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18.06.2009

Sarah Sorge zum Eklat um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Roland Koch ist immer wieder für eine erzkonservative Überraschung gut.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Eklat um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises ist nicht das erste Mal, dass der Hessische Ministerpräsident sehr bewusst Migrantinnen und Migranten bzw. neue Deutsche vor den Kopf stößt.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es wird leider, Herr Dr. Wagner, auch nicht das letzte Mal gewesen sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch ist das ganze Geschehen rund um die Verleihung des Kulturpreises eine neue Form von Kochs Fehltritten, denn die Preisvergabe für Toleranz ist an Intoleranz gescheitert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Was ist geschehen? – Der Hessische Kulturpreis sollte in diesem Jahr für den interreligiösen Dialog vergeben werden. Zunächst wurden vier Preisträger nominiert, darunter Kardinal Lehmann für die katholische Kirche, Prof. Steinacker für die evangelische Kirche, Herr Dr. Korn für die jüdische Gemeinde. Der ursprünglich für die Muslime nominierte Prof. Sezgin hat den Preis abgelehnt, weil er mit der Position von Dr. Korn zum Israel-Palästina-Konflikt nicht einverstanden war und den Preis nicht gemeinsam mit ihm entgegennehmen wollte. Navid Kermani wurde dann, soweit bekannt, einstimmig vom Kuratorium nachnominiert. Relativ zeitgleich hat Herr Kermani in der „Neuen Züricher Zeitung“ ein Essay veröffentlicht, in dem er sich mit einem Bild, nämlich der Kreuzigung von Reni, beschäftigt hat.

In diesem Essay setzte er sich als Moslem zunächst sehr kritisch mit der Kreuzigung auseinander und beginnt den Artikel durchaus provokant. In dem Artikel aber durchläuft er selbst als Betrachter des Bildes eine sehr erstaunliche Wandlung. Denn durch den Anblick von Renis Bild, durch diese ästhetische Erfahrung, kommt er am Ende des Artikels dazu, die Verehrung der Christen für den gekreuzigten Christus nachvollziehen zu können. Dies gipfelt in dem für einen Moslem doch sehr erstaunlichen Satz – ich zitiere –:

Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.

Allein dieses Essay zeigt, dass Navid Kermani genau der Richtige für diesen Kulturpreis gewesen wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

So ist es aber nicht gekommen, sondern genau hier hat die Kette der Skandale eingesetzt. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass die Herren Lehmann und Steinacker intellektuell in der Lage sind, diesen Artikel genau verstehen zu können. Dies haben sie leider offensichtlich nicht gewollt. Daher frage ich mich, ob sie selbst vielleicht nicht die richtigen Empfänger für diesen Preis sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich persönlich bin der Meinung, dass auch Roland Koch die intellektuelle Reife hat, diesen Artikel richtig zu verstehen. Auch er hat den Artikel aber ganz offensichtlich nicht verstehen wollen. Im Gegenteil: Kermani wurde von Lehmann und Steinacker, insbesondere aber von Roland Koch – so ist meine Interpretation –, ganz bewusst missverstanden. Damit haben uns die Vertreter der beiden christlichen Kirchen, aber auch Koch und das gesamte hochkarätig besetzte Kuratorium, bei der Intention des Preises, nämlich den Dialog zwischen den Kulturen und zwischen den Religionen zu würdigen, ganz erheblich zurückgeworfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Preisverleihung für den interreligiösen Dialog ist an religiöser Intoleranz gescheitert. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist ein Armutszeugnis für die beiden Vertreter der christlichen Kirchen. Die Reaktion von Kardinal Lehmann und Prof. Steinacker lässt mich wirklich sehr erschrocken zurück, weil ich eine solche Ignoranz und Intoleranz von diesen beiden doch recht gebildeten Männern nicht für möglich gehalten hätte.

Sie lässt sich allein psychologisch mit deren Angst vor dem Verlust der religiösen Hegemonie erklären. Und sie ist ein Armutszeugnis für das Kuratorium und seinen Vorsitzenden Roland Koch. Die Motivation für die Entscheidung wurde bislang verschwiegen. Meiner Meinung nach ist der Grund für die Entscheidung, dass hier der Meinung und der persönlichen Verletztheit von Lehmann und Steinacker mehr Gewicht eingeräumt wurde, als sachlich und tolerant auf den Stein des Anstoßes zu schauen. Dies wird aber nicht nur der Intention des Kulturpreises nicht gerecht, sondern das hat auch diffamierenden und spaltenden Charakter.

Diffamierend ist es gegenüber der Person Navid Kermani, einem iranischstämmigen Deutschen Intellektuellen, der sich gerade mit interkulturellen und interreligiösen Fragen sehr klug auseinandergesetzt und mit seinen Arbeiten schon zahlreiche Preise gewonnen hat. Sie aber haben nicht nur diese Leistung nicht anerkannt, sondern sie haben ihn ungeschützt in der Öffentlichkeit als Christenhasser dastehen lassen und damit seine intellektuelle Integrität diskreditiert. Und, Herr Koch, Sie haben wieder einmal versucht zu spalten. Wir haben über 1 Million Muslime in Deutschland. Diesen haben Sie einmal mehr zu verstehen gegeben: Mit uns kann man es ja machen, und der Christ wird im Zweifel bevorzugt.

Lehmann und Steinacker hätten genau wie der vormals nominierte Sezgin einfach auf die Annahme des Preises verzichten können. Dies wäre bei rationaler Betrachtung der richtige Weg gewesen.

Nun steht der Vorwurf im Raum, das Land Hessen lasse sich von den Vertretern der christlichen Kirchen beeinflussen. Doch Roland Koch ist nicht gerade als emotionaler Mensch bekannt, sondern als kluger Kopf und als rationaler Politstratege. Daher komme ich zu dem Schluss: Nicht die Kirchenvertreter haben Koch beeinflusst, sondern Roland Koch hat der Aufregung der beiden Kirchenvertreter in vollem politischen Bewusstsein nichts entgegengesetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat stattdessen an seine eigene Klientel und an Fulda und Limburg gedacht, statt als Landesvater die Intention des Preises zu verteidigen. Seitdem duckt er sich weg, statt die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Von der Landesregierung gab es zu dem Eklat, der über Wochen die bundesweiten Feuilletons bestimmt hat, noch gar keine Erklärung außer den zwei lapidaren Presseinformationen der Staatskanzlei. Warum schweigen Sie zu dem Vorfall und erklären sich nicht? Warum erklären Sie nicht, wie es zu der äußerst tendenziösen Auswahl der Zitate aus Kermanis Essay in der Presseinformation der Staatskanzlei kam? Warum sagen Sie z. B. nicht offen, wer die Initiative zur Einberufung des Kuratoriums ergriffen hat, um Kermani den Preis abzuerkennen? Warum äußern Sie sich nicht darüber, ob Sie Lehmanns Ansicht, Kermanis Essay sei ein fundamentaler und unversöhnlicher Angriff auf das Kreuz, teilen? – Auf all diese Fragen, die die ganze Republik hoch- und runterdiskutiert, gibt diese Landesregierung keine Antwort. Das ist ein politischer Vorgang. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, dass sich die Landesregierung, und zwar namentlich der Hessische Ministerpräsident und Kuratoriumsvorsitzender Roland Koch, dieser Debatte endlich stellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich möchte hier nur noch einmal kurz einen Nebenkriegsschauplatz aufmachen, der zeigt, mit welch gesunkenem Niveau wir es hier zu tun haben. Die Entscheidung des Kuratoriums, Navid Kermani den Preis wieder abzuerkennen, wurde am 29. April getroffen. Erst im Laufe des Tages des 13. Mai wurde vergeblich versucht, Herrn Kermani über die Entscheidung des Kuratoriums zu informieren. Sei hätten zwei Wochen Zeit gehabt, Herrn Kermani anzurufen. Diese Zeit haben Sie aber nicht genutzt, sodass Herr Kermani dann durch einen Anruf von einem FAZ-Journalisten über die Aberkennung des Preises informiert wurde. Mindestens hier, Herr Koch, hätten Sie die mitteleuropäischen Umgangsformen wahren sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Apropos Umgangsformen und Anstand: Dass die FDP sich in dieser ganzen Debatte wochenlang gar nicht geäußert hat ist nun wirklich beschämend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Weder der Integrationsminister noch die für die Kirchen zuständige Kultusministerin haben sich geäußert. Auch im Wissenschaftsausschuss verhielten sich die drei FDP-Abgeordneten wie die berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen. Das armselige Spiel, das Sie hier veranstaltet haben, meine Herren von der FDP, hätte es mit Ruth Wagner nicht gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Sarah Sorge:

Der Präsident des Deutschen Bundestags, Herr Prof. Lammert, hat den Eklat um den Hessischen Kulturpreis als „Staatsposse“ bezeichnet, und er hat das schöne Zitat gebracht: Kultur ist schön, Toleranz auch, beides ist ohne Anstrengung nicht zu haben.

US-Präsident Obama hat in seiner viel beachteten Rede zum Verhältnis der westlichen Welt gegenüber dem Islam, die als eine Absage an den Kampf der Kulturen gewertet wurde, vor ein paar Tagen in Kairo von vielem gesprochen, was im interreligiösen Dialog wichtig wäre: von neuem Denken, vom Brückenschlagen, vom „Abschied vom Minenfeld der ewigen Missverständnisse“.

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit überzogen.

Sarah Sorge:

Herr Präsident, mein letzter Satz: Ich persönlich erwarte trotz der Erfahrungen mit Roland Koch aus den letzten Jahren und der Abhärtung gegenüber seinem Politikstil doch noch etwas Niveau. Herr Koch, entschuldigen Sie sich bei Navid Kermani. Das ist wirklich das Mindeste.