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05.02.2015

Eva Goldbach: Gesetz für mehr demokratische Beteiligungsrechte in den Kommunen

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kollegen, liebe Frauen! Das Thema Bürgerbeteiligung ist ohne Zweifel ein wichtiges Thema. Wir erleben seit Jahren, dass empörte Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gehen und gegen Entscheidungen der Politik protestieren.

Herr Schaus, Sie haben auf Stuttgart 21 hingewiesen. Das ist richtig, wir haben erlebt, wie die zum Teil mehr als 60.000 Demonstranten in den Medien allgegenwärtig waren. Es ist auch richtig: Die Konflikte um den Ausbau des Stuttgarter Bahnhofs haben Forderungen nach einer Ausweitung der Bürgerbeteiligung verstärkt.

Wir wollen weg von einem Wutbürgertum, also dem Protest der Bürger gegen bereits gefällte politische Entscheidungen, und wir wollen eine frühzeitige Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger. Gerade auf der kommunalen Ebene, wo die Menschen unmittelbar von politischen Entscheidungen in ihrem Lebensumfeld betroffen sind, wollen sie sich einbringen, und das wollen wir verstärkt ermöglichen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der Wunsch dieser Bürgerinnen und Bürger ist berechtigt, und diese schwarz-grüne Regierungskoalition will und wird deshalb die Beteiligungsmöglichkeiten verbessern. Bis dahin sind wir mit Ihnen d’accord.

Aber es gibt einige Unterschiede. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir bis zur Mitte der Legislaturperiode Änderungen vornehmen, und wir arbeiten bereits daran. Um zu beurteilen, welche Instrumente die richtigen sind, müssen wir deren Wirkung genau abwägen. Noch einmal: Eine bessere Beteiligung der Bürgerschaft ist richtig und im Sinne dieser Regierungskoalition. Aber die Beteiligung hat auch Grenzen, und zwar dort, wo sie in Konflikt gerät mit Entscheidungen demokratisch legitimierter staatlicher Organe. Denn die demokratisch gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sind allein dem Gemeinwohl verpflichtet und entscheiden im Sinne der Gemeinschaft. Wir müssen aufpassen, dass sich dagegen nicht Partikularinteressen durchsetzen.

Die Frage ist nun: Welche Instrumente eignen sich? Letztendlich geht es auf kommunaler Ebene darum, dass sich Bürgerinnen und Bürger ähnlich wie Experten mit ihrem Wissen als Ressource in den politisch-gesellschaftlichen Prozess der Wissensgenerierung einbringen. Darüber hinaus können Bürgerbeteiligungsmaßnahmen auch Akzeptanz fördern und der Legitimationsbeschaffung dienen.

Schauen wir uns die Vorschläge der LINKEN genauer an: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Wir halten eine Staffelung der Abstimmungsquoren nach Größe der Gemeinden bzw. Städte für sinnvoll. Aber anders als Sie sehen wir Ihre geplante drastische Absenkung der Quoren als falsch an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir bei einer Größe bis zu 50.000 Einwohnern 25 Prozent festlegen, Sie wollen nur 7 Prozent. Bis 100.000 Einwohner wollen wir 20 Prozent, Sie wollen nur 5 Prozent. Für über 100.000 Einwohner haben wir 15 Prozent vereinbart, Sie sprechen von 3 Prozent.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Das Prinzip von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sollte doch sein, dass sich die Mehrheit der Abstimmenden nur dann durchsetzen kann, wenn sie von einem maßgeblichen Anteil der Abstimmungsberechtigten getragen wird. Wenn aber nun, wie von Ihnen vorgetragen, nur 3, 5 oder 7 Prozent der Abstimmungsberechtigten ausreichen, dann können sich Minderheiten durchsetzen. Unsere demokratische Ordnung im Grundgesetz ist aber durch das Mehrheitsprinzip geprägt. Nicht das Volk entscheidet, sondern die Mehrheit des Volkes.

Wir haben auch einen Schutz der Minderheit. Der wird vor allem dadurch gesichert, dass hier stets die Chance erhalten bleibt, die Mehrheit abzuwählen.

In einem anderen Punkt haben Sie eine Vereinbarung aus unserem Koalitionsvertrag aufgegriffen. Das wollen wir umsetzen, nämlich die Einleitung des Bürgerbegehrens durch die Gemeindevertretungen. Das wollen wir so wie die meisten anderen Flächenländer auch. Wir finden das gerade bei größeren Projekten wichtig, die von grundlegender Bedeutung für alle Bürgerinnen und Bürger sind, damit eine möglichst hohe Akzeptanz entsteht. Deshalb wollen wir dort ermöglichen, dass die Gemeindevertretung entscheidet: Hier soll der Wille des Souveräns vorher ermittelt und die Meinung der Bürgerinnen und Bürger eingeholt werden.

Die Einführung von Kreisbegehren sehen wir eher kritisch; denn die Landkreise sind von ihrer Funktionsweise her eher Zweckverbände. Eine Identifikation und Willensbildung ist auf dieser Ebene schwierig.

Sie haben auch vorgeschlagen, Bürgerpetitionen einzuführen. Wenn wir uns anschauen, was für ein Verwaltungsapparat hier hinter der Bearbeitung der Petitionen steht, dann halte ich es für schwierig, für fast nicht umsetzbar, das auf Ebene einer Gemeinde oder Kreises zu tun. Nicht zu vergessen: Wir haben schon eine gesetzlich festgelegte Beteiligung von Bürgern in allen Planungsverfahren, und zwar durch einen Grundrechtsschutz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen alle Planungsverfahren so ausgestaltet sein, dass materielle Grundrechtspositionen immer gesichert sind. Das ist insbesondere bei Großprojekten von Bedeutung und in allen Fachgesetzen umgesetzt. Beispiele sind Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz oder die Erstellung von Bauplänen nach dem Baugesetzbuch.

Diese Beteiligungen müssen auch verwaltet werden. Schauen wir uns einmal an – wir haben heute Morgen schon darüber gesprochen –, wie viele Einsprüche es bei der Erstellung der Teilregionalpläne Energie gibt. Das sind Tausende. Es ist richtig, dass es sie gibt und dass sie bearbeitet werden. Aber eine solche Beteiligung und eine solche Einspruchsmöglichkeit müssen auch noch irgendwie für die Verwaltungen und für unsere staatlichen Ebenen zu handeln sein. Es ist kaum vorstellbar, dass wir hier noch weitere Beteiligungsinstrumente schaffen. Irgendwann kommt der Punkt – das ist die ganz sorgfältige Abwägung –, wo wir den Staat und die Verwaltungsebenen handlungsunfähig machen.

Es gilt also Lösungen zu finden, die einerseits dem Willen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen, die andererseits keine Konkurrenz zu den Organen der repräsentativen Demokratie aufbauen.

Daneben ist es immer wieder unsere Aufgabe, die Mandatsträger zu unterstützen und diese Mandate attraktiver zu machen, damit sich dort die Bürgerinnen und Bürger einbringen und an unserem Gemeinwohl mitarbeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit geht zu Ende.

Eva Goldbach:

Es wäre auch gut, wenn dann mehr Bürgerinnen und Bürger wieder zur Wahl gingen und Landräte und Bürgermeister wählten.

Wir werden nach einer sorgfältigen Abwägung zusammen mit der kommunalen Familie und auch im Ausschuss zu einer ausgewogenen Lösung für eine bessere Bürgerbeteiligung kommen. Den Entwurf der LINKEN halten wir nicht für umsetzbar.

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