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08.09.2010

Andreas Jürgens zum Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit es in diesem Hause eine grüne Landtagsfraktion gibt – das ist zum Glück schon relativ lange so –, haben wir uns für deutliche Erleichterungen bei Volksbegehren und Volksentscheid eingesetzt. Deshalb begrüßen wir natürlich jede Initiative, die in diese Richtung geht.

Aber bei dem heute von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf können wir nur kleine Trippelschritte in die richtige Richtung erkennen. Oder, um im Bild von Herrn Greilich zu bleiben: Die Tür wird für die Beteiligung der Bürger nicht weit aufgestoßen, sondern allenfalls einen kleinen Spalt weit geöffnet. Das ist nach unserer Auffassung wirklich nicht der große Wurf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie wollen – das haben Sie hier noch einmal ausdrücklich erklärt – die Vorgabe der Verfassung, wonach ein Volksbegehren von 20 Prozent der Stimmberechtigten unterstützt werden muss, völlig unverändert lassen. Das ist aus unserer Sicht in der Tat ein Kardinalfehler ihrer Konstruktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb legen wir heute einen ergänzenden Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung vor, mit dem wir dieses Quorum von 20 auf 10 Prozent absenken wollen.

Im Übrigen, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, hätten die von Ihnen jetzt angestrebten Änderungen des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid schon seit fünf Jahren im Gesetz- und Verordnungsblatt stehen können. Meine Fraktion hat bereits im Juni 2005 einen Gesetzentwurf zur Erleichterung von Volksbegehren eingebracht. Auch wir haben damals die Absenkung des Einleitungsquorums und eine Verlängerung der Eintragungsfrist in der Art und Weise vorgesehen, wie wir sie jetzt wieder in einem Änderungsantrag formuliert haben und im Ausschuss diskutieren werden.

Damals haben CDU und FDP unseren Gesetzentwurf abgelehnt. Interessant ist die Begründung, mit der Sie unseren Entwurf abgelehnt haben. Die Redner von CDU und FDP haben uns nämlich damals vorgeworfen, dass eine Änderung des Gesetzes nicht ausreiche, wenn nicht gleichzeitig die Hürde in der Verfassung gesenkt werde. Ich darf aus der Rede der damaligen innenpolitischen Sprecherin der CDU-Fraktion, Birgit Zeimetz-Lorz – heute Ordnungsdezernentin in Wiesbaden, wie Sie wissen –, zitieren. Sie hat gesagt:

Betrachtet man die drei erfolglosen Volksbegehren, die bisher versucht wurden, so stellt man sehr schnell fest, dass das Problem nicht im Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid liegt, sondern in Art. 124 unserer Verfassung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Später hat sie auf eine Kurzintervention von mir noch einmal erklärt, unser Gesetz würde Hoffnungen wecken, die – Zitat – „am Ende wegen der 20-Prozent-Hürde nicht erfüllt werden können“. Mir scheint das Problem eher bei der Hürde von 20 Prozent zu liegen – deutlich mehr als beim Ausführungsgesetz.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie sollten diese Erkenntnisse Ihrer damaligen Rednerin nicht missachten. Sie sollten nicht dahinter zurückfallen, und Sie sollten sich unserem Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung anschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat übrigens damals der Abg. Dieter Posch gesprochen, heute bekanntlich Staatsminister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Wir hatten in unserem Gesetzentwurf unter anderem vorgeschlagen, das Einleitungsquorum auf 1 Prozent abzusenken. Herr Posch erklärte ausweislich des Protokolls des Hessischen Landtags:

Ich habe überhaupt kein Problem, als Mitglied der FDP zu sagen, ich mache das mit 1 Prozent. Dafür benötigt man etwa 40.000 Unterschriften. Ich bin sofort bei Ihnen. Aber natürlich hat Frau Zeimetz-Lorz recht. Die Frage der verfassungsrechtlichen Bestimmung, die die 20 Prozent beinhaltet, gilt nach wie vor. Das heißt, Sie geben den Leuten Steine statt Brot.

Entsprechend der damaligen Bewertung von Minister Posch bedeutet Ihr Gesetzentwurf Steine statt Brot für die Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zumindest Herr Posch, der immer noch derselben Auffassung ist wie damals, müsste eigentlich unserem Gesetzentwurf zustimmen; denn in der Tat bleibt es unvollkommen, wenn nur das Gesetz geändert wird, während die Verfassung unverändert bleibt. Den Anlauf zu verlängern ist zwar schön und gut; aber die Hürde muss gesenkt werden, damit sie auch überwindbar wird und die Gewährleistung direkter Demokratie in Hessen nicht länger ein leeres Versprechen bleibt.

Das ist es nämlich. Wenn man sich die Hessische Verfassung anschaut – Herr Greilich hat schon darauf hingewiesen –, erkennt man, dass sie seit ihrem Bestehen ein Nebeneinander von direkter und repräsentativer Demokratie verspricht. Ich zitiere Art. 71 unserer Verfassung:

Das Volk handelt nach den Bestimmungen dieser Verfassung unmittelbar durch Volksabstimmung (Volkswahl, Volksbegehren und Volksentscheid), mittelbar durch die Beschlüsse der verfassungsmäßig bestellten Organe.

Das heißt, hier gibt es ein Nebeneinander der unmittelbaren und der repräsentativen Demokratie, die allerdings in der Verfassungswirklichkeit nie realisiert wurde. In Art. 116 Abs. 1 Hessische Verfassung heißt es:

Die Gesetzgebung wird ausgeübt a) durch das Volk im Wege des Volksentscheids, b) durch den Landtag.

Hier gibt es also einen Vorrang der Volksgesetzgebung gegenüber der des Landtags. Das kann natürlich nicht quantitativ gemeint sein. Denn die Volksgesetzgebung kann nicht alle Gesetzgebungstätigkeiten übernehmen. Das ist aber qualitativ gemeint. Denn natürlich ist die Akzeptanz nach einem Volksentscheid immer deutlich höher als bei jeder Entscheidung, die der Landtag treffen kann.

Wir finden, diese Volksgesetzgebung sollte nicht nur ein leeres Versprechen der Verfassung bleiben. Vielmehr sollte das tatsächlich umgesetzt werden. Deswegen müssen wir die Verfassung ändern.

Meiner Ansicht nach können wir das auch unproblematisch im nächsten Jahr am Tag der Kommunalwahl zur Volksabstimmung stellen. Wenn Sie dem Volk so viele Möglichkeiten eröffnen wollen, dann sollten Sie doch genau diese Frage zur Volksabstimmung stellen, nämlich die, ob es das Volk für richtig hält, das Quorum zu senken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unserer Ansicht nach ist das im Übrigen völlig unabhängig von der Frage, ob an dem gleichen Tag noch eine weitere Verfassungsänderung zur Abstimmung gestellt wird. Dabei geht es um die Schuldenbremse, in welcher Form auch immer. Wir hatten schon die Situation, dass über drei Verfassungsänderungen am gleichen Tag abgestimmt wurde.

Wir haben in der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung in der 16. Wahlperiode besprochen, dass wir sogar, so glaube ich, 17 Verfassungsänderungen oder so an einem Tag abstimmen lassen wollten. Wir haben das Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid ausdrücklich dahingehend geändert, ein Verfahren zu ermöglichen, demzufolge mehrere Volksabstimmungen an einem Tag stattfinden können.

Es ist also kein Problem, dass zwei Volksabstimmungen an einem Tag stattfinden. Wenn das als Ausrede genommen werden sollte, um unserem Gesetzentwurf nicht zu folgen, dann ist das nichts anderes als eine faule Ausrede.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle Bundesländer haben inzwischen Regelungen über das Volksbegehren. Nur noch im Saarland gilt wie in Hessen die 20-Prozent-Regelung nach der Verfassung. Nach dem dort bestehenden Koalitionsvertrag soll sie allerdings deutlich abgesenkt werden. In allen anderen Ländern liegt das inzwischen um die 10 Prozent.

Das hat in keinem einzigen Land dazu geführt, dass es von Volksbegehren geradezu überschwemmt wurde. Das Gegenteil ist der Fall. In allen Ländern zusammen gab es seit 1946 – das reicht allerdings nur bis Ende 2007, da sind die letzten Volksabstimmungen aus Bayern und Hamburg noch nicht mit dabei – bei 206 Anträgen insgesamt nur 56 Volksbegehren und lediglich 14 Volksentscheide. Wenn man die Hürde also überwindbar macht, bedeutet das nicht, dass die repräsentative Demokratie damit von der direkten Demokratie sozusagen überrollt wird. Das ist nicht der Fall.

Daneben gibt es noch die Befürchtung, damit würde der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Herr Greilich hat in einer Presseerklärung geschrieben, damit könnten besonders aktive Interessengruppen ihr Anliegen ohne die Unterstützung durch eine qualifizierte Zahl an Bürgern durchsetzen.

Zum einen weise ich darauf hin, dass 10 Prozent so wie wir das vorschlagen, immer noch 437.000 Menschen wären, die das unterstützen müssten. Das ist keine unqualifizierte Zahl. Unserer Ansicht nach ist das durchaus eine qualifizierte Zahl Bürger, die man, wenn sie sich zusammenfinden, auch ernst nehmen muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erfahrung mit der Volksabstimmung in Bayern zum Nichtraucherschutz zeigt im Übrigen, dass selbst eine starke Interessengruppe – da war es die Tabakindustrie – mit erheblichen Finanzmitteln nicht in der Lage war, eine für sie genehme Entscheidung herbeizuführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz offensichtlich ist das Stimmvolk wesentlich weniger durch aktive Interessengruppen als z. B. die Bundesregierung beeinflussbar.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Dr. Jürgens, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Dr. Andreas Jürgens:

Ich darf noch darauf hinweisen, dass wir das Einleitungsquorum nicht auf 2 Prozent, sondern auf 1 Prozent absenken wollen. Damit wären wir übrigens immer noch diejenigen, die das höchste Einleitungsquorum hätten. In Nordrhein-Westfalen müssen 3.000 Stimmen gesammelt werden. Das sind, bezogen auf die Bevölkerungszahl, 0,02 %, also gerade ein Hundertstel dessen, was Sie vorschlagen. So weit ist da die Bandbreite.

Ich denke, wir sollten im Ausschuss sehr intensiv mit dem Ziel darüber reden, der direkten Demokratie in Hessen tatsächlich endlich eine wirkliche Chance zu geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD), Hermann Schaus und Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Dr. Jürgens, vielen Dank.