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22.06.2010

Andreas Jürgens zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dieser Geste des Staatssekretärs zu folgern, dass es mit der Landesregierung abwärts geht, wäre sicherlich übertrieben.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Also wende ich mich lieber dem Thema zu. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den wir heute in dritter Lesung beraten – ich habe das schon in erster Lesung gesagt –, hat nichts Liberales an sich. Die Zeiten, in denen sich Liberale in der FDP – die soll es auch einmal gegeben haben – für einen humanen Strafvollzug einsetzten, sind längst vorbei. Heute folgen Rechtspolitiker in der FDP nur noch dem konservativen Rückfall ins vollzugspolitische Vorgestern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als deutliches Symbol dafür gilt nach wie vor der Verzicht auf jedes Vollzugsziel in Ihrem Gesetzentwurf. Die Resozialisierung, die im Bundesstrafvollzugsgesetz als Vollzugsziel seit über 30 Jahren ausdrücklich festgehalten ist, wird von Ihnen nicht mehr als Vollzugsziel genannt, sondern zu einem sogenannten Eingliederungsauftrag herabgestuft. Damit kapitulieren Sie vor den bekannten Problemen im Vollzug. Natürlich gibt es Gefangene, die nicht resozialisierungswillig sind. Es gibt viele Rückfalltäter und viel vergebliches Bemühen der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug.

30 Aber das Recht darf doch hiervor nicht kapitulieren, sondern muss sich dieser Herausforderung gerade stellen. Wir müssen das Ansinnen an die Straftäter richten, sich gefälligst zu resozialisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie aber formulieren in Ihrem Gesetzentwurf einen im wahrsten Sinne des Wortes ziellosen Strafvollzug. Dann stellen Sie den immerhin noch verbliebenen Eingliederungsauftrag auch noch auf eine Stufe mit dem Sicherungsauftrag, der ohne Zweifel auch im Vollzug vorhanden ist. Ich zitiere hierzu erneut – das habe ich schon in der zweiten Lesung getan – die Stellungnahme des Kommissariats der Katholischen Bischöfe: „Ausgehend von der Personenwürde eines jeden Gefangenen sollte jedoch dem Eingliederungsauftrag eine stärkere Bedeutung zugesprochen werden.“ Genauso ist es auch aus unserer Sicht. Das Vollzugsziel der Resozialisierung soll vor allem dazu dienen, nach dem Vollzug zu wirken, wenn die Gefangenen wieder in Freiheit sind. Es soll sie davon abzuhalten, weitere Straftaten zu begehen und dadurch auch die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten.

(Zuruf des Abg. Alfons Gerling (CDU))

Die Sicherung der Gefangenen während des Strafvollzugs ist ebenfalls ein wichtiger Auftrag, kann aber nicht gleichrangig sein mit der Resozialisierung.

Auch hinsichtlich der künftigen Marginalisierung des offenen Vollzugs – das hatte ich schon in der ersten und in der zweiten Lesung kritisiert – haben fast alle Sachverständigen unsere Kritik bestätigt. Vor der zweiten Lesung haben Sie noch eine Änderung vorgenommen. Aber auch danach bleibt es dabei: Der offene Vollzug ist nach Ihrem Entwurf keine eigenständige Vollzugsform mehr. Die eigenständige Vollzugsform des offenen Strafvollzugs ist abgeschafft.

Herr Hahn hat übrigens in der zweiten Lesung – ich konnte darauf nicht mehr reagieren – wieder das Märchen aufgetischt, es ginge uns, den GRÜNEN und auch der SPD, um den offenen Vollzug als Regelvollzug. Das war der untaugliche Versuch, unsere Kritik als realitätsfern zu diskreditieren. Die Wahrheit ist: Schon in unserem eigenen Entwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz in der 16. Wahlperiode hatten wir den offenen Vollzug und den geschlossenen Vollzug als eigenständige Vollzugsform vorgesehen. Welche Vollzugsform die geeignete ist, sollte dann jeweils im Einzelfall entschieden werden. Da mag die eine oder andere als Regel, rein rechnerisch gesehen, herauskommen. Aber den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug und den offenen nur als vollzugsöffnende Maßnahme festzulegen, wie im Entwurf der Landesregierung, ist eine ideologisch motivierte Entwertung einer Vollzugsform, die aus unserer Sicht durch nichts gerechtfertigt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute auch die zweite Lesung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion. Frau Hofmann hat es schon gesagt. Dieser Entwurf wird von den Sachverständigen in weiten Teilen als wesentlich sinnvoller eingestuft als derjenige der Landesregierung: systematischer vom Aufbau her usw.

Der Hessische Richterbund hat dies in einer uns übersandten Stellungnahme an verschiedenen Punkten deutlich gemacht. Ich bedauere, dass dieser Entwurf wegen seiner späten Einbringung nicht in die Anhörung im Ausschuss einbezogen werden konnte. Das wäre sicherlich interessant gewesen. Deshalb können wir ihn auch nicht abschließend beurteilen. Da er aus unserer Sicht ebenfalls einige Probleme hat, werden wir uns hierbei enthalten.

Ich hatte in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, dass die Sicherungsverwahrung im Entwurf der Landesregierung völlig unzureichend geregelt ist. Sie widmen der Sicherungsverwahrung ganze drei Paragraphen. Das wird nach Beurteilung einiger Sachverständiger nicht den Anforderungen gerecht, die das Bundesverfassungsgericht an eine verfassungskonforme Regelung der Sicherungsverwahrung formuliert hat. Hier sind die Regelungen im Entwurf der SPD-Fraktion deutlich konkreter und damit wohl auch besser geeignet. Allerdings bleiben wir bei unserer Auffassung, es wäre sinnvoller, dies zunächst einmal aus diesem Gesetzentwurf herauszunehmen und einem eigenen Gesetzentwurf zu überlassen.

Wir haben gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über die Sicherungsverwahrung neue bundesgesetzliche Regelungen zu erwarten, die im Einzelnen aber durchaus noch umstritten sind. Herr Staatssekretär Dr. Kriszeleit hat in der letzten Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug über das Problem der Sicherungsverwahrten in Hessen berichtet, die aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte demnächst möglicherweise freigelassen werden müssen. Es gibt durchaus unterschiedliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, die man also noch nicht als gefestigt bezeichnen kann. In dieser Situation eine fragwürdige Regelung zur Sicherungsverwahrung zu schaffen, die den Makel einer möglichen Verfassungswidrigkeit trägt, ist aus unserer Sicht grob fahrlässig. Wir sollten keinerlei Risiko eingehen, dass in Hessen eine Sicherungsverwahrung nicht konform vollstreckt werden kann und dann weitere Straftäter freigelassen werden müssen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nach wie vor nicht, warum CDU und FDP dieses Risiko sehenden Auges eingehen wollen.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich auch schon mehrfach angesprochen habe. In Hessen sollte eigentlich als wesentlicher Maßstab für den Strafvollzug gelten, was in der Hessischen Verfassung steht. Ein einfacher, aber sehr bemerkenswerter Satz: „Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln.“ Das unterscheidet den Behandlungsvollzug von der bloßen Vergeltung. Das unterscheidet den Strafvollzug von den Taten der Gefangenen, und das unterscheidet den Rechtsstaat vom Willkür- und Unrechtsstaat.

An manchen Stellen fragt man sich aus unserer Sicht schon: Wo bleibt eigentlich die menschliche Behandlung im Vollzug? Die Landesregierung sieht z. B. einen Anspruch der Gefangenen auf Besuch in einem zeitlichen Umfang von lediglich einer Stunde pro Monat vor. „Mindestens“ steht im Gesetz. Aber das ist das, worauf sich der Gefangene berufen kann: „mindestens eine Stunde pro Monat“. Man wird verstehen können, dass in einer Stunde pro Monat Kontakte nach draußen in keiner Weise aufrechterhalten werden können. Eine Eingliederung wird hierdurch aus unserer Sicht unnötig erschwert.

Die SPD-Fraktion schlägt in ihrem Gesetzentwurf immerhin zwei Stunden vor. Auch hier verweise ich auf die Stellungnahme des Kommissariats der Katholischen Bischöfe, die in unserer Anhörung vorgeschlagen hatten, zwei Stunden Besuchszeit in der Woche – in der Woche, nicht im Monat. Wir haben in unserem Änderungsantrag immerhin gesagt: „vier Stunden pro Monat“. Aber auch das haben Sie abgelehnt. Die eine Stunde, die nach wie vor in Ihrem Gesetzentwurf steht, halten wir für zu wenig.

Im Gegensatz zur SPD kritisieren wir auch das generelle Verbot für Gefangene, Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln zu empfangen. Denn natürlich sind die Pakete von draußen nach wie vor geeignet, die Lebensführung in der Anstalt zu erleichtern und die Beziehungen zu Außenstehenden aufrechtzuerhalten. Das war die Begründung, weshalb das in das Strafvollzugsgesetz des Bundes hineingekommen ist. Es gibt inzwischen zwar umfangreiche Einkaufsmöglichkeiten in den Vollzugsanstalten. Aber da kann man sich möglicherweise eben nur das vor Ort gegebene Angebot besorgen und vielleicht nicht gerade das, was man gerne haben möchte, den Lieblingskuchen oder sonst irgendetwas.

(Beifall der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deswegen haben wir uns der Forderung vieler Sachverständiger angeschlossen, die Möglichkeit aufrechtzuerhalten, ein Paket empfangen zu können – trotz der auch von uns gesehenen Möglichkeit des Missbrauchs. – Jetzt könnt ihr applaudieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben noch eine ganze Reihe von anderen Kritikpunkten. Ich habe diese in der ersten und in der zweiten Lesung und auch im Ausschuss dargelegt. Daran hat sich zwischenzeitlich in der dritten Lesung nichts geändert. Wir werden also weiterhin den Gesetzentwurf der Landesregierung ablehnen und, wie angekündigt, uns bei demjenigen der SPD-Fraktion enthalten. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.