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19.05.2016
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Aktuelle Stunde: Marcus Bocklet – Hessen hat Platz für Flüchtlinge und will sichere Reisewege statt weiterer Aushöhlung des Asylrechts

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rock, zunächst zu Ihnen. Sie haben sehr intensiv Bezug auf die Rede von Frau Wallmann genommen. Sie haben ihr am Ende inhaltlich recht gegeben, dass man eine europäische Lösung braucht, und gesagt, dass auch Sie eigentlich nicht der Meinung sind, dass man 2.000 oder 3.000 Menschen mit einem Zug nach Hessen holen sollte.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Genau das hat Frau Kollegin Wallmann im Kern gesagt. Außerdem haben Sie gesagt: Wir müssen uns intensiv darum kümmern, dass die 80.000 Menschen, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind, tatsächlich gut versorgt werden. Herr Rock, ich konnte nicht wirklich einen Dissens zwischen Ihren Aussagen und den Aussagen von Frau Wallmann feststellen.
Ich würde das Thema gerne abschichten. Wir haben im letzten Jahr in Deutschland tatsächlich über 1 Million Menschen aufgenommen. Das war eine immens große Leistung – finanziell und sozial. Viele Zehntausende Menschen haben sich dabei ehrenamtlich engagiert.
Das war wahrlich eine großartige Leistung, und es ist noch längst nicht vorbei, nur weil einige Standorte der Erstaufnahmeeinrichtung jetzt nur noch zur Hälfte gefüllt sind. Auf viele Gemeinden kommt erst jetzt die Herausforderung zu, den Menschen über Sprache, Bildung und Unterkunft eine Integration in unsere Gesellschaft und eine Perspektive in unserem Land zu bieten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Das sind die Herausforderungen, vor denen wir immer noch stehen. Es kommen auch in der Tat immer noch Flüchtlinge zu uns. Jetzt sind es zwar nicht mehr 1.000, sondern nur noch 50 Flüchtlinge pro Tag, aber es kommen immer noch welche.
(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)
Welche Probleme stellen sich aktuell immer noch? Wir haben immer noch Bürgerkrieg in Syrien, wir haben immer noch Bürgerkrieg im Irak, und wir haben immer noch Bürgerkrieg in Afghanistan. Noch immer fliehen die Menschen aus Eritrea, weil ihnen dort Folter droht. All diese Probleme sind immer noch nicht gelöst. Dabei wissen wir, dass das die Fluchtgründe der größten Flüchtlingsgruppen sind, die nach Deutschland kommen. Wir werden die Flüchtlingsströme nach Europa nur aufhalten können, wenn es uns über die UNO und ein weltweites Engagement gelingt, diese Kriege zu beenden. Dann müssen die Menschen nicht mehr flüchten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Zu Menschen, die sich auf der Flucht befinden, darf es doch in diesem Haus keine zwei unterschiedlichen Meinungen geben. Menschen auf der Flucht muss geholfen werden. Man muss dafür sorgen, dass sie in einem medizinischen Zustand sind – dazu gehört auch die humanitäre Hilfe –, bei dem man davon ausgehen kann, dass ihr Überleben gesichert ist und dass es ihnen nicht dreckig geht. Deswegen müssen wir in diesem Saal alle dafür stehen, dass Menschen auf der Flucht geholfen wird. Darüber sollten wir uns einig sein.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
In einem nächsten Schritt stellen wir fest, dass die Westbalkanroute geschlossen ist. Das kann man unterschiedlich bewerten. Jedenfalls ist für Deutschland zunächst einmal eine Entlastung eingetreten; denn es kommen weniger Menschen hierher. Aber wir müssen auch konstatieren, dass die Probleme dadurch nicht weniger geworden sind. Die Menschen sitzen jetzt nämlich in Griechenland fest.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Wenn sie jetzt in Griechenland sitzen, heißt das nicht per se, dass wir keine Probleme mehr haben. In der „Tagesschau“ oder in anderen Medien sehen wir tagtäglich die Bilder: Dort sitzen Hochschwangere im Schlamm, dort sitzen Kriegsversehrte in Zelten, und dort leben Schwerkranke unter unzumutbaren Zuständen in Zeltstädten an der Grenze, weil sie hoffen, nach Europa zu kommen, obwohl ihnen jeden Tag gesagt wird: Ihr kommt hier nicht mehr durch.
Das ist eine Situation, über die wir uns unterhalten müssen. Egal welche Vision wir haben bzw. welcher Ideologie oder Überzeugung wir anhängen, wir müssen uns darüber einig sein, dass eine solche Situation mit dem Humanismus, an dem sich der Kontinent Europa ausrichtet, überhaupt nicht verträglich ist. Wir müssen aus dem Blickwinkel der Menschen sagen: In diesen Flüchtlingslagern in Griechenland muss etwas passieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Der erste Schritt dorthin ist – das ist zugleich der wichtigste –, dass wir eine Bundesregierung haben, die sich intensiv für eine europäische Kontingentlösung einsetzt. 500 Millionen Menschen leben in der EU. Weit über 20 Staaten gehören der Europäischen Union an. Wenn es uns gelingt, eine gute Verteilquote für diese Flüchtlinge hinzubekommen, werden wir keine sozialen und keine Integrationsprobleme haben, sondern wir werden diese Flüchtlinge gut integrieren können. Das muss unser erstes Ziel sein.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
In einem zweiten Schritt dürfen wir nicht die Augen vor einem aktuellen Elend verschließen. Ich appelliere an alle in diesem Saal, sich die Situation genau anzuschauen. Wenn wir die Menschen in Idomeni oder in anderen unzureichend ausgestatteten Lagern sehen, müssen wir in Europa – und in Deutschland als einem Teil Europas – über unseren aktuellen Beitrag nachdenken: ob wir diesen akut gefährdeten Menschen helfen können.
Ich spreche mich also nicht dafür aus, willkürlich 3.000 Menschen aus Griechenland zu holen; denn ich glaube, das würde wieder eine Magnetwirkung erzeugen. Dann wird es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleiben.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Frau Kollegin Wissler, dann würden wir die Hoffnung wecken, dass es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleibt.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
– Frau Kollegin Wissler, lassen Sie mich doch erst einmal den Gedanken ausführen. – Dann wären es nicht nur 3.000, sondern 30.000 oder noch mehr.

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Herr Kollege, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.

Marcus Bocklet:

Ja. – Deswegen sage ich Ihnen: Es wird keine Lösung sein, willkürlich Menschen aus Griechenland zu holen.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Als GRÜNE sind wir aber der festen Überzeugung, dass wir den Menschen in diesen Lagern helfen müssen. Das Land Hessen hat das übrigens schon dokumentiert: Wir haben schon mehrfach Sonderkontingente identifiziert; denken Sie an die Menschen aus dem Kosovo oder an die Jesiden.

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Letzter Satz, bitte.

Marcus Bocklet:

Ein letzter Gedanke. – Wir haben beschlossen, dass Sonderkontingente erforderlich sind, um einer in akuter Not befindlichen Menschengruppe – Schutzbedürftige, Schwangere, Kranke aus diesen Lagern – zu helfen. Wir sind der Meinung, wir sollten gemeinsam mit den anderen Bundesländern die Bundesregierung auffordern, unmittelbar eine Lösung zu finden, damit wir schutzbedürftigen Gruppen aus den Flüchtlingslagern eine direkte Perspektive bieten können.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU –Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet.

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