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13.09.2011

Andreas Jürgens: Gesetz zur Änderung gerichtsorganisatorischer Regelungen

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! „Wer Gerichtsstandorte schließt, entfernt den Rechtsstaat von seinen Kunden“ – dieser Satz stammt nicht von mir, sondern vom Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Prof. Dr. Ewer, ausgesprochen in seinem Grußwort zum 25-jährigen Bestehen des Hessischen Landesverbandes des DAV, in der vorletzten Woche im Schloss Biebrich. Es waren außer mir noch ein paar andere Kolleginnen und Kollegen dabei, und wir konnten erleben, dass dieser Satz der Kritik lebhaften Beifall fand bei allen anwesenden Rechtsanwälten, bei Angehörigen und Freunden der Justiz.

Es wurde überdeutlich, dass niemand Verständnis für die erneute Schließungsrunde bei den Amtsgerichten und erstmals auch bei den Arbeitsgerichten hat. Auch in der Anhörung im Rechts- und Integrationsausschuss war das Ergebnis mehr als eindeutig. CDU und FDP konnten keinen einzigen Sachverständigen aus Hessen – oder darüber hinaus – aufbieten, der die Schließungspläne unterstützt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zuletzt hat der Hessische Städte- und Gemeindebund auf die Bedeutung der Örtlichkeitsnähe, gerade bei amtsgerichtlichen Entscheidungen, hingewiesen, wenn es um zivilrechtliche Streitigkeiten, etwa Verkehrsunfälle, Betreuungsverfahren und Ähnliches geht. Er hat zugleich von einer weiteren Schwächung des ländlichen Raums gesprochen, wenn gerade hier kleine Gerichte geschlossen werden.

All das müsste Ihnen doch eigentlich zu denken geben. Stattdessen erleben wir auch hier: Augen zu und durch. Natürlich weiß jeder, dass sich der Rechtsstaat tatsächlich zurückzieht, wenn Gerichte aus der Fläche verschwinden. Das wird von niemandem bestritten, ich glaube, auch vom Minister nicht. Aber seine Behauptung, dies sei durch notwendige Einsparungen gerechtfertigt, konnte er bis heute nicht nachvollziehbar belegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es ist weiterhin unbekannt, ob die Gerichtsschließungen im Jahr 2004 tatsächlich zu spürbaren Einsparungen geführt haben. Das wäre ja die Grundlage weiterer Schließungen gewesen. Nahezu alle Behauptungen über angebliche Einsparungen wurden in der Anhörung des Rechts- und Integrationsausschusses widerlegt oder zumindest mit guten Gründen angezweifelt.

Wir haben in der letzten Plenarrunde schon darüber gesprochen: Noch in einem Bericht an den Hessischen Landtag vom Dezember 2007 hat das damalige Justizministerium den Vorschlägen des Rechnungshofs auf Zusammenlegung von Arbeitsgerichten ausdrücklich widersprochen. Die hessischen Arbeitsrichter, das wurde damals festgestellt, lagen hinsichtlich der Eingänge und Erledigungen bundesweit auf dem vierten Platz und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Deshalb war das Fazit des Justizministeriums damals – ich zitiere –, „dass kleine Arbeitsgerichte eine sehr arbeitseffiziente und schlagkräftige Organisationseinheit darstellen können“. Weiter hieß es: „Bei den Arbeitsgerichten Marburg und Wetzlar liegen nicht nur die Neuzugänge, sondern auch die Erledigungen pro Richter über dem Landesdurchschnitt“. Gerade diese Spitzenreiter der Effizienz wollen Sie jetzt schließen und wundern sich, dass das auf Unverständnis stößt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Als wir genau das im Rechts- und Integrationsausschuss angesprochen haben, war das einzige Argument des Ministers, die Zusammenlegung von Gerichten müsse nun einmal neu bewertet werden und anderen Gesichtspunkten folgen, nämlich rein finanzmathematischen, jetzt müsse eben gespart werden. Diese Argumentation, Herr Minister, zeigt deutlich: Ihnen geht es doch gar nicht um die Effizienz der Justiz. Sie argumentieren ausschließlich mit Zahlen.

Dabei berufen Sie sich auch noch pausenlos auf den Rechnungshof. Ich habe in der Debatte schon einmal darauf hingewiesen, dass der Rechnungshof empfohlen hat, kleine Amtsgerichte mit nicht mehr als drei Richterstellen zu schließen. In Klammern gesagt: Da hätte das Amtsgericht Usingen schon gar nicht dazugehört. – Dann kommt aber der entscheidende Halbsatz: „… wenn eine räumliche Nähe zu einem anderen Amtsgericht besteht, das die Aufgaben übernehmen kann“. Diese „räumliche Nähe“, das wurde in unserer Anhörung mündlich konkretisiert, sind etwa 20 km. Jetzt erleben wir, dass z. B. beim Amtsgericht Schlüchtern die aufnehmenden Gerichte 30 und 60 km entfernt sind. Vom AG Usingen liegt das Amtsgericht Königstein 28 km entfernt. Damit ist doch Ihre gesamte Argumentationslinie null und nichtig. Sie können sich gerade nicht auf die Empfehlungen des Rechnungshofs stützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Hahn, wenn es Ihnen in den Kram passt, dann tun Sie so, als seien die Empfehlungen des Rechnungshofs strikte Vorgaben, an die man sich halten müsse, und wenn es Ihnen nicht in den Kram passt, dann sagen Sie, dass seien unverbindliche Empfehlungen, die neu bewertet werden müssen. Wenn Sie wirklich ein Interesse an einer seriösen Überprüfung Ihrer Pläne hätten, dann hätten Sie den Rechnungshof frühzeitig um eine erneute Stellungnahme zu Ihren Schließungsplänen gebeten, und zwar schon im letzten Jahr, als Sie diese der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Es wäre ohne Weiteres möglich gewesen, eine neue Stellungnahme einzuholen. Sie haben das zwar im Ausschuss bestritten und gesagt, das wäre ein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung, aber ich habe mir die Landeshaushaltsordnung noch einmal angeschaut und muss sagen: Selbstverständlich hätten Sie den Landesrechnungshof bitten können, eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen. Dieser hätte dann selbst entscheiden müssen, ob er das tut. Das wäre seine Verantwortung. Aber Sie hätten ihn bitten können. Das haben Sie gar nicht erst getan.

Jetzt haben wir die Situation, dass der Rechnungshof von sich aus an einer begleitenden Prüfung arbeitet. Das Ergebnis soll im Herbst vorgelegt werden. Wir haben vorgeschlagen, das Verfahren so lange auszusetzen. Es wäre an sich logisch, die neue Berichterstattung abzuwarten. Was machen Sie? Sie sagen, Mehrheit sei Wahrheit, und stellen das ein weiteres Mal unter Beweis. Seriös ist das jedenfalls nicht, wenn Sie wirklich an der Sache interessiert wären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Am schlimmsten finde ich – Frau Hofmann hat schon darauf hingewiesen –, dass Sie die Angehörigen der Justiz massiv getäuscht haben. Sie haben ihnen vorgegaukelt, der Justiz könne weiterer Stellenabbau erspart werden, wenn man sich auf die Schließungspläne einlasse. Sie haben in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs erklärt, entweder gibt es weniger Standorte und viele Richter und Folgepersonal, oder es gibt mehr Standorte und erheblich weniger Richter und Folgepersonal. Inzwischen wissen wir: Es war schlicht die Unwahrheit, was Sie da gesagt haben. Der Finanzminister hat nämlich bei der Vorstellung seines Haushaltsentwurfs vor der Presse erklärt, der Justizminister habe ihm – so wurde es jedenfalls in der Presse zitiert – den Abbau von 370 Stellen schon zugesagt. Die Einsparung in Höhe von 18,2 Millionen € soll so zustande kommen. Das ist der eigentliche Grund, Herr Minister, weshalb Ihnen Ihre Glaubwürdigkeit bei den meisten Justizangehörigen verloren gegangen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie behandeln die Gerichte wie alle anderen Behörden. Sie schließen Gerichte, Sie bauen Personal ab. Sie springen mit der Justiz um, als wären es irgendwelche Verwaltungsstellen. Tatsächlich ist die Justiz aber die dritte Gewalt. Sie ist nicht Bestandteil der Exekutive, sondern soll zu deren Kontrolle beitragen, soll deren Kontrolle bewirken. Weder kann der Arbeitsanfall bei der Justiz in nennenswertem Umfang gesteuert werden – das bestimmen ja andere, die klagen, die Beschwerden einreichen oder Ähnliches – noch können diese Verfahren schlicht und ergreifend liegen bleiben, denn es gibt einen Justizgewährleistungsanspruch. Nach Ihren PEBB§Y-Zahlen ist das Personal schon jetzt zu 111 % ausgelastet. Das ist keine böse Erfindung der Opposition, sondern das sind Ihre eigenen Zahlen. Eine Auslastung zu 111 % bedeutet natürlich, dass jede weitere Belastung diesen Verfassungsgrundsatz zwar nicht gleich umwirft, aber zumindest gefährdet, infrage stellt, ankratzt. Das ist ein sehr bedenklicher Vorgang im Hinblick auf die durch die Verfassung vorgegebene Rolle der Justiz. Dieses mangelnde Verständnis von der Rolle und der Bedeutung der Justiz disqualifiziert Sie als Justizminister.

Wenn unfähige oder beratungsresistente FDP-Minister ihre Partei in den Abgrund führen, dann kann das den Rest der Menschheit eigentlich ziemlich kalt lassen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Wenn ein Justizminister aber die gesamte Justiz gleich mit ruinieren will, dann hört der Spaß auf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Herr Dr. Jürgens, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Andreas Jürgens:

Ich komme sofort zum Schluss. – Meine Fraktion hat immer darauf hingewiesen, dass wir die „drei E“ wollen: Einsparungen, Effizienzsteigerungen und Einnahmeerhöhungen. Effizienzsteigerungen interessieren Sie nicht, um Einnahmeerhöhungen haben Sie sich nicht gekümmert. Was übrig bleibt, sind angebliche, nicht beweisbare Einsparungen. Damit geschieht genau das, was Sie einmal bestritten haben: Es wird dumm gestrichen statt intelligent gespart.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)