Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu diesem Tagesordnungspunkt erlauben Sie mir eine Vorbemerkung, die ich für geboten halte. Sie bezieht sich auf das Thema Anstand in der politischen Auseinandersetzung.
(Zurufe von der FDP und der SPD)
Genauer formuliert: Sie bezieht sich auf den neuerlichen Verlust anständigen Benehmens, den wir hier gerade erleben müssen.
(Zuruf von der FDP)
Herr Kollege Rentsch, hören Sie gut zu. Das ist umso nötiger, als das Funktionieren unserer Demokratie letztlich darauf beruht, dass die Entscheidungen, die bei den Wahlen von unserem Souverän, den Wählerinnen und Wählern, getroffen werden, auch von den politischen Akteuren umfassend anerkannt werden. Demokratie verleiht Macht auf Zeit. Wer eine Wahl verliert, verliert konsequenterweise auch die Macht, und damit ist die Regierungszeit zu Ende.
(Zuruf von der FDP)
Anständiges Verhalten erfordert schließlich nicht mehr und nicht weniger als genau dies zu verstehen und auch innerlich zu akzeptieren. Schluss ist Schluss, Herr Kollege Rentsch. Opposition ist etwas ganz anderes als eine Exilregierung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)
Es gibt zwar keine gesetzliche Bestimmung, aber eine ungeschriebene und dennoch besonders wichtige Anstandsregel, dass ausgeschiedene Minister bzw. Ministerinnen beim Verlassen der Regierung sich anderen Politikfeldern zuwenden sollten als den im Ressort bislang beackerten, so verführerisch es auch sein mag, in den gewohnten Gleisen weiterzudenken und die liebevoll eingeübten Sprechblasen weiterhin abzusondern.
(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Das hat seinen Grund überhaupt nicht im Schutz für den Nachfolger oder die Nachfolgerin, sondern es ist die Konsequenz aus der Loyalitätspflicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium gegenüber ihren politischen Vorgesetzten.
(Zurufe von der FDP)
Der aktuelle Amtsinhaber macht nämlich die Vorgaben für die Arbeit und erwartet zu Recht, dass sie umgesetzt werden.
(Anhaltende Unruhe – Zuruf von der FDP: Unglaublich! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Ein ausgeschiedener Vorgänger sollte keine Vorgaben mehr machen, auch nicht, Herr Kollege Rentsch, im Konjunktiv, wenn er nicht vorsätzlich die geordnete Arbeit der Regierung und der Administration beschädigen will.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Genau deshalb soll es kein Nachregieren geben. An diese Regel haben sich bislang – zumindest solange ich mich erinnern kann – alle betroffenen Personen strikt gehalten mit einer Ausnahme, die wir gerade erlebt haben.
Nach dem, was wir bislang gehört haben, geht es der antragstellenden FDP gar nicht primär um den Landesstraßenbau, sondern vielmehr um die Pflege der eigenen Bedeutsamkeit, die Ihnen am Wahltag abhanden gekommen ist.
(Zurufe von der FDP)
Den geradezu manische Drang des ehemaligen Wirtschafts- und Verkehrsministers, jegliche Gelegenheit zu suchen, um sich an seinem Nachfolger abzuarbeiten, erleben wir heute zum wiederholten Mal. Erst war es das Thema Flughafen und Lärmschutz, dann der Finanzplatz Frankfurt, dann die Arbeitsplätze, heute Vormittag die Windräder und jetzt der Landesstraßenbau.
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
Jetzt aber paart sich mit dem Drang, sich am Vorgänger abzuarbeiten, erkennbar noch die Attitüde der Rechthaberei, die deutlichen Suchtcharakter zeigt.
(Widerspruch bei der FDP)
Herr Kollege Rentsch, Sie sind das – das wollen Sie uns erzählen – der einzig wahre und somit unersetzliche Verkehrsminister aller Zeiten. Dazu sage ich Ihnen sehr deutlich: Da irren Sie sich.
(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Die Welt wartet überhaupt nicht auf Aussagen von Ihnen, weder brieflich noch in Redeform, wie wir das gerade vernehmen konnten:
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
„Ich hätte alles viel besser gemacht.“ – Das ist vorbei. Sie haben es nicht getan, und ich hoffe, Sie werden auch sobald keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Meine Damen und Herren, der abgewählte Verkehrsminister schreibt an fast jeden hessischen Bürgermeister einen offenen Brief. Ich zitiere:
Schon mit einer Aufhebung der seitens des CDU-Finanzministers Thomas Schäfer verhängten Liquiditätssperre können Mittel von über 13 Millionen Euro für den Landesstraßenbau wieder bereitgestellt werden und damit zahlreiche Straßenbauprojekte im Jahr 2014 auf den Weg gebracht werden.
Wir haben also die Erkenntnis gewonnen, dass man mit mehr Geld mehr kaufen kann. Das allerdings ist eine sehr neue Erkenntnis, und dafür schreiben Sie einen Brief an alle.
Andererseits erklärt – und das, Herr Kollege Rentsch, sollte man vielleicht auch noch zur Kenntnis nehmen – der neue Landesvorsitzende der hessischen FDP, der Ex-Bundestagsabgeordnete Stefan Ruppert, ich zitiere:
Das große Ziel der Haushaltskonsolidierung wird sich nur erreichen lassen, wenn der unter FDP-Regierungsverantwortung begonnene Sparkurs auch unter Schwarz-Grün konsequent fortgesetzt wird.
(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
So steht es wörtlich in Ihrer Presseerklärung vom 12. Mai. Das ist noch nicht sehr lange her. Ein ganz wesentliches Element dieses Sparkurses war – ich denke, das kann keiner bestreiten – die Liquiditätssperre.
(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
Nach Auffassung der FDP sollen wir sie jetzt zugleich aufheben – das sagt Rentsch – und beibehalten – das sagt Ruppert. Vielleicht sollte man der Hessen-FDP raten, zunächst einmal bei diesen beiden führenden Männern eine Klärung herbeizuführen, welchen Kurs sie wirklich fordern wollen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
Es sei denn, Sie wollen mit Ihrem Parteifreund Ruppert den Pas de deux üben – dann müssen Sie allerdings noch viel Übungszeit aufwenden, um das in den Griff zu bekommen. Ich sage Ihnen im Voraus: Das wird nicht gelingen, es sieht schaurig aus.
Wir jedenfalls halten in dieser Auseinandersetzung eher die Aussage des neuen Parteivorsitzenden für konsequent, denn wir wollen die Konsolidierung. Das ist bei der Diskussion zum Nachtragshaushalt auch deutlich geworden.
Meine Damen und Herren, jetzt verliere ich kein weiteres Wort mehr über die FDP. Wahrscheinlich waren es schon zu viele.
Ich komme zum Haushalt und stelle Folgendes fest. Bei der Bewirtschaftung der Haushaltsmittel im Doppelhaushalt 2013/2014 wurden bereits im ersten Jahr, also im Jahr 2013 und damit noch unter der Vorgängerregierung, mehr als 5 Millionen Euro aus dem Landesstraßenbau in den Bereich Bundesstraßen umgeschichtet, da die vom Bund zur Verfügung gestellten Planungs- und Verwaltungsmittel unzureichend sind. Hierauf zielt auch der Antrag der Koalition, den ich Ihnen schon allein aus diesen Gründen warmherzig zur Zustimmung empfehle.
(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Wenn der Bund seine Verpflichtungen endlich korrekt erfüllt – nämlich das, was zu seinen Projekten gehört auch zu bezahlen –, dann werden wir im Land weit weniger Probleme mit der eigenen Straßeninfrastruktur haben.
Ein wichtiges Problem aber ist hier noch anzusprechen. Herr Rentsch, deswegen sage ich Ihnen auch: Sie waren in Ihrer Argumentation nicht lauter. Der Kollege Al-Wazir als Vorsitzender der Partei, als Wahlkämpfer an der Spitze bei vielen Gelegenheiten, hat auch im letzten Wahlkampf – er ist noch nicht sehr lange her – immer wieder betont, ich zitiere: „Unsere Verkehrsinfrastruktur rottet langsam aber sicher vor sich hin.“
Dank der eingeführten Doppik können wir alle das auch relativ leicht aus unserer Bilanz ablesen. Allein für das Landesstraßennetz stehen einem Abschreibungsbedarf, also einem Substanzverzehr, von rund 170 Millionen Euro im Jahr weniger als 100 Millionen Euro an Substanzerhaltsmittel zur Verfügung.
Herr Kollege Rentsch, bitte noch eine Sekunde Ihrer Aufmerksamkeit: Genau deshalb, weil wir nicht einmal unseren Werteverzehr finanzieren können – egal, wer dafür verantwortlich war –, ist es aus grüner Sicht unter wirtschaftlichen Aspekten falsch, das Problem immer größer zu machen, indem wir immer weiter den Neubau von Straßen betreiben. Spätestens mit der Übergabe eines Neubaus an den Verkehr wird die Maßnahme aktiviert und erhöht demzufolge den jährlichen Abschreibungsbedarf. Damit wird das Problem vergrößert und nicht verkleinert. Nachhaltige Pflege und Erhalt der Infrastruktur bedeuten aber, dass wir in der Lage sind, mindestens die jährlichen Abschreibungen tatsächlich zu reinvestieren.
Jetzt könnten Sie vielleicht sogar verstehen, dass wir GRÜNE den Straßenbauetat durch unsere Haushaltsanträge in den vergangenen Jahren immer wieder verkleinern wollten,
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
um nämlich das stetige Wachstum dieses Problems durch immer weiteren Straßenneubau zu unterbinden. Denn so paradox das klingen mag: Man kann gleichzeitig zu wenig Geld haben und es dennoch falsch und überflüssig ausgeben. Genau das ist ein Element Ihrer Politik der letzten Jahre gewesen, Sie haben es eben wieder propagiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, diese Debatte wäre unvollständig, wenn ich nicht noch unterstreichen würde, dass wir dabei sind, einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Transparenz des Umgangs mit Problemen der Verkehrsinfrastruktur zu vollziehen. Klarheit statt nebulöser Versprechen sollen in Hessen – und hoffentlich auch bald auf Bundesebene – die Richtschnur sein.
Deshalb gilt unser Dank, von den GRÜNEN, Herrn Verkehrsminister Al-Wazir. Er hat bei den Investitionen im Landesstraßenbau jetzt alle Karten auf den Tisch gelegt
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
und nicht, wie bisher die besonders dort übliche Politik des Füllhorns ungewisser Versprechen fortsetzt.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Wir wollen keine potemkinschen Straßenbauprojekte, sondern realisierbare und zugleich finanzierbare Lösungen, die wirkliche Lösungen für die Menschen vor Ort sind. Das wollen wir mit einer soliden Finanzpolitik verbinden. Genau so steht es im gemeinsamen Antrag der Koalition. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:
Danke, Herr Kaufmann.