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10.12.2009

Andreas Jürgens zur Änderung des Hessischen Behinderten-Gleichstellungsgesetztes

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Novellierung des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes, die heute nach dem Willen der Mehrheit beschlossen werden soll, geht in vielen Punkten durchaus in die richtige Richtung.

Das wurde auch in der Anhörung klar, es gab dort durchaus einige Zustimmung zu einzelnen Punkten.

Sie bleibt aber andererseits aus unserer Sicht hinter den Anforderungen an eine moderne Behindertenpolitik deutlich zurück.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP und von der Landesregierung, Sie kommen mir vor wie ein 400-m-Läufer der nach 200 m sagt: „Das reicht eigentlich auch.“ Dort, wo Sie zum Endspurt ansetzen müssten, geben Sie auf. Aus unserer Sicht ist das nicht hinreichend.

Schon frühzeitig hatte meine Fraktion weitergehende Vorschläge unterbreitet. Die waren dann auch Gegenstand der Anhörung.

Durch diese Anhörung fühlen wir uns in unseren weitergehenden Vorstellungen, die wir formuliert haben, außerordentlich bestätigt. Fast alle Sachverständigen haben sie für besser gehalten, weil sie konkreter und weitergehend sind als das, was die Landesregierung vorgeschlagen hat.

Das betrifft vor allem einen Konstruktionsfehler, den Ihr Gesetz von Anfang an hatte. Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz in Hessen gilt nämlich nicht für die Kommunen: nicht das Benachteiligungsverbot, nicht die Barrierefreiheit und nicht der Anspruch auf Kommunikation in einer für die Betroffenen wahrnehmbaren Form.

Um einmal ein Beispiel zu nennen: Sie wollen jetzt – völlig zu Recht, wie ich finde – den Diskriminierungsbegriff um den Satz erweitern:

Eine Benachteiligung liegt auch vor, wenn Menschen mit Behinderung die Mitnahme oder der Einsatz benötigter Hilfsmittel verweigert wird.

Um einmal ein praktisches Beispiel zu wählen: Wenn ein blinder Mensch seinen Blindenführer nicht mitnehmen darf, so ist das künftig eine Benachteiligung – allerdings nur, wenn der Weg ihn zufällig in ein Landesministerium oder in ein Regierungspräsidium geführt hat, aber nicht, wenn er auf dem Weg ins Rathaus, Sozialamt, Wahlamt vor Ort oder ins Wohnungsamt ist.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Das aber sind die Wege, die für die Betroffenen wesentlich häufiger vorkommen. Da haben sie keine Rechte.

Und das ist aus unserer Sicht dringend änderungsbedürftig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben das schon beim Inkrafttreten des Gesetzes vor fünf Jahren kritisiert; und auch die Landesregierung sieht da durchaus Änderungsbedarf. Sie sehen selbst, dass die gegenwärtige Regelung unzureichend ist: Es gibt gerade einmal eine Hand voll Kommunen, die die Regelungen des Behindertengleichstellungsgesetzes durch freiwillige Beschlussfassung für sich selbst anwenden; und es gibt eine andere Handvoll, die Zielvereinbarungen abgeschlossen hat. Es gibt da also Änderungsbedarf.

Sie wollen die Kommunen jetzt lediglich verpflichten, dafür eine Planung vorzulegen. Wir sagen: Es ist doch sehr viel einfacher, gleich die gesamten Regelungen des Behindertengleichstellungsgesetzes auf die Kommunen zu erstrecken.

Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen haben behinderten Menschen in einer weltweiten und schon mehrfach erwähnten UN-Konvention wirksame Rechte eingeräumt, die sie aus der Rolle der Bittsteller herausholen. Das Grundgesetz enthält seit 1994 das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen. Der Bund hat das Behindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschaffen. Im Land gilt immerhin das Hessische Behindertengleichstellungsgesetz, aber bei den hessischen Kommunen bleibt überhaupt nichts übrig, diese sind sozusagen ein weißer Fleck auf der Landkarte der Gleichstellung. Das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein.

Wir hatten auch vorgeschlagen – Herr Mick hat es schon erwähnt –, dass in die Zielsetzung des Gesetzes und in die Vorschrift zur Bildung behinderter Menschen ein deutlicher Bezug zur UN-Konvention aufgenommen wird. Wir haben vorgestern im Ausschuss dazu auch tatsächlich einstimmig einen Beschluss gefasst, wo wir das entsprechend umsetzen wollen. Das Behindertengleichstellungsgesetz kann natürlich – Herr Mick, da haben Sie vollkommen recht – die Umsetzung nicht allein leisten. Wenn man aber andererseits so tut, als hätte das Gesetz in Hessen wiederum mit der UN-Konvention gar nichts zu tun, weil man sie noch nicht einmal erwähnt, dann sind Sie wirklich nicht auf der Höhe der Zeit. Es bleibt dabei: Die Behindertenpolitik in Hessen bleibt leider deutlich hinter dem zurück, was rechtlich möglich und politisch notwendig wäre.

Sie haben, und das ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch ein Kernproblem, nach meinem Eindruck das paternalistische Denken gegenüber Menschen mit Behinderungen noch nicht überwunden. Das wird in einem Punkt deutlich, der jetzt auch Gegenstand der Änderung in dem Gesetz sein soll. Es soll eingefügt werden – ich zitiere –: „Das Land unterstützt die Arbeit der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen und wirkt darauf hin, dass deren Rolle ausgebaut und gefestigt wird.“ Mit dieser Unterstützung, die dort drinsteht, ist allerdings nur die ideelle Unterstützung gemeint. Im Haushalt des Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit gibt es keinen weiteren Cent für eine materielle Unterstützung, also mit anderen Worten: warme Worte in Sonntagsreden, aber keine Taten. Das kennen die Menschen mit Behinderungen zu Genüge, Sie aber wollen die paternalistischen Sonntagsreden sogar mit Gesetzeskraft versehen. Das ist aus unserer Sicht wenig sinnvoll. Wir hätten uns da ein bisschen mehr gewünscht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die gemeinsam getragene ausdrückliche Erweiterung der Ansprüche für hör- und sprachbehinderte Eltern, die Herr Mick erwähnt hat, finden wir außerordentlich wichtig und gut. Das hatten wir auch selbst vorgeschlagen.

Um nun zum Abschluss zu kommen: Dieser Gesetzentwurf geht in vielen Punkten in die richtige Richtung. Deshalb werden wir ihn auch nicht ablehnen. Er greift auf der anderen Seite aber viel zu kurz, und deswegen können wir ihm auch nicht zustimmen. Das heißt, dass wir uns im Ergebnis der Stimme enthalten werden.

Meine Damen und Herren, mit der heutigen Beschlussfassung ist die Diskussion um das Behindertengleichstellungsgesetz nicht beendet. Wir werden auch im nächsten Jahr Anregungen, die wir in der Anhörung erhalten haben, weiterhin verfolgen und in parlamentarische Initiativen umsetzen. Herr Mick hat völlig zu Recht den Punkt der medialen Berichterstattung und der Nutzbarkeit der Medien für Menschen mit Behinderungen erwähnt. Es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Punkten, die dort erwähnt worden sind. Wir werden uns, glaube ich, auch im nächsten Jahr und in den nächsten Jahren weiterhin mit diesem Thema beschäftigen und dann vielleicht auch zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe finden, die von allen Teilen des Hauses getragen wird. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.