig – den Boten wegen schlechter Nachrichten zu steinigen. Der Berichterstatter kann nicht mehr berichten als das, was durch die Untersuchung an Fakten und Zusammenhängen herausgekommen ist. Vermutungen, Spekulationen und Verdachtsmomente dürfen von jedem geäußert werden, nur nicht vom Berichterstatter in seinem Bericht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Dieser muss sich ausschließlich an das halten, was ermittelt wurde.
Natürlich sind auch in diesem Untersuchungsausschuss Fragen offengeblieben, manches war nicht einwandfrei zu klären, und Verdachtsmomente konnten nicht vollständig ausgeräumt werden. Doch dies ist ein Problem der Ausschussarbeit insgesamt. Keine Frage wurde abgewürgt, alles konnte hinterfragt werden, insbesondere wenn keineswegs alle Antworten schlüssig waren. Wenn von keiner Seite mehr nachgefragt wurde, war die Wahrheitsfindung an diesem Punkt zu Ende. Dann kann auch in dem Bericht nicht mehr darüber stehen.
Meine Damen und Herren, leider wurde mein ausdrückliches Angebot an alle Fraktionen, im Vorfeld der Ausschussberatung, also zwischen dem 11. März und dem 20. April, durch Vorschläge oder Hinweise an der Abfassung des Berichts mitzuwirken, von der Opposition nicht angenommen. Trotz abweichender Berichte scheinen mir die auf die ermittelten Ergebnisse des Untersuchungsausschusses gestützten Aussagen keine unüberbrückbaren Widersprüche aufzuweisen. Aber über genau darüber diskutieren wir jetzt.
Der Untersuchungsauftrag des Ausschusses lautete:
Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, umfassend aufzuklären, wer für die rechtswidrigen Anordnungen zur vorläufigen Stilllegung der beiden Atomkraftwerksblöcke in Biblis verantwortlich ist und welche Umstände zur rechtswidrigen Stilllegungsverfügung vom 18. März 2011 geführt haben. Es ebenfalls aufzuklären, ob die Landesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß und vollständig über diese Vorgänge informiert hat.
Die neun Unterpunkte des Einsetzungsbeschlusses finden Sie auf Seite des Berichts 9 im Detail. Ich gebe sie im Folgenden nur stichwortartig wieder. Nach dem jeweiligen Stichwort werde ich Ihnen den Kern der Aussage des Berichts zur Kenntnis geben.
Erstens: Verzicht auf die Anhörung von RWE. Die Entscheidung, wie in allen anderen Ländern auf die Anhörung zu verzichten, wurde von Frau Ministerin Puttrich getroffen. Sie erfolgte nach der Beratung durch die Fachabteilung, die sich ihrerseits mit dem Rechtsanwalt abstimmte, der das Land in atomrechtlichen Fragen beriet.
Konkret bat Ministerin Puttrich die Fachabteilung um Prüfung und übernahm dann einen entsprechenden Formulierungsvorschlag. Alle Zeugen haben ausgesagt, dass man im Ministerium übereinstimmend davon ausging, dass der Verzicht auf die Anhörung und die Begründung tragfähig seien.
Zweitens: materiell-rechtliche Begründung. Die Grundentscheidung, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen und daher die jüngst beschlossene Laufzeitverlängerung auszusetzen, wurde von der Bundesregierung bereits am 14. März verkündet, also bevor am 15. März der konkrete Umfang des Moratoriums und seine Begründung den Ministerpräsidenten vorgetragen und mit ihnen besprochen wurde. Diese erhoben im Ergebnis keine Einwände dagegen.
Am Nachmittag des 15. März wurde vom Bundesumweltminister zugesagt, den Ländern eine Vorlage für die Stilllegungsverfügung zukommen zu lassen, da der Bund einen einheitlichen Vollzug sicherstellen wollte. Diese Vorlage traf am 16. März ein und wurde inhaltlich unverändert in den Stilllegungsbescheid übernommen. In der Fachabteilung des Umweltministeriums gab es erhebliche inhaltliche Bedenken dagegen. Zugleich waren sich aber alle Beteiligten einig, dass es sich um eine verbindliche Vorgabe des Bundes handelte, die umzusetzen sei.
Drittens: Erklärung des Anhörungsverzichts. Eine Anhörung fand auch in allen anderen Ländern nicht statt. Ein nach der im hessischen Umweltministerium vertretenen Auffassung rechtlich möglicher Verzicht bedurfte nach fachlicher Auffassung aber der Begründung.
Viertens: Warnungen bezüglich des Anhörungsverzichts. Ein Vermerk des Justizministeriums wies auf die grundsätzliche Anhörungspflicht hin, zugleich aber auch darauf, dass mangels hinreichender Sachkenntnis die Frage eines Verzichts nicht abschließend bewertet werden konnte.
Fünftens: die Nachholung der Anhörung. Übereinstimmend wurde von Zeugen bekundet, dass über eine Nachholung der Anhörung nur am Rande diskutiert worden sei, da man im Streitverfahren den Bescheid als Ganzes verteidigen wollte und eine Anhörung schon wegen der Vorgaben des Bundes zu keiner Änderung der Behördenentscheidung hätte führen können.
Sechstens: Hinweise zur Nachholung der Anhörung. Hinweise ergaben sich aus dem Vermerk des Justizministeriums, der Klageschrift von RWE sowie aus dem Beratungsangebot einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Ausschuss hat festgestellt, dass die Nachholung der Anhörung die Rechtsposition des Landes im Hinblick auf die spätere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hätte verbessern können. Das finden Sie auf Seite 317 des Berichts.
Siebtens: Entschädigungsforderungen. Bis zum 18. März, dem Tag der Ergehung der Stilllegungsverfügung, gab es keine konkreten Hinweise. Eine abstrakte Diskussion über Schadenersatzforderungen fand im Kabinett statt, bevor überhaupt feststand, dass das Land Hessen mit dem Atomkraftwerk Biblis betroffen sein könnte. Man ging von der Verantwortlichkeit des Bundes aus und wollte dies auch gegenüber RWE stets betonen. Schließlich erklärten Zeugen aus Hessen, dass es eine politische Zusage auf Schadensfreistellung des Bundes gab, worauf sich auch Hinweise in verschiedenen Aktenstücken fanden.
Achtens: Aktenführung und Dokumentation. Der Untersuchungsausschuss stellte fest, dass die seinerzeitige Aktenführung im hessischen Justizministerium und im hessischen Umweltministerium der Aufklärung des Untersuchungsgegenstands nicht förderlich war. Hierzu gibt der Bericht weiterführende Hinweise. Um dies zukünftig zu vermeiden, lesen Sie nach, was auf Seite 324 steht.
Neuntens: Gespräch mit RWE. Der Untersuchungsausschuss hat ermittelt, dass Gespräche, soweit sie geführt wurden, nach Aussagen der Zeugen ausschließlich der zeitnahen Umsetzung der Stilllegungsverfügung dienten.
Dies sind in Kurzform die Aussagen des Berichts. An dieser Stelle können natürlich nur kurze Antworten auf die Fragen im Einsetzungsbeschluss gegeben werden. Wie ich schon betonte, sollten Sie den gesamten Bericht und auch die abweichenden Berichte lesen. Dann entsteht ein plastisches Bild der Ereignisse einer unvergessenen Woche im März 2011, die letztendlich eine Wende in der Energiepolitik Deutschland bewirkte. – Hier und heute danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die folgende Debatte.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Berichterstatter, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen.
Rede:
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann es nicht oft, deutlich genug und unüberhörbar betonen: Es ist gut und richtig, dass Deutschland den Irrweg der Stromerzeugung durch Atomspaltung endlich verlässt und die Energiewende eingeleitet hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Genau dieser Erfolg der Atomkraftgegner darf unter der hier und heute erkennbar auch stark parteipolitisch gefärbten Debatte zum Biblis-Untersuchungsausschuss nicht untergehen. Denn manche Reden – Herr Kollege Weiß, lachen Sie nicht zu früh – haben so geklungen, als ob der Atomausstieg schon wieder bedauert würde, vielleicht sogar rückgängig gemacht werden soll.
(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))
All diesen Intentionen erteilen wir Grüne eine kompromisslose Absage. Atomkraftwerke stellen gegenüber kommenden Generationen bereits ohne Unfälle eine völlig unverantwortliche Technologie dar und sind ethisch überhaupt nicht zu vertreten.
(Zurufe der Abg. Timon Gremmels (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))
Wir wollen auch keine Wiederholung des Desasters zulassen, über das wir hier gerade debattieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der SPD und der LINKEN))
Meine Damen und Herren, dieses Desaster begann bereits am 8. Dezember 2010,
(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
als die Elfte Novelle des Atomgesetzes in Kraft trat. Das war der Kotau der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung und ihrer Parlamentsmehrheit vor den Interessen der Atomindustrie.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Er war übrigens maßgeblich angetrieben von der FDP, die hier und heute ihre Verantwortlichkeit so auffällig verdrängt. Anders gesagt: Wer nach den Verursachern unserer aktuellen Probleme der Atomwirtschaft sucht, sollte zuerst den Blick in das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2009 werfen. Das hat den schönen Namen „Die Mitte stärken. Deutschlandprogramm“. Wir lesen dort auf Seite 57 – ich zitiere –:
Der Ausstieg aus der Kernenergie ist zum jetzigen Zeitpunkt ökonomisch und ökologisch falsch.
Ein Stück weiter lesen wir:
Die Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke müssen daher in diesem Sinne verlängert werden.
Meine Damen und Herren, in Kenntnis und Erwartung der Verlängerung der Laufzeiten dieser Kraftwerke hatte RWE präventiv die Stromabgabemengen bereits gedrosselt, so dass der Zeitpunkt der Abschaltung über den Wahltermin 2009 hinausrückte. Deswegen freute sich der RWE-Boss Dr. Großmann, den wir später als Zeugen im Untersuchungsausschuss kennenlernen durften, bereits über den schwarz-gelben Koalitionsvertrag 2009. Er ließ dann im Dezember 2010 die Champagnerkorken knallen, denn er konnte hochvergnügt in die Weihnachtszeit gehen.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Keine 100 Tage später – am 11. März 2011 – wurde aller Welt auf grausamste Weise deutlich gemacht, dass es sichere Atomkraftwerke einfach nicht gibt, und zwar nirgendwo.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Menschliche Unzulänglichkeiten, unbeherrschbare Naturgewalten und eine nie zu 100 % fehlerfrei funktionierende Technik können sich nämlich zu einem Katastrophendreieck zusammenfügen, das in den Untergang führt.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Perfektion gibt es weder bei Menschen noch bei der Technik. Also darf sie auch nie die Grundvoraussetzung für die Sicherheit der Energieversorgung sein.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, nachdem die Meldungen aus Japan im Laufe des 11. März 2011 zu uns kamen, war das Entsetzen groß. Wie wir aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses wissen, begannen spätestens am Folgetag – am 12. März 2011 – hektische politische Aktivitäten. Die Öffentlichkeit war stark beunruhigt. Daher musste sich insbesondere die Bundesregierung äußern. Das, was wir dann über die Abläufe herausgefunden haben, sprach ich bereits bei der Vorstellung des Abschlussberichts an. Ich will es jetzt nicht wiederholen.
Mein Thema ist jetzt, wie das Geschehen aus grüner Sicht zu bewerten ist. Meine Damen und Herren, es gab in diesem Land – das muss man unterstreichen – einen rechtssicheren, weil vereinbarten, Atomausstieg, der von einer rot-grünen Bundesregierung
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
in Verantwortung des Umweltministers Jürgen Trittin gegen viele Widerstände – auch von unserer eigenen Partei, denen die Konsenslösung überhaupt nicht recht war – durchgesetzt worden war. Alles, was uns jetzt beschäftigt, folgt aus dem politischen Riesenfehler, dass im Folgenden Schwarz-Gelb diesen Konsens ohne Not aufgekündigt hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Das Motiv, das zu dieser Aufkündigung führte, mag die Überzeugung gewesen sein, dass Atomenergie – zumindest in Hochtechnologieländern – stets sicher und beherrschbar sei. Aber genau diese falsche Überzeugung begründete dann auch die Tiefe des Schocks, als am 11. März 2011 eine allseits geglaubte Gewissheit von einem Tsunami brutal weggespült worden war. Alles Folgende lässt sich leichter verstehen, wenn man die totale Verunsicherung der in Berlin politisch Handelnden, die daraus erwuchs, in die Betrachtung mit einbezieht.
Meine Damen und Herren, schnell war nämlich klar, dass etwas geschehen musste. Man wusste nur nicht, was. Da wurde aus dem Nichts heraus ein „Moratorium“ propagiert, und es wurde nach gesetzlichen Formulierungen gesucht, die Maßnahmen begründen könnten, um der Bevölkerung Beruhigung zu bieten und die Handlungsfähigkeit der Regierung zu demonstrieren. Inwieweit die heute schon mehrfach erwähnten, seinerzeit bevorstehenden Wahlen obendrein zur Hektik beitrugen, konnten wir letztlich nicht ermitteln. Das wurde von den Verantwortlichen stets nachdrücklich bestritten, obwohl es genau diesen Anschein hatte.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Nach den Aussagen der Zeugen ist jedenfalls unstrittig, dass alle inhaltlichen Vorgaben – nämlich, welche Atomkraftwerke für wie lange mit welcher Begründung vorübergehend stillgelegt werden sollten – vom damals zuständigen Bundesumweltminister kamen. Damit sollte eigentlich für alle genauso unstrittig sein, dass die Haftung für die Richtigkeit dieser inhaltlichen Vorgaben eindeutig beim Bund liegt. Das haben wir heute leider nicht gehört.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Unter strenger juristischer Betrachtung war nämlich das, was den Ländern vom Bundesumweltministerium vorgegeben wurde, rechtlich fehlerhaft. Das hat der Verwaltungsgerichtshof durch ein mittlerweile rechtskräftiges Urteil festgestellt und somit die hessischen Stilllegungsverfügungen für rechtswidrig erklärt, nachdem der hessische Betreiber, die RWE Power AG, das Land verklagt hatte.
Meine Damen und Herren, damit Sie mich jetzt nicht vorsätzlich missverstehen: Die materielle Rechtswidrigkeit der hessischen Stilllegungsverfügungen beruht eindeutig auf den Vorgaben des Bundes. Das heißt allerdings nicht, dass das Land gar keine Verantwortung für die Stilllegungsverfügungen hätte. Die vom VGH ebenfalls festgestellte formelle Rechtswidrigkeit der Stilllegungsverfügungen betrifft die Wahrnehmungskompetenz des Landes – und damit seine Verantwortung. Ich hoffe, das war auch nie strittig.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Der Ausschuss stellt dazu in seinem Bericht ganz klar fest, dass die Entscheidung, auf eine Anhörung zu verzichten, von der hessischen Umweltministerin getroffen wurde und somit auch verantwortet wird. Das habe ich bei der Vorstellung des Berichtes bereits gesagt.
Im Übrigen trägt eine Ministerin stets für alle Entscheidungen ihres Ministeriums die Verantwortung – das kann man schon in der Verfassung, Art. 102, nachlesen, dazu bräuchte es keinen Untersuchungsausschuss.
(Zurufe von der SPD)
Insoweit treffen Kritiken – die heute nochmals wiederholt wurden –, der von mir vorgelegte Bericht des Untersuchungsausschusses würde Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern irgendetwas in die Schuhe schieben, überhaupt nicht zu.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch bei der SPD)
Eine umfassende Information zur Vorbereitung der Entscheidung der Hausspitze ist im Ministerium Aufgabe der Fachabteilung und wird durch Organisationsvorgaben sichergestellt. Auf dieser Grundlage liegt dann die politische Verantwortung, selbstverständlich, bei der Ministerin.
Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt aus GRÜNER Sicht etwas genauer auf die Problematik der Anhörung schauen, dann wissen wir alle jetzt: Sie hätte nicht unterbleiben dürfen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof rechtskräftig festgestellt.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Wir können – dies vor dem Hintergrund der bereits geschilderten Lage – aber die damals getroffene Entscheidung noch ein Stück weit nachvollziehen. Die Richtschnur lautete, das wurde schon berichtet: Wir machen es wie die anderen Länder auch. – Das halten wir durchaus für verständlich, auch wenn wir mittlerweile wissen, dass es falsch war.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein Fakt aber besteht: Alle anderen Länder haben auch keine Anhörung durchgeführt.
Jetzt aber kommt es: Spätestens mit der Klage von RWE, die am 1. April 2011 einging, musste sich Hessen aus dem gedanklichen Geleitzug der Länder verabschieden, denn es war das einzige verklagte Land. Eine intensive Prüfung der Klageschrift im Hinblick auf mögliche Risikominimierung musste deshalb auch die Frage der Nachholung der Anhörung aufwerfen.
(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Die darauf folgende Entscheidung gegen eine Nachholung, die nach übereinstimmenden Zeugenaussagen ohne Beteiligung der Hausspitze des Umweltministeriums erfolgte, war aus unserer Sicht nicht nur falsch, sondern geradezu fatal.
(Beifall des Abg. Stephan Grüger (SPD))
Dies hätte womöglich vermieden werden können, wenn die Entscheidung an die Ministerin herangetragen worden wäre. Umgekehrt wäre nach dem Vorliegen der Klageschrift auch ein aktives Eingreifen der Ministerin in Wahrnehmung ihrer Verantwortung möglich gewesen – schließlich handelte es sich keineswegs um ein Allerweltsthema.
In Erinnerung an die Geschichte der hessischen Auseinandersetzung mit der Atomindustrie, personifiziert durch eine Reihe GRÜNER Umweltminister von Joschka Fischer bis zu Priska Hinz lässt sich jedenfalls feststellen, dass alle diese ihre Streitigkeiten für das Land erfolgreich beenden konnten. Vielleicht lag das daran, dass GRÜNE jemals weder Vertrauen in die Atomtechnik noch gegenüber den Kraftwerksbetreibern hatten; oder es mag auch daran gelegen haben, dass dann im Verfahren keine Maßnahme ausgelassen wurde, um die Rechtsposition des Landes zu verbessern.
Welche rechtlichen Folgen eine Nachholung der Anhörung in Bezug auf das spätere Urteil des Verwaltungsgerichtshofs und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gegebenenfalls gehabt hätte, kann niemand genau sagen. Das ist Spekulation.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Nach meiner Einschätzung hätte es dem Land aber eher genutzt,
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
wenn sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit den inhaltlichen Gründen der Stilllegungsverfügung hätte befassen müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige wenige Aspekte zur Problematik des Umgangs von Politik und Atomwirtschaft miteinander aufgreifen.
Erstens. Es gab Unterstellungen, dass Akteure der Politik vorsätzlich Fehler in die Stilllegungsverfügung hätten einbauen lassen oder entsprechende Korrespondenz geführt hätten, um der Atomindustrie zu möglichst hohem Schadensersatz zu verhelfen. Das klang doch auch heute in einigen Diskussionsbeiträgen an. Wir – das will ich deutlich feststellen – fanden in unserer Untersuchung dazu nicht den geringsten Hinweis. Deshalb sage ich, ganz ernst gemeint: Es lohnt sich immer, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich überstürzte Empörungsfolklore zu verkneifen. – Im Übrigen gilt das auch für renommierte Rechtsgelehrte, die offensichtlich auch nicht immer davon frei sind.
Weiterhin – und das ist mein zweiter Punkt – darf der Ex-Boss von RWE, unser Zeuge Dr. Großmann, nicht unerwähnt bleiben. Dazu war schon sein theatralischer Auftritt vor dem Ausschuss zu auffällig,
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
allerdings keineswegs bezüglich der Wahrheitsnähe seiner Aussage, verehrter Kollege Schmitt.
(Norbert Schmitt (SPD): Das teile ich!)
Als er uns weismachen wollte, er hätte auch eine Woche nach der öffentlichen Verkündung des Aus für Biblis A und B und die anderen vorübergehend stillgelegten Atomkraftwerke, die durch die Bundeskanzlerin und den Bundesumweltminister am 30. Mai öffentlich erfolgte, noch nichts davon gewusst, und deshalb habe er dem Hessischen Ministerpräsidenten einen Brief schreiben müssen –
(Heiterkeit des Abg. Gerhard Merz (SPD))
da machte er sich allerhöchstens lächerlich.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Norbert Schmitt und Stephan Grüger (SPD))
Meine Damen und Herren, ich will noch kurz auf die abweichenden Berichte der Opposition eingehen.
Da muss man zunächst bedauern, dass sich SPD und LINKE lediglich auf den letzten sechs Seiten eines immerhin 333 Seiten starken Berichts beziehen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Lieber Kollege Schmitt, als Berichterstatter sage ich Ihnen sehr deutlich: Ich finde dies ziemlich schäbig,
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch bei der SPD)
Mängel anzukreiden, aber nur knapp 2 % des Textes zur Kenntnis zu nehmen. Dass Ihnen dadurch vieles entgangen ist und demgemäß etliche Behauptungen in Ihrem abweichenden Bericht schlicht falsch sind, scheint Sie nicht zu stören. Ihnen geht es – das konnten wir vernehmen – um Glauben statt Wissen und um Behauptung statt um Beweis. Das finde ich schade.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)
Der abweichende Bericht der FDP bezieht sich immerhin auf insgesamt 54 Seiten des Textes, bezieht also deutlich mehr Argumente ein. Der Grund dafür liegt vielleicht auch darin, dass er wenig faktenbasierte Differenzen zum eigentlichen Bericht aufweist und in den Schlussfolgerungen die wesentlichen Rechtsfragen offenlässt.
Meine Damen und Herren, abschließend gilt es in diesem Zusammenhang aus unserer GRÜNEN Sicht nochmals deutlich zu unterstreichen: Erstens. Es ist gut und richtig, dass sich Deutschland von der Atomkraft als einem Irrweg der Stromerzeugung verabschiedet hat. Zweitens. Es war falsch, dass der Weg des Ausstiegs zwischenzeitlich verlassen wurde; und es ist bedauerlich, dass es der Katastrophe von Fukushima bedurfte, diesen Fehler zu korrigieren.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Drittens. Es ist dreist und unverschämt, dass die Atomwirtschaft neuerlich Milliardenforderungen an die Steuerzahler richtet, sich aber gleichzeitig weigert, für die von ihr selbst verursachten Schäden und Folgelasten aufzukommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)
Und viertens ist es unsere gemeinsame Aufgabe, die Forderungen der Atomindustrie mit Nachdruck zurückzuweisen und den Weg der Energiewende zügig weiterzugehen. – Ich bedanke mich.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Kollege Kaufmann.