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29.04.2010

Sarah Sorge zu: Unterzeichnung des Hochschulpakts 2011-2015 verschieben und unter Einbeziehung der Hochschulen neu verhandeln

Vizepräsident Lothar Quanz:

Ich darf Frau Kollegin Sorge das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteilen.

Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Fast jeder in Hessen sieht ein, dass gespart werden muss. Das möchte ich hier zu Beginn der Diskussion einmal festhalten.

(Zuruf des Abg. Minister Michael Boddenberg)

– Herr Boddenberg, ich habe „fast jeder“ gesagt. Ich wusste nicht, dass Sie derjenige sind, der nicht dazugehört. Ich hatte eigentlich die Linkspartei in Verdacht. Aber auch ich lerne gern dazu.

Wir streiten uns deutlich darüber, an welchen Stellen gespart werden kann und an welchen Stellen die Einschnitte so groß wären, dass sie gesellschaftlichen Schaden anrichten würden. Und wir streiten darüber, ob steuerliche Entlastungen bei den wichtigen Zukunftsinvestitionen, die wir treffen müssen, und bei der schlechten Lage der öffentlichen Haushalte vernünftig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE fordern ein Sparkonzept, das insbesondere dem Bildungsbereich eine deutliche Priorität einräumt, denn es wäre falsch, mit dem Rotstift anzusetzen, wo sich in Zukunft die fatalsten Auswirkungen bemerkbar machen werden. Für den Bildungsbereich bedeutet das: keine Einschnitte bei Qualität und den Bemühungen für mehr Chancengerechtigkeit. – Im Hochschulbereich heißt das: kein Sparen bei der Lehre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, nun hat der stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn das Motto ausgerufen: Intelligent sparen statt dumm kürzen. – Das Erste, was ihm dazu einfällt, ist, an der Intelligenz zu sparen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist doch wirklich absurd, das ist dumm, und es ist dumm, dass Sie hier Ihrem eigenen Maßstab nicht gerecht werden.

(Zuruf von der CDU – Lachen bei der FDP)

Ich habe kein Wort verstanden, aber wenige haben gelacht.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Schauen wir uns einmal an, welche Auswirkungen Ihre angekündigten Vorschläge haben werden. Herr Dr. Büger, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dieselben Reflexe gezeigt haben, die leider auch bei der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen vorhanden sind, immer auf Haushalte im letzten Jahrhundert zu verweisen, aber nicht auf die Verantwortung, die Sie aktuell tragen.

Sie wollen den Hochschulen 34 Millionen Euro wegnehmen, und das in einer Situation – dazu gehört, dass man sich die Situation in den Hochschulen anschaut –, wo die Hochschulen durch den Anstieg der Studierendenzahlen, durch den erhöhten Betreuungsaufwand wegen der Bologna-Reform, durch die steigenden Personalkosten, die mit 4 Millionen Euro für die Hochschulen bei Weitem nicht abgedeckt sind, und die bestehende notorische Unterfinanzierung ohnehin schon vor sehr großen Herausforderungen stehen, denn sie müssen auch ohne Kürzung schon jetzt immer mehr Studierende mit im Verhältnis sinkenden Mitteln ausbilden. Zwangsläufig wird die Qualität leiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Gerade weil die Qualität des Studiums leiden wird, muss man sich genau ansehen, welche strukturellen Entscheidungen Sie neben den Kürzungen mit dem Hochschulpakt noch treffen wollen. Es ist geplant, innerhalb des Budgets rund 20 Millionen Euro – jüngst habe ich sogar von 50 Millionen Euro in der Zeitung gelesen – in die Projektförderung, die die Forschungsförderung zu geben und damit von dem Anteil im Grundbudget, wie Sie es gerade beschrieben haben, Herr Dr. Büger, der für die Lehre vorgesehen ist, zu kürzen. Das ist der falsche Weg.

Wenn Sie hier beschreiben, wie der Weg aussieht, dann wäre ich der Ministerin und der Landesregierung dankbar, endlich einmal allen hier zu sagen, was sie im Detail überhaupt vorhat. Wir hören nur Gerüchte. Die genauen Planungen kennen wir überhaupt nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Meine Damen und Herren, gerade das Geld aus der Lehre wegzuziehen, ist eine falsche Richtungsentscheidung, denn Menschen für den Arbeitsmarkt, aber auch für die Wissenschaft gut auszubilden, ist die Kernaufgabe unserer Hochschulen. Wer diesen Bereich auch noch bei steigenden Studierendenzahlen das Geld entzieht, der nimmt Qualitätsverschlechterungen in Kauf.

Hierzu kommt, dass das Geld bislang zwischen den Hochschulen ungerecht verteilt wurde. Auch hier kennen wir die genauen Planungen noch nicht. Hier wurde bei den Mitteln für den Hochschulpakt 2020 nachgebessert. Das ist aber noch nicht der ganze Teil der ungerechten Finanzierung, denn in der Vergangenheit war es schon so, dass einige Hochschulen weit über den vereinbarten Zahlen hinaus ausgebildet haben,

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

andere Hochschulen weniger Studierende ausgebildet haben, als sie finanziert bekamen. Daher gibt es eine faktisch ungerechte Bezahlung der Hochschulen untereinander, die insbesondere die Fachhochschulen benachteiligt, aber auch die nordhessischen und mittelhessischen Universitäten. Eine Neuverhandlung des Hochschulpaktes wäre genau der richtige Zeitpunkt, um diese Ungerechtigkeiten auszutarieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Herr Kollege Blum, das ist hier die Faktenlage. Intelligentes Sparen sieht anders aus. Ein auf Augenhöhe vereinbarter Hochschulpakt sieht auch anders aus.

Aus diesem Grunde solidarisieren sich – Frau Kollegin Wissler hat es hier schon in Zitaten vorgelesen, wahrscheinlich hat es ihr auch besonders gut gefallen – sogar schon die Wirtschaftsverbände mit den Hochschulen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Meine Herren von der FDP, wenigstens das sollte Ihnen doch zu denken geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Tag für Tag erreichen uns neue Resolutionen, Protestnoten und eindringliche Briefe aus den Hochschulen. Die Senate der Fachhochschulen in Frankfurt und Wiesbaden fordern ihre Präsidenten dazu auf, den Hochschulpakt nicht zu unterzeichnen. Dekaninnen und Dekane der Universitäten Marburg und Gießen schlagen Alarm. Die Präsidenten der Universität Gießen und der Fachhochschule Gießen-Friedberg bitten eindringlich darum, nicht in der Grundfinanzierung zu sparen, da gerade solche Kürzungen wichtige Strukturen zerstören. Auch die Universitäten in Frankfurt und Darmstadt pochen und hoffen auf Neuverhandlungen des Paktes.

Meine Damen und Herren, das alles sind doch alarmierende Hilferufe der Hochschulen.

(Horst Klee (CDU): Eieiei!)

Frau Ministerin, ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie auf Empfehlung des Sicherheitsdienstes nach einer Minute Ihrer Rede von einer Veranstaltung der Universität Marburg weggehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Matthias Büger (FDP))

Was Ihnen und der Regierung hier vielmehr vorzuwerfen ist, ist, dass Sie hierfür die Schuld bei den anderen suchen und die Hochschulleitung der Universität Marburg beschimpfen. Frau Ministerin, das ist schlechter Stil.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Schauen wir uns doch einmal generell an, wie die Ministerin reagiert. Sie setzt sich nicht mit den Inhalten dieser Kritik auseinander, sondern sie droht den Hochschulen noch unverhohlen mit Kürzungen, wenn sie nicht parieren. Einen solchen Umgangsstil mit den Hochschulen hat es in den letzten Jahrzehnten in diesem Land wirklich nicht gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Dieser Stil, der hier im Umgang mit den Hochschulen eingekehrt ist, ist wirklich schwer zu ertragen. Die Landesregierung sieht die Hochschulen nicht mehr als Partner des Hochschulpakts, sondern sie will die Bedingungen einfach diktieren.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Frau Ministerin, bewusst argumentieren Sie mit den Rücklagen der Hochschulen, um vorzuspiegeln, bei den Hochschulen liege Geld ungenutzt auf der hohen Kante.

Das ist nicht der Fall. Dieses Geld haben die Hochschulen aus gutem Grund zurückgelegt, denn sie brauchen es. Und Sie wissen selbst ganz genau, wofür sie es brauchen: für Berufungszusagen, für Mittel zur Anmietung neuer Räume, weil die Hochschulen wegen HEUREKA umziehen. Das alles wissen Sie, und teilweise ist das auch mit Ihnen vereinbart. Jetzt vorzuspiegeln, das Geld sei vorhanden und damit seien diese Kürzungen aufzufangen – das ist wirklich der blanke Hohn, wie Sie hier mit den Hochschulen umgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

– Es ist schön, dass Sie in tiefer Sorge sind. Ich kann Ihnen einmal sagen, was ich bin – ich habe es eben schon dazwischengerufen: Ich bin in der Situation – das muss man sich einmal vorstellen! –, dass ich mir sehnlichst Ruth Wagner als Wissenschaftsministerin zurückwünsche. Das müsste Ihnen nun wirklich zu denken geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Frau Ministerin, Sie argumentieren hier wiederholt mit diesen Rücklagen, anstatt für die Interessen der Hochschulen zu kämpfen. Sie exekutieren allein die Forderung des Finanzministers. Das zeigt doch, dass Sie nicht die Ministerin sind, die die Hochschulen dieses Landes, die die Studierenden dieses Landes verdient haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine Damen und Herren, von einer Wissenschaftsministerin wünsche ich mir, dass sie der Kritik aus den Hochschulen endlich einmal zuhört,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

anstatt andere zu beschimpfen und ihnen zu drohen.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Sorge, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sarah Sorge:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Tag für Tag erreichen uns neue Resolutionen und Briefe aus den Hochschulen, und die sind nicht nur von den Studierenden, sondern auch von den Professorinnen und Professoren, von den Hochschulleitungen. Diese Kritik ist durchaus mit konstruktiven Vorschlägen verbunden. Diese Vorschläge nicht wenigstens zu diskutieren – das ist ignorant.

Meine Damen und Herren, daher fordern wir GRÜNE eine Verschiebung des Hochschulpakts und eine Neuverhandlung auf Augenhöhe. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Sorge.