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14.12.2011

Sarah Sorge: Wegfall der sexualmedizinischen Ambulanz an der Goethe-Universität

Verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat das Thema Schließung der Sexualambulanz an der Universität Frankfurt auf die Tagesordnung gesetzt, weil wir die Hoffnung haben, dass es hier doch einmal möglich ist, dass Argumente überzeugen können.

Wir erinnern uns alle, wie erschüttert die gesamte Gesellschaft im letzten Jahr war, als immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch ans Tageslicht kamen. Über Monate bestimmte das Thema die Medien und die gesellschaftlichen Debatten. Im März letzten Jahres haben wir im Landtag eine Debatte über den sexuellen Missbrauch geführt, die in der Qualität der Argumente sicher als besonderes Beispiel in unsere Parlamentsgeschichte eingehen kann. Gemeinsam wurden die schrecklichen und zahlreichen Fälle von sexuellem Missbrauch insbesondere in den Einrichtungen der katholischen Kirche und der Odenwaldschule verurteilt und Maßnahmen gegen den sexuellen Missbrauch eingefordert.

Meine Damen und Herren, zusätzlich haben wir in einer gemeinsamen großen Anhörung, an der sich neben dem Parlament das Justiz-, das Kultus- und das Sozialministerium beteiligt haben, über Maßnahmen gegen den sexuellen Missbrauch beraten. – Lassen Sie mich deutlich sagen: Genau deshalb hätte ich mir gewünscht, wenn an dieser Debatte mehr Ministerinnen und Minister teilgenommen hätten als lediglich die Wissenschaftsministerin und der Minister für Bundesangelegenheiten, weil die drei betroffenen Ministerien bei diesem Thema sicher auch gut hätten zuhören können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Die Bundesregierung hatte zum gleichen Thema einen runden Tisch eingerichtet, der erst vor Kurzem seinen Abschlussbericht abgegeben hat. Obwohl sich das Thema sexueller Missbrauch wider alle Erfahrungen mit der Mediengesellschaft erfreulich lange in der Debatte hielt, ist auch bei diesem Thema die mediale Aufmerksamkeit nach einer Weile verebbt. Es wird heute kaum noch nachgefragt, was sich in den Internaten, in der Kirche und den Verbänden tatsächlich verändert hat, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Das ist traurig, und es ist der Sache sowie der Intensität der im letzten Jahr geführten gesellschaftlichen Debatte nicht angemessen.

Meine Damen und Herren, ich möchte heute den Fokus auf einen Teilausschnitt dieser Debatte richten, nämlich auf die Prävention und die unverantwortliche Schließung der Sexualambulanz an der Universität Frankfurt. Am 30. November dieses Jahres, also vor genau zwei Wochen, hat der runde Tisch zum sexuellen Kindesmissbrauch seinen Abschlussbericht veröffentlicht. Dieser empfiehlt den Ausbau sowie die flächendeckende Abdeckung primärer Präventionsangebote. Es sei unverzichtbar, den Blick auch auf potenzielle Täter zu richten und präventive Angebote für Menschen, die auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben, aber diese nicht ausleben wollen, zu schaffen.

Die Sexualambulanz in Frankfurt war genau so ein Präventionsangebot. Die Sexualambulanz war eine der wenigen bundesweiten Anlaufstellen, in der sich Menschen mit sexuellen Störungen, so z. B. auch Pädophile, beraten lassen konnten. Sie war auch eine der wenigen Einrichtungen, die Therapeutinnen und Therapeuten bei Fragen rund um das Thema sexuelle Störung und sexuelle Traumatisierung fortgebildet und beraten hat. Diese Sexualambulanz aber wurde geschlossen.

Meine Damen und Herren, in Gesprächen um den von der Bundesregierung zum sexuellen Missbrauch eingerichteten runden Tisch wurde ein dringender Bedarf an Beratungs- und Therapiestellen festgestellt. In Hessen wird eine solche Stelle zum gleichen Zeitpunkt einfach abgewickelt, und die Wissenschaftsministerin und der Sozialminister schauen zu.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist zur gleichen Zeit, zu der das Sozial-, das Justiz- und das Kultusministerium in Hessen gemeinsame Maßnahmen gegen den sexuellen Missbrauch erarbeiten. Dass eine solch wichtige Präventionseinrichtung zum gleichen Zeitpunkt geschlossen wird, das macht mich wirklich fassungslos.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Diese Entscheidung passt so wenig in die gesellschaftliche Debatte, sie ist so wenig nachzuvollziehen, dass mir wegen des Entsetzens über diese Entscheidung tatsächlich die geeigneten Worte fehlen. Denn beim Thema des sexuellen Missbrauchs bedarf es natürlich sowohl einer guten psychologischen Beratung für die Opfer, selbstverständlich; aber es bedarf eben auch einer Beratung und Therapie für potenzielle Täter im Sinne der Prävention. Frau Ministerin, daher möchte ich nochmals erneut eindringlich fordern, dass Sie in dieser Sache endlich aktiv werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Schätzungen gehen davon aus, dass es in Deutschland etwa 250.000 Pädophile gibt. Jeder Einzelne, der über eine psychologische Betreuung nicht zum Täter wird, ist diese Präventionsmaßnahme wert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Kinder, über die wir im letzten Jahr in der Plenardebatte um den sexuellen Missbrauch gesprochen haben, haben es verdient, dass wir uns auch um diese tickenden Zeitbomben kümmern und sie entschärfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, im Laufe der Debatte um die Schließung der Sexualambulanz wurde ich von einem Pädophilen anonym angeschrieben, der sich therapieren lassen wollte, um nicht zum Täter zu werden. In einem Brief habe ich Frau Kühne-Hörmann und auch Herrn Grüttner um Hilfe gebeten, was ich ihm raten soll.

Die Landesregierung war aber wenig hilfreich. Als Beratungsangebot verwies sie auf die abgewickelte Sexualambulanz und auf die Praxis des ehemaligen Institutsleiters Prof. Sigusch, der nur noch ein paar wenige Stunden in der Woche therapiert, und das auch nur noch für Privatpatienten.

Diese Antwort der Landesregierung hat mich sehr hilflos zurückgelassen. Für diesen Stil, dieses mangelnde Problembewusstsein, für diese Ignoranz bei einem so wichtigen Thema, das wir gemeinsam hier im letzten Jahr als ein gesellschaftlich so relevantes Thema erachtet haben – dafür habe ich mich wirklich geschämt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Frau Ministerin, meine Damen und Herren, dieses Thema ist zu ernst und zu wichtig, um die Verantwortung dafür abzuschieben. Hier einfach auf die Autonomie der Hochschulen zu verweisen, reicht wirklich nicht aus. Sie, Frau Ministerin, sind nach wie vor für die wissenschaftspolitischen Weichenstellungen dieses Landes verantwortlich. Hätten Sie gewollt, hätten Sie eingreifen können. So wurde beispielsweise parallel zur Schließung der Sexualambulanz die Zielvereinbarung mit der Goethe-Universität geschlossen. Dies wäre ein Hebel gewesen, die Sexualambulanz zu retten. Oder Sie hätten an eine Angliederung an das Sigmund-Freud-Institut denken können.

Die Hände in den Schoß zu legen und mit den Schultern zu zucken, das ist hierbei wirklich zu wenig. Ich wiederhole: Es geht hier nicht darum, den Tätern zu helfen. Es geht darum, den Opfern zu helfen. Es geht darum, tickende Zeitbomben zu entschärfen.

Meine Damen und Herren, jeder einzelne Pädophile, der nicht zum Täter wird, sollte es uns wert sein, hier innezuhalten und zu überlegen, ob diese Entscheidung eine richtige war. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Sorge.