Gegen demokratiefeindliche Angriffe von Verschwörungsideolog*innen müssen wir als Demokrat*innen zusammenstehen, widersprechen und gegenhalten, denn Demokratie lebt vom Engagement der Anständigen.
Die Welt steht noch immer im Zeichen der Corona-Pandemie. Binnen kurzer Zeit hat sie unser aller Zusammenleben von Grund auf verändert. Abstand halten anstatt Nähe suchen ist eine Probe auf unsere Geduld und für viele Menschen, vor allem für die Älteren, ist es eine Belastung, die nur schwer auszuhalten ist. Auch wenn wir uns im Moment über die ersten Lockerungen freuen – wir werden voraussichtlich noch eine Weile mit diesen Einschränkungen leben müssen. Denn das Virus wird nicht einfach verschwinden. Das ist die beunruhigende Nachricht.
Trotz allem haben wir Anlass, zuversichtlich zu sein. Es gibt wenige Länder, in denen man diese Krise lieber überstehen möchte als in unserem. Das Wichtigste: Unser Gesundheitssystem hat den Belastungen bisher standgehalten, die Versorgung der Kranken funktioniert, Bilder wie in Norditalien oder Spanien sind uns erspart geblieben. Das hat seinen Grund vor allem darin, dass unsere Behörden im Großen und Ganzen mit Entschiedenheit und Augenmaß und unsere Bürger*innen im Großen und Ganzen mit Einsicht und Gelassenheit auf diese Herausforderung reagiert haben. Unsere Demokratie bewährt sich auch in der Krise. Das ist die beruhigende Nachricht.
Es ist ein Merkmal unserer freiheitlich verfassten Gesellschaft, dass Bewertung und Bewältigung der Corona-Pandemie unterschiedlich beurteilt werden. Das ist gut so. Denn niemand kann für sich beanspruchen, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein. Dies gilt umso mehr, als wir es mit einer in dieser Form nie dagewesenen Herausforderung zu tun haben. Auch und gerade in der Krise gilt: Eine Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen und dem Austausch der Argumente. Es ist deshalb ein Kennzeichen einer stabilen Demokratie, dass grundlegende Freiheitsrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit auch in schweren Zeiten nicht außer Kraft gesetzt werden. Dafür stehen wir.
Auch die hessische Landesregierung beansprucht für sich nicht, im Besitz der Wahrheit zu sein. Nicht ein einziges Mitglied der Regierung denkt oder handelt so. Es herrschen Nachdenklichkeit und Sorge, Zuversicht und Entschlossenheit sowie das Bewusstsein, große Verantwortung zu tragen. Einigkeit besteht innerhalb der Landesregierung insbesondere darüber, dass die vielzitierte „Stunde der Exekutive“ kein Blankoscheck ist. Auch unter den Bedingungen der Krise bleibt Grundlage des Regierungshandelns die ständige Rückkopplung mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft, das sorgfältige Austarieren der unterschiedlichen Interessen und die gewissenhafte Suche nach den besten Lösungen. Da Parlament und Justiz weiterhin handlungsfähig sind, ist auch das auf checks and balances gerichtete Prinzip der Gewaltenteilung intakt. Auch das ist ein Beleg dafür, dass wir in einer stabilen Demokratie leben. Unser Grundgesetz ist keine Schönwetter-Verfassung.
Die hessische Landesregierung beansprucht nicht für sich, keine Fehler gemacht zu haben. Menschen machen Fehler, auch die Mitglieder der Regierung. Das in Abrede zu stellen wäre vermessen. Aus Fehlern kann man aber lernen, und wir sind deshalb dankbar für Kritik, Hinweise und Ermunterung. Auch in der Rückbetrachtung war es aber eine richtige Entscheidung, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens von Anfang an in den Mittelpunkt zu stellen. Dies war die Grundbedingung dafür, dass es bei uns nicht zu vielen Tausenden von Corona-Toten gekommen ist. Getroffen hätte es vor allem ältere Menschen – unsere Eltern, unsere Großeltern. Sie nicht zu beschützen war für uns zu keinem Zeitpunkt eine Alternative. Eine Gesellschaft, welche die Alten und Schwachen nicht beschützt, wenn Gefahr droht, wäre nicht mehr die Gesellschaft, in der wir – und für die wir – leben wollen.
Der Preis für diese Politik ist beträchtlich, das wissen wir. Der zeitweilige Shutdown hat tiefe Einschnitte im öffentlichen und privaten Leben hinterlassen. Seine sozialen und finanziellen Kosten sind hoch. Sie werden unsere Bürger*innen noch auf lange Zeit belasten. Wir haben es uns deshalb zum Ziel gesetzt, die entstandenen Lasten gerecht zu verteilen. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, dass Solidarität und Zusammengehörigkeit nicht nur schöne Begriffe sind, sondern substanzielle Elemente einer gelebten Demokratie. Ihr eigentlicher Wert erweist sich oft erst in der Krise. Das ist jetzt der Fall.
Besorgniserregend ist, dass die vergangenen Monate das Entstehen bestimmter politischer Phänomene begünstigt und beschleunigt haben. Gemeint ist das Erstarken verfassungsfeindlicher Kräfte aller Richtungen – insbesondere aber aus dem rechtsextremistischen Milieu. Ihnen ist gemeinsam, dass sie in der Krise eine Chance sehen, unsere Gesellschaftsordnung zu schwächen oder sie sogar zu überwinden. Am Austausch von Meinungen, an der Suche nach dem besten Argument, selbst an einem guten Gespräch haben diese Agigatoren kein Interesse. Sie möchten gehört werden, aber sie wollen nicht zuhören. Ihr Ziel ist es, das Vertrauen der Bürger*innen in die bestehende Gesellschaftsordnung zu untergraben. Es ist Aufgabe des Staates, solche Entwicklungen genau zu beobachten und ihnen dort, wo die Spielregeln unserer Demokratie verletzt werden, gezielt und mit allem Nachdruck klare und unverrückbare Grenzen zu setzen. Angriffe auf unsere Demokratie sind jedoch eine gesamgesellschaftliche Herausforderung. Jede*r einzelne muss Verantwortung übernehmen. Dort, wo Menschen von Verschwörungsideologien angezogen werden, Wissenschaft und Medien pauschal verunglimpfen, kann Überzeugungsarbeit nur noch auf der persönlichen, privaten Ebene funktionieren. Dort müssen wir alle das Gespräch mit unseren Freund*innen, Bekannten wie auch Familienmitgliedern führen. Sonst droht das Entstehen von Echokammern. Unsere freiheitlich verfasste Gesellschaftsordnung hat sich jetzt ein Menschenalter lang bewährt. Etwas Besseres haben wir in unserer Geschichte nicht gekannt. Sie verdient deshalb das Vertrauen unserer Bürger*innen. Um dieses Vertrauen müssen wir kämpfen.