Inhalt

06.10.2009

Andreas Jürgens zum Hessischen Behindertengleichstellungsgesetz

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Banzer hat zu Recht gesagt, das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz sei kein Leistungsgesetz. Herr Minister, es begründet aber sehr wohl in verschiedenen Bereichen durchaus Ansprüche wie – ich sage dies etwas verkürzt und allgemein – Nichtdiskriminierung und barrierefreie Kommunikation mit Behörden. Das sind durchaus Ansprüche, die dort formuliert worden sind. Wir haben vor fünf Jahren, als das Gleichstellungsgesetz verabschiedet wurde, schon intensiv darüber gestritten.

Meine Fraktion hat damals den Gesetzentwurf der damaligen Landesregierung als blutleer und ohne Inspiration kritisiert. Und in der Tat müssen wir jetzt feststellen, dass das gegenwärtige Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz wenig ambitioniert wirkt. Es bleibt teilweise deutlich hinter vergleichbaren Regelungen des Bundes oder auch anderer Bundesländer zurück. Dies hat offenbar auch die Landesregierung zumindest in Teilbereichen erkannt und schlägt deswegen verschiedene Änderungen vor – allerdings sind auch diese eher zaghaft und keineswegs der große Wurf. Es geht ein bisschen in die richtige Richtung, schreckt aber wiederum vor deutlichen Schritten zurück. Und das alles, obwohl sich die Welt seit 2004 gerade behindertenpolitisch durchaus weiter gedreht hat.

Wir haben jetzt z. B. die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen; das haben wir in der letzten Plenarrunde schon diskutiert. Diese weltweit geltende Konvention über die Rechte behinderter Menschen muss auch von den Bundesländern in ihren Zuständigkeitsbereichen umgesetzt werden. Nichts davon finden wir in Ihrem Entwurf wieder, Herr Minister. Die UN-Konvention wird nur einmal in der Begründung an einem Punkt erwähnt. In keinem einzigen Punkt Ihrer Gesetzesänderungen setzen Sie die UN-Konvention um.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies wollen wir zumindest in einigen wenigen Teilbereichen durch den von uns eingebrachten Änderungsantrag korrigieren. Sie wollen z. B. die Regelungen zum Benachteiligungsverbot in einem Punkt ergänzen, den wir durchaus für richtig halten, nämlich die Mitnahme und Anwendung von Hilfsmitteln. Bei dieser Gelegenheit sollte aber auch das aufgenommen werden, was uns die UN-Konvention aus unserer Sicht zwingend vorgibt: Eine Benachteiligung behinderter Menschen liegt auch dann vor, wenn angemessene Vorkehrungen zur Beseitigung von Benachteiligungen unterlassen werden – dem Geist der Konvention folgend, dass es nicht nur darum geht, sich passiv hinzusetzen und zu sagen, wir diskriminieren nicht aktiv. Die UN-Konvention verlangt von den Vertragsstaaten aktive Maßnahmen, um bestehende Benachteiligungen auch tatsächlich durch Tun abzuwenden. Wenn das unterlassen wird, ist es ebenfalls eine Benachteiligung. Das muss meines Erachtens auch in dem hessischen Gesetz seinen Niederschlag finden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie haben einen wichtigen Punkt von sich aus angesprochen. Wir hatten von Anfang an kritisiert, dass die Kommunen in die Regelungen des Gleichstellungsgesetzes nicht einbezogen worden sind. Sie haben damals den Weg gewählt, lediglich vorzusehen, dass die kommunalen Gebietskörperschaften zu prüfen haben, ob sie die Ziele des Gesetzes umsetzen können. Zudem wurde die Möglichkeit geschaffen, noch kurz vor Toresschluss Zielvereinbarungen über die Barrierefreiheit abzuschließen. Dieses Konzept ist gescheitert; das kann man fünf Jahre nach Inkrafttreten wohl sagen. Es gibt keine nennenswerte Anzahl von Kommunen, die die Regelungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes übernommen haben, und es gibt keine nennenswerte Anzahl von Zielvereinbarungen – offenbar ganze vier, wie wir aufgrund einer Großen Anfrage von mir wissen. Dieses Konzept, das Sie dort hatten, ist also gescheitert.

Jetzt wollen Sie das dadurch ein bisschen verbessern, dass Sie den Kommunen aufgeben, einen Plan zu erstellen, wie sie ihrer Verpflichtung nachkommen. Wir sagen, wie auch schon vor fünf Jahren: Die Verpflichtung aus dem Grundgesetz, Behinderte nicht zu benachteiligen, oder auch jetzt aus der UN-Konvention, Behinderten die gleichberechtigte Teilhabe in der örtlichen Gemeinschaft, in der Kommune zu ermöglichen, ist eine originäre Verpflichtung der Kommunen, dieser müssen sie nachkommen. Wenn das hessische Landesgesetz ausdrücklich festhält, dass die Ansprüche, die behinderten Menschen gegenüber Landesbehörden eingeräumt werden, z. B. Barrierefreiheit in der Kommunikation, auch gegenüber den Behörden auf kommunaler Ebene eingeräumt werden, ist dies nach unserer Bewertung kein Fall der Konnexität.

Wir haben bei der Anhörung damals gerade über diesen Punkt erheblich unterschiedliche Einschätzungen gehabt. Wir fühlen uns sehr bestätigt von einer ganzen Reihe von Sachverständigen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Kommunen nicht unbedingt trauen werden, an diesem Punkt das Konnexitätsverfahren durchzuführen. Die Regelung, die wir jetzt haben, belohnt aber die Unwilligen und bestraft die Willigen. So kann es aus unserer Sicht nicht bleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie haben auch die Regelung erwähnt, die Sie neu in das Gesetz aufnehmen wollen: Das Land unterstützt die Arbeit der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen und wirkt darauf hin, dass deren Rolle ausgebaut und gefestigt wird. – Gut und richtig, habe ich mir gedacht, als ich das gelesen habe. Allerdings wissen wir seit gestern, seit der kursorischen Lesung des Haushalts Ihres Hauses, dass für diese Unterstützung der Interessenvertretung kein müder Cent vorgesehen ist. Es geht also nicht um materielle Unterstützung, allenfalls um ideelle. Mit anderen Worten: wiederum nur warme Worte, keine Taten. Das ist aus unserer Sicht zu wenig, und auch hier müsste nachgebessert werden.

Wir haben im Ausschuss bereits vorsorglich eine Anhörung beschlossen, die wir durchführen sollten. Ich gehe davon aus, dass unser Änderungsantrag hinzugezogen wird. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Dr. Jürgens.