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14.04.2011

Andreas Jürgens: Ergebnisse des "Runden Tisches Heimerziehung" umsetzen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Landtag hat sich bereits mehrfach mit der Situation der ehemaligen Heimkinder in der frühen Bundesrepublik der Fünfziger- und Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts beschäftigt. Ausgangspunkt war ein Beschluss des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Darin wurde nicht nur die Einrichtung eines „Runden Tisches Heimerziehung“ gefordert, sondern es wurden auch die Bundesländer aufgefordert, sich ihrer Verantwortung für die damalige Situation zu stellen.

Der damalige Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit hat deshalb am 29. Oktober 2009 hier im Hessischen Landtag eine ganztägige Anhörung mit Fachleuten und vor allem auch mit Betroffenen der damaligen Zeit durchgeführt. Die teilweise sehr erschütternden Berichte der Betroffenen haben uns alle aufgewühlt und angerührt. Sie flossen in einen Entschließungsantrag ein, der am 24. März 2010 vom Landtag einstimmig angenommen wurde.

Darin hat sich der Landtag als Vertreter des hessischen Volkes bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht entschuldigt. Zugleich wurden einige Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen der damaligen Zeit gezogen.

Gleichzeitig wurde der runde Tisch in Berlin gebeten – ich zitiere aus unserem Beschluss von damals –:

Vorschläge für die sinnvollerweise nur bundesweit zu treffenden Regelungen etwa hinsichtlich einer möglichen Entschädigung und der Berücksichtigung von Rentenzeiten zu erarbeiten.

Dies hat der runde Tisch inzwischen auch getan. Im Dezember 2010 hat er seine Vorschläge unterbreitet. Der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, sieht vor, diese Vorschläge aufzugreifen und den hessischen Beitrag dazu zu leisten, dass sie auch tatsächlich umgesetzt werden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, an sich wäre dieses Thema sicher für einen fraktionsübergreifenden Antrag geeignet gewesen. Nun habe ich persönlich allerdings – gerade auch bei diesem Themenbereich – mit dem Versuch, gemeinsame Anträge herbeizuführen, schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen eigenen Antrag einzubringen. Aber wir sind natürlich bereit, gegebenenfalls Anregungen anderer Fraktionen aufzunehmen, um so vielleicht doch wiederum zu einer gemeinsam getragenen Beschlussfassung zu kommen.

Ich darf daran erinnern: Der runde Tisch hat vorgeschlagen, regionale Anlauf- und Beratungsstellen für die Betroffenen zu schaffen, in denen diese individuelle Unterstützung bei der Aufarbeitung ihrer Problematik erhalten können. Diese Anlaufstellen sollen eine niedrigschwellige Erreichbarkeit gewährleisten. Sie sollen partizipativ und aktivierend tätig und zielgruppenspezifisch ausgerichtet sein. Ihre Aufgabe ist vor allem, für die Betroffenen eine Lotsenfunktion in Sachen Akteneinsicht, Geltendmachung von Ansprüchen oder was immer man sich vorstellen kann zu erfüllen.

Wir halten das für sinnvoll. Wir sind der Auffassung, dass eine Solche Einrichtung auch in Hessen entstehen sollte, die sich wiederum an der vorgesehenen bundesweiten Vernetzung beteiligen sollte. Das ist der erste Punkt unseres Antrags.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der runde Tisch in Berlin hat weiterhin vorgeschlagen, einen Entschädigungsfonds für die Betroffenen einzurichten. Es wurde vorgeschlagen, den Fonds mit einem Betrag von insgesamt 120 Millionen Euro auszustatten. Davon sollen 20 Millionen Euro für einen Rentenersatzfonds und 100 Millionen Euro für Folgeschäden der Heimerziehung zur Verfügung gestellt werden.

Getragen bzw. aufgefüllt werden soll dieser Fonds zu jeweils einem Drittel vom Bund, von Ländern und Kommunen als zweitem Bereich sowie von den Kirchen, deren Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften als drittem Bereich.

Das würde bedeuten, dass der Anteil der Länder und Kommunen 40 Millionen Euro betragen würde. Würde man eine Verteilung unter die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel vornehmen, dann würden davon auf Hessen 7,22 Prozent, also rund 2,88 Millionen Euro, entfallen.

Natürlich ist das viel Geld. Aus unserer Sicht sollte das aber aufgebracht werden, um den Menschen ein Stückchen mehr Gerechtigkeit gewähren zu können.

Schließlich schlagen wir vor – wie das auch der runde Tisch getan hat –, die Geschichte der Heimerziehung in die Curricula der einschlägigen Ausbildungs- und Studiengänge der sozialen Arbeit aufzunehmen, soweit das nicht bereits geschehen ist. Auch hierbei handelt es sich um eine originäre Zuständigkeit des Landes, von dem die Vorschläge des runden Tisches aufgegriffen werden können.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns im Ausschuss ernsthaft darüber reden, wie wir den Betroffenen ein Mindestmaß an Genugtuung und Wiedergutmachung verschaffen können, auf das sie aus unserer Sicht Anspruch haben. Die Aufarbeitung der damaligen Zeit hat lange genug gedauert. Wir sollten jetzt zügig die Vorschläge des runden Tisches umsetzen. Das ist das Mindeste, was wir für die Betroffenen tun können. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Dr. Jürgens.