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14.05.2009

Ellen Enslin zum Scheitern der Visa-Warndatei

Herr Präsident, meine Damen und Herren! CDU und FDP finden es nicht akzeptabel, dass Bundesjustizministerin Zypries den Gesetzentwurf zur Visa-Warndatei gestoppt hat. Um in diesem Sprachterminus zu bleiben: Wir finden es nicht akzeptabel, dass ein solcher Gesetzentwurf überhaupt eingebracht worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier sollte innere Sicherheit suggeriert werden; aber die informationelle Selbstbestimmung der Visantragsteller sowie sämtlicher Einlader blieb auf der Strecke. Da dürfen es ruhig ein paar Daten mehr sein; denn wer nichts zu verbergen hat, kann in einer solchen Datei ruhig erfasst werden.

Wer so argumentiert, macht es sich zu einfach. In einer pluralistischen, offenen und demokratischen Gesellschaft müssen Gesetze zur inneren Sicherheit immer auch die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Das war hier eindeutig nicht der Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hier als Warndatei gegen Visamissbrauch öffentlich präsentiert wird, ist nichts anderes als eine gigantische Vorratsdatenspeicherung all der Menschen und Organisationen, die mit Menschen außerhalb von Europa den direkten persönlichen Austausch pflegen.

So hat es der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein kritisiert. Als dann noch katholische Würdenträger bei Frau Zypries vorstellig wurden, zog die Ministerin endlich die Reißleine und tat das einzig Richtige: Sie stoppte den Entwurf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben wir GRÜNE hocherfreut zur Kenntnis genommen. Es ist ja nicht so, dass es nicht genügend Informationsquellen für Reisedaten gibt. In der EU sollen demnächst genaueste Angaben über Flugpassagiere gesammelt werden. Bei Schiffsreisen wird der Umgang mit den Passagieren neu geregelt, und selbst für Zugreisende gibt es schon Erfassungspläne. Von den Passagierdaten, die einfach an die USA weitergereicht werden, will ich gar nicht reden.

Wir werden mehr und mehr überwacht. Massenhaft werden sensible personenbezogene Daten gespeichert, und unüberschaubare Personenkreise haben unkontrolliert Zugriff darauf. Dadurch steigt auch das Risiko des Missbrauchs.

Nun gehören dieser Landesregierung Mitglieder einer Partei an, für die die Bürgerrechte angeblich eine wichtige Rolle spielen – so ihre eigene Aussage.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Da ist es schon einmal interessant, zu erfahren, wie es denn im politischen Alltag mit der Durchsetzung dieser Ziele aussieht. Wer sich im Koalitionsvertrag von CDU und FDP z. B. die Auflistung der Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung ansieht, erkennt dort eher eine Tendenz zu Law and Order als eine liberale Bürgerrechtspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Argument, das diene der Verbrechensbekämpfung, werden Bürger- und Freiheitsrechte ausgehöhlt und eingeschränkt. Es werden z. B. der Ausbau der Videoüberwachung, die Rasterfahndung und die Schleierfahndung genannt. Was die Online-Durchsuchung betrifft, so gibt die FDP ganz offen zu, dass sie das elementare Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Privatheit in Hessen nicht sichern konnte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Herren von der FDP, ein vehementes Einstehen und Kämpfen für die Bürgerrechte sieht anders aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser jetziger Antrag zeigt einmal mehr, wie unter dem Deckmantel der inneren Sicherheit und der Verbrechensbekämpfung die Bürgerrechte von der FDP preisgegeben werden. Von einer sorgsamen Abwägung zwischen Freiheit, Sicherheit und Verhältnismäßigkeit ist nichts mehr zu hören. Das sind alles nur liberale Lippenbekenntnisse.

Während im Bund die rechtspolitische Sprecherin der FDP die Große Koalition attackiert, dem Bundesinnenminister eine vernichtende Bilanz testiert und beklagt, dass die Privatheit der Bürgerinnen und Bürger durch die Große Koalition immer mehr eingeschränkt wird, soll in Hessen zusammen mit der FDP einer gigantischen Vorratsdatenspeicherung das Tor geöffnet werden. Wenn das nicht geschieht, ist angeblich die Sicherheit bedroht.

(Widerspruch bei der FDP)

– Der Einschub von Abs. 3 in diesem Antrag ist wohl eher ein liberales Feigenblatt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Es ist nicht so, dass es keine erfolgreiche Prüfung für Visa vor Ort gibt. Es gibt schon Kontrollmechanismen an den Auslandsvertretungen, die sich sehr bewährt haben. Das hat die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion ergeben. Durchschnittlich wurden in den letzten Jahren ca. 2,3 Millionen Visumanträge durch die 184.000 Auslandsvertretungen bearbeitet. Die Zahlen bestätigen den Erfolg der eingeführten Maßnahmen.

Auch die Europäische Union ist auf diesem Gebiet nicht untätig gewesen. Im Sommer 2008 wurde schon die Einführung eines Europäischen Visa-Informationssystem verabschiedet. Auch hier ist eine Datei für die Einlader vorgesehen. Allerdings wird hier nur ein ganz kleiner Personenkreis Zugriff auf diese Daten haben. Ohne Anlass darf da überhaupt nicht recherchiert werden.

Wenn ich mich recht erinnere, waren es gerade die liberalen Politiker, die sich dafür feiern ließen und die Verhinderung der Visa-Warndatei in der jeweiligen Landesregierung als ihren Erfolg für sich proklamiert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das wurde schon mit auf den Weg gegeben: Eine vernünftige Visa-Politik darf nicht dem Wahlkampf geopfert werden. Selbst der Kollege von der FDP aus dem Bundestag warnt davor. Er sagt, die Thematik sei für Schnellschüsse im Vorwahlkampf nicht geeignet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie auf unsere Warnung nicht hören, sind wir schon gewohnt. Aber auf Ihren Kollegen in Berlin könnten Sie doch ruhig hören.

Deshalb empfehle ich Ihnen: Warten Sie doch erst einmal die Erfahrungen ab, die mit dem Europäischen Visa-Informationssystem, kurz VIS genannt, gemacht werden. Das hört sich auch viel freundlicher als Visa-Warndatei an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund, dass wir am Dienstag eine Regierungserklärung über die Wichtigkeit der Europäischen Union gehört haben und das Hohelied auf die Europäische Union gesungen worden ist, bitte ich Sie darum: Geben Sie der Europäischen Union eine Chance und verzichten Sie auf einen deutschen Alleingang. – Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Enslin, vielen Dank.