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14.05.2009

Andreas Jürgens zu den Äußerungen des hessischen Ministers für Justiz und zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine schlechte Landesregierung und eine schlechte Opposition treffen aufeinander. Heraus kommt das, was jetzt Gegenstand der Debatte ist. Um was geht es? – Da schwadroniert der Justizminister über die hessische Verfassung mit dem ihm eigenen Mangel an Differenzierungsvermögen, und die Schmalspuropposition im Hessischen Landtag von der LINKEN versteht davon nur die Hälfte, und das wahrscheinlich noch miss, bläst das aber zu einem veritablen Verfassungsverstoß auf. Und schon haben wir den schönsten Streit darüber: Wer ist der größere und schönere Verfassungsfeind?

Worum geht es in der Sache? – Die hessische Verfassung enthält an zwei Stellen Aussagen zur Verstaatlichung bzw. zur Enteignung. Die erste Stelle ist Art. 41. Danach sollten mit Inkrafttreten der hessischen Verfassung – also bereits 1946 – Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung – die gibt es in Hessen inzwischen gar nicht mehr –, Energiewirtschaft und Schienenverkehr in Gemeineigentum überführt werden. Großbanken und Versicherungsunternehmen sollten vom Staat beaufsichtigt oder verwaltet werden. Das ist also eine entschädigungslose Verstaatlichung ganzer Branchen – unabhängig von Belangen des Gemeinwohls im Einzelfall. Allerdings wurde dieses Programm der hessischen Verfassung nie umgesetzt. Das Gesetz, das zur Ausführung notwendig geworden wäre, ist nie erlassen worden. Mir ist auch kein Gesetzentwurf der LINKEN bekannt, der dies derzeit umsetzen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Sie wissen natürlich wie alle anderen in diesem Hause auch, dass seit Erlass des Grundgesetzes 1949 – das ist auch schon ein paar Tage her – dies nunmehr unzulässig ist. Der von Herrn Dr. Wilken zitierte Art. 15 Grundgesetz eröffnet zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum – allerdings nach herrschender Auffassung nur durch ein auf den Einzelfall bezogenes Gesetz und – das haben Sie selbst zitiert – gegen Entschädigung. Das geht nicht umstandslos für ganze Branchen ohne Entschädigung, wie das nach dem Konzept der hessischen Verfassung vorgesehen ist. Ich bin nun nicht der berufene Interpret der Äußerungen des Justizministers. Aber wenn er diesen Artikel in der hessischen Verfassung gemeint hätte, könnte ich seine Wertung nachvollziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Allerdings ist wiederum die Verallgemeinerung, die der Minister daraus in, wie ich finde, unzulässiger Komplexitätsreduktion ableitet, genau das, was er auch selbst geäußert hat, nämlich Blödsinn.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn eine Enteignung – auch in Form der Verstaatlichung – ist natürlich bei übergeordneten Belangen des Gemeinwohls im Einzelfall gegen Entschädigung sehr wohl möglich. Das sieht die hessische Verfassung selbst in Art. 45 Abs. 2 vor. Privateigentum, so heißt es da, darf im öffentlichen Interesse aufgrund eines Gesetzes in dem darin vorgesehenen Verfahren gegen Entschädigung enteignet werden. Diese Form der Entschädigung und Verstaatlichung steht natürlich in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Ich glaube, es ist Art. 14 Abs. 2. Wie auch immer. Hätte der Justizminister nachgedacht, bevor er die Interviewfrage beantwortet hat, hätte er dies sicherlich auch etwas differenzierter erkennen müssen und dann richtig geantwortet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber meine Damen und Herren von der LINKEN, dies dann gleich als verfassungswidrige Äußerung zu geißeln, schießt nach meinem Ermessen deutlich über das Ziel hinaus. Die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN sollten mit solchen Wertungen auch lieber vorsichtig sein. Wenn mangelnde Kenntnis des Grundgesetzes oder jede undifferenzierte Äußerung zur hessischen Verfassung ein Beleg für mangelnde Verfassungstreue wäre, dann hätten Sie schon viele davon in diesem Hause geliefert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU)

Ich kann nur den Justizminister bitten, und ich kann nur die Kollegen von den LINKEN bitten: Verschonen Sie künftig dieses Haus von Ihrem Wettbewerb um die schlechteste Politik in Hessen.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Verschonen Sie uns mit Ihrem Pingpong-Spiel von undifferenzierten Wertungen und Pauschalurteilen. In Zeiten der Krise brauchen wir keine schlechten Minister und keine schlechte Opposition. Wir brauchen gute Politik für die Menschen in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herzlichen Dank, Herr Dr. Jürgens.