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03.03.2010

Sarah Sorge zur Bewältigung der doppelten Abiturjahrgänge durch die hessischen Hochschulen in Hessen

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reißer insbesondere weist immer wieder darauf hin, dass man das, was zu loben sei, auch loben müsse, und dass die Landesregierung hier ganz toll sei. Ich muss deutlich sagen, es gibt zwei Dinge, die tatsächlich im Wissenschaftsbereich zu loben sind, und die lobe ich gerne immer wieder. Das ist einerseits die Anstrengung für den Hochschulbau mit dem HEUREKA-Programm und den Konjunkturprogrammmitteln. Das ist lobenswert. Zum Zweiten sind es die Mittel für LOEWE, also für das Forschungsförderprogramm. Das habe ich wiederholt gelobt. Ich finde, dass man das als Opposition auch gut machen kann.

Herr Kollege Reißer, aber was ich im Gegenzug verlange, ist, dass Sie auch einmal auf sich selber und danach schauen, wo die Probleme liegen und ob wir wirklich richtig an der Lösung dieser Probleme dran sind. Dieses machen Sie nämlich leider nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Wir haben bei den Hochschulen ein riesiges Problem, das Sie überhaupt nicht wahrnehmen, sondern das Sie wiederholt einfach auf die Hochschulen abschieben. Das ist die Grundfinanzierung der Hochschulen. Das vergrößert sich logischerweise, wenn immer mehr Studierende auf die Hochschulen zukommen, die Hochschulen dieses Problem aber aus eigener Kraft lösen sollen oder müssen.

Jetzt schauen wir uns einfach einmal die Faktenlage an. Es ist so, dass dieser Faktenlage auch grundsätzlich keiner widerspricht. Wir – zumindest diejenigen, die sich für diesen Themenbereich interessieren – haben heute Morgen brandaktuell eine Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes im E-Mail-Eingang vorfinden können, die besagt, die Zahl der Studierendenberechtigten ist im Jahre 2009 um 1,2 Prozent gestiegen. Die weitere Prognose zitiere ich kurz daraus:

Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, haben im Jahre 2009 nach vorläufigen Ergebnissen rund 447.200 Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben. Das waren 1,2 Prozent (+ 5.200) mehr als im Vorjahr.

Dann geht in dieser Pressemitteilung das Statistische Bundesamt darauf ein, dass in den Ländern, die früher als wir G 8 eingeführt haben, bereits jetzt eine sehr viel höhere Steigerung der Studienberechtigtenzahl ist, nämlich beispielsweise im Saarland von 47 Prozent. Das ist eine ordentliche Zahl, wenn man ansonsten von 1,2 Prozent spricht. Es sagt sehr deutlich, dass in den Ländern, in denen G 8 noch keine Wirkung hat, wie es zurzeit bei uns ist, von einer Erhöhung der Studienberechtigtenzahl um 2,6 % auszugehen ist – diese ganze G-8-Geschichte noch nicht mit eingerechnet.

Dann gibt es eine Pressemitteilung des Bundesbildungsministeriums vom 23. Februar dieses Jahres, also noch nicht so besonders alt, die ich sehr erfreulich finde. Die sagt, die Studierneigung steigt besonders bei Studienberechtigten aus hochschulfernen Elternhäusern:

Die Studierbereitschaft von Studierberechtigten aus hochschulfernen Elternhäusern ist im Jahr 2008 deutlich angestiegen. Das zeigen die neuen Zahlen einer Befragung von Studienberechtigten ein halbes Jahr nach dem Schulabschluss. Deren Studierquote ist um 6 Prozentpunkte auf 65 Prozent gewachsen.

Das ist wirklich eine gute Nachricht, denn hier wird belegt, dass auch diejenigen, die zwar eine Studienzulassung haben, bislang aber nicht den Weg in die Hochschulen gefunden haben, vermehrt in die Hochschulen gehen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, denn sie zeigt, dass die Durchlässigkeit in Deutschland – wenn sie auch minimal ist, so doch immerhin – höher wird. Aber das zeigt auch, dass auch deswegen noch mehr Studierende auf die Hochschulen zukommen.

Wir haben also diese beiden Entwicklungen ohnehin. Dazu kommen jetzt noch die zusätzlichen Studierenden aus den beiden Abiturientenjahrgängen G 8 und G 9. Wir haben das in Hessen entzerrt, aber auch hier werden weitere Studierende auf die Hochschulen zukommen.

Das ist gut so. Das betone ich hier immer wieder. Das erzähle ich seit Jahren. Denn wir brauchen in Deutschland mehr Studierende, mehr gut ausgebildete Leute – und wir brauchen in Deutschland eine höhere Chancengerechtigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Entwicklung ist gewollt und notwendig. Jetzt schauen wir uns an, wie die Politik darauf reagiert.

Wir haben den Hochschulpakt auf Bundesebene – das ist eine Reaktion auf diese Situation. Der ist aber bei Weitem nicht ausfinanziert. Darüber haben wir schon des Öfteren gesprochen. Die Hochschulen müssen hier zusätzliche Studierende aufnehmen, ohne dass ihnen das für jedes Studienfach ausfinanziert ist. Die Studienfächer sind unterschiedlich teuer. Auch das habe ich hier schon wiederholt vorgetragen: In Hessen werden diese zusätzlichen Studierenden lediglich in Höhe des billigsten Clusters finanziert, also in der billigsten Form, in der man in Hessen Studierende ausbilden kann; das sind die Wirtschaftswissenschaftler an den Fachhochschulen. Lediglich dieser Betrag wird den Hochschulen gegeben. Wenn die Hochschulen aber jemanden beispielsweise als zukünftigen Mediziner oder als Medizinerin ausbilden, dann müssen sie den restlichen fünfstelligen Betrag in Euro selbst drauflegen. Hier sind also die Hochschulen wieder die Leidtragenden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da wir immer gern die Verantwortung auf die Hochschulen abwälzen, schauen wir uns einmal an, wie das in anderen Ländern funktioniert. Denn diese Probleme mit den G-8-Jahrgängen oder mit der generellen Erhöhung der Studierendenzahlen gibt es in allen Bundesländern. Beispielsweise hat Baden-Württemberg ein Programm Hochschule 2020 aufgestellt. Aber leider ist unsere Ministerin, unsere Landesregierung dazu nicht in der Lage und hat dafür kein Konzept.

Jetzt kommen wir zu den schon öfter angesprochenen Problemen mit den Studentenwerken. Herr Reißer sagt so nett: Die haben die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. – Ich würde sagen, das ist recht freundlich. Diese Möglichkeit hätten die Studentenwerke aber auch, wenn Sie das hier nicht nochmals betonen würden.

(Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Aber schon heute haben die Studentenwerke steigende Kosten, und die Beiträge für die Studierenden sind schon jetzt gestiegen. Daher hat Frau Kollegin Wissler eben schon zu Recht gesagt, die Studierenden werden dann die Leidtragenden sein. Die Landesregierung zahlt keinen Cent dazu, sondern die Studierenden werden mit ihren Beiträgen diese erhöhten Schuldenaufkommen zahlen. Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich der falsche Weg.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Jetzt komme ich nochmals zu dem Punkt, ob man die Landesregierung loben oder nicht loben kann. Ich habe schon gesagt: Beim Hochschulbau finde ich, hier gibt und gab es durchaus einige Kraftanstrengungen, die man loben kann.

(Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, es ist aber so, dass mehr Studierende nicht nur mehr Raum benötigen, sondern auch mehr Lehrpersonal, mehr Laborplätze, mehr Wohnheimplätze. Diese gesamte Infrastruktur muss also ausgebaut werden, und sie muss – Herr Reißer, das haben Sie zu Recht gesagt – dann, wenn dieser Berg wieder reduziert wird, auch wieder abgebaut werden, und zwar so, dass die Hochschulen nicht auf diesen Kosten sitzen bleiben. Auch das ist seit Jahren hier im Hessischen Landtag Thema, ebenso zwischen Landesregierung und den Hochschulen. Trotzdem geben Sie den Hochschulen kein Signal, dass Sie beim Abbau dieser Kosten unterstützend eingreifen werden.

Das führt dazu, dass die Hochschulen natürlich keine Kapazitäten aufbauen – solange sie in dem Fall, der wahrscheinlich eintreten wird, dass es wieder weniger Studierende gibt, auf diesen Kosten sitzen bleiben. Auch hier fehlt ein Konzept der Landesregierung.

Schauen wir uns einmal an, was die Hochschulen selbst zu dieser gesamten Problematik sagen – weil Sie sagen, alle finden das so toll. Ich zitiere aus dem „Uni-Report“ der Universität Frankfurt vom 3. Februar dieses Jahres aus einem Artikel des Präsidenten Müller-Esterl. Er sagt hier:

Wenn wir den Studierenden auf dieser Basis

– gemeint sind die steigenden Studierendenzahlen –

weiterhin ein zunehmend qualitätsvolles Studium anbieten wollen, wenn unsere großen Anstrengungen der letzten Jahre, die Lehre und das Betreuungsverhältnis zu verbessern, am Ende wirklich fruchten sollen, dann brauchen wir eine deutlich bessere Grundfinanzierung … eine spürbare Steigerung und Verstetigung jener Mittel.

Schauen wir uns also an, was faktisch geplant ist. Wir konnten alle den Haushaltsaufstellungserlass wahrnehmen. Für das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst ist eine Veränderung um minus 2,6 % geplant, das macht 50 Millionen €.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Frau Ministerin, ich hätte gerne von Ihnen eine Antwort auf die Frage, wie unter diesen Rahmenbedingungen die Studierenden von morgen noch unter vernünftigen Bedingungen studieren können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Sorge.