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20.05.2010

Andreas Jürgens zum Gesetz zur Regelung des Strafvollzugs in Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten – ich habe es schon in der ersten Lesung gesagt – hat nichts Liberales an sich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es gab ja mal Zeiten, als es noch Liberale in der FDP gab. Da haben sich engagierte Vollzugspolitiker für einen humanen Strafvollzug eingesetzt. Aber diese Zeiten sind leider längst vorbei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe der Abg. Leif Blum (FDP) und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Dem Sturmlauf der Konservativen und der Boulevardpresse gegen den Behandlungsvollzug haben die Liberalen nicht Stand halten können. Heute verstehen sich Rechtspolitiker vom Schlag eines Jörg-Uwe Hahn nur noch als Vollstrecker konservativer Parolen vom harten Strafvollzug. Er folgt seinem Vor-Vorgänger Christean Wagner ins vollzugspolitische Vorgestern.

(Zurufe von der FDP und der CDU)

– Nein, das werde ich nicht, ich habe das Recht, hier zu reden und die Wahrheit zu sagen. – Das beginnt bereits mit Ihrem § 2: Sie verzichten nun mal darauf – das ist Fakt –, die Resozialisierung, übrigens aus sozial-liberaler Zeit, die 34 Jahre lang im Strafvollzugsgesetz gestanden hat, als Vollzugsziel zu beschreiben. Daran hat die FDP damals mitgewirkt. Sie stufen die Resozialisierung herab zu einem reinen Eingliederungsauftrag und geben damit das Vollzugsziel der Resozialisierung preis. Natürlich ist es schwierig, einem Ziel zu folgen, wenn man auf Gefangene trifft, die resozialisierungsunwillig sind; aber Sie kapitulieren vor dieser Herausforderung. Um bei dem Bild von Herrn Paulus zu bleiben: Wenn es regnet, schmeißen Sie den Schirm weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie formulieren mit Ihrem Gesetz einen im wahrsten Sinne des Wortes ziellosen Strafvollzug. Dann stellen Sie den immerhin noch verbliebenen Eingliederungsauftrag – wie Sie das nennen – auf eine Stufe mit dem Sicherungsauftrag, den natürlich der Vollzug ohne Zweifel auch hat. Sie haben verschwiegen, dass das fast alle Sachverständigen in der Anhörung erheblich kritisiert haben. Ich zitiere hier nur mal die Stellungnahme des Kommissariats der Katholischen Bischöfe:

Ausgehend von der Personenwürde eines jeden Gefangenen sollte jedoch dem Eingliederungsauftrag eine stärkere Bedeutung zugesprochen werden.

Genau das tun Sie nicht. Das Vollzugsziel der Resozialisierung reicht über den Vollzug hinaus. Sie soll vor allem für die Zeit nach dem Vollzug wirken, und dadurch die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten. Die Sicherheit der Gefangenen während des Vollzugs ist selbstverständlich ein wichtiger Auftrag und muss erfüllt werden. Aber er kann nicht gleichrangig sein mit dem der Resozialisierung.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Wir haben vorgeschlagen, das Vollzugsziel wieder einzuführen; das haben Sie abgelehnt. Die in Ihrem Entwurf vorgesehene Marginalisierung des offenen Vollzugs hatte ich schon in der ersten Lesung kritisiert. Auch hier haben fast alle Sachverständigen unsere Kritik bestätigt. Das haben Sie in Ihrem Änderungsantrag auch zum Teil aufgegriffen. Herr Paulus hat es gesagt, in dem Sie klarstellen, dass Gefangene auch direkt in den offenen Vollzug kommen können. Aber die Verankerung des offenen Vollzugs als eigenständige Vollzugsform – das hatten wir mit unserem Änderungsantrag beantragt – haben Sie allerdings weiterhin abgelehnt. Deswegen ist Ihre Änderung auch nur ein halber Schritt in die richtige Richtung gewesen. Die grundsätzliche Herabstufung des offenen Vollzugs zu einer sogenannten vollzugsöffnenden Maßnahme – der Kardinalfehler Ihrer Gesetzeskonstruktion – bleibt erhalten. Das macht aus unserer Sicht keinen Sinn.

Ich darf aus der hessischen Verfassung zitieren. Dort heißt es an einer Stelle: Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln. – Das unterscheidet den Behandlungsvollzug von der bloßen Vergeltung. Das unterscheidet den Strafvollzug von den unmenschlichen Taten eines Teils der Gefangenen.

Der rechtsstaatlich legitimierte Vollzug muss auf die Würde derjenigen achten, die das Recht auf Würde, auf Leben und körperliche Unversehrtheit anderer Mitmenschen in eklatanter Weise verletzt haben. Ich denke, so weit sind wir uns hier alle einig. Man muss sich einmal anschauen, wie es damit im Gesetzentwurf aussieht. Einige Punkte sind schon angesprochen worden.

Sie sehen den Anspruch der Gefangenen auf Besuch im zeitlichen Umfang von lediglich einer Stunde pro Monat vor. Da frage ich schon: Wo bleibt da eigentlich die menschliche Behandlung? In einer Stunde pro Monat können Kontakte nach draußen in keiner Weise aufrechterhalten werden. Eine Eingliederung wird hierdurch unnötig erschwert.

(Beifall der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Ich zitiere noch einmal das Kommissariat der Katholischen Bischöfe, dessen Vertreter in der Anhörung zwei Stunden Besuchszeit in der Woche gefordert hat. So weit sind wir noch nicht einmal gegangen. Wir haben gesagt: vier Stunden pro Monat. – Aber auch das haben Sie abgelehnt.

Im Gegensatz zur SPD kritisieren wir auch das generelle Verbot für die Gefangenen, Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln zu empfangen. Natürlich sind Pakete von draußen geeignet, die Lebensführung in der Anstalt zu erleichtern und die Beziehung zu Außenstehenden aufrechtzuerhalten. Das war die Begründung des ursprünglichen Gesetzes des Bundes.

Natürlich gibt es umfangreiche Einkaufsmöglichkeiten in den Vollzugsanstalten. Dort kann man aber den Lieblingskuchen oder die selbstgemachte Marmelade oder was auch immer man sich einfallen lassen kann, eben gerade nicht besorgen. Deswegen haben wir uns der Forderung vieler Sachverständiger angeschlossen, diese Möglichkeit aufrechtzuerhalten, trotz der natürlich auch von uns gesehenen Möglichkeiten des Missbrauchs.

Völlig unzureichend ist aus unserer Sicht auch die oberflächliche Regelung der Sicherheitsverwahrung. Sie haben magere drei Paragrafen geschaffen. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, in der Anhörung sind ernsthafte verfassungsrechtliche Zweifel an der Wirksamkeit dieser Regeln gemacht worden. Wir stehen im Augenblick vor dem schwierigen Problem, dass wir aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Sicherungsverwahrte werden freilassen müssen. Aber wenn es aufgrund einer verfassungswidrigen Regelung im hessischen Vollzugsgesetz dazu kommt, dass in Hessen eine Sicherheitsverwahrung gar nicht vollstreckt werden kann, dann würden Sie die Verantwortung dafür tragen, dass weitere Straftäter freigelassen werden müssten, die an sich hinter Schloss und Riegel gehören. Ich glaube nicht, dass Sie bis zum Letzten durchdacht haben, welche Verantwortung Sie hier möglicherweise tragen.

Wir haben eine ganze Reihe weiterer Kritikpunkte an Ihren Gesetzen, die ich hier nur stichwortartig vortragen kann, die Zeit läuft ab. Sie haben eine höchst restriktive Handhabung der Vollzugslockerungen bzw. der vollzugsoffenen Maßnahmen, wie Sie es nennen. Sie beschränken jede therapeutische Intervention auf Persönlichkeitsdefizite, die ursächlich für die Straftaten sind. Wir meinen, da müsste man ganzheitlich therapieren.

Sie bekämpfen den Suchtmittelmissbrauch ausschließlich mit repressiven Mitteln, nicht mit Behandlungsmaßnahmen. Sie haben Verstöße zum Datenschutz, die der Datenschutzbeauftragte moniert hat, nicht abgestellt. Erheblich kritisiert wurde auch die Übertragung des Vollzugs auf nicht hoheitlich tätige Personen usw., usw.

Wir haben uns in unserer Kritik durch die Anhörung bestätigt gesehen. Unsere Änderungsanträge sind von Ihnen alle abgelehnt worden. Mein Fazit: Ihr Entwurf ist substanzlos, kraftlos, ziellos und ideenlos. Deswegen wird meine Fraktion ihn ablehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)