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27.11.2014

Staatssekretär Jo Dreiseitel: Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mich auch an diesen Zeitrahmen zu halten. Ich darf Sie darauf hinweisen: Mit der bevorstehenden Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Landes Hessen wird die Landesregierung ein weiteres, überaus ehrgeiziges Vorhaben der Koalitionsvereinbarung von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN umsetzen. Unterschiedliche Lebensentwürfe, kulturelle Vielfalt und individuelle Verschiedenheit der hessischen Bürgerinnen und Bürger sind eine absolut wertvolle Bereicherung für unser Land.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind einer Politik verpflichtet, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens erreichen will, damit diese Vielfalt wertgeschätzt und akzeptiert wird. Wir wollen die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die gesellschaftliche Teilhabe aller ermöglichen. Wir wollen verantwortungsvoll dazu beitragen, dass die Menschen in Hessen in gleichwertigem Miteinander gerne in unserem Bundesland leben wollen. Das impliziert, dass Diskriminierung und Ausgrenzung nicht hingenommen werden dürfen und Rassismus in jeder Form entschieden bekämpft werden muss. Dazu bekennt sich die Hessische Landesregierung klar und eindeutig.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber leider sind Diskriminierung und Rassismus vielfältig im alltäglichen Leben anzutreffen. Oftmals sind ihnen Betroffene vielfältig und mehrdimensional ausgesetzt. Beispiele will ich nicht wiederholen. Auf jeden Fall werden wir Initiativen ergreifen, um allen Menschen ein gleichberechtigtes, würdiges und möglichst diskriminierungsfreies Leben zu gewährleisten.

Wir wissen, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ist nicht von heute auf morgen erreichbar. Aber als eines der ersten Ziele wird die Landesregierung alle Anstrengungen in der Landesverwaltung, aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt in einer hessenweiten Antidiskriminierungsstrategie bündeln.

Ich bin dem Ministerpräsidenten als Repräsentant der Hessischen Landesregierung ausdrücklich dankbar, dass er mit seiner Unterschrift der bundesweiten Initiative „Koalition gegen Diskriminierung“ beigetreten ist. Damit hat er als Person ein eindeutiges und sichtbares Zeichen für die Vielfalt und die Chancengleichheit in Hessen gesetzt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Hessen besteht bisher noch keine übergreifende Zuständigkeit für Antidiskriminierung. Das werden wir ändern, und das ist das historisch Neue.

Der Landtag stellt der Landesregierung drei Stellen und ab 2015 hoffentlich dann die geplanten 160.000 Euro für Sachmittel zur Verfügung. Schon vorab möchte ich Ihnen dafür ganz herzlich danken. Ich kann Ihnen versichern: Dieses Geld, die Stellen, sind gut aufgehoben. Damit können wir unsere Arbeit sehr zuversichtlich beginnen und unsere Aufgaben anpacken. Im bundesweiten Vergleich stehen wir sehr gut da. Mit unserer Landesantidiskriminierungsarbeit stehen wir bundesweit in der ersten Reihe.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Ich will das einmal an den Ländern konkretisieren, in denen Sie die Verantwortung wahrnehmen, DIE LINKE und die SPD.

Brandenburg, hier regiert DIE LINKE: eine halbe Stelle,

(Zuruf von der CDU)

keine Beratungstätigkeit. Hamburg hat sie eingestellt und beginnt jetzt, wieder neu aufzubauen, absolute Mehrheit SPD, Personal- und Sachkostenmittel jetzt zu Beginn: 135.000 Euro, und das in der drittgrößten Stadt Deutschlands.

(Zurufe von der CDU)

Ich nenne Rheinland-Pfalz. Dort gibt es keinen eigenständigen Bereich, sondern es gibt im Rahmen der Integration zwei Stellen und 49.000 Euro für Sachmittel.

(Zuruf von der CDU)

Schleswig-Holstein und Thüringen haben überhaupt keinen Antidiskriminierungsbereich, sondern ordnen dem Beauftragten für soziale Angelegenheiten bzw. dem Landesbeauftragten für das Zusammenleben der Generationen die Antidiskriminierung zu – und zwar einmal mit 70.000 Euro und einmal ohne Stellen- und Sachmittel.

Baden-Württemberg hat bei der Integration eine Stelle, und diese Stelle ist lediglich – und nicht übergreifend für alle Diskriminierungsmerkmale – zuständig für ethnische Herkunft und für Rassismus. Wie andere Länder auch hat beispielsweise Rheinland-Pfalz keine eigenständige Beratung. Sie leiten Anfragen lediglich weiter, an die unterschiedlichsten Organisationen.

Das zur Realität, unter anderem auch in den Ländern, in denen Sie politische Verantwortung tragen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Natürlich brauchen wir eine niedrigschwellige Beratungstätigkeit, die nicht allein ein Ministerium gewährleisten kann.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wir wissen, dass die Behörden zum Teil Schwellen aufweisen. Deshalb ist im Haushalt 2015 in den Sachmitteln auch ein Anteil von mehreren Zehntausend Euro vorgesehen, um eine Beratungstätigkeit mit Partnern in der Zivilgesellschaft zusätzlich zu dem zu organisieren, was im Ministerium geschieht. Es ist eine riesengroße historische Leistung, dass von dieser Landesregierung erstmals eine aktive Antidiskriminierungsarbeit in Hessen institutionalisiert wird und als Querschnittsaufgabe ressortübergreifend arbeiten wird.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir z. B. alle im Bereich Beratung in Hessen Tätigen zusammenführen und zusammenwirken lassen werden. Sie tun gerade so, als gebe es bisher überhaupt keine Beratung, weder bei der Landesregierung noch in der Gesellschaft. Wir haben z. B. allein in unserem Ministerium für Soziales und Integration die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, das Referat für die Behindertenrechtskonvention und auch die Stabsstelle Frauenpolitik. Natürlich ist auch in diesen Bereichen ein gewisser Anteil der Antidiskriminierungsarbeit organisiert – wie auch bei den anderen Einrichtungen: den Gewerkschaften, den Kommunen und Landkreisen.

Ich war gerade im Landkreis Gießen. Auch dort gibt es Anteile einer Antidiskriminierungsarbeit. Vor Kurzem hat die Stadt Hanau eine Antidiskriminierungsrichtlinie erlassen und will das dort institutionalisieren – als ein weiteres Beispiel. Mit denen werden wir zusammenarbeiten, genauso wie mit dem Netzwerk gegen Diskriminierung.

Dort, wo Sie Verantwortung tragen, auf der Bundesebene, sind alle der bis zu 20 Ländernetzwerke gegen Diskriminierung, die bis zum Sommer über zwei Jahre lang gefördert wurden, radikal auf null gestellt worden. Alle Netzwerker mussten ihre Arbeit einstellen – obwohl sogar die Bundesantidiskriminierungsstelle dringlich davor gewarnt hat. Denn es geht darum, in der Fläche institutionalisiert Antidiskriminierungsarbeit zu leisten.

Ich bin fest davon überzeugt: Staatliches Handeln und zivilgesellschaftliches Engagement sind notwendig. Deshalb bin ich froh, dass wir zukünftig für alle Diskriminierungsmerkmale eine schnellere Hilfe und unbürokratische Unterstützung geben werden.

Wir wissen, betroffene Menschen leiden oft. Sie sind verzweifelt und fühlen sich ausgegrenzt. Ich will nur ein Beispiel aus den vielen, die bereits genannt wurden, nochmals vorlegen. Es gibt eine aktuelle Studie, in der festgestellt wird, dass fast die Hälfte – 47 % aller Befragten – eine Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung im letzten Jahr erfahren haben. 25 % der Befragten berichten sogar, in den vergangenen fünf Jahren Opfer tätlicher Gewalt und Gewaltandrohung gewesen zu sein. Wir alle, die wir hier sitzen, dürfen das nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle Menschen müssen die gleichen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe in persönlicher Entfaltung haben. Wir werden nicht nur konkret eine kompetente Anlaufstelle aufbauen, sondern wir werden auch durch Aufklärung über ihre Rechte weiterhelfen, durch Weitervermittlung an zuständige Stellen und durch individuelle Unterstützung.

Dabei spielt selbstverständlich die Beratung eine ganz zentrale Rolle. Um aber Benachteiligung und Diskriminierung nachhaltig abbauen zu können, gilt es, zu sensibilisieren, für Respekt, Würdigung und Akzeptanz einzutreten. Deshalb sind Öffentlichkeitsarbeit und die Erarbeitung von Präventionskonzepten zwei weitere wesentliche Aufgaben.

Wir brauchen auch die Dokumentation von Diskriminierungsfällen, um uns einen realistischen Überblick über die Dimension der Diskriminierung zu verschaffen und passgenaue Initiativen dagegen zu entwickeln.

Jeder, der bei der Landespressekonferenz anwesend war, wird bestätigen, dass keine meiner Äußerungen als Zitat in dem Sinne verwendbar ist, dass Muslime keine Diskriminierung erführen. Ich bin vielmehr gefragt worden, ob Muslime einer besonderen Diskriminierung unterliegen. Ich habe gesagt: Nach meinem Kenntnisstand unterliegen Muslime keiner speziellen oder übermäßigen Diskriminierung in unserem Bundesland – im Vergleich zu anderen Fällen der Diskriminierung.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich fühle mich hierin auch durch das Ergebnis der Erhebung der Bundesagentur über die Anteile an der Beratung in den letzten acht Jahren bestätigt. Die meisten Anfragen kamen wegen Diskriminierungen aufgrund von Behinderungen, 27 %; es folgten Anfragen wegen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, 23 Prozent, oder der ethnische Herkunft – das würde unter anderem Muslime betreffen – mit ebenfalls 23 %. An vierter Stelle stehen Diskriminierungen aufgrund des Alters.

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Herr Staatssekretär, ich darf Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Jo Dreiseitel:

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einem qualitativ hochwertigen Informations-, Aufklärungs-, Präventions- und Beratungsangebot die Achtung und Wertschätzung aller Bürgerinnen und Bürger in ihrer jeweiligen Vielfalt gewährleisten können. Kein Mensch darf in Hessen aufgrund seiner Unterschiedlichkeit Nachteile erfahren. Ich bitte Sie alle, die Landesregierung dabei zu unterstützen. – Ich danke Ihnen herzlich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank.

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