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17.05.2011

Andreas Jürgens: Gesetz zur Änderung gerichtsorganisatorischer Regelungen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Honka, Sie haben sich offenbar in der Rheinseite und im Landtag geirrt, denn Sie haben ausschließlich zu Rheinland-Pfalz geredet und zu Hessen nichts gesagt. Das wird meines Erachtens dem Thema nicht gerecht. Wir müssen uns schon über die Situation hier in Hessen kümmern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Justizminister Hahn hat sich im Kampf gegen die Spitze seiner Partei aufgerieben und an seiner innerparteilichen Karriere gebastelt – mit eher kläglichem Ergebnis, wie wir wissen. All das könnte uns egal sein, wenn wir nicht auf der anderen Seite feststellen müssten, dass er offensichtlich die Lust an seinen Aufgaben als Justizminister verloren hat.

Der Gesetzentwurf, der jetzt, zwischen dem Rostocker Parteitag und der Justizministerkonferenz, zu später Stunde vorliegt, ist nichts anderes als eine lustlose Aneinanderreihung bürokratischer Versatzstücke. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird im Grunde genommen das wiederholt, was Sie uns anlässlich der Regierungserklärung im Jahr 2010 schon einmal erzählt haben. Es hat keine neue Entwicklung gegeben; kein Erkenntnisgewinn ist hinzugekommen.

(Zuruf von der CDU)

Herr Justizminister, man sucht in Ihrem Entwurf z. B. vergeblich nach Ausführungen zur Bedeutung einer funktionierenden Justiz als dritter Gewalt oder zum Stellenwert einer flächendeckenden Versorgung mit Justizdienstleistungen. Man hört nichts über die nachteiligen Folgen für die aufzugebenden Justizstandorte, für die Bevölkerung sowie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie setzen sich nicht mit den Folgekosten der vorgesehenen Gerichtsschließungen für Prozessparteien, Zeugen, Rechtsanwälte und Gerichtspersonal auseinander – von dem größeren Zeitaufwand, der bei allen Beteiligten erforderlich ist, ganz zu schweigen. Bei Ihnen – das ist das Problem – sind die Gerichte nichts anderes als Rechengrößen in der Bilanz des Justizhaushalts.

(Lachen des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Genau das ist es übrigens, was die FDP ins Verderben geführt hat: Sie reduzieren die komplexe Lebenswirklichkeit auf Zahlenreihen, Bilanzen und Statistiken. Das wird den Menschen nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie präsentieren uns heute Justizpolitik als Zahlenspiel und reduzieren die Standortfragen auf rein fiskalische Aspekte. Sie bleiben damit weit hinter den Anforderungen zurück, die an einen Justizminister in diesem Zusammenhang gestellt werden müssen.

Meine Damen und Herren, ich habe in der Debatte über die Regierungserklärung, die schon mehrfach erwähnt worden ist, dargelegt, dass die Reduzierung der Zahl der Gerichtsstandorte natürlich nicht von vornherein den Rechtsstaat in Gefahr bringt. Ich habe darauf hingewiesen, dass es aus Sicht meiner Fraktion darauf ankommt, dass wir eine Abwägung zwischen den Belastungen, die wir den Standortgemeinden, den Recht suchenden Bürgerinnen und Bürgern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen anderen zumuten, auf der einen Seite und den Vorteilen auf der anderen Seite vornehmen müssen, die sich durch die Strukturveränderungen in den Arbeitsabläufen der Justiz und im Justizhaushalt vielleicht ergeben.

Zu den Belastungen ist schon einiges ausgeführt worden. Ich will nur darauf hinweisen, dass, wer immer aus Rotenburg an der Fulda künftig einen Arbeitsgerichtsprozess führen will, sei es als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer, nicht mehr 22 km bis Bad Hersfeld, sondern 78,5 km bis nach Fulda fahren muss. Das ist schon einmal etwas. Sogar bis zum Arbeitsgericht Kassel wäre es nicht so weit. Das wären nur 58 km.

Wer aus Hadamar zum Arbeitsgericht Limburg muss, hat heute 12 km zurückzulegen. Künftig hat er, da er nach Wiesbaden fahren muss, 58 km zurückzulegen. Beide Gemeinden sind übrigens Standorte großer Einrichtungen mit vielen Arbeitnehmern. Es gibt da natürlich auch Streitigkeiten. Bei Arbeitsgerichtsprozessen müssen die Leute in der Regel erscheinen, weil die Güteverhandlung obligatorisch ist. Sie haben keine Kostenerstattung, weil die Kosten immer selbst zu tragen sind, selbst wenn sie am Ende obsiegen. Das heißt, hier werden in der Tat Kostenverlagerungen vorgenommen.

Wir haben z. B. in Schlüchtern die Situation, dass es dort viele psychiatrische Einrichtungen gibt, in denen die Betreuungsrichter fast täglich unterwegs sind; denn nach dem Betreuungsrecht müssen – im Übrigen völlig zu Recht – die Personen, um die es geht, in ihrer gewohnten Umgebung angehört werden, nicht vor Gericht. Künftig werden die Kolleginnen und Kollegen 33 km von Gelnhausen nach Schlüchtern fahren müssen. Das kostet Zeit und Geld und führt zu weiteren Belastungen.

Darum sollte man sich das Gewicht anschauen, das Sie – bei der Abwägung – auf der anderen Seite in die Waagschale werfen. Ich muss sagen, das Gewicht ist in den letzten Monaten immer geringer geworden. Sie haben in der Regierungserklärung angekündigt – ich habe sie mir noch einmal angeschaut –, über die Einsparungen im Jahr 2011 hinaus, über die wir damals auch gesprochen haben, müssten im Jahr 2012 im Justizhaushalt weitere 15 Millionen Euro eingespart werden.

Jetzt legen Sie uns einen Gesetzentwurf vor, wonach – das kann man lesen – im Ergebnis pro Jahr 1,5 Millionen Euro durch Gerichtsschließungen eingespart werden sollen. Das sind gerade einmal 2 Promille der Gesamtausgaben für die ordentlichen Gerichte und die Arbeitsgerichte. Gleichzeitig sind es nur 10 Prozent dessen, was Sie selbst als Einsparziel vorgegeben haben.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder kann man andere Maßnahmen durchführen, durch die die übrigen 90 Prozent an Einsparungen erreicht werden – die dann aber auch neunmal effektiver sind als die Gerichtsschließungen –, oder Sie bleiben weit hinter den Einsparzielen zurück. Es würde uns interessieren, wie es da eigentlich aussieht.

(Zuruf von der FDP)

Meine Fraktion hat in ihrem Konzept „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ eigene Vorschläge unterbreitet, die durchaus auch die Justiz betreffen. Ich möchte das Beispiel von Frau Hofmann aufgreifen: Allein die Reduzierung der unsinnigen Tätigkeitserfassungen und der Datensammelwut in Sachen SAP auf ein sinnvolles Maß könnte nach unserer Schätzung mindestens 2,8 Millionen Euro einsparen. Wir sind hinsichtlich der Schätzung vorsichtiger als die SPD-Fraktion. Aber auch nach dieser vorsichtigen Schätzung kommt fast das Doppelte von dem heraus, was Sie angeblich durch die Gerichtsschließungen einsparen wollen.

Wir haben übrigens auch vorgeschlagen, einmal darüber nachzudenken, die Gerichtsgebühren, die seit Jahren unverändert sind, im Schnitt um moderate 5 Prozent anzuheben. Das würde nach unseren Berechnungen rund 15 Millionen Euro bringen, also zehnmal so viel wie das, was Sie einsparen wollen.

Herr Minister, Ihre Begründung hat auch logische Brüche, auf die die Kolleginnen und Kollegen schon hingewiesen haben. Sie stützen, wie Sie es auch bei der Einbringung des Gesetzentwurfs wieder gemacht haben, das ganze Programm vor allem auf Vorschläge des Rechnungshofs. Die damalige Landesregierung ist den Vorschlägen des Rechnungshofs zur Schließung von Arbeitsgerichten entgegengetreten und hat unter anderem gesagt, sie müssten zwecks Standortsicherung erhalten bleiben.

Vor allem aber wurde damals angekündigt, es müssten weitere Untersuchungen zur Erreichbarkeit anderer Standorte insbesondere mit dem öffentlichen Personennahverkehr durchgeführt werden, und es müssten auch Gespräche mit den Tarifparteien stattfinden. Weder das eine noch das andere ist in der Zwischenzeit geschehen. Gleichwohl wollen Sie das hier umsetzen.

Was die Amtsgerichte betrifft, hatte der Rechnungshof übrigens vorgeschlagen, Gerichte mit drei oder weniger Richterstellen mit anderen zusammenzulegen. Sie haben in der Einbringung auch wieder die Kriterien geschildert, die der Rechnungshof für eine Schließung genannt hat, und teilen dann plötzlich mit, dass auch Gerichte mit vier Richterstellen geschlossen werden sollen. Aus drei mach vier – Begründung: keine. Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, stellt man fest, es steht dort kein einziger Satz, mit dem das begründet wird. Auf den Rechnungshof können Sie sich bei der Schließung des Amtsgerichts Usingen – das ist das einzige der zu schließenden Amtsgerichte mit vier Richterstellen – jedenfalls nicht stützen.

(Zuruf der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Eine eigene Begründung jenseits der Kriterien des Rechnungshofs haben Sie bis heute auch noch nicht angeführt. Das wäre aber angesichts der heftigen Proteste, die gerade die beabsichtigte Schließung des Amtsgerichts Usingen hervorgerufen hat, dringend notwendig gewesen. Das ist eine erhebliche Missachtung der Bürgerinnen und Bürger, die sich – das sollten wir loben und wertschätzen – für Ihr Amtsgericht vor Ort einsetzen. Das zeugt von einer Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Justiz. Wir sollten das hoch achten, und wir sollten den Bürgerinnen und Bürger zumindest nachvollziehbare Argumente für die Schließung liefern. Diese sind Sie bis heute schuldig geblieben, und das halten wir für eine Missachtung der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir werden im Ausschuss einigen Diskussionsbedarf haben. Bisher sind die Ausführungen des Herrn Ministers jedenfalls kaum geeignet, seinen Schließungsplänen eine tragfähige Begründung zu geben. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.