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27.02.2023

Herausforderungen bewältigen statt gegenseitiger Schuldzuweisungen

In einem gemeinsamen Pressegespräch haben sich die Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt, Elke Voitl, der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Landtag, Mathias Wagner, und der hessische Minister für Soziales und Integration, Kai Klose, zu aktuellen Fragen der Flüchtlingspolitik geäußert.

 

Elke Voitl:

„Die Aufnahme und gute Integration geflüchteter Menschen ist unsere humanitäre Pflicht und gleichzeitig eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen jetzt und in der kommenden Zeit. In Frankfurt zeigen wir, wie diese Herausforderung gestaltet werden kann. Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine waren und sind wir beispielsweise Haupt-Ankunftspunkt für Schutzsuchende von dort. Inzwischen sind am Frankfurter Hauptbahnhof mehr als eine Viertel Million Ukrainer*innen beraten und betreut worden. In unserem speziellen Safe House nehmen wir queere Geflüchtete aus ganz Hessen auf. Natürlich stellen sich immer wieder neue Aufgaben. Aber entgegen des Eindrucks, der derzeit von einigen erzeugt wird, gelingt eben auch sehr Vieles. Das sage ich als Vertreterin einer Stadt, die beim Thema Geflüchtete sicher noch stärker gefordert ist als andere Kommunen.

Wir haben derzeit mit knapp 10.000 Personen so viele Menschen in kommunalen Übergangsunterkünften untergebracht wie nie zuvor. All diesen Menschen müssen wir Wohnungs-, Arbeits- und Teilhabeperspektiven geben, damit sie langfristig ein gutes und selbstbestimmtes Leben in Deutschland führen können. Das ist nicht einfach, gleichzeitig, mit Blick auf den Fachkräftemangel, in vielen Bereichen aber auch eine Chance. Da wünsche ich mir einen gemeinsamen Kraftakt auf allen Ebenen und nicht, Verantwortung hin und her zu schieben oder die Debatte auf dem Rücken der Betroffenen zu führen.“

 

Kai Klose:

„Wir wollen die Menschen, die zu uns kommen, möglichst gut integrieren – das bedarf eines gemeinsamen Vorgehens von Bund, Ländern und Kommunen. Als Vorsitzender der Integrationsministerkonferenz habe ich deshalb besonders an den Bund appelliert, seine Unterstützung zu verstetigen und wieder auszubauen, statt die Mittel für die Erstorientierungskurse vom letzten auf dieses Jahr zu halbieren. Diese notwendige Kontinuität auch bei den Kosten der Unterkunft und der Integrationspauschale, aber auch der Schaffung bezahlbaren Wohnraums, steht auch im Mittelpunkt der weiteren Arbeit nach dem Gipfel der Bundesregierung – es ist gut, dass daran jetzt auch die Integrationsminister*innen beteiligt sind.“

 

Mathias Wagner:

„Ich habe großen Respekt davor, was in unseren Kommunen jeden Tag zum Thema Geflüchtete geleistet wird. Auch die Bundes- und die Landesregierung unternehmen erhebliche Kraftanstrengungen. Ich finde es befremdlich und dem Thema gänzlich unangemessen, dass in der Öffentlichkeit und auch in der vergangenen Landtagssitzung ein anderer Eindruck erweckt werden sollte. Bloß weil die Bundesinnenministerin eine der Spitzenkandidat*innen für die Landtagswahl ist, darf das Thema Geflüchtete nicht zum Gegenstand von unsachlichen Wahlkampfdebatten durch CDU oder SPD werden. Hierbei können alle nur verlieren. Die Geflüchteten, aber auch alle demokratischen Parteien. Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen oder zwischen den Parteien brauchen wir eine sachliche Debatte:

 

Humanität und Ordnung gehören zusammen.

Wir wollen Geflüchteten, die eine Bleibeperspektive haben, dabei unterstützen, in unserem Land Fuß zu fassen, sich eine neue Heimat aufzubauen und ihre Integration fördern. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Geflüchtete ohne Bleibeperspektive unser Land wieder verlassen müssen.

 

Rückführung ist leichter gesagt als getan

Wir unterstützen das Ziel der Bundesregierung, neue und schnellere Rückführungsabkommen mit Herkunftsstaaten zu vereinbaren. Allerdings wissen alle Innenminister, ob sie nun Wolfgang Schäuble (CDU) und Horst Seehofer (CSU) hießen oder aktuell Nancy Faeser (SPD) heißen, wie schwer es ist, solche Abkommen tatsächlich zu schließen. Dies gilt auch für die gerechte Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union, die ebenfalls ein wichtiges Vorhaben der Bundesregierung ist. Hinzu kommt, dass zu den Hauptherkunftsländern derzeit die Ukraine, Afghanistan und Syrien gehören. Die Asylanträge der Geflüchteten aus diesen Ländern haben entweder sehr hohe Anerkennungsquoten oder es herrscht parteiübergreifende Einigkeit, dass eine Rückführung in diese Länder auf absehbare Zeit nicht möglich ist. Der teilweise erweckte Eindruck, konsequente Rückführungen würden zu einer signifikanten Veränderung der aktuellen Lage führen, ist auch aus diesem Grund falsch.

 

Legale Zuwanderung erleichtern, um unbegründete Asylanträge zu reduzieren

Mit der so genannten Westbalkan-Regelung wurde vor einigen Jahren ein Korridor für legale Zuwanderung von diesen Ländern nach Deutschland geschaffen. Im Gegenzug ist die Zahl der Asylbewerber*innen aus diesen Ländern, deren Anträge fast immer abgelehnt wurden, nahezu bei null. Die über die Westbalkan-Regelung zu uns gekommenen Menschen haben sich ganz überwiegend gut integriert und leisten einen aktiven Beitrag zur Reduzierung des Fachkräftemangels. In solchen Vereinbarungen liegt weit mehr Potenzial zur Lösung von Problemen als in den immer gleichen Debatten über klassische Rückführungsabkommen.

 

Mehr Geld vom Bund ist nötig, löst allein aber die Probleme nicht

Ein zusätzliches finanzielles Engagement des Bundes ist nötig. Hier erwarten wir als Fraktion ein klares Signal von dem bis Ostern geplanten Treffen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsident*innen. Wir sehen insbesondere Ausbaubedarf bei den Sprach- und Integrationsangeboten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Auch die Bundesländer und Kommunen können zusätzliches Geld zur Erledigung ihrer Aufgaben für die Geflüchteten gut gebrauchen. Klar ist aber auch, dass beispielsweise die Ausweisung von neuen oder die Erschließung von vorhanden Baugebieten zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum nicht allein eine Frage des Geldes ist.

 

Das Land ist und bleibt ein verlässlicher Partner der hessischen Kommunen

In der derzeitigen politischen Debatte sollte nicht aus den Blick geraten, dass das Land Hessen beim Thema Geflüchtete eng und vertrauensvoll mit den Kommunen zusammenarbeitet. Mit dem ‚Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt‘ haben wir im Jahr 2015 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier dafür die Grundlage gelegt. Die Strukturen tragen bis heute. Das Land hat und wird weiterhin Belastungssituation für die Kommunen abfedern, beispielsweise durch eine Steuerung der Zuweisung aus der Erstaufnahmeeinrichtung oder – wie vergangenes Jahr in Frankfurt – durch ein Erstaufnahme-Zentrum vor Ort. Land und Kommunen stimmen sich regelmäßig zu allen Fragen ab. Sollte diese Abstimmung nicht ausreichen, haben wir mit dem hessischen Asylkonvent ein bewährtes Beratungsgremium, das bei Bedarf jederzeit wieder einberufen werden kann.

 

Ausländerbehörden entlasten

Um zu schnellen Entscheidungen zu kommen, ob Geflüchtete bei uns bleiben können oder unser Land wieder verlassen müssen, braucht es auch eine Entlastung der Ausländerbehörden von Bürokratie. Pro Asyl hat hierzu eine Reihe von pragmatischen und schnell wirksamen Vorschlägen gemacht. Dazu gehören: Statt monatlicher Termine zur – in der Regel bewilligten – Verlängerung einer Duldung könnte für bestimmte Personengruppen und Herkunftsländer der Zeitraum der Duldung verlängert werden; statt sich monatelang – bei einigen Staaten in der Regel erfolglos – um die Passbeschaffung zu bemühen, könnte bei diesen Ländern Passersatzpapiere erleichtert ausgestellt werden; statt erst beim Termin in der Ausländerbehörde festzustellen, dass wichtige Unterlagen fehlen, könnte durch bessere Information die Zahl der Termine reduziert werden. All diese Maßnahmen würden Zeit und Kapazitäten schaffen, um Anträge schneller zu bearbeiten.

 

Hessische Tradition fortsetzen: gemeinsames Handeln aller demokratischen Fraktionen

Seit 2015 ist es gelungen, dass sich in Hessen alle demokratischen Fraktionen in den wesentlichen Fragen der Flüchtlingspolitik einig waren und sie nicht zum Gegenstand von wahltaktisch motivierten Debatten gemacht haben.

 

Wir reichen als GRÜNE Landtagsfraktion die Hand, diese hessische Tradition auch weiterhin fortzusetzen, und stehen für entsprechende Gespräche jederzeit zur Verfügung.“


Pressestelle der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
Pressesprecherin: Lisa Uphoff
Schlossplatz 1-3; 65183 Wiesbaden
Fon: 0611/350597; Fax: 0611/350601
Mail: presse-gruene@ltg.hessen.de
Web: http://www.gruene-hessen.de/landtag

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