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08.03.2012

Andreas Jürgens: Aktuellen Stunde - Warnschussarrest

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der FDP gehen offenbar nicht nur die Wähler, sondern auch ein bisschen die Themen aus. Das zeigt das Thema Ihrer Aktuellen Stunde.

(Beifall bei der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was ist geschehen? – Am Sonntag hat die Koalitionsrunde in Berlin die bessere finanzielle Ausstattung der Stiftung Wahrentest und den Warnschussarrest für Jugendliche beschlossen. Die Koalition hält das für den Beweis ihrer eigenen Handlungsfähigkeit. Alle anderen halten das für den Beweis ziemlicher Armseligkeit. Denn wenn angesichts drängender Probleme im Gesundheitssystem, bei der Pflegeversicherung, beim Mindestlohn, bei der Energiewende, bei der Vorratsdatenspeicherung, dem Acta-Abkommen usw. nur Beschlüsse zur Stiftung Warentest und zum Warnschussarrest herauskommen, bleibt zu fragen: Wie armselig ist das eigentlich?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Damit nicht genug. Am Tag darauf, am Montag, reklamiert die FDP in Hessen diese Armseligkeit für sich. „Hessen setzt auf klare Kante beim Rechtsstaat …“, so nennt sie den Titel ihrer Aktuellen Stunde. Da werden dann schon einmal Bundeszuständigkeit und Landeskompetenz verwechselt. Meines Wissens führt nicht Hessen, sondern der Bund den Warnschussarrest ein.

Was ist denn am Sonntag so Spektakuläres passiert? – Da wurde bestätigt, dass das, was im Koalitionsvertrag schon vereinbart ist, gelten soll. Da steht nämlich – ich zitiere –:

… bei Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender werden wir den Warnschussarrest … einführen.

So haben das CDU, CSU und FDP vereinbart.

Ich stelle fest: Für die hessische FDP ist die Ankündigung, sich einmal an einen geschlossenen Vertrag halten zu wollen, bereits hinreichender Anlass, hier den Antrag auf eine Aktuelle Stunde zu stellen –. Die Armseligkeit setzt sich fort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Besonders interessant ist natürlich, dass ausgerechnet die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat, nicht etwa die CDU. Sie haben es beide vereinbart. Aber die CDU war schon immer für den Warnschussarrest. Die FDP auf Bundesebene war da immer eher skeptisch. Diese Skepsis hat nach wie vor insbesondere die Bundesjustizministerin, die der FDP angehört. Mit ihrer aktuellen Jubelstunde pro Warnschussarrest setzt die hessische FDP also auch das Mobbing gegen die eigene Ministerin fort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das folgt dem Ziel des Möchtegernnachfolgers Hahn, Frau Leutheusser-Schnarrenberger ein zweites Mal aus dem Amt zu mobben. Der Wechsel der ehemaligen Rechtsstaatpartei FDP zur Law-and-Order-Partei und das Bejubeln des Sieges gegen die eigene Ministerin ist der eigentlich interessante Aspekt an dieser Aktuellen Stunde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Warnschussarrest wird bereits seit mehr als 10 Jahren diskutiert. Die Fachleute warnen und sind überwiegend skeptisch. Ich habe das einmal nachgeschaut. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, DVJJ, hat schon im Jahr 2006 in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Rückfallhäufigkeit bei Arresten und bei Jugendstrafen ohne Bewährung deutlich höher als bei Jugendstrafen mit Bewährung liegt. Das heißt, Jugendstrafen mit Bewährung haben die höchste Abschreckungswirkung. Deswegen ist die Behauptung, die Jugendlichen würden eine Verurteilung mit Bewährung für einen Freispruch zweiter Klasse halten, gegenwärtig ohne hinreichende Bestätigung.

(Beifall bei Abg. Nancy Faeser (SPD))

Sie haben das auch wahrgenommen: Aktuell hat der Deutsche Richterbund darauf hingewiesen, dass die meisten, die zu Jugendstrafe verurteilt werden, bereits einen oder mehrere Arreste hinter sich haben. Auch hier kann man mit Fug und Recht an der Abschreckungswirkung zweifeln.

Immerhin: Abschließend wird sich erst beurteilen lassen, wie sinnvoll oder wenig sinnvoll die Maßnahme ist, wenn der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Wir werden die Aussagen sehr genau prüfen, uns das anschauen und es beurteilen, wenn es so weit ist. Wenn wirklich etwas vorliegt, werden wir entscheiden, wie wir damit umgehen.

Alle Fachleute sagen das. Das kann man eigentlich auch mit den Händen greifen. Das eigentlich Entscheidende im Jugendstrafrecht ist, dass die Strafe der Tat möglichst zeitnah folgt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD), Frank Sürmann und Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Alle wissen, dass bei vielen Jugendlichen allein durch Zeitablauf der Zusammenhang zwischen der Tat und der nachfolgenden Strafe verloren geht. Das geschieht, wenn die Zeit, die dazwischen liegt, zu lange ist.

Hier liegt natürlich die eigentliche Verantwortung des Landes. Zur Verkürzung der Strafverfahren haben Sie in den letzten Jahren praktisch nichts getan.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt wollen Sie in der Justiz noch 350 bis 400 Stellen streichen. Natürlich wissen wir nicht, wie viele Stellen die Jugendstrafverfahren betreffen werden. Aber dass das nicht zu einer Beschleunigung sondern eher zu einer Verzögerung beitragen wird, ist doch mit Händen zu greifen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hofmann hat das schon erwähnt: Im Herbst dieses Jahres wollen Sie eine der zwei Jugendarrestanstalten, nämlich die in Friedberg mit 60 Plätzen, schließen. Falls der Warnschussarrest dann tatsächlich einmal von den Jugendgerichten verhängt wird, wie wollen Sie denn dann eigentlich noch gewährleisten, dass dieser zeitnah vollstreckt werden kann? Spätestens da entlarvt sich Ihre aktuelle Jubelstunde endgültig. Sie zeigen beim Rechtsstaat nicht klare Kante, sonder nur dicke Lippe. Das braucht kein Mensch. Deswegen braucht auch kein Mensch die FDP. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das musste einmal gesagt werden!)

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Dr. Jürgens, vielen Dank.