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16.09.2009
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir Thema: Nachtflugverbot durchsetzen statt Wortbruch durchsetzen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir hier gerade erlebt haben,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

als der Verkehrsminister noch nicht einmal die Antragsbegründung der antragstellenden Fraktion abwartete, sondern gleich ans Pult ging, war die Krönung des, wie ich finde, erbärmlichen Bildes, das diese Landesregierung in dieser Frage in den letzten Wochen abgegeben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich will Ihnen auch sagen, warum ich es erbärmlich finde. Was wir hier gerade erleben, ist ein Lehrstück dafür, wie Politikverdrossenheit entsteht, meine sehr verehrten Damen und Herren der Mehrheitsfraktionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich will Ihnen das erklären, Herr Rentsch. Man muss dazu ein bisschen zurückschauen. Beim Bau der Startbahn West gab es ein Versprechen der damaligen Landesregierung, dass das der letzte Ausbauschritt am Frankfurter Flughafen ist.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wortwörtlich sagte der damalige Ministerpräsident Holger Börner: „Kein Baum wird mehr fallen.“

Als Ende der Neunzigerjahre die Ausbaubefürworter doch den nächsten Schritt, die nächste Bahn geplant haben, war die Überlegung auch in den Reihen der Ausbaubefürworter, wie man mit diesem Versprechen umgeht. Es war deshalb kein Zufall, dass von denen, die für einen neuen Ausbau waren – wir gehörten nicht dazu –, gesagt wurde: „Wir geben ein neues Versprechen.“ Herr Rentsch, hören Sie mir zu, es war Ihr Versprechen. Ihr Versprechen war: „Wir brechen das alte Versprechen, wir geben aber ein neues. Das neue Versprechen ist: mehr Belastung am Tag und dafür Ruhe in der Nacht.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war Ihr Versprechen. Wir waren aus guten Gründen, wie man jetzt sieht, immer schon skeptisch, weil wir immer schon befürchtet haben, dass das Nachtflugverbot der Ausbaubefürworter die Wurst im Schaufenster ist, um den Ausbau durchzusetzen, und dass dann, wenn die Bahn einmal da ist, die Wurst wieder im Keller verschwindet. Sie zeigen genau das.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da gibt es einen Ministerpräsidenten, einen Verkehrsminister und einen Justizminister, und es gibt viele Zitate. Wir haben in den letzten Legislaturperioden viele Anträge gestellt. Es gibt viele Plenarprotokolle. Herr Koch, ich will Ihnen nur noch einmal vorlesen, was Sie im Jahre 2002 an Bürgerinnen und Bürger geschrieben haben. Das trägt Ihre Unterschrift. Da schreibt Roland Koch:

Die von mir geführte Hessische Landesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass das Ergebnis des Mediationsverfahrens die Grundlage all ihrer Überlegungen und Entscheidungen zum geplanten Ausbau des Frankfurter Flughafens darstellt und dieser nur bei gleichzeitiger Einführung eines Nachtflugverbots erweitert werden darf.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die Anwohnerinnen und Anwohner des Flughafens erwarten zu Recht einen wirksamen Ausgleich für zunehmende Flugbewegungen am Tage, und deshalb bin ich in dieser Frage auch zu keinerlei Kompromissen bereit.

Roland Koch, Hessischer Ministerpräsident

Sie haben jahrelang der Region etwas versprochen, was Sie jetzt nicht mehr halten wollen. Das genau ist der Punkt, über den wir hier reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben schon im Dezember 2007 beim Erlass des Planfeststellungsbeschlusses dieses Versprechen gebrochen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie haben das damals damit begründet, dieses Brechen des Versprechens sei rechtlich nötig; denn sonst hätte der Planfeststellungsbeschluss vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen Bestand. – Das war schlicht falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Verwaltungsgerichtshof hat Ihnen jetzt die Möglichkeit gegeben, Ihr Versprechen umzusetzen. Er hat Ihnen nicht nur die Möglichkeit gegeben, er hat Ihnen sogar gesagt, Sie müssen Ihr Versprechen umsetzen. – Aber jetzt wollen Sie nichts mehr davon wissen. Das ist erbärmlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich lese heute in der „Frankfurter Rundschau“: „Minister gab nie sein Wort“:

Der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch … hat nach eigenen Angaben nie sein Wort für ein Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen gegeben. Er habe sich bei solchen Zusagen immer zurückgehalten, sagte Posch am Dienstag in Wiesbaden.

Weiterhin steht dort:

Der VGH habe dem Beschluss des Landtags für ein Nachtflugverbot ein zu hohes Gewicht eingeräumt … Man müsse dagegen gesetzlich vorgehen, wenn diese Rechtsposition vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt würde.

(Florian Rentsch (FDP): Wollen Sie noch ein paar Pressemeldungen vorlesen?)

– Ja, ich kann Ihnen noch eine weitere Pressemitteilung vorlesen. Ich habe mehrere, die zeigen, dass noch nicht einmal das stimmt. Posch hat sich nicht zurückgehalten, er hat klar Position bezogen in den letzten Jahren.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber da war er noch nicht Minister!)

Herr Rentsch, ich nenne Ihnen einmal die Presseerklärung der FDP vom 04.10.2007 zu einem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Nachtflugverbot. Die Überschrift lautet: „Dieter Posch: ‚Wöchentliche Predigten der GRÜNEN zum Thema Nachtflugverbot bringen uns nicht weiter.’“ Nun kommt das Zitat:

Für die Position der Liberalen erklärte Posch weiter: „Für uns gilt nach wie vor und uneingeschränkt: Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot, so wie es die Mediation ergeben hat …

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie können nachgucken: 4. Oktober 2007, FDP Hessen.

Herr Posch, was Sie gerade zum Landesentwicklungsplan gesagt haben, ist ebenfalls – ich sage es noch einmal – an Erbärmlichkeit kaum zu überbieten. Wie haben wir uns um diese Frage Grundsatz oder Ziel gestritten. Herr Posch, Sie haben gesagt, Sie haben sich in dieser Frage immer zurückgehalten. Dazu kann ich nur sagen: Wie gut, dass meine Fraktion am 31. Mai 2007 namentliche Abstimmung zu diesem Punkt beantragt hat. Sie können es nachlesen im Protokoll der 135. Sitzung der 16. Wahlperiode am 31. Mai 2007. Auf Seite 9.441 des Plenarprotokolls finden Sie die Abstimmungsliste über die namentliche Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr zu dem Antrag der Landesregierung betreffend Verordnung über die Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000. Dort steht zu Abg. Dieter Posch: Ja.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Posch, Sie haben ausdrücklich gesagt, dass dies Ziel dessen ist, wofür Sie dann auch abstimmen. Sie haben in der Debatte, die wir streitig geführt haben, ausdrücklich gesagt, dass nach Ihrer festen Überzeugung das, was Sie beschlossen haben, reicht, um das politische Ziel am Ende juristisch zu erreichen.

Das Gericht sagt jetzt: Das, was Abg. Posch wollte, geht und muss sogar gemacht werden. Wenn nun das Gericht sagt: „Halten Sie Ihr Versprechen“, kommen Sie hier an und sagen: „Dagegen gehen wir in Revision, zur Not ändern wir Bundesgesetze.“ – Das ist erbärmlich.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben einen stellvertretenden Ministerpräsidenten – er legt immer Wert darauf, dass er es ist – und Justizminister. Er hat auch heftige und klare Worte gefunden. Am 13. Dezember 2002 sagte Jörg-Uwe Hahn vor dem Plenum des Hessischen Landtags:

Nein, meine Damen und Herren, es sind diese Regierungskoalition und der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch, die dafür sorgen, dass das Mediationsergebnis 1 : 1 umgesetzt wird.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Für uns

– Herr Hahn, ich zitiere Sie –

liegen zwei dieser fünf Punkte so eng beisammen, dass sie zu den zwei Seiten einer Medaille geworden sind. Auf der einen Seite der Medaille ist der Ausbau, während sich auf der anderen Seite das Nachtflugverbot befindet.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist alles nachzulesen in der Wortdokumentation!)

Herr Hahn, Sie haben am 13. Dezember 2002 weiter gesagt:

Andersherum formuliert: An dem Tag, an dem die erste Maschine auf der neuen Landebahn landet, gilt ab 23 Uhr ein Nachtflugverbot. Es wird so umgesetzt, wie wir das hier erörtert haben. Da gibt es kein Wenn und Aber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Herr Hahn, es gibt noch mehr Zitate. Es gibt ein Plenarprotokoll vom 23. April 2003. Wörtliches Zitat von Jörg-Uwe Hahn:

Für uns gibt es eine „Bibel“ … Diese „Bibel“ sind die fünf Punkte des Mediationsergebnisses – und zwar, Herr Kollege Al-Wazir, Herr Kollege Kaufmann, alle fünf Punkte.

… Ich möchte ganz bescheiden anmerken, dass ich das Bild geprägt habe, dass es nur die Münze gibt, die auf der einen Seite den Ausbau des Flughafens und auf der anderen Seite das Nachtflugverbot zeigt. Münzen kann man bekanntlich nicht teilen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abg.  Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist jetzt passiert, Herr Hahn? Der Verwaltungsgerichtshof hat Ihnen gesagt: Wenn Sie den Ausbau wollen, müssen Sie für Nachtruhe sorgen. – Was ist Ihre Reaktion darauf? Sie sagen erstens: Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht. Letzte Woche sagten Sie zweitens: Wenn das mich auch noch dazu zwingen sollte, dass ich mein Versprechen einhalten muss, dann kämpfe ich vor dem Bundesverfassungsgericht dafür, dass mein Wort nichts gilt. – Wo sind wir denn, meine Damen und Herren?

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist wirklich einzigartig, dass ein hessischer Justizminister vor dem Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland dafür kämpfen will, dass er sein eigenes Versprechen nicht halten muss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist einzigartig, dass eine Hessische Landesregierung erwägt, in Revision gegen etwas zu gehen, das sie selbst jahrelang versprochen hat. Es ist wirklich einzigartig, dass Herr Posch hier sagt: Um Gottes Willen, wir könnten selbst entscheiden.

Herr Posch, wenn Sie das umdrehen, heißt das im Umkehrschluss: Sie haben Ihr Versprechen niemals ernst gemeint und haben gehofft, dass es scheitert.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie einen Amtseid geschworen haben, das hessische Volk zu schützen. Sie haben keinen Amtseid geschworen, die Interessen von Lufthansa Cargo zu vertreten, meine sehr verehrten Damen und Herren in der Regierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was mich so ärgert, ist: Hier sitzen 19 Herren und eine Dame von der FDP. Im Januar haben Sie Wahlkampf geführt und das ganze Land zugeklebt mit „Unser Wort gilt“.

(Zurufe von der SPD)

Herr Blum hat heute immer noch an seinem Porsche den Aufkleber kleben: „Kein Wortbruch in Hessen“. Haben Sie noch ein paar von diesen Aufklebern für uns, Herr Blum? Wir hätten gute Verwendung dafür, wenn wir uns Ihre Politik anschauen.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wir haben einen Antrag eingebracht, und dieser Antrag ist sehr klar. Er sagt: Schluss mit den juristischen Spitzfindigkeiten. – Was wir damit meinen, hat Herr Posch gerade gesagt: Verzicht auf Revision, ergänzendes Planfeststellungsverfahren – so, wie es der Verwaltungsgerichtshof angeregt hat. Dazu können Sie jetzt Ja sagen und damit zeigen, dass Ihr Wort gilt, oder Sie können dazu Nein sagen. Dann ist aber völlig klar, dass das heißt: FDP, unser Wort gilt – nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus meiner Sicht ist es so, dass sich der Herr Ministerpräsident sehr intensiv überlegen sollte, ob er diese Linie seiner Landesregierung wirklich bis zum bitteren Ende weiter fahren will. Wir müssen uns überlegen, welche Wirkung das Schauspiel, das wir gerade vonseiten der Regierung erleben, auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik hat, und wir müssen uns auch einmal überlegen, welchen Wert Mediationsverfahren in Zukunft überhaupt noch haben sollen. Ein Beispiel: Alle, die den inzwischen verstorbenen Mediator Kurt Oeser kannten, wissen, dass er schwere Bedenken hatte, ob er sich auf die Rolle als Mediator einlassen sollte. Alle, die sich ein bisschen auskennen, wissen, dass er im Laufe dieses Verfahrens große Probleme bekommen hat, nicht nur in Mörfelden-Walldorf. Ich hielt seine Zustimmung für den Ausbau für falsch, aber ich weiß sehr genau, dass er damals immer gesagt hat: Wir kriegen dafür etwas, nämlich Ruhe in der Nacht. – Die Skepsis der Ausbaugegner gegenüber der Mediation bestätigt sich leider durch das, was CDU, FDP und Landesregierung hier gerade machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, wie wollen Sie eigentlich in Zukunft noch irgendjemanden finden, der vermittelnd tätig wird, wenn Sie nach einer solchen Mediation nichts, aber auch gar nichts für richtig halten, was dabei herausgekommen ist, und einzig und allein die Interessen der Luftverkehrswirtschaft vertreten? Das darf nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Norbert Kartmann:

Denken Sie bitte an die Zeit.

Tarek Al-Wazir:

Ich bin am Schluss meiner Rede, Herr Präsident. – Wir haben hier sehr oft und sehr kontrovers über den Flughafenausbau gestritten. Aus unserer Sicht kann es aber gegenüber der Region, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern im Rhein-Main-Gebiet und mit Blick auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik nicht sein, das man am Ende von den Versprechen, die man Dutzende Male gegeben hat, nichts mehr wissen will. Sie haben heute und hier Gelegenheit, zu zeigen, was Ihre Versprechen wert sind. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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