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02.02.2011
Portraitfoto von Daniel May vor grauem Hintergrund.

Daniel May: Dioxinskandal

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach den Ankündigungen und Versprechungen des letzten Monats zum Dioxinskandal von Seiten der Ministerin und der Koalition, hätte man eigentlich davon ausgehen können, dass in der ersten Plenarrunde dieses Jahres, in der ersten Plenarrunde nach dem Dioxinskandal, die Ministerin dazu Stellung nehmen möchte. Doch anstatt eine Regierungserklärung zu diesem Thema anzumelden und uns zu sagen, wie dieses Maßnahmenpaket umgesetzt werden soll, liegt dem Landtag zur Zeit noch nichts vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

So kann man schon jetzt Zweifel anmelden, ob das Thema Futtermittelskandal bzw. Verbesserung der Futtermittel- und Lebensmittelkontrollen Ihnen wirklich so wichtig ist, wenn man sieht, dass das Thema überhaupt nur dank der rot-grünen Opposition im Landtag auf die Tagesordnung gekommen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Lachen bei der CDU)

Unserer Auffassung nach ist das, was Bund und Länder nach dem Dioxinskandal verhandelt haben zwar nicht falsch, aber auch nicht weitgehend genug. Wir wollen, dass Hessen weiter geht und Treiber für eine sichere Lebensmittelüberwachung wird. Lassen Sie mich erörtern, was zum Beispiel zu tun wäre.

Erstens. Die von Ihnen angekündigte Trennung der Stoffströme im Bereich der Fette ist sicherlich ein richtiger Schritt, was das aktuelle Problem angeht, aber es löst nicht das Grundproblem. Wir wollen stattdessen, dass alle Chargen für alle Futtermittel eingeständig kontrolliert werden. Wir wollen nicht, dass nicht belastete Chargen einfach untergemischt werden mit dem Ziel, dass Grenzwerte unterschritten werden. Wir wollen, dass die belasteten Chargen direkt aus dem Verkehr genommen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir sind der Überzeugung, dass die Schadstoffbelastung nicht nur bei Dioxin zu hoch ist.

Zweitens. Wir wollen, dass die größere Dichte an Eigenkontrollen, die jetzt angekündigt wird, so sie denn kommt – dazu später – auch mit einer Verdichtung der Kontrollen staatlicherseits zusammen erfolgt. Wir glauben, dass die in Hessen zur Verfügung stehenden fünf Futtermittelkontrolleure gegenüber 13.000 landwirtschaftlichen Betrieben, gegenüber 1.300 Betrieben, die mit Futtermitteln handeln, zu wenig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Drittens. Kontrollen sind sicherlich richtig, aber sie sind nicht alles. Kontrollen setzen da an, wo es schon zu spät ist. Sie setzen nicht an der Ursache an. Unserer Meinung nach muss man auch das Prinzip der industrialisierten Landwirtschaft von Grund auf angehen. Man muss fragen, wie die jetzt angekündigten Kontrollen umgesetzt werden. Wie werden die Versprechen, die seitens der Landes- bzw. Bundesregierung gemacht werden, umgesetzt? – Da haben wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen insbesondere mit unionsgeführten Bundesministerien gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss doch auch misstrauisch werden, wenn man sich die letzte Stellenbesetzung im Bundeslandwirtschaftsministerium anschaut. Gerade jetzt, wo es darum geht, die Futtermittelindustrie schärfer zu kontrollieren, wird jemand Staatssekretär, der vorher im Aufsichtsrat einer der größten Futtermittelhersteller saß und immer für die Industrialisierung und Exportorientierung unserer Landwirtschaft eingetreten ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Anstatt einen Kritiker der Futtermittelindustrie oder der Industrialisierung der Landwirtschaft damit zu betreuen, haben sie nun einen Lobbyisten mit am Tisch sitzen. Das ist ein Skandal. Wir sind daher sehr skeptisch, ob die angekündigten Maßnahmenpakete tatsächlich umgesetzt werden, oder ob sie nicht im Laufe der Beratungen in sich zusammenfallen wie ein Stück Fleisch vom Discounter in der Bratpfanne.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Neben der Frage der Kontrolle – ich hatte es vorhin schon angekündigt – stellt sich die Frage, welche Landwirtschaft wir eigentlich wollen, und wofür wir staatliche Mittel für die Landwirtschaft noch ausgeben wollen?

Zu Beginn der Internationalen Grünen Woche, die vor kurzem zu Ende gegangen ist, haben 22.000 Menschen in Berlin unter dem Motto: „Wir haben es satt“, demonstriert.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Willi ist immer dabei! – Allgemeine Heiterkeit)

– Wir müssen uns irgendwie verpasst haben, ich war auch da. – Es ist die zunehmende Ausrichtung auf Massenproduktion und die undurchsichtigen Handelswege bei der Futtermittelherstellung, die es möglich gemacht haben, dass ein Hersteller tausende Höfe mit vergiftetem Futter beliefern konnte. Wir GRÜNEN wollen daher, dass nur noch eine bodengebundene umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft gefördert wird.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Gestatten Sie Zwischenfragen?

Daniel May:

Nein. Ich gestatte keine Zwischenfragen, wer mich etwas fragen möchte, nimmt bitte eine Kurzintervention. – Es ist den Menschen doch nicht zu erklären, warum wir immer noch Fördergelder in eine Landwirtschaft stecken, die nicht umweltgerecht und nicht tiergerecht ist, und die immer neue Skandale erzeugt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir sind der Überzeugung, dass Hessen, dank seiner Struktur, die wir in der Landwirtschaft haben, Vorreiter sein kann.

Letztendlich könnte Hessen Nutznießer einer Agrarwende werden. In unserer Landwirtschaft haben wir noch viele Betriebe, die selbst Futtermittel herstellen. Diese Struktur, die einmal als nachteilig beurteilt wurde, müssen wir stärken und zu unserem Vorteil ummünzen.

Wir wissen: Immer mehr Menschen legen Wert auf nachhaltig produzierte Lebensmittel. Daher wollen wir als Politik auch der konventionellen Landwirtschaft ein Angebot machen, damit sie umweltverträglicher und artgerechter produzieren und diesen Menschen ein Angebot machen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu müssen wir auch die staatliche Förderung ändern: artgerechte Haltung, Fütterung mit überwiegend eigenen Futtermitteln – das sollten in Zukunft Kriterien für die Förderung von Investitionen sein.

(Kurt Wiegel (CDU): Und Freilandhaltung!)

– Herr Kollege Wiegel, Freilandhaltung ist sicherlich auch eine richtige Maßnahme.

Wir müssen auch den Ökolandbau in Hessen weiter voranbringen. Wie bei den Lebensmittelskandalen vorher sind auch bei diesem Skandal die Verbraucher scharenweise auf „Bio“ umgestiegen. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher ändern dauerhaft ihre Einkaufsgewohnheiten in Richtung „Bio“.

Demzufolge steigt die Nachfrage nach „Bio“ ständig. Für unsere Landwirte gibt es hier große Wachstumschancen.

Auch wenn Hessen im Vergleich zu anderen Bundesländern beim Ökolandbau relativ gut dasteht, ist das kein Grund, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Frau Puttrich, ihre Amtsvorgängerin wollte den Ökolandbau weiter nach vorn bringen. An der Universität Witzenhausen hat sie da einmal vom Organic Valley gesprochen. In einer bemerkenswerten Ökomarktstudie wurde klar: In Hessen gibt es in der Biobranche noch weiteres Wachstumspotenzial.

Leider bleibt dies bisher folgenlos. Mit dem Abschied von Frau Lautenschläger sind auch die zaghaften Bewegungen der Regierung im Feld der Ökolandwirtschaft eingeschlafen.

(Lachen des Abg. Peter Stephan (CDU))

Damit verpasst Hessen die Chance, von der steigenden Nachfrage der Verbraucher nach „Bio“ zu profitieren.

Wir wollen, dass unsere hessische Landwirtschaft von der steigenden Nachfrage nach „Bio“ profitiert.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zum Thema Verbraucherverhalten sagen. Alle Kontrollen und alle Marktanreize, alle Informationskampagnen nutzen nichts, wenn wir nicht Einsicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern erzeugen können. Damit meinen wir: Jedem muss klar sein, wenn das Kilo Putenfleisch weniger kostet als ein Kilo Vogelfutter, dann ist etwas faul im System und bei diesem Produkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Es muss jedem klar sein: Für diesen Preis kann man nicht erwarten, dass das Fleisch gesund, umweltverträglich und artgerecht produziert wurde bzw. dass der Landwirt dafür einen fairen Preis erhält.

Daher ist es uns wichtig, dass die Politik in der Landwirtschaft glaubhaft umsteuert. Denn nur so können wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft vertreten: Gesundes Essen aus einer gesunden Landwirtschaft muss uns etwas wert sein.

Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Ausweitung von Kontrollen ist richtig und muss konsequent weitergeführt werden. Aber Kontrollen sind nicht alles. Wir brauchen eine neue Wertschätzung von Lebensmitteln. Wir brauchen eine konsequente Umorientierung der Landwirtschaft, hin zum Verbraucher und zu mehr Ökologie. Nur so können wir den Kampf für sichere Lebensmittel gewinnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege May.

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