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10.12.2009

Aktuelle Stunde - Mürvet Öztürk: Minarett-Verbot mit dem Grundgesetz unvereinbar

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Müller, genau dieses Thema eignet sich nicht dafür, dass man damit beginnt, Lobreden auf die eigene Integrationspolitik zu halten. Es ist ein viel zu sensibles Thema. Instrumentalisieren Sie es nicht, und lassen Sie uns lieber sachlich darüber diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch im Mai dieses Jahres haben wir gemeinsam 60 Jahre Grundgesetz gefeiert. Wir haben gefeiert, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes weitsichtig genug waren, das Grundgesetz genau so zu schaffen, wie sie eben geschaffen haben. An dieser Stelle darf ich – bestimmt in unser aller Namen – festhalten: Das Grundgesetz gilt ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsam haben wir auch konstatiert, dass im Grundgesetz die Religionsfreiheit verankert ist – in Art. 4 verbrieft –, dass Religionsfreiheit mit der Religionsausübung verbunden ist und dass zu dieser Religionsausübung auch gehört, dass Gotteshäuser oder Gebetshäuser, also Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel, gebaut werden, in denen die Religion praktiziert wird.

Ich glaube, hier haben wir einen Konsens. Wenn wir uns auf dieser Grundlage bewegen und dann versuchen, die Sorgen der Menschen wirklich ernst zu nehmen, müssen wir bestimmte Handlungsempfehlungen daraus ableiten. Welche wären das?

Für uns GRÜNE bedeutet das, dass man einerseits die Demokratie bewahrt und die Rechtsstaatlichkeit stärkt und dass man andererseits dort, wo Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenkommen und unter Umständen in Konflikte miteinander geraten, diese erst einmal versachtlicht und differenziert betrachtet. Es bedeutet, dass die Auseinandersetzungen auf der Basis eines ganz konkreten Wissens und ganz konkreter Kenntnisse geführt werden, aber nicht aus dem Bauch heraus. Dafür ist das immer viel zu wichtig. Davor möchten wir GRÜNE warnen. Lassen Sie uns in dieser Debatte sachlich bleiben.

Wir haben auch festgestellt, dass der Bau von Moscheen in Deutschland kein Streitpunkt ist. Die Entscheidung der Schweizer gibt mir höchstens das Gefühl, dass man darüber reden sollte, wie Moscheen in Deutschland gebaut werden. Auch da kann ich Sie beruhigen: In der muslimischen Gemeinde gibt es seit Jahren einen sehr intensiven fachlichen Diskurs darüber, wie man neue Bauformen entwickelt, wie man neuen architektonischen Ansprüchen gerecht wird und ob ein Minarett sein muss oder nicht. Über diese Fragen werden schon längst diskutiert. Tun Sie nicht so, als ob Sie erst einen Anstoß dazu geben müssten. Akzeptieren Sie vielmehr den Sachstand der Diskussion.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Friedlich gelöste Konflikte – das möchte ich noch einmal betonen – bereichern eine Gesellschaft. Das haben wir in Hausen festgestellt. Man hatte dort unterschiedliche Vorstellungen von Gotteshäusern. Man hat die Diskussion bis ins letzte Detail geführt. Manchmal war es auch eine sehr heftige Diskussion, ein sehr heftiger Streit. Aber im Endeffekt können wir sagen, man hat dort einen Konflikt friedlich bewältigt und einen gemeinsamen Weg gefunden, mit dem auch die Nachbarschaft zufrieden ist. Das ist schön, und das möchte ich heute hier festhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir den Leuten wirklich helfen und die Ängste oder Sorgen zerstreuen wollen, müssen wir in den Kommunen eine stärkere Unterstützung leisten. Wir müssen dort, wo die Bauanträge gestellt werden, wo die Menschen leben, wo die Auseinandersetzungen stattfinden und wo es zu Begegnungen kommt, noch viel intensiver einen moderierenden, unterstützenden Dialog anbieten. Dort können wir initiativ sein.

Dafür möchte ich ein Beispiel nennen. Die Stadt Frankfurt hat nach diesem Konflikt beschlossen, einen Rat der Religionen zu schaffen. In diesem Rat der Religionen sitzen die Vertreter aller Religionsgemeinschaften und diskutieren über konkrete Fragen. Das sind Schritte, die dem Ganzen dienen und die das Ganze voranbringen.

Äußerungen wie die des Herrn Bosbach, der das Minarettverbot in der Schweiz zum Anlass nimmt, um wieder einmal auf die Sorgen der Leute in Deutschland hinzuweisen, sind nicht sehr hilfreich. Das Thema wird nicht tabuisiert. Sie versuchen nur immer, es zu instrumentalisieren. Aber das lassen wir nicht zu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie den Kommunen Handlungsempfehlungen geben wollen: Es gibt Standardwerke, z. B. das Buch der Herbert-Quandt-Stiftung, in denen man nachlesen kann, und dann wird man feststellen, dass es in Deutschland schon seit Jahrhunderten Moscheen gibt. Das ist also nicht die erste Moschee, die hier in Deutschland gebaut wird, und es wird auch nicht die letzte sein.

Für mich ist es wichtig, festzuhalten, was der Kern dieses Konflikts ist. Ich glaube, dass wir irgendwann eine Debatte über die Werte führen müssen. Wir müssen auch irgendwann eine Debatte darüber führen, wie viel Religion in einer säkularen Gesellschaft erlaubt ist und wie viel Religion säkulare Menschen in der Öffentlichkeit haben wollen. Diese Diskussion ist aber unabhängig vom Islam. Diese Diskussion betrifft das Spannungsfeld zwischen Religion und einem säkularen Staat. Darauf müssen wir alle eingestellt sein. Aber dann lassen Sie uns bitte zum Punkt kommen und genau über dieses Thema reden.

Ich komme zum Schluss: Das Grundgesetz bleibt für uns alle unantastbar. Ich möchte meine Ausführungen mit einer Weisheit des Imams Ali schließen, der sagt:

Es gibt keinen Reichtum wie Verstand und keine Armut wie Unwissenheit, keine Erbschaft wie gutes Benehmen und keinen Helfer wie Beratung.

In dem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich denke, dass wir in Zukunft eher durch Beratung weiterkommen sollten statt durch das Schürren von irgendwelchen Ängsten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Frau Öztürk.