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02.03.2011
Portraitfoto von Angela Dorn vor grauem Hintergrund.

Angela Dorn: Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen-Marburg

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Was Sie hier gerade machen, sehr geehrte Kollegen von CDU und FDP, ist ganz klassisch ein Ablenkungsmanöver.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Sie versuchen, von Ihren Fehlern abzulenken. Dabei haben Sie gerade eine schallende Ohrfeige bekommen. Bei der Privatisierung der Uniklinik Gießen-Marburg haben Sie die Landesbediensteten einfach zu einem privaten Arbeitgeber übergeleitet, ohne ihnen ein Widerspruchsrecht einzuräumen. Das Bundesverfassungsgericht sagt klar, dass dies mit dem Recht auf freie Berufswahl nicht vereinbar ist. Das Gesetz ist also in Teilen verfassungswidrig – ich betone: in Teilen –, aber statt diesen Fehler offen einzugestehen, versuchen Sie, davon abzulenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Der erste große Ablenkungsversuch, eine schöne Nebelwolke, ist eine Lobhudelei-Rede auf die Privatisierung. Da nennen Sie Urteile, die längst nichtig sind. Was bringt es, jetzt noch über die Urteile des Landesarbeitsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts nachzudenken, wenn wir ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben? Sie haben hier eine ganz konkrete Aufgabe gestellt bekommen. Genau der müssen Sie jetzt nachgehen. Da hilft es nicht, zu überlegen, ob das vielleicht eine rechtlich komplexe Materie war.

Zweitens spielen Sie auf Zeit. Wir haben bis Ende des Jahres nicht mehr viel Zeit. Bis dahin muss ein klares Gesetz vorliegen. Wenn das wirklich ein klares Gesetz sein soll, dann braucht man auch genügend Zeit für eine Anhörung.

Die dritte große Nebelschwade, die ich mittlerweile empörend finde, Herr Paulus: Sie beschimpfen uns, die Opposition, dass wir angeblich Panik verbreiten.

(Zuruf des Abg. Jochen Paulus (FDP))

– Waren Sie einmal im Landkreis Marburg-Biedenkopf? Waren Sie in Gießen? Haben Sie mit den Beschäftigten geredet? Lesen Sie einmal die Zeitung. Die Leute sind verunsichert. Die Betriebsräte führen Dauertelefonate mit allen möglichen Beschäftigten. Und wir stellen Fragen. Wir GRÜNEN haben im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst Fragen gestellt. Was sind die Konsequenzen? Wir wollten Antworten haben. Wir wollten wissen, was Ihre Überlegungen sind. Sie haben nur blockiert. Das einzige Mal, als Emotionalität aufkam, war, als Sie uns vorgeworfen haben, wir würden Panik verbreiten. Das ist unglaublich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg.Jochen Paulus (FDP))

Ganz am Ende Ihrer Reden kommen dann ein paar warme Worte – ich habe es mitgeschrieben –: „Wir werden den Beschäftigten gerecht werden.“ – Was heißt das? Was heißt das konkret? Das ist eine derartige Nebelwolke, in der können Sie versinken.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es wirklich höchste Zeit, dass Sie dieses Ablenkungsmanöver beenden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Ihnen klare Hausaufgaben gestellt. Sie müssen endlich Verantwortung übernehmen. Es geht um Ihre ehemaligen Beschäftigten – vielleicht bald wieder Ihre Beschäftigten. Das, was Sie hier machen, ist reine Wahlkampflyrik. Sie treffen keine konkrete Aussage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss aber in Richtung der Fraktion DIE LINKE auch deutlich sagen: Ich empfinde es genauso als Wahlkampflyrik, wenn man über die Rückabwicklung der Privatisierung redet.

(Zuruf der Abg.Janine Wissler (DIE LINKE) – Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

– Es wäre mir neu, dass im SPD-Antrag etwas von einer Rückabwicklung der Privatisierung steht. – Ganz konkret gefragt: Wie wollen Sie das denn machen? Wie wollen Sie die Investitionen, die bisher getätigt worden sind, als Land sozusagen zurückkaufen? Wir können den Leuten nicht alles versprechen, was gerade wünschenswert wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg.Janine Wissler (DIE LINKE))

Zurück zur Landesregierung und zu den schwarz-gelben Fraktionen. Was sagen Sie den Beschäftigten konkret? Können Sie hier und heute sagen, dass die Leute keine Angst zu haben brauchen? Können Sie hier und heute sagen, dass sie, wenn sie ihr Recht auf Widerspruch endlich wahrnehmen wollen, dies ohne Angst tun können? Können Sie hier versprechen, dass die, die in den Landesdienst zurückkehren wollen, keine betriebsbedingten Kündigungen fürchten müssen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre ehemaligen Beschäftigten haben ein Recht auf konkrete Antworten. Sie haben ein Recht auf Lösung der Probleme. Sie von den Regierungsfraktionen waren es, die ihnen das Recht auf Widerspruch verwehrt haben. Sie wurden vom Bundesverfassungsgericht in die Schranken verwiesen. Das heißt, Sie haben den Fehler gemacht, Sie müssen ihn wiedergutmachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben 2005 ein unglaublich großes Versprechen gegeben – zumindest war es für Sie ein sehr großes Versprechen: Es darf bis 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Das war das politische Versprechen. Mit dem sind Sie durch die Lande gezogen. Die Leute haben Ihnen das abgenommen. Es ist ja auch so eingetreten, wie Sie gesagt haben, weil Sie das vertraglich so verhandelt haben. Jetzt haben wir aber eine neue Situation. Wir finden, dass Sie die moralische Verpflichtung haben, dieses Versprechen zu erneuern, denn was können die Beschäftigten dafür, dass sie erst jetzt Recht bekommen und Sie damals ein Gesetz verabschiedet haben, das in Teilen verfassungswidrig ist?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU-Abgeordneten mit ihrer damaligen absoluten Mehrheit wollten Pioniere sein. Sie wollten die Ersten sein, die Neuland betreten, die ein Uniklinikum privatisieren. Sie wollten das auch möglichst schnell machen. Sie wollten diesen Leuchtturm ganz schnell zum leuchten bringen. Er sollte in alle anderen Bundesländer hinausstrahlen, je schneller, desto besser. Was war die Konsequenz? Es war ja abzusehen: Sie haben Ihr Gesetz mit viel zu heißer Nadel gestrickt. Sie haben die Rechte der Beschäftigten vernachlässigt. Das Gesetz fällt Ihnen jetzt zu Recht auf die Füße.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Litanei können Sie sich sparen, dass Sie das eigentlich mit bestem Wissen und Gewissen gemacht haben, die Rechtlage sei eben schwierig gewesen, das sei ja durch die vorherigen Urteile bestätigt worden, Sie hätten ja kein Vorbild gehabt, denn Sie seien ja die Ersten gewesen, die das gemacht hätten. All das mussten wir uns im Ausschuss anhören.

15 Wenn Sie wirklich den sicheren Weg hätten gehen wollen, hätten Sie genug Anregungen gehabt, um das zu machen.

Ich war damals noch nicht im Parlament, musste es daher nachlesen und bin aus dem Kopfschütteln nicht herausgekommen: Es gab anscheinend eine 17-stündige Expertenanhörung.

(Zuruf des Abg.Dr. Thomas Spies (SPD))

Ein Thema war die Problematik des fehlenden Widerspruchsrechts. Unter anderem hat dann meine Kollegin Sarah Sorge einen Antrag gestellt, in dem genau dieses Thema, nämlich die Überleitung des Personals, problematisiert worden ist. Was haben Sie mit Ihrer absoluten Mehrheit dann gemacht? Sie haben die Warnungen und die Kritik einfach weggestimmt.

In dem Zusammenhang muss ich die Kollegen von der FDP fragen: Was war denn damals mit Ihnen? Was ist jetzt mit Ihnen? Damals waren Sie noch sehr kritisch und haben moniert, dass auf die Anhörung nichts folgte. Sie haben Probleme aufgeworfen. Aber jetzt ist plötzlich alles kein Problem. Ich finde, Sie sollten eine etwas kritischere Haltung einnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Udo Corts sagte damals in der Debatte – das hört sich heute ganz absurd an, damals wahrscheinlich auch schon –: Wir gehen den korrekten Weg, damit wir nachher nicht verklagt werden können. – Als Einziges war wohl korrekt, dass es damals eine absolute Mehrheit der CDU gab. Nach dem richtigen Weg haben Sie nie gesucht. Für Sie galt, dass Mehrheit gleich Wahrheit ist.

Das war Ihr alter Stil. Herr Ministerpräsident Bouffier hat den neuen Stil ausgerufen. Wir messen Sie jetzt an dem neuen Stil. Sie können in der Tat zeigen, ob Sie daraus gelernt haben. Bisher merke ich wenig davon. Sie können zeigen, ob Sie mehr Verantwortung für die Beschäftigten übernehmen wollen, und Sie können zeigen, ob Sie wirklich Interesse an einem tragfähigen Gesetz haben.

Herr Paulus, Sie haben gesagt, wir seien an einer konstruktiven Mitarbeit nicht interessiert. Im Gegenteil, was gibt es mehr, als im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst als Erstes einen Dringlichen Berichtsantrag zu stellen, d. h. zu fragen, was für Konsequenzen gezogen werden? In dem Antrag der SPD stehen ein paar wirklich wichtige Forderungen. Damit erklären wir doch, dass wir konstruktiv mitarbeiten wollen. Aber gerade Sie hindern uns daran.

Dabei möchte ich auf eines hinweisen, was mich gestern ganz schön geärgert hat: Ich saß gestern mit einem Fraktionskollegen, der Frau Ministerin und Herrn Dr. Wagner mit einer Besuchergruppe zusammen. Die Besuchergruppe bekam alle möglichen Informationen, die wir im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst nicht erhalten haben. Zum Beispiel habe ich gestern gehört – gut, dass ich es auch weiß –, dass in den Kliniken wohl 3.800 Leute betroffen sind. Außerdem wurde über die Unterschiede zwischen Land und Klinikum geredet, was die Verdienste betrifft, und darüber, welche Probleme es mit den Sozialabgaben gibt, die obendrauf kommen.

Eine Besuchergruppe, die aus Münchhausen kam, erhielt also alle möglichen Informationen. Es ist schön, dass die Besuchergruppe so gut informiert wird. Aber ich hätte es fair gefunden, wenn man uns diese Informationen vorher ebenfalls zugeleitet hätte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Ministerin, sollte wirklich ein neuer Stil in diesem Haus Einzug gehalten haben, so habe ich das bei Ihnen noch nicht mitbekommen. Vielleicht überlegen Sie sich, ob Sie da etwas nachbessern können.

Ich glaube, in dem SPD-Antrag werden genau die richtigen Forderungen gestellt. Es geht zunächst um eine ganz sachliche Prüfung verschiedener möglicher Modelle: Wie können wir dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden? Es werden hier sicherlich einige Kosten auf uns zukommen. Da muss man darauf schauen, welche Vor- und Nachteile welches Modell hat. An dem Punkt hätte ich gern Transparenz.

Dann brauchen wir Zeit für Beratungen. Es wäre wirklich gut, wenn der Gesetzentwurf vor der Sommerpause vorliegen würde. Außerdem brauchen wir eine Anhörung und noch genügend Zeit, um all die Anregungen und Informationen einzubringen.

Was mir ganz wichtig ist: Am Ende muss ein Gesetzentwurf vorliegen, der klar ist und keinen Interpretationsspielraum offenlässt. Es kann nämlich nicht sein, dass der Klageweg noch einmal eröffnet wird, dass noch einmal fünf Jahre vergehen und dass die Betroffenen immer noch kein Recht haben.

Wir haben heute die Wahl. Wenn Sie aus dem Urteil lernen wollen und wirklich beabsichtigen, hier einen neuen Stil einzuführen, zeigen Sie das auch. Herr Dr. Wagner ist heute leider nicht gekommen. Herr Dr. Wagner hat gestern gesagt – ich fand das schön –: Wir haben die nachsorgende Fürsorgepflicht. – Das hätte fast von uns kommen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat er leider nur den Besuchern erzählt. Aber vielleicht möchte er es hier wiederholen.

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme sofort zum Schluss. – Was bedeutet das für Sie konkret? Werden Sie betriebsbedingte Kündigungen ausschließen? Wie werden Sie die Neuregelung auf den Weg bringen? Ich möchte hier keine Wahlkampflyrik mehr hören, sondern politische Prosa. Ich möchte klare Aussagen haben und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

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