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03.02.2011
Portraitfoto von Angela Dorn vor grauem Hintergrund.

Angela Dorn: Stipendienprogramm

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Herren von der FDP, mein Glückwunsch zu Ihrem Mut, diesen Setzpunkt zu wählen. Das muss man sich erst einmal trauen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie feiern ein Stipendienprogramm des Bundes, das die soziale Öffnung der Hochschulen keinen Schritt weiterbringt. Sie feiern ein Stipendienprogramm, das einmal als Mammutprojekt angedacht war und nun in winzigem Umfang endete. Sie feiern ein Stipendienprogramm, an dem finanziell zu beteiligen Sie sich geweigert haben – zusammen mit fast allen anderen Bundesländern, außer Baden-Württemberg. Sie müssen schon in großer Not sein, wenn Sie hier keine eigenen Konzepte vorlegen können, die setzpunktfähig wären, und nach „Erfolgen“ der Bundesregierung greifen. Dann würde ich Ihnen aber empfehlen, sich wirkliche Erfolge der Bundesregierung zu suchen. Nehmen Sie hierfür nicht das Stipendienprogramm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das nationale Stipendienprogramm war einmal als starke Förderung angedacht, getragen in Kooperation vom Bund, den Länder und der Wirtschaft. 160.000 zusätzliche Stipendien waren angekündigt. Übrig blieben im Jahr 2011 – nachdem die meisten Länder, auch Hessen, sich weigerten, sich zu beteiligen – 10.000 Stipendien – für ganz Deutschland. Das heißt, maximal 0,45 % der Studierenden einer Hochschule werden öffentlich gefördert. Welch eine Gewinnchance! Vier bis fünf von tausend Studierenden an einer Hochschule haben 2011 die Chance, ein solches Stipendium zu ergattern.

Natürlich stellt sich die Frage: Werden es wirklich vier bis fünf von tausend Studierenden sein? Das ist nämlich Glückssache. Das Problem ist ja: Die Hochschulen müssen selber Stifter finden. Sie müssen sie motivieren, zu spenden. – Da wird es natürlich regional zu großen Unterschieden kommen. Es kommt natürlich darauf an, ob eine Universität in einer strukturschwachen oder in einer strukturstarken Region beheimatet ist. Für Hessen heißt das konkret: Die Universität in Fulda wird viel größere Probleme haben als z. B. die in Frankfurt.

Wenn dann doch ein paar Studierende auserlesen sind, dieses Stipendium zu bekommen, heißt es, bitte das Kleingedruckte zu lesen. Denn gefördert wird nicht etwa das ganze Studium, wie man vielleicht meinen könnte. Nein, gefördert wird oft nur für zwei Semester. Eigentlich lautet eine allgemeine Empfehlung für Studierende: Bleiben Sie mobil, bleiben Sie flexibel. – Das gilt gerade mit Blick auf die Bologna-Reform. Das Schwierige ist: Wer ein Deutschland-Stipendium hat, muss an der Hochschule bleiben, für die er es bekommen hat.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig angekündigt, Sie wollen eine Bundesratsinitiative ergreifen, um besonders leistungsfähige Studierende mit einem Stipendienprogramm zu fördern. Sie haben sogar gesagt, wenn die anderen nicht mitzögen, wollten Sie ein solches Programm notfalls alleine in die Wege leiten. Es ist ein bisschen sonderbar: Jetzt kommt der Bund auf Sie im Bundesrat zu, und Sie sagen: Nein, alles vergessen, machen Sie das mal alleine.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich will Sie aber dafür nicht zu sehr kritisieren, denn als GRÜNE kann ich ja fast dankbar sein, dass Sie Ihre Parteigenossen im Bund im Stich gelassen haben.

(Zurufe von der FDP)

Klar ist nämlich: Das Stipendienprogramm geht in die völlig falsche Richtung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es löst nämlich die Probleme nicht, die wir in unserem Bildungssystem haben. Wir befürchten sogar, es verstärkt sie eher. Die einzig verbindlichen Kriterien für die Vergabe eines Stipendiums sind nämlich Leistung und Begabung. Soziale Aspekte bleiben völlig unberücksichtigt. Dabei müsste doch auch Ihnen klar sein, dass man Leistung vor dem Hintergrund einer schwierigen Biografie anders bewerten muss, z. B. dann, wenn Personen besondere Herausforderungen zu meistern haben. Das Problem unserer Gesellschaft ist doch nicht, dass Akademikerkinder mit Bestnoten nicht mehr studieren wollen und können. Unser Problem ist, dass junge Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder augrund schwieriger persönlicher Lebensumstände nicht studieren können, obwohl sie eine Menge Potenzial, eine große Begabung haben. 83 von 100 Akademikerkindern gelangen an eine Hochschule. Von den Nichtakademikerkindern sind es nur 23 von 100. Das ist ein Ergebnis unseres ungerechten Bildungssystems. Wenn Sie das nicht berührt, meine Damen und Herren von FDP und CDU, dann müssten Sie zumindest über den spürbaren Fachkräftemangel nachdenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir GRÜNEN sehen Stipendienprogramme als durchaus sinnvoll an. Es ist sehr sinnvoll, gerade junge Menschen zu fördern. Es kommt aber darauf an, wie man sie fördert.

Erstens. Stipendien können immer nur ein Zusatzangebot im Rahmen einer starken Studienfinanzierung mit transparenten Rechtsansprüchen sein. Hier geht es also um BAföG.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Büger, Sie haben gesagt, ein Viertel der Studierenden werde über BAföG finanziert. Wenn man sich das aber genau anschaut, sieht man: Nur ein Bruchteil dieser 25 % der Studierenden bekommt den Höchstsatz. Ganz viele bekommen nur wenige Euro auf ihr Konto überwiesen. Da lohnt sich der administrative Aufwand fast nicht.

Die Grundlage der Förderung ist also eine ordentliche BAföG-Novelle. Was ist aber im Bundestag passiert? Sie haben von einem „Korb“ gesprochen. Ich sage ganz klar: Die BAföG-Novelle wurde im Bundtag ausgespielt, weil Bundesministerin Schavan unbedingt ihr Stipendienprogramm durchdrücken wollte. Danach fand ein monatelanges Tauziehen statt. Was war das Ergebnis? Geringfügige Verbesserungen, z. B., um es bildlich zu machen: Höchstsatzempfänger bekommen jetzt ganze 12 € mehr. – Das sind die, die am bedürftigsten sind. Sie bekommen 12 € mehr.

Zweitens. Ein gutes Stipendienprogramm wäre nach Auffassung der GRÜNEN nicht einseitig am Begriff Leistung ausgerichtet. Es kommt eben auf die Definition von Begabung und Leistung an. Gleichzeitig muss aber immer auch die individuelle Lebensleistung berücksichtigt werden. Ein Notendurchschnitt zeigt immer nur eine Facette eines jungen Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Dritte ist die Beteiligung der Wirtschaft. Auch wir GRÜNEN empfinden es als richtig und wichtig, dass sich die Wirtschaft am Stipendienprogramm beteiligt. Herr Büger, Sie haben vorhin gesagt: Warum kommt es dann so spät? – Sie behaupten, es liege an der linken Seite des Parlaments, an Rot-Grün, die immer nur auf die Förderung von sozial Schwachen setzen. Um es ganz klar zu sagen: Die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände haben jahrlang versprochen, es komme zu einem Programm. Leider ist nichts passiert. Jetzt hat die öffentliche Hand das Programm mitgefördert; nun kommt es ins Rollen. Es ist nicht so, dass die linke Seite schuld ist.

Es ist wichtig, dass die Wirtschaft an Stipendien beteiligt wird, aber es ist auch wichtig, dass sie keinen Einfluss auf die Auswahlkriterien bekommt. Sie haben gerade gesagt, die Auswahl erfolge alleine durch die Hochschulen. Ich habe von der TU Berlin – da war ja gestern die Auftaktveranstaltung – einen Prospekt mitgebracht. Da heißt es: junge Talente gemeinsam entdecken und fördern. Es ist also ein Prospekt über das Deutschland-Stipendium. Da steht – ich zitiere –:

Als Stifter fördern Sie mehrere Stipendiatinnen oder Stipendiaten für ein oder mehrere Jahre. Sie können den Studiengang oder das Fach der Stipendiatin/des Stipendiaten bestimmen, die Auswahlkriterien mitbestimmen, die Auswahlkommission beraten und Ihre Stipendien nach Wunsch benennen.

Das ist schon ein bisschen mehr, als dass man sagen könnte, dass die Hochschule alleine auswählt. Man hat es in Nordrhein-Westfalen schon erlebt: Wir haben ein deutliches Ungleichgewicht in der Förderung, beispielsweise zwischen Rechtswissenschaften und Kulturwissenschaften. Die Förderung muss aber unabhängig von den Bereichen erfolgen, die für die Wirtschaft explizit von Vorteil sind. Insofern müsste man eher über einen Fonds nachdenken. Den gibt es zwar auch, das ist aber nur ein ganz kleiner Bereich des Deutschland-Stipendiums. Das müsste ein größerer Fonds sein, an dem sich die Wirtschaft sehr gerne beteiligen kann. Das wäre absolut lobens- und unterstützenswert.

Der vierte Punkt, der uns bei einem Stipendiensystem wichtig wäre: Die Hochschulen dürfen mit dem finanziellen und personellen Aufwand nicht alleine gelassen werden. Wir hatten eben im Rahmen der Aktuellen Stunde eine lange Diskussion, was die Hochschulen alles meistern müssen, mit welchen Kürzungen sie es zu tun haben. Das Problem ist: Die Hochschulen haben einen immensen Verwaltungsaufwand. Ich habe schon gesagt: Je nach Region ist es unterschiedlich schwierig, überhaupt an Stifter zu kommen. Die Hochschulen bekommen derzeit zur Deckung ihrer Verwaltungskosten ganze 7 % der selbst eingeworbenen Mittel. Sie von der FDP haben ja, schätze ich, zu Herrn Pinkwart ein sehr gutes Verhältnis. Sie sollten ihn einmal fragen, wie viel Geld er gebraucht hat. Dann sehen Sie nämlich, dass mindestens 25 % der eingeworbenen Mittel notwendig ist, damit die Hochschulen das überhaupt meistern können.

Wenn Sie das Programm erfolgreich starten lassen wollen, müssen Sie es deutlicher fördern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich würde mit Ihnen im Ausschuss gern wirklich über die Stipendien diskutieren. Ich würde gern mit Ihnen darüber diskutieren, wie man das bundesweite Stipendienprogramm so regeln kann, dass es wirklich besser wird und dass alle Studierenden mit Potenzial eine Chance haben, dort aufgenommen zu werden. Wie kann man es schaffen, das BAföG auf eine solide Grundlage zu stellen?

Ihr Koalitionsvertrag steht noch aus. Sie haben gesagt, Sie wollten eigene Mittel in die Hand nehmen. Vielleicht wollen Sie doch noch ein eigenes Stipendienprogramm auf den Weg bringen. Wir sind gern bereit, daran konstruktiv mitzuarbeiten.

Angesichts Ihres Antrags und unter dem Eindruck der Rede, die Herr Büger gerade gehalten hat, habe ich aber wenig Hoffnung, da der Leistungsgedanke immer an oberster Stelle steht und Leistung das Einzige ist, was jetzt gefördert werden soll. Man muss da komplexer denken. Insofern bleiben die – –

(Zuruf von der FDP, an die GRÜNEN gerichtet: Nun klatschen Sie doch! – Gegenruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war doch mitten im Satz!)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Dorn, Sie müssen zum Schluss kommen.

Angela Dorn:

Ich komme zum Schluss. – Wir fordern Sie auf: Verfolgen Sie nicht weiter den Weg, diejenigen zu fördern, die ohnehin die Bildungsgewinner sind, und vernachlässigen Sie nicht diejenigen, die sich gern entfalten würden, es aber noch nicht können. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Dorn.

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