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05.10.2011

Andreas Jürgens: Therapieunterbringungsgesetz

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes, kurz ThUG genannt, ist ein durchaus merkwürdiges Konstrukt. Auf der einen Seite soll es Strafrecht sein, weil sonst keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes existieren würde. Es darf aber andererseits auch kein richtiges Strafrecht sein, weil man dann in Konflikt mit dem Rückwirkungsverbot gerät. Das Verbot einer nachträglichen Strafe für eine Tat, die bereits abgeurteilt worden ist, war der wesentliche Aspekt, weshalb der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt hat.

Es geht bei den Personen, die nach dem ThUG untergebracht werden sollen, nicht um psychisch kranke Menschen, die durch ihre psychische Krankheit an der Einsicht des Unrechts der Tat gehindert waren und deswegen schuldlos oder nur beschränkt schuldfähig gewesen sind, sondern es geht hier durchaus um Täter, die voll schuldfähig waren, die genau wussten, was sie taten, die genau wussten, was sie ihren Opfern antaten. Jedenfalls hat das zuständige Gericht das jeweils so erkannt. Deshalb sind sie auch nicht in den Maßregelvollzug gekommen, wo in Deutschland psychisch Kranke landen, sondern im Strafvollzug und später in der Sicherungsverwahrung.

Aber es muss sich bei der Regelung im ThUG auch um psychisch beeinträchtigte Menschen handeln, weil nämlich nur dann die Unterbringung EU-rechtskonform wäre. Deshalb wurde in das Gesetz der etwas konturlose Begriff der „psychischen Störung“ übernommen, von dem eigentlich keiner so genau weiß, was damit gemeint ist.

In der Begründung des Bundesgesetzes wird erwähnt, das seien spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle. Das kann alles und nichts sein. Soziale Abweichungen sollen allerdings nicht ausreichen. Diese psychische Störung muss zugleich den Schluss zulassen – Herr Bartelt hat es erwähnt –, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, also eine neue Straftat begehen wird.

Wir hatten eine längere Diskussion mit dem Landeswohlfahrtsverband und den Vitos-Kliniken, die sich lange dagegen gewehrt haben, die Trägerschaft einer Einrichtung für den genannten Personenkreis zu übernehmen. Im Übrigen hat sich auch der Sozialminister, im Ergebnis erfolglos, einige Zeit dagegen gewehrt, dass eigentlich der Justizminister die Verantwortung für diesen Täterkreis übernehmen sollte.

Wichtigste Begründung vonseiten der Vitos-Einrichtungen und des Landeswohlfahrtsverbandes war immer, dass es sich dabei gerade nicht um Personen handelt, die mit therapeutischen Maßnahmen, die Vitos im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, erreicht werden können. Viele sind therapieresistent oder haben sich jedenfalls so gegeben. Eine Verwahrung ohne Therapie wäre aber wiederum zweifellos nicht in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Im Ergebnis ist es also völlig offen, ob jemals ein Antrag auf Unterbringung nach dem ThUG gestellt werden wird. Es ist völlig offen, ob jemals ein Gericht die Voraussetzungen für gegeben erachten wird. Es ist völlig offen, ob das Gesetz überhaupt durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gedeckt ist. Ebenso völlig offen ist es, ob das Gesetz mit seinen unklaren Regelungen dem Bestimmtheitsgebot für strafrechtliche Regelungen überhaupt genügt.

Dennoch wollen wir heute dem ThUG ein HAGThUG beiseite stellen, nämlich ein Hessisches Ausführungsgesetz mit der Abkürzung HAGThUG.

Ich sage aber auch gleich: Wir haben gar keine andere Wahl, als genau dies zu tun. Denn all diese offenen Fragen zu klären, liegt nicht in unserer Hand. Das entscheiden andere. Vor allem entscheiden das unabhängige Gerichte.

Nicht auszudenken aber, was passieren würde, wenn es tatsächlich einen Antrag auf Therapieunterbringung gäbe, wenn es tatsächlich ein Gericht gäbe, das die Voraussetzungen für hinreichend bestimmt hält, wenn es tatsächlich eine Entscheidung geben sollte, dass jemand von diesen gefährlichen Tätern in eine Therapieunterbringung gebracht werden soll – und das Ganze nur daran scheitert, dass wir in Hessen eine solche Einrichtung nicht geschaffen haben.

Ich kann mir die Schlagzeilen der Boulevardpresse schon vorstellen: „Gefährlicher Täter in Freiheit, weil Hessen untätig blieb“. Vermutlich würde das von denjenigen, die Schlagzeilen produzieren, noch wesentlich drastischer formuliert – und dabei hätten sie in diesem Fall sogar recht. Wir müssen eine solche Therapieeinrichtung schaffen, um der Situation zu begegnen, dass möglicherweise tatsächlich einmal eine solche Unterbringung von einem Gericht beschlossen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen – da kommen wir gar nicht umhin – die Rechtsgrundlage für eine gesetzeskonforme Einrichtung schaffen. Wir müssen auch bestimmen, wer den Unterbringungsantrag stellen kann. Das gibt uns das Bundesgesetz vor.

Inzwischen haben der Landeswohlfahrtsverband und die Vitos GmbH – natürlich nicht freudig erregt, sondern eher der Not gehorchend – eingewilligt, die Trägerschaft für eine ThUG-Einrichtung zu übernehmen. Nach meinen Informationen wird die Vitos GmbH dazu eine eigene Tochtergesellschaft gründen; in deren Namen soll übrigens der Name „Vitos“ nicht vorkommen. Es ist verständlich, dass man mit einer solchen Einrichtung einen guten Namen nicht begründen, sondern eher beschädigen kann und man das deswegen anders nennen sollte. Wo diese Einrichtung im Übrigen erfolgen soll, das ist – nach meinen Informationen – eher in Gießen als in Haina.

Wir werden auch darüber diskutieren müssen, ob die gewählte Konstruktion mit der Letztverantwortung bei einem privaten Träger eigentlich der hoheitlichen Aufgabe gerecht wird. Beim Thema Maßregelvollzug haben wir schon mehrfach über diese Problematik gesprochen.

Wir werden im Ausschuss auch intensiv darüber diskutieren müssen, ob eigentlich der Gemeindevorstand die richtige Behörde ist, einen Antrag auf Unterbringung zu stellen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird natürlich zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um die nach hessischem Landesrecht zuständige untere Behörde der Gefahrenabwehr handelt. Aber genau da ist wieder Vorsicht geboten. Denn wenn wir das HAGThuG der Gefahrenabwehr zuordnen, dann ist das gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass hier eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht gegeben ist – dann müssten wir ein Therapieunterbringungsgesetz erlassen. Denn eine reine Gefahrenabwehr ist eindeutig Landesangelegenheit und gehört nicht in die Bundeszuständigkeit.

Das heißt, das Herumlavieren zwischen den einzelnen Zuständigkeiten – es muss sozusagen Strafrecht bleiben, um die Zuständigkeit zu begründen; es darf aber nicht richtiges Strafrecht sein, weil es Therapie und europarechtskonform sein muss. Das ist eine etwas merkwürdige Geschichte. Aber wir haben, wie gesagt, keine andere Möglichkeit, als das umzusetzen. Wir sollten es aber in einer Art und Weise tun, wie wir es hier in Hessen für uns und für die Menschen in Hessen verantworten können. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.