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03.02.2011

Ellen Enslin: Vorratsdatenspeicherung ablehnen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kaum hatte der hessische Innenminister Boris Rhein den Vorsitz in der Innenministerkonferenz übernommen, schon konnten wir seine markigen Sprüche zur inneren Sicherheit in der Presse lesen.

(Zurufe von der CDU)

Da entdeckte er bei der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung doch gleich eine gefährliche Schutzlücke. Der Koalitionsstreit in Berlin, ob es überhaupt eine Vorratsdatenspeicherung geben sollte, war für ihn schon geklärt. Nicht mehr das Ob, sondern nur noch das „wie lange?“ ist für ihn die Frage. Wie immer in diesen Fällen wird die erhöhte Gefahr von Terroranschlägen bemüht. Es wird aber auch die Verbrechensbekämpfung, z. B der Kampf gegen die Kinderpornografie, genannt.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Mit einer Ansammlung kriminalistischer Einzelfälle soll die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung begründet werden, denn mit der Kriminalitätsstatistik lässt sich die Notwendigkeit nicht belegen. Noch im März 2010 hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, deutlich gemacht, dass durch den Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung eben keine Schutzlücke entsteht. Wir sehen aber: Die Hardliner in der CDU machen Druck, und die Justizministerin ist bei der Vorratsdatenspeicherung eingeknickt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wie anders ist Ihr jetzt vorgelegtes Eckpunktepapier zu verstehen, das Sie zur Vorratsdatenspeicherung „light“ zur Diskussion gestellt hat? Es wird nur noch über die Speicherfrist diskutiert. Wir GRÜNEN haben uns immer gegen eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten gewehrt. Ein ganzes Volk von 82 Millionen Menschen unter Generalverdacht zu stellen, ist für einen freiheitlichen Rechtsstaat nicht angemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Dadurch wird in unverhältnismäßiger Weise in Grundrechte eingegriffen. Selbst eine einwöchige anlasslose Datenspeicherung auf Vorrat ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger.

Auf EU-Ebene soll noch in diesem Jahr die einschlägige Richtlinie evaluiert werden. In etlichen Ländern ist sie, das wurde schon angesprochen, noch nicht umgesetzt, und zwar deshalb, weil diese Länder in ihr einen Verstoß gegen den EU-Vertrag und eben auch eine Gefahr für das Fernmeldegeheimnis und die Meinungsfreiheit sehen. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Rumänien, Irland, Österreich, die Slowakei, aber auch Schweden. Vor diesem Hintergrund hätte die Bundesjustizministerin gut daran getan, erst einmal die Entwicklung abzuwarten, anstatt voreilig einen Kompromiss anzubieten und im Koalitionsstreit klein beizugeben. Wir hätten einen engagierteren und offensiveren Kampf von einer Bundesjustizministerin erwartet, die doch selbst noch gegen die Vorratsdatenspeicherung zu Gericht gezogen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir sind froh, dass unser Antrag die SPD und die LINKE dazu veranlasst hat, sich intensiv in die Debatte einzumischen. Im Gegensatz zur SPD lehnen wir die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Denn nur deshalb, weil ein Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht in jedem Fall verfassungswidrig ist, ist er politisch noch lange nicht geboten. Trotzdem verwundert uns der SPD-Antrag nicht, soll er doch die Vorratsdatenspeicherung und natürlich auch das damalige Gesetz der damaligen Großen Koalition noch einmal rechtfertigen.

(Zuruf der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, bei der alle Kommunikationsdienste die Daten ihrer Kunden unter dem Deckmantel der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung speichern müssen, stellt alle Bürgerinnen und Bürger ungerechtfertigterweise unter Generalverdacht. Die von der SPD vorgebrachten Argumente, sie diene der Kriminalitätsbekämpfung, können in der Praxis nicht nachgewiesen werden. Hier schlage ich Ihnen – und auch den Kollegen von der FDP – Folgendes vor. Wenn es Ihnen um die Verbrechensbekämpfung geht, dann nehmen Sie doch bitte das Problem der Geldwäsche auf Bundesebene stärker in Angriff. Da gibt es nämlich genügend Schlupflöcher in puncto Glücksspiel und Luxusimmobilien.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ein weiterer Punkt, nämlich die enorme Missbrauchsgefahr bei der Sammlung dieser gigantischen Datenmengen, muss ausreichend gewürdigt werden. Um Ihrer Fantasie auf die Sprünge zu helfen: Schauen Sie doch einmal auf der Seite des Chaos Computer Clubs nach. Dort finden Sie eine interessante Stellungnahme zu der Frage, welche Gefahren bei einer so immensen Datenmenge drohen.

Ein Punkt in dem SPD-Antrag ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist richtig, das Quick-Freeze-Verfahren bietet nicht die gleichen Aufklärungsmöglichkeiten wie die Vorratsdatenspeicherung. Allerdings besteht die große Gefahr, dass unter dem enormen Zeitdruck vom Provider vorschnell Daten angefordert werden, egal ob sie benötigt werden, oder nicht.

Dass wir mit unserer Forderung, die Vorratsdatenspeicherung abzulehnen, nicht alleine sind, zeigt die Tatsache, dass es viele Länder in der EU gibt, die diese EU-Richtlinie ablehnen. Unter anderem Schweden lehnt sie ab. Schweden wird bekanntlich von einer konservativ-liberalen Regierung regiert. Liebe Kollegen von der Landesregierung, nehmen Sie sich daran doch ein Beispiel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Deshalb ist der Vorschlag von Frau Leutheusser-Schnarrenberger für ein neues Umsetzungsgesetz absolut kontraproduktiv. Gerade deshalb, weil es an der Europäischen Richtlinie massive Kritik gibt, wäre es wirklich sinnvoller gewesen, die bestehenden Mittel zur schnellen Sicherstellung und zur gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten zu nutzen, die in der Convention on Cybercrime des Europarats vereinbart wurden.

Die Justizministerin geht mit den Befürwortern der anlasslosen Speicherung einen unnötigen Kompromiss ein und erweist damit der Meinungsfindung in der EU einen gewaltigen Bärendienst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn es aber nicht gelingt, in Brüssel aktiv für eine Abkehr von der anlasslosen Datenspeicherung einzutreten, können eben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht erfolgreich verteidigt werden.

Deshalb fordern wir die Hessische Landesregierung auf, ihren Einfluss über den Bundesrat zu nutzen, um die Vorratsdatenspeicherung auf Bundes- und EU-Ebene zu verhindern. Einen besseren Zeitpunkt, um zu intervenieren, wird es für Innenminister Boris Rhein kaum mehr geben. Er ist bekanntlich mittlerweile Vorsitzender der Innenministerkonferenz.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Es macht die Qualität des demokratischen Rechtsstaats aus, dass für ihn nicht alle Mittel akzeptabel sind. Ich erinnere gern an das Verfassungsgericht, das der Bundesregierung deutlich ins Stammbuch schrieb, dass nicht jede Maßnahme, die für die Strafverfolgung nützlich ist und im Einzelfall erforderlich sein kann, verfassungsrechtlich zulässig ist.

Ich bitte, das zu bedenken, und insbesondere den Kollegen von der FDP gebe ich mit auf den Weg: Bitte lassen Sie es nicht zu, dass Sie in Sachen Bürgerrechte zum Papiertiger degradiert werden. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Enslin.