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15.12.2010

Frank Kaufmann: Haushaltsjahr 2011

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass ich jetzt, anders als ursprünglich verabredet, als letzter Fraktionsredner sprechen darf, gibt mir die Gelegenheit, auf die Vorredner ein klein wenig einzugehen. Das will ich auch machen.

Verehrter Kollege Milde, wer wie Sie die „Operation düstere Zukunft“ in höchsten Tönen lobt, vergisst, dass mehr als die Hälfte der 1,03 Milliarden Euro Einsparungen im Haushalt Verkäufen und anderen Einmalzahlungen zu verdanken ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Außerdem wurden die Sozialinitiativen rasiert, mit dem Ergebnis, dass die Kommunen als Ersatzfinanciers auftreten mussten und dass dadurch ein Teil der jetzigen Probleme entstanden ist. Schließlich wurde der Rest dieser Einsparungen auf dem Rücken der Landesbediensteten abgewickelt. Insofern würde ich es mir sehr gut überlegen, ob ich diese Einsparungen als leuchtendes Beispiel hochhalte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zum Kollegen van Ooyen möchte ich nur sagen: Lieber Willi, der Besinnungsaufsatz war ganz nett. Aber wenn du jetzt auch noch mit der SPD ein Windhundrennen um die höchsten, besten und schönsten Zahlen aufnehmen musst, rate ich dir, erst einmal ein bisschen abzuspecken, sonst gelingt das nämlich nicht. Ich weiß, wovon ich rede.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum bisherigen Highlight der Debatte unter den Kollegen. Das ist natürlich der Beitrag des Kollegen Noll, der heute so gern – ich komme in meiner Rede noch einmal darauf zurück – an seinen wunderbaren Auftritt vor den Bürgermeistern erinnert hat.

Herr Kollege Noll, ich kann nur sagen: Ich persönlich bin dankbar – ich denke, vielen in diesem Hause ergeht es ebenso –, dass das heute Ihre letzte Haushaltsrede in diesem Haus war. Wir alle wissen ja, dass Sie voller Hoffnung sind, am 27. März zum Landrat im Main-Kinzig-Kreis gewählt zu werden. Das waren auch die allerbesten Argumente dafür.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In dieser Debatte zum Haushalt 2011 des Landes Hessen wird viel über Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit zu reden sein. Das sind Eigenschaften und Werte, die bei den derzeit Regierenden bedauerlicherweise nicht unmittelbar ins Auge springen. Die Glaubwürdigkeit ist nämlich nicht zuletzt deshalb besonders aktuell, als sich vier Fraktionen des Hauses anschicken, heute noch eine Änderung der Verfassung des Landes Hessen zu beschließen, um sie dann dem hessischen Volk zur abschließenden Entscheidung vorzulegen. In dem Gesetzentwurf heißt es unter anderem: „Der Abbau des bestehenden Defizits beginnt im Haushaltsjahr 2011.“

Er beginnt also exakt mit dem Haushalt, über den wir gerade debattieren. Ich denke, demzufolge müssen wir in dieser Debatte die fiskalpolitische Ehrlichkeit der Regierung und ihrer Mehrheit durchaus ernsthaft überprüfen. Ich darf daran erinnern, dass ich bereits im September, als dieser Gesetzentwurf eingebracht wurde, deutliche Zweifel in dieser Richtung geäußert und gefragt habe, ob das hessische Menetekel der Unsolidität der Finanzwirtschaft mit der neuen Regierung und dem neuen Finanzminister wirklich verschwunden sei.

Die Koalitionsrhetorik ist an diesem Punkt in der Tat ziemlich bombastisch. Wenn z. B. der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Wagner, gemeinsam mit seinem Haushaltspolitiker, Herrn Milde, erklärt – ich zitiere –: „Der Haushalt 2011 steht für ein strategisches Umdenken in der Haushaltspolitik“, ist man zunächst einmal stark beeindruckt. Allerdings, Herr Kollege Milde, ist man auch ein bisschen verwirrt, und insbesondere der Kollege Weimar muss noch böser gucken, als er sich gerade zu gucken bemüht; denn das heißt doch nicht anderes, als dass das Umdenken gerade erst anfängt.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das, Herr Kollege Milde, ist zum einen eine deutliche Entlarvung und zum anderen eine grandiose Bestätigung der Kritik, die wir hier seit Jahren vorgetragen haben, nämlich unsere Bewertung der weimarschen Haushalte, die von Ihnen immer abgelehnt wurde. Wir haben bei der Regierung nach wie vor eine Spendierhosenmentalität festzustellen. Das angekündigte Umdenken ist immer noch nicht richtig zu erkennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrter Kollege Noll, ich komme jetzt noch einmal auf Sie zurück. Sie selbst haben hier das Zitat wiederholt: „Das Geheimnis des Sparens liegt im Verzicht.“ Verehrter Herr Finanzminister, man könnte fast dem Irrglauben verfallen, Sie hätten ein Wunder vollbracht und jetzt endlich dafür gesorgt, dass die Schwarz-Gelben mit Geld umgehen können. Ich fürchte, das Wunder ist nicht eingetreten. Das werde ich jetzt anhand der Haushaltsanträge, die zur dritten Lesung in den Haushaltsplanentwurf eingeflossen sind, bedauerlicherweise beweisen müssen.

(Zuruf von der CDU)

Herr Kollege Noll, die schönen Worte von der Verantwortung für die Konsolidierung verfliegen nämlich schnell, wenn es gilt, sich noch rasch vor der Kommunalwahl einer lieben Klientel zuzuwenden und Wünsche zu erfüllen. Schließlich ist bald Weihnachten.

Ein Beispiel, das ich besonders charakteristisch finde, findet sich in der Drucks. 18/3464. Es geht dabei um die Förderung von Garten- und Weinbau. Im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2011 hat die Landesregierung ganz im Sinne des Kollegen Noll unter dem Stichwort Verzicht ein kleines Schrittchen gemacht, um den Ansatz an Landesmitteln für die Einrichtung und Sanierung von Kleingärten einerseits und die Zuschüsse zur Absatzförderung von Wein andererseits um jeweils 30.000 Euro gegenüber den Ansätzen des laufenden Jahres zu reduzieren.

Daraufhin stellte die SPD am 8. November den Änderungsantrag, Drucks. 18/3115, mit dem Begehr, für die Kleingartenförderung – sozialdemokratische Vorfeldorganisation – die Kürzung zurückzunehmen, also 30.000 € zusätzlich zu veranschlagen.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Am 20. November kam bei allen Fraktionen ein Brief des Rheingauer Weinbauernverbands an, eher eine Vorfeldorganisation der CDU. Darin beklagt sich der Geschäftsführer, dass die Kürzung der Finanzierung der Absatzförderung ungerechtfertigt sei.

Meine Damen und Herren, was geschah? Am 8. Dezember wurde unmittelbar zu Beginn der Sitzung des Haushaltsausschusses ein neuerlicher Änderungsantrag, diesmal von CDU, FDP und SPD, vorgelegt, der die Erhöhung der Mittel für das Förderprodukt, das ich genannt habe, um insgesamt 60.000 Euro vorsah: 30.000 Euro für die Kleingärtner und 30.000 Euro für die Winzer. Dieser Antrag wurde im Haushaltsausschuss mehrheitlich beschlossen; denn DIE LINKE ist für jedwede Art von Ausgaben immer gern zu haben. Eine Ausnahme bildeten die GRÜNEN. Wir haben dagegen gestimmt. DIE LINKE wollte sich wie gesagt, nicht lumpen lassen; denn Schulden zu machen war noch nie ihr Problem.

30 Jetzt sage mir bitte keiner, das seien nur 60.000 Euro gewesen und das sei im Vergleich zu dem Gesamtetat ein verschwindend geringer Betrag. Denn es gilt nicht nur das wunderbare Zitat des Herrn Kollegen Noll:

Das Geheimnis des Sparens liegt im Verzicht.

Vielmehr wissen wir auch, dass große Defizite aus der Summe vieler kleiner Einzelausgaben bestehen.

Die Grundhaltung der Mehrheit dem Sparen gegenüber halten wir für beschämend. Nicht einmal bei solchen Kleinigkeiten kann Rückgrat gezeigt werden. Das Rückgrat ist übrigens ein sehr notwendiges Organ, wenn man überflüssige Ausgaben eindämmen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir GRÜNE haben übrigens dem Weinbauerverband schriftlich unter anderem mit den Worten geantwortet – ich zitiere –:

Grundsätzlich ist es unserer Meinung nach richtig, aufgrund des stark defizitären Landeshaushalts alle Leistungen zu überprüfen, Kürzungen vorzunehmen oder Maßnahmen zusammenzuführen.

Ich sagte es schon: Das Rückgrat, das ein wesentliches Organ für die Haushaltskonsolidierung ist, scheint zumindest bei der Mehrheit, die den Änderungsantrag gemeinsam mit der SPD-Fraktion gestellt hat, abhanden gekommen zu sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nicht einseitig nur auf die Förderung anderer schauen, sondern noch ein zweites Beispiel bringen, das leider zeigt, dass wir notfalls auch bereit sind, unser eigenes Ansehen zu ruinieren, nur um dem Verzicht aus dem Wege zu gehen. Drucks. 18/3461 kam auch erst auf den letzten Drücker in die Sitzung des Haushaltsausschusses. Dafür wurde zu dieser Drucksache aber, was für eine Initiative, die keine interfraktionelle ist, durchaus etwas Ungewöhnliches ist, vom Landtagspräsidenten persönlich ausführlich in der Sitzung dazu vorgetragen.

Mit dieser Drucksache sollen beim Landtag Stellenkürzungen zurückgenommen und erhebliche personelle Erweiterungen vorgenommen werden. Das soll mit einer zusätzlichen dritten Stelle für eine weitere Abteilungsleitung beginnen. Es setzt sich dann mit einer deutlichen Vermehrung der Stellen, meist im höheren Dienst, fort.

Mehr Häuptlinge und weniger Indianer beim Landtag, so könnte der Änderungsantrag überschrieben sein. Insgesamt weist das Budget Mehrkosten für Personal von mehr als einer halben Million Euro aus. Mit dieser Personalvermehrung können die Mängel im Arbeitsablauf wohl kaum behoben werden. Ich denke da z. B. an den langen Zeitablauf, der zurückzulegen ist, bis die Drucksachen elektronisch verfügbar sind.

Dieser Änderungsantrag widerspricht dem Spargedanken und der immer wieder von allen beschworenen Aufgabe, bei uns selbst mit dem Verzicht anzufangen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sagen wir hier und heute deutlich, dass wir – so haben wir es auch während der Sitzung des Haushaltsausschusses gehalten – in diesem Jahr nicht hinter dem Einzelplan 01 stehen. Er kann sich somit erstmals nicht auf die Zustimmung aller Fraktionen stützen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Wir GRÜNE nehmen die Verpflichtung zu nachhaltiger Finanzpolitik und damit auch zur Schuldenbremse des Grundgesetzes als politischen Auftrag offensichtlich als Einzige in diesem Haus wirklich ernst. Zumindest ist das bislang der Fall. Ich darf daran erinnern, dass wir im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen unser Konzept „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ vorgelegt haben. Wie wir gerade erleben durften, hat Herr Kollege Noll es auch schon gelesen. Herr Kollege Noll, darin finden Sie unter anderem ganz klare Vorschläge zum Abbau des Personals in den obersten Ebenen. Natürlich ist darin auch die Reduzierung der Zahl der Landtagsabgeordneten eingeschlossen, weil wir zunächst bei uns mit der richtigen Politik anfangen sollten. Das heißt, aufgrund der finanzwirtschaftlichen Erfordernisse sollte die Politik mit gutem Beispiel vorangehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Noll, Sie haben hier eines hoch gehalten und kritisiert. Sie können es sich da ganz einfach machen. Nennen Sie Ihre konkreten Vorschläge. Sagen Sie nicht: Wir schaffen das allein durch Sparen. – Sagen Sie bitte vielmehr den Leuten und uns allen hier in diesem Parlament und in der Öffentlichkeit, wo Sie konkret sparen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nennen Sie dabei Beträge in der Größenordnung, die notwendig sind, um die Schuldenbremse tatsächlich zu erfüllen. Denn dann wird die politische Debatte möglich. Dann kann man sagen: Das ist besser als jenes. – Aber so drücken Sie sich davor. Sie sagen: Wir machen das durch Einsparen. – Gleichzeitig zeigen Sie hier ein politisches Verhalten, das das Gegenteil von Einsparen dokumentiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es drängt sich daher leider unmittelbar der Eindruck auf, dass es für die Mitglieder der FDP genauso für die der LINKEN, aber ebenso auch für die der CDU und der SPD angenehmer ist, das Wassertrinken zu predigen, selbst aber Wein zu bestellen, als sich der nicht immer einfachen Prüfung der wirklichen Notwendigkeit der Ausgaben und erst recht der zusätzlichen Ausgabewünsche zu unterziehen.

Ich sprach schon die Glaubwürdigkeit der Politik an. Ich fürchte, sie nimmt heute im Landtag wieder zusätzlichen Schaden. Denn es ist erkennbar, dass die Mehrheit nicht ehrlich argumentiert, wenn sie „Schuldenbremse“ ruft und gleichzeitig überflüssige Mehrausgaben beschließt.

Im Hinblick auf die bereits jetzt gegebene Verschuldungssituation des Landes, die im Rahmen des Finanzplans noch weiterhin vorgesehene Kreditaufnahme und unsere Aufgabe, im Rahmen der Schuldenbremse das strukturelle Defizit bis zum Jahr 2019 auf Null zu bringen, sollte man genau das, was Sie die Absicht zu tun haben, nicht tun. Sie können froh sein, dass die Regeln der Schuldenbremse noch nicht gelten. Wir bedauern das. Der Bund hat sich das z. B. bereits in Art. 115 Grundgesetz gegeben.

Wenn wir das auf das anwenden müssten, was derzeit in Hessen geschieht, dann müssten wir eher Rücklagen für einen Konjunkturausgleich bilden oder alte Schulden zurückzahlen. Mit diesem Haushalt wird es aber keinesfalls möglich sein, das strukturelle Defizit zu reduzieren. Das ist aber genau unsere Aufgabe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unter Volkswirten mag es noch umstritten sein, welche Messmethode für die Auslotung des konjunkturellen Gleichgewichts die richtige ist. Aber eines ist doch sicher: Die zurzeit sprudelnden Steuerquellen sind zwar stark, aber allein dadurch lässt sich die Schuldenbremse nicht umsetzen. Denn Sie müssen damit die schon von mir erwähnten Rücklagen bilden.

Das heißt, wir müssen das strukturelle Defizit durch Ausgabenkürzungen – sehen Sie sich dazu unsere Vorschläge an –, durch Effektivierung der Ausgaben, aber auch durch Einnahmeverbesserungen bearbeiten. Das sollten wir, so wie ich es aus dem Verfassungstext zitiert habe, den wir als gemeinsames Vorhaben haben, schon im Jahr 2011 beginnen.

Meine Damen und Herren, wir haben noch viele Aufgaben vor uns. Deswegen finden wir, es ist an der Zeit, dass sowohl von der Regierung als auch insbesondere von den Fraktionen, die die Regierung stellen, endlich konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Schuldenbremse gemacht werden. Der Verweis auf das berühmte Weimarsche Märchenbuch, Finanzplan genannt, kann da auf jeden Fall nicht reichen. Wir werden deswegen der Kenntnisnahme des Finanzplans nicht zustimmen. Denn wir sagen: Wir halten das für keinen geeigneten Finanzplan.

Ganz zum Schluss möchte ich noch einen Hinweis geben: Auch die Flucht in die so ungerechte Welt des Länderfinanzausgleichs ist keine geeignete Antwort auf die Anforderungen der Schuldenbremse. Das ist selbst dann der Fall, wenn man dies im Basta-Stil: „Jetzt reicht es!“ mit starken Worten vorträgt.. Aber darüber reden wir morgen. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kaufmann, schönen Dank.