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06.07.2011

Integrationskonzept für Hessen - GRÜNE: Wir müssen Vielfalt als Bereicherung und Integration als Aufgabe begreifen – Ziel: Teilhabe für alle

„Die Debatte über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund wird in regelmäßigen Abständen und immer wieder polemisch geführt, allerdings fast immer nur als Beschreibung realer oder vermeintlicher Integrationsdefizite. Die Erfolge und positiven Beispiele gelungener Integration werden in der öffentlichen Diskussion nur selten wahrgenommen, und die regelmäßig wiederkehrenden Integrationsdebatten haben eines gemeinsam: Sie sind oft emotionale Auseinandersetzungen, die in den seltensten Fällen irgendein Problem lösen. Wir wollen die Integrationspolitik endlich versachlichen und schlagen konkrete Maßnahmen vor, damit Integration in Hessen aktiv gestaltet werden kann. Denn wir haben in Hessen kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, so Mürvet Öztürk, integrationspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der Vorstellung des grünen Integrationskonzepts für Hessen.

„Den Kern der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen bilden der Hessische Integrationsplan, die Hessische Integrationsvereinbarung und eine regelmäßige Integrationskonferenz in Hessen, die nicht nur wie bisher zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit, sondern als echtes Entscheidungsgremium etabliert werden soll. Sie bilden die Voraussetzung für einen systematischen Dialog, um die geeigneten Maßnahmen zur Förderung der Integration in Hessen zu definieren. Auf dieser Grundlage soll ein Hessisches Integrationsgesetz verabschiedet werden, dass die verschiedenen Maßnahmen bündelt“, so Öztürk.

In Hessen hat inzwischen fast jedes zweite Kind unter 6 Jahren einen Migrationshintergrund. Angesichts dieser Zahl ist es nach Ansicht der GRÜNEN absurd darüber zu diskutieren, ob Hessen ein Einwanderungsland ist oder nicht. Das Konzept der GRÜNEN verfolge deshalb einen Ansatz, der die Lebenswirklichkeiten aller hier lebenden Menschen – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – in den Blick nimmt. „Vielfalt als Bereicherung, Teilhabe für alle und Integration als Aufgabe sind der Dreiklang, der dieses Konzept prägt“, so Öztürk.

A: Vielfalt als Bereicherung begreifen

„Die Vielfalt der Menschen – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – ist eine Bereicherung. DIE Deutsche oder DEN Deutschen gibt es genau so wenig wie DIE Ausländerin oder DEN Ausländer.“

B: Gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen an unserer Gesellschaft ermöglichen

„Viele Studien zeigen, dass der soziale Status und der Bildungshintergrund eines Menschen maßgeblicher sind für seine Chancen in unserer Gesellschaft als sein Migrationshintergrund. Dadurch treten in ähnlichen sozialen Milieus die gleichen Probleme auf – unabhängig von Nationalität oder Herkunft. Integrationspolitik muss deshalb die Barrieren überwinden, die den Menschen mit und ohne Migrationshintergrund die gleichberechtige Teilhabe an unserer Gesellschaft erschweren.“

C: Integration als Aufgabe für alle verstehen

„Wir erwarten von allen, die hier leben, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, die Anerkennung der Grundwerte unseres Grundgesetzes und unserer Rechtsordnung. Integration kann aber nur dann funktionieren, wenn sowohl die aufnehmende Gesellschaft als auch die Eingewanderten zu Anpassungsprozessen bereit sind. Von den Migrantinnen und Migranten werden dabei größere persönliche Anstrengungen verlangt, etwa beim Erlernen der deutschen Sprache.“

Für eine moderne Integrationspolitik, die Vielfalt als Bereicherung, Teilhabe für alle und Integration als Aufgabe versteht, haben die GRÜNEN in zehn Handlungsfeldern konkrete Maßnahmen erarbeitet. „Es geht uns um Integration durch gute Sprachkenntnisse, eine gute Bildungspolitik, Teilhabe durch Ausbildung und Arbeit und die Unterstützung der Kommunen bei der Integrationspolitik. Eine gute Integrationspolitik muss auch den Sozial- und Gesundheitsbereich in den Blick nehmen, demokratische Teilhabe und die Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung fördern und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern voranbringen. Wir müssen die mit den Menschen eingewanderten Religionen, insbesondere den Islam, integrieren, eine gute Präventionspolitik betreiben und die Einbürgerung erleichtern“ fasst Öztürk die Handlungsfelder zusammen. Um in diesen Bereichen Fortschritte zu erreichen, schlagen die GRÜNEN 17 Maßnahmen vor. Die wichtigsten sind:

Hessischer Integrationsplan
„Die Hessische Landesregierung muss endlich einen Hessischen Integrationsplan vorlegen, in dem ressortübergreifend konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Zusammenlebens von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund benannt, aufeinander abgestimmt und gebündelt werden. Eine solche systematische Handlungsanweisung liegt auch nach fast zweieinhalb Jahren der Existenz eines ‚Integrationsministeriums‘ nicht vor. Ausgangspunkt für den Hessischen Integrationsplan muss ein Integrationsmonitor sein, der anhand wissenschaftlich erhobener Kriterien die Lebenswirklichkeit von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund beschreibt.“

Hessische Integrationsvereinbarung
„Der Integrationsplan wird die Grundlage für eine Integrationsvereinbarung aller landesweit agierenden Verbände und Vereinigungen im Bereich Integration mit dem Land Hessen. Darin verpflichtet sich das Land, die Arbeit der Verbände und Vereinigungen in geeigneter Form anzuerkennen, sie zu unterstützen und ihre Vorschläge in die Regierungsarbeit einzubeziehen. Im Gegenzug geben die Verbände und Vereinigungen Zusagen darüber, wie sie in ihrem Verantwortungsbereich Integration fördern wollen. Grundlage der Integrationsvereinbarung ist ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Grundgesetzes.“

Hessische Integrationskonferenz
„Alle landesweit agierenden Unterzeichner der Integrationsvereinbarung treffen sich einmal jährlich zur Integrationskonferenz. Dabei soll über die Fortschritte bei der Umsetzung des Integrationsplans beraten, aktuelle Entwicklungen diskutiert und alle drei Jahre der Integrationsplan fortgeschrieben werden.“

Hessisches Integrationsgesetz
„Mit dem hessischen Integrationsgesetz wird die Teilhabe und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in vielen Bereichen verbessert. Beispielsweise sollen Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung in staatlichen Einrichtungen und Beteiligungsgremien vertreten sein. Die interkulturelle Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern wird gefördert und die Unternehmensförderung wird auch auf den Förderbedarf von Unternehmerinnen und Unternehmen mit Migrationshintergrund ausgerichtet. In der Hessischen Gemeinde- und in der Hessischen Landkreisordnung werden die Beteiligungsrechte von Menschen mit Migrationshintergrund ausgebaut. Die konkreten Maßnahmen schließen aber auch beispielsweise eine Änderung des Friedhofsgesetzes ein, um muslimische Verstorbene ohne Sarg beerdigen zu können. “

Islamischen Religionsunterricht einführen
„Ziel von Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist die Gleichberechtigung und damit die Einführung eines konfessionellen islamischen Religionsunterrichts an hessischen Schulen, der auf Deutsch und von in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern gehalten wird – also nach den gleichen Regeln, die für christliche Konfessionen gelten. Bis auf muslimischer Seite der hierfür notwendige Ansprechpartner gefunden wurde, schlagen wir als Zwischenschritt vor, an Schulen islamische Religionskunde als reguläres Schulfach in deutscher Sprache einzurichten. Wir können es uns nicht länger leisten, ohne ein Angebot für muslimische Schülerinnen und Schüler dazustehen. Hier muss jetzt endlich auch in Hessen etwas passieren.“

Sprachförderung an den Schulen ausbauen und Mehrsprachigkeit fördern
„Die Förderung der deutschen Sprache muss auch nach dem Ende der Primarstufe in den Sekundarstufen I und II und in den Berufsschulen weitergeführt werden – nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch in anderen Fächern. Um auch die Herkunftssprachen zu fördern, werden sie bei entsprechender Nachfrage an den weiterführenden Schulen als zweite Fremdsprache angeboten.“

Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ausbildung bringen
„Um die Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erhöhen, müssen Schulen, Berufsschulen, Handels- und Handwerkskammern sowie Arbeitsagenturen bzw. Jobcenter enger kooperieren und den Jugendlichen und ihren Eltern die duale Ausbildung näher bringen. Wir werden die Industrie- und Handelskammern beispielsweise bei der Entsendung von Ausbildungsberaterinnen und -beratern unterstützen. Außerdem werden sich der Öffentliche Dienst des Landes und die landeseigenen Betriebe gezielt um Auszubildende mit Migrationshintergrund bemühen und ihre sprachlichen und kulturellen Kompetenzen bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen besonders berücksichtigen.“

Rechtsanspruch auf Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen
„Um das Fachkräftepotenzial bei Menschen mit Migrationshintergrund zu heben, fordern wir schnelle, transparente Verfahren zur Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen. Die neue Anerkennungspraxis im Rahmen der Qualifizierungsinitiative für Deutschland muss schnell und direkt umgesetzt werden. Dazu gehört auch eine entsprechende Fortbildung der Beraterinnen und Berater der Bundesagentur für Arbeit, der Jobcenter und der Industrie-, Handels- und Handwerkskammern. Das Land Hessen soll zügig entsprechende gesetzliche Regelungen im Landesrecht verankern, z. B. für die Lehr- und Sozialberufe und für Ingenieure.

Integration vor Ort
„In Zukunft müssen Beteiligungsrechte möglichst für alle Einwohnerinnen und Einwohner, nicht nur die deutschen Staatsbürger, gelten. Wir schlagen vor, die auf Landesebene vorgesehene Integrationsvereinbarung und die Integrationskonferenz auch auf kommunaler Ebene zu etablieren. Wir wollen auch bei entsprechendem Wunsch vor Ort die Möglichkeit schaffen, die Ausländerbeiräte durch Integrationsausschüsse zu ersetzen. Sie sollen jeweils zur Hälfte aus Gemeinde- bzw. Kreistagsabgeordneten und zur anderen Hälfte von aus der Mitte der Integrationskonferenz gewählten Vertreterinnen und Vertretern der in der Integration tätigen Vereine und Verbände bestehen, echte Entscheidungskompetenzen besitzen und über Antragsrecht an das kommunale Parlament verfügen.

Hessentag 2.0 – Zurück zu den Wurzeln
„Es ist Zeit, dass der Hessentag stärker zu seinen Wurzeln zurückkehrt. Ursprünglich ging es um ein Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl von Ur-Hessen und Vertriebenen. Es wird angesichts von erneut einem Viertel Menschen mit Migrationshintergrund Zeit, dass der Hessentag jenseits von Jahrmarkt, Gewerbeausstellung und Popkonzerten zu genau diesen Wurzeln zurückkehrt.“

„Die Legislaturperiode ist fast zur Hälfte verstrichen. Im Februar 2009 wurde mit großem Tamtam die Einrichtung eines ‚Integrationsministeriums‘ verkündet, auf echte Fortschritte in der hessischen Integrationspolitik warten wir aber weiterhin. Es reicht eben nicht, sich auf die Kreativität der Kommunen in Modellprojekten zu verlassen, eine einmalige, folgenlose Integrationskonferenz zu veranstalten, die Ergebnisse von Umfragen vorzustellen, aber ansonsten selbst nichts zu bewegen. Es gibt in der Integrationspolitik nichts Gutes, außer man tut es. Wir sollten jetzt endlich damit anfangen“, so Öztürk.

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Pressestelle der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
Pressesprecherin: Elke Cezanne

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