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19.09.2009

Andreas Jürgens zum Gesetz zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erstmals in der Geschichte des Landes Hessen überhaupt diskutieren wir über ein eigenes hessisches Strafvollzugsgesetz für Erwachsene und über ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz. Aus meiner Sicht hätten diese Entwürfe eigentlich etwas Besseres verdient gehabt als eine erste Lesung zwischen den Haushaltsberatungen und den termingebundenen zweiten Lesungen anderer Gesetzentwürfe. Wir haben bei den Vollzugsgesetzen keinen Zeitdruck und sollten ihn auch nicht künstlich produzieren.

Herr Minister, ich hätte es begrüßt, wenn die Landesregierung diesen Gesetzentwurf erst nach den Haushaltsberatungen eingebracht hätte. Dann hätten wir in Ruhe und mit größerer Aufmerksamkeit darüber diskutieren können. Aber es ist nun einmal so. Jetzt sprechen wir in erster Lesung darüber.

In der Sache gilt, was ich bereits in einer Presseerklärung in Reaktion auf die Vorstellungen des Regierungsentwurfs gesagt habe: Dieser Entwurf steht in der Tradition konservativer Konzepte für einen harten Strafvollzug und hat nichts Liberales an sich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erleben gerade, dass die FDP-Justizministerin im Bund – zumindest verbal –zu den konservativen Hardlinern auf Distanz geht. Aber die FDP in Hessen setzt ungebrochen fort, was Christean Wagner begonnen hat, nämlich den Rückfall in das vollzugspolitische Vorgestern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das geht schon bei den Aufgaben des Vollzugs los. Der Herr Minister hat es deutlich gesagt. Statt sich klar zu dem Vollzugsziel der Eingliederung und der Resozialisierung zu bekennen, relativieren Sie dieses Vollzugsziel durch einen eigenständigen Sicherungsauftrag. Damit konstruieren Sie einen Gegensatz zwischen Resozialisierung und Sicherheit, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ich erinnere daran – auch Frau Hofmann hat es schon getan –, das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt: Das Vollzugsziel Resozialisierung folgt unmittelbar aus der Verfassung und dient zugleich dem Anliegen der Allgemeinheit, vor weiteren Straftaten geschützt zu werden.

In Ihrem Gesetzentwurf wird aus dem, was zusammengehört, etwas Getrenntes. Beide Anliegen werden somit in einer verfassungsrechtlich bedenklichen Weise nebeneinandergestellt. In der Anhörung werden wir sicherlich noch einmal darüber diskutieren.

Der offene Vollzug, der in Hessen ohnehin seit Jahren ein Schattendasein führt, wird in dem Gesetzentwurf von Ihnen jetzt marginalisiert. Damit meine ich noch nicht einmal die Regelung, wonach der geschlossene Vollzug der Regelvollzug ist. Dazu könnte man noch sagen, dass dies sozusagen die tägliche vollzugliche Praxis abbildet. Vielmehr meine ich damit, dass Sie den offenen Vollzug in Hessen künftig nur noch als eine Form der Bewährung nach dem geschlossenen Vollzug vorsehen.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was den Vollzugsbeginn betrifft, ist der geschlossene Vollzug nicht mehr nur die Regel, sondern die einzige Form des Vollzugs, die Sie vorsehen. Ein Haftantritt direkt im offenen Vollzug ist auch für Selbststeller im Erstvollzug und bei vergleichsweise kurzen Freiheitsstrafen überhaupt nicht mehr vorgesehen. Das ist eine klare Verschärfung gegenüber der jetzigen Rechtslage, durch die, wie ich finde, die vollzuglichen Alternativen unnötigerweise beschränkt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Überhaupt werden die sogenannten vollzugsöffnenden Maßnahmen – wie es jetzt heißt; in der Sprache des Bundesvollzugsgesetzes sind das die Hafterleichterungen – außerordentlich restriktiv gehandhabt. Sie verwenden große Sorgfalt auf die Festlegung von Regelausschlüssen, also von Gründen, die gegen vollzugsöffnenden Maßnahmen sprechen.

Selbstverständlich braucht man dafür Regelungen. Aber besondere Gründe, die für vollzugsöffnende Maßnahmen sprechen könnten, formulieren Sie in keiner Weise. Es könnten z. B. die Erhaltung des Arbeitsplatzes und die Wiedergutmachung der Tatfolgen eine Rolle spielen. Bei gefangenen Müttern könnte es auch das Wohl ihrer Kinder sein, das für vollzugsöffnende Maßnahmen spricht.

Aber nichts davon findet sich in Ihrem Entwurf. Wenn man ihn liest, wird man den Eindruck nicht los, Sie bedauern es geradezu, dass Sie von Verfassung wegen gezwungen sind, überhaupt vollzugsöffnende Maßnahmen zuzulassen. Sie hätten sie am liebsten ganz gestrichen, so restriktiv haben Sie sie geregelt.

Zu diesen Restriktionen gehört z. B. auch das generelle Verbot für die Gefangenen, Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln zu empfangen. Natürlich – wer wollte das bezweifeln? – sind Pakete von draußen nach wie vor geeignet, die Lebensführung in der Anstalt zu erleichtern und die Beziehung zu Außenstehenden aufrechtzuerhalten. Das stammt aus der Begründung des jetzt noch geltenden Strafvollzugsgesetzes des Bundes dafür, dass die Regelung, wonach die Gefangenen dreimal im Jahr Pakete erhalten dürfen, aufgenommen worden ist.

Entgegen der Begründung in Ihrem Gesetzentwurf hat sich aus meiner Sicht hieran auch nichts geändert. Umfangreiche Einkaufsmöglichkeiten in den Justizvollzugsanstalten können den Lieblingskuchen oder die selbst gemachte Marmelade nicht ersetzen. Selbstverständlich gibt es Missbrauchsmöglichkeiten durch einen Pakethandel; das ist nicht von der Hand zu weisen. Das kann aus unserer Sicht aber kein Grund sein, es generell zu verbieten. Das wäre ungefähr so, als ob man sagen wollte: Wir verhindern die Steuerhinterziehung dadurch, dass wir die Steuerpflicht abschaffen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Der FDP wäre es zuzutrauen; das ist klar. Aber sinnvoll wäre es jedenfalls nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, als völlig unzureichend sehe ich im Übrigen Ihre Regelung über die Sicherungsverwahrung an, der Sie gerade einmal drei magere Paragrafen widmen. Das wird den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus meiner Sicht sicherlich nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Sicherungsverwahrung nicht die Fortsetzung der Strafe, sondern eine eigenständige Maßregel, die schuldunabhängig ist und dem Verwahrten ein Sonderopfer – natürlich ein berechtigtes – zugunsten der Sicherheit der Allgemeinheit auferlegt.

Bei der Sicherungsverwahrung findet die Resozialisierung nach Ihrem Entwurf überhaupt nur noch am Rande statt, obwohl sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein zwingender Auftrag auch der Sicherungsverwahrung sein muss.

Die elektronische Fußfessel taucht bei Ihnen nur zur Unterstützung der Freistellung aus der Haft zur Entlassungsvorbereitung auf. Wir haben hier schon mehrfach über die elektronische Fußfessel geredet. Es gibt dazu einen Berichtsantrag, den wir demnächst im Rechts- und Integrationsausschuss oder im Unterausschuss Justizvollzug diskutieren werden.

Ich will jetzt gar nicht in der ganzen Tiefe auf das Thema eingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass es inzwischen in Baden-Württemberg seit Juli dieses Jahres ein Gesetz gibt, das bereits verabschiedet ist, in dem auch ein elektronisch überwachter Hausarrest vorgesehen ist. Das wirft Fragen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz und natürlich ebenso nach der praktischen Umsetzbarkeit auf. Das ist aber zumindest einmal ein neuer Ansatz, über den man nachdenken könnte.

In Baden-Württemberg ist der Hausarrest mit elektronischer Aufsicht nicht nur zur Vorbereitung der Entlassung, sondern auch beim Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe möglich. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob das für Hessen nicht eine sinnvolle Regelung wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hofmann (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, im Einzelnen auf den Teil mit der Untersuchungshaft einzugehen. Auf einen Punkt will ich aber hinweisen.

Sie haben zu Recht auf das Trennungsgebot hingewiesen. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf auch so formuliert. Die Untersuchungsgefangenen müssen getrennt von anderen Gefangenen, insbesondere von den Strafgefangenen, untergebracht werden.

Wir erleben jetzt gerade, dass Sie die Untersuchungshaftanstalt, die Anstalt III, in Kassel schließen wollen. Sie wollen die Untersuchungshaftgefangenen dann in der Justizvollzugsanstalt Kassel I unterbringen, in der auch in erheblichem Umfang Strafgefangene untergebracht sind. Ich bin gespannt, wie Sie uns im Ausschuss näher darlegen wollen, dass Sie das Trennungsgebot, das Sie gerade in das Gesetz hineinschreiben wollen, in dieser Anstalt auch entsprechend umsetzen können. Das mag gehen. Sicherlich wird das aber noch Gegenstand der Diskussion sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unserer Ansicht nach gibt es reichlich Stoff für die Anhörung im Ausschuss. Ich denke, wir sollten die Diskussion ohne Zeitdruck und sorgfältig führen. Die Entwürfe zum ersten Hessischen Strafvollzugsgesetz für Erwachsene und das Untersuchungshaftvollzugsgesetz, mit dem die Untersuchungshaft überhaupt erstmals eine gesetzliche Grundlage erhalten wird, haben Sorgfalt sicherlich verdient. Wir sollten uns die Zeit dafür nehmen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hofmann, Dr. Judith Pauly-Bender (SPD) und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))