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09.12.2009
Portraitfoto von Angela Dorn vor grauem Hintergrund.

Angela Dorn zur Einrichtung eines Runden Tisches zur Reform der Bolognareform

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Bolognareform wurde dieses Jahr zehn Jahre. Statt Kuchen gab es Proteste von Studierenden und Lehrenden. Die Umsetzung der Bolognareform hat enormen Verbesserungsbedarf. Was macht Schwarz-Gelb? – Sie schieben ihre Verantwortung einfach ab und tun so, als ob Sie mit all dem nichts zu tun haben.

Die Bolognareform ist sehr komplex. Es müssen verschiedenste Interessen und Ziele berücksichtigt werden, angefangen vom europäischen Austausch von Wissenschaft und Forschung, der Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes, aber auch der sozialen Öffnung der Hochschulen. Die Balance zwischen diesen Zielen herzustellen, ist eine besondere Herausforderung. Zum Beispiel die Forderung nach stärkerer Orientierung am Arbeitsmarkt und die gleichzeitige Forderung der freien Lehre und Forschung, ohne den Druck sofortiger ökonomischer Verwertbarkeit: Das braucht Fingerspitzengefühl. Denn wir wollen einerseits, dass die Universitäten aus dem Elfenbeinturm herauskommen. Dies brauchen wir für unsere gesellschaftlichen, für unsere ökonomischen Herausforderungen. Gleichzeitig wollen wir aber eine Gesellschaft, die ihren Geist nicht aufgibt. Dafür brauchen wir die Grundlagenforschung, die Geisteswissenschaften und die Orchideenfächer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Um dieser Komplexität Rechnung zu tragen, gab es von Anfang an wunderbare Leitlinien für die Bolognareform. Nur leider kennt sie keiner, denn sie wurden nicht umgesetzt.  Sie heißen: institutionelle Autonomie, akademische Freiheit, Chancengleichheit und demokratische Beteiligung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Leitlinien wurden leider völlig konterkariert. Die protestierenden Studierenden können sich auf die Bologna-Erklärung selbst berufen, wenn sie fordern, dass sie die Reform der Reform unter ihrer Beteiligung haben möchten, wenn sie fordern, dass die sozialen Hürden beim Hochschulzugang und beim Masterzugang abgebaut werden müssen. Sie können sich auf die Bolognareform berufen, wenn sie das enge und verschulte Korsett der Studiengänge ablehnen und wenn sie sich für eine Freiheit in ihrer akademischen Bildung einsetzen. Die Reform der Bolognareform einzuleiten, ist also eine große Herausforderung. Empörend ist, dass sich Schwarz-Gelb dieser Verantwortung nicht stellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, Sie schieben Ihre Mitverantwortung einfach ab. Sie sagen, es wäre Sache der autonomen Hochschulen, die Bolognareform umzusetzen. Die Politik könne das gar nicht regeln. Sie haben den Kopf im Sand und merken gar nicht, was um Sie herum passiert. Längst haben sowohl Bundesministerin Schavan als auch der Bundespräsident selbst die Länderzuständigkeit betont. Ich kann hier einmal den Bundespräsidenten Köhler zitieren. Das Zitat stammt von der 600-Jahr-Feier der Universität Leipzig, erschienen in der „Zeit“ am 2.12.2009, also noch nicht lange her. Ich zitiere:

Die Länder – Hauptverantwortliche für die Hochschulen – müssen das Thema

– gemeint ist Bologna –

zur „Chefsache“ machen. Sie „können die Verantwortung nicht einfach weiterreichen an die Hochschulen, denen sie zwar mehr Freiheit gewährt haben, ohne das aber wirklich mit einem neuen Aufbruchsimpuls und mit den nötigen Ressourcen zu unterlegen.“

Ein wahrer Satz.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Der Bundespräsident. – Frau Ministerin, wenn wir es schon nicht schaffen, Sie zu überzeugen, dann sollte Sie wenigstens der Bundespräsident zum Denken anregen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Genauso bewerte ich den Antrag, der gestern von der Koalition aus CDU und FDP eingegangen ist. Wenn man Ihren Antrag liest, fragt man sich: Haben Sie sich je richtig mit der Bolognareform befasst? Es gibt zwei Probleme, die dort angesprochen werden. Das sind zum einen die Mobilitätsprobleme, zum anderen die Verschulung. Das sind die Forderungen, die häufig im Raume stehen. Ansonsten sprechen Sie sehr schwammig von einer Verbesserung. Wesentlich ist vor allem: Auch Sie schieben die Verantwortung einfach nur auf die Hochschulen ab. Bei Ihnen klingt es verblümter. Bei Ihnen steht: „eine gemeinsame Herausforderung“ der Universitäten oder „die akademische Gemeinschaft im gemeinsamen Dialog“. Über Sie steht dort kein Wort.

Für CDU und FDP in Hessen, aber auch bundesweit, ist die bisherige Umsetzung der Bolognareform eher ein handwerklicher Fehler, der von den Universitäten ausgeräumt werden muss. Das bedeutet gleichzeitig, die Baupläne vonseiten der Politik stimmen vollkommen, aber der Handwerker, die Universitäten, pfuscht gerade. Das ist genau der Tenor, der gerade heute von der Kultusministerkonferenz herausgegeben worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Baupläne ist aber die Politik verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie die Bolognareform zu einem stabilen Gebäude machen möchten, dann können Sie sich nicht einfach aus dem Staub machen. Deswegen haben wir als erste Maßnahme von Ihnen einen runden Tisch gefordert, den Sie als Landesregierung einberufen und zu dem alle Betroffenen eingeladen werden. Sogar Bundesministerin Schavan hat jetzt endlich – sie hat lange gebraucht – die Möglichkeit erkannt und möchte eine Konferenz einberufen. Dies ist aber eine Sache der Länder, das ist Länderzuständigkeit. Warum berufen Sie keinen runden Tisch ein?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als weiteren Schritt haben wir ein nachhaltiges Finanzierungskonzept gefordert. Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie politische Ziele für die Bolognareform setzt und auch Anreizsysteme für das Erreichen dieser Ziele schafft. Am runden Tisch gäbe es also eine Gelegenheit, das Haus der Bolognareform auf sichere Säulen zu stellen. Ich sehe uns Politiker als Bildungsarchitekten, und wir müssen in diesem Haus der Bolognareform neue, tragende Säulen einrichten.

Eine wichtige Säule, die bisher noch nicht eingebaut worden ist, ist die soziale Dimension der Bolognareform. Die Bolognareform hat gefordert, dass wir gerade den Zugang sogenannter bildungsferner Schichten erleichtern müssen. Nichts davon ist passiert. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass ausreichend Masterstudienplätze zur Verfügung gestellt werden. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass endlich Teilzeitstudienmöglichkeiten eröffnet werden.

Dann geht es darum, gemeinsam mit den Hochschulen die gestuften Studiengänge, die bisherigen Säulen, zu stützen. Das heißt, Sie müssen die Studienbedingungen mit den Hochschulen zusammen verändern. Hier geht es einerseits – ganz wichtig – um mehr Wahlfreiheit innerhalb der Studiengänge gegen die Verschulung. Es geht um mehr zeitliche Flexibilität. Es geht um mehr Mobilität und eine erleichterte Anerkennungspraxis. Es geht darum, dass nicht nur sechs-, sondern auch sieben- oder achtsemestrige Bachelorstudiengänge eingeführt werden. Es geht darum, dass die Qualität der Lehre nicht nur durch Exzellenzpreise, wie es vorgestern geschehen ist, gefördert wird, sondern auch durch eine Evaluation, die von Studierenden mitgestaltet wird, und durch langfristige Anreize.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Insgesamt geht es bei diesem schwierigen Bereich darum, die Balance zwischen Bildung und Ausbildung zu finden. Wir müssen auch gewisse Säulen überdenken, beispielsweise das Akkreditierungswesen. Das ist sehr bürokratisch. Das ist noch unzureichend demokratisch legitimiert. Hier muss eine wirkliche Reform angesetzt werden.

Wir haben als GRÜNE eine Fraktionsanhörung zum Thema Bologna gemacht und haben alle Betroffenen, von den Studierenden bis zur Wirtschaft, eingeladen. Das hat uns gezeigt, es gibt natürlich viel Diskussion. Aber es hat uns auch gezeigt, es gibt viel Übereinstimmung. Es hat uns vor allem gezeigt, dass der Bolognaprozess nicht nur großen Reformbedarf hat, sondern auch ein enormes Reformpotenzial.

Am Ende bleibt nur eine Frage zu stellen: Warum wehren Sie sich als Schwarz-Gelb eigentlich so, die Bolognareform mitzugestalten? Warum geben Sie Ihre Verantwortung ab? Ich denke, es gibt zwei Antworten. Die erste Antwort ist ganz schlicht: Der Ministerin und Ihnen ist es einfach zu mühsam.

Die zweite Antwort, die mir eingefallen ist, ist, dass Sie die Autonomie der Hochschulen immer nur mit dem Wettbewerb zwischen den Hochschulen gleichsetzen. Sie denken, der Wettbewerb würde alles richten. Fixiert sind Sie dabei nur auf die Leuchttürme der Exzellenz, und den Rest haben Sie aus dem Blick verloren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen fordere ich Sie auf: Nehmen Sie endlich Ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr. Schauen Sie, dass Sie die Bolognareform endlich gemeinsam mit den Hochschulen umsetzen, und geben Sie Ihre Verantwortung nicht weiter ab.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

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