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31.01.2012

Sarah Sorge: Regierungserklärung der Ministerin für Wissenschaft und Kunst

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben am Ende Ihrer Rede davon gesprochen – einige erinnern sich vielleicht daran, inzwischen ist fast schon eine Stunde vergangen –, dass Sie im Kleinen von großen Fragen überzeugen wollen. Das klingt sehr schön. Ich unterstütze es auch, weil das ein Spruch ist, mit dem sehr gut ausgedrückt wird, wo wir ansetzen müssen, wenn wir den Forschergeist wecken und die Entwicklung von Innovationen unterstützen wollen.

Sie haben es weiterhin so dargestellt, als ob die Landesregierung Erfindergeist, Wissensdrang und Innovation auf ihre Fahnen geschrieben hätte. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in der Landesregierung überall der Fall ist. Sie haben nämlich nicht nur das Beispiel mit dem Auto gebracht, sondern auch davon gesprochen, dass Spülmaschinen und Waschmaschinen zu den hervorragenden Innovationen gehörten, von denen wir heute alle Gebrauch machen. In diesem Zusammenhang möchte ich nur ganz kurz an das legendäre Interview des Ministerpräsidenten Bouffier in der „Bild“-Zeitung erinnern, in dem er sagte:

Die Waschmaschine ist ein hochkompliziertes elektrisches Wunderwerk. Das sollte man nicht stören.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Ministerin, ich glaube, es wäre ganz gut, wenn Sie Ihren Kollegen, Herrn Ministerpräsident Bouffier, auch im Kleinen von großen Fragen überzeugen könnten. Dann hätten wir nämlich nicht nur einen erkenntnispolitischen, sondern sehr wahrscheinlich auch einen frauenpolitischen Gewinn daraus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der Herr Kollege Al-Wazir wird wahrscheinlich in Rumpenheim noch mit der Hand waschen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, ich habe das hier an dem Pult schon öfter gesagt. Wir GRÜNEN loben die steigenden Hochschulmittel. Wir GRÜNEN loben auch das Forschungsprogramm LOEWE, und wir loben auch die baulichen Investitionen in die Hochschulen mit dem Programm HEUREKA. Es ist unbestritten, dass LOEWE wichtige Impulse für die Wissenschaft und natürlich auch für die Wirtschaft bringt.

Aber diese Regierungserklärung ist auch irgendwie sehr erstaunlich gewesen. Die Hochschulen sind überfüllt. Die Studierendenzahlen steigen weiter, und die Wissenschaftslandschaft ist seit über zehn Jahren in einem enormen Umbruch. In Hessen warten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Präsidien der Hochschulen, die Studierenden und alle, die sich für die Wissenschaftslandschaft interessieren, seit Jahren auf die Vorstellung und auf Impulse zu den zahlreichen Herausforderungen im Wissenschaftsbereich.

Wir haben einen wahnsinnigen Studierendenansturm, der weiter steigt. Herr Kollege Grumbach hat auch darauf hingewiesen, dass inzwischen davon auszugehen ist, dass da eben nicht nur ein Studierendenberg ist, der wieder abnehmen wird, sondern dass es neue Prognosen gibt, die davon ausgehen, dass dieser Studierendenberg noch eine ganze Weile weiter ansteigen wird. Wir haben die große Frage nach der Gerechtigkeit in der Hochschulfinanzierung. Wir haben die Umstellung auf Bachelor und Master und damit verbunden die Diskussion um das sogenannte Bulimielernen. Wir haben die Anforderungen der Wirtschaft an die Studierenden und die Diskussion darüber, ob über Bachelor und Master die Studierenden noch so ausgebildet werden, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden. Wir haben auch einen Bildungsauftrag von Hochschulen. Wir wollen schließlich verantwortliche Menschen und verantwortliche Wissenschafterlinnen und Wissenschaftler ausbilden, die gesellschaftliches Gespür für das haben, was sie tun – siehe Finanzkrise, siehe Ehrenkodex EBS und siehe generell die Herausforderungen dieser Gesellschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben neben dem Ansturm der Studierenden auf die Hochschulen eine Diskussion, wie wir das Bildungssystem generell chancengerechter gestalten können. Dazu gehört ganz sicher auch die Frage, wie wir den Zugang zu den Hochschulen weiter chancengerechter gestalten können. Und wir haben natürlich gerade jetzt noch einmal mit der immer weiter steigenden Zunahme an Studierenden die Frage, wie wir bessere Studienbedingungen und eine bessere Lehre unter diesen Bedingungen erreichen können.

Dies alles sind erst einmal im Groben die Herausforderungen in der Wissenschaftslandschaft. Jetzt haben wir die erste Regierungserklärung dieser Ministerin zum Thema Wissenschaftspolitik überhaupt. Sie begnügt sich, obwohl wir alle von diesen Herausforderungen in der Wissenschaftslandschaft wissen, einfach nur mit Eigenlob. Sie begnügt sich mit Eigenlob, statt auf all die grundlegenden Probleme an den hessischen Hochschulen auch nur mit einem kleinen Satz einzugehen. Wir haben zahlreiche Baustellen und Problemlagen, auf die mit wissenschaftspolitischen Konzepten zu reagieren wirklich nötig wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Diese Regierungserklärung der Ministerin hat wieder einmal erschreckend dokumentiert, dass sie meilenweit von der Realität an den hessischen Hochschulen entfernt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Kühne-Hörmann, den zahlreichen Menschen, die nicht in Exzellenzprogrammen forschen, sondern die in überfüllten Hörsälen oder sogar in Kinos lehren oder lernen oder auch dem wissenschaftlichen Mittelbau, der sich mit immer unsichereren Arbeitsverträgen abfinden muss, diesen Menschen kann diese Regierungserklärung sicher nur wie eine Verblendung und eine Verhöhnung der realen Verhältnisse an den Hochschulen vorkommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verstehen Sie mich nicht falsch. Zu dem Zeitpunkt, zu dem LOEWE erfunden wurde, nämlich in der Hochphase der Exzellenzinitiative – und nebenbei erwähnt, weil die Ministerin sich hier so mit Eigenlob bedeckt, wurde es von dem ehemaligen Wissenschaftsminister Udo Corts erfunden –, war das hessische Forschungsprogramm LOEWE eine strategische Antwort auf ein erkanntes Problem. Zu diesem Zeitpunkt war es eine strategisch richtige Antwort. Es war eine gute und nach vorn weisende Antwort.

Das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist, dass die Wissenschaftsministerin aus meiner Sicht genau diese Aufgabe, nämlich die Lage an den Hochschulen und der Wissenschaftslandschaft erst einmal genau zu analysieren und dann auf diese Analyse die passende Antwort zu setzen, hier nicht erfüllt hat. Das ist mit dem aktuellen Selbstlobhudeln dieser aktuellen LOEWE-Staffel aus meiner Sicht nicht geschehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ministerin führt hier einfach eine Idee ihres Vorgängers weiter und erhofft sich dadurch den gleichen Erfolg, den gleichen Glanz und das gleiche Licht des Leuchtturms einzuheimsen. Leider aber schaut sie dabei weder rechts noch links an diesem LOEWE-Glanz vorbei auf die realen Entwicklungen an den Hochschulen.

Schauen wir uns die Problemlagen doch noch einmal im Einzelnen an. Wir haben mehr Studierende. Das erzählen wir hier seit Jahren. Inzwischen können es vielleicht einige schon nicht mehr hören. Aber das ist durchaus nach wie vor ein großes Problem, mit dem die Hochschulen zu kämpfen haben. Hier haben wir nicht nur dieses Mehr an Studierenden durch die Umstellung auf G 8 und die teilweise doppelten Jahrgänge sowie durch die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern wir haben es generell mit einer gestiegenen Studierneigung zu tun. Das ist im Prinzip auch gut so, weil wir immer wieder sagen – und das ist auch richtig –, dass wir, um wettbewerbsfähig zu sein, in Zukunft – und dieses Stichwort hat die Frau Ministerin in ihrer Regierungserklärung wiederholt auch benannt – Innovationen brauchen, in die Köpfe investieren müssen und einfach in Deutschland gut ausgebildete Leute haben müssen, die diesen Anforderungen an immer mehr Fachwissen in Arbeit, aber auch in Wissenschaft erfüllen.

Allerdings haben wir hier noch weitere Problemlagen, und zwar durch diese Fülle. Wir hatten schon über Jahrzehnte hinweg eine viel zu geringe Grundfinanzierung der Hochschulen. Dieses Problem haben wir aber nicht nur fortgetragen, sondern dieses Problem hat sich inzwischen vergrößert – und zwar dadurch, dass die Studierendenzahlen extrem gestiegen sind. Wir haben außerdem das Problem, dass wir durch diese Unterfinanzierung am Rande dessen sind, wo man Studierende noch wirklich gut ausbilden kann. Wir müssen uns also dringend Gedanken machen, wie wir gerade durch die Umstellung auf Bachelor und Master und eine andere Generation von Studierenden, die durch diese Umstellung auch anders im Studierverhalten erzogen wurde, hier sicherstellen, dass die Qualität nicht abnimmt, sondern im Idealfall sogar gesteigert wird, wie sich Studienbedingungen verbessern lassen und wie wir auch qualitative Verbesserungen didaktisch in der Lehr erreichen.

Wir haben das Ziel, die Abbrecherquoten zu senken. Auch das ist in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsfraktionen als ein großes Ziel ausgegeben. Wenn wir uns die jüngste Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der GRÜNEN einfach noch einmal vergegenwärtigen – ich nehme an, Sie haben sie alle gelesen –, merken wir, dass hier nicht so viele Instrumente Anwendung finden, wie es richtig wäre. Aber gerade dann, wenn wir wenige Mittel haben und diese Mittel so einsetzen müssen, dass sie auch da ankommen, wo sie hingehören, müssen wir uns dringend Gedanken machen, wie wir es hinkriegen, die Abbrecherquoten zu senken. Denn jeder, der ein Studium abbricht, war in erster Linie eine Fehlinvestition. Insofern ist es sehr wohl gut, dass die Landesregierung sich im Koalitionsprogramm dieses Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Leider vermisse ich – Herr Dr. Büger, Sie nicken so fleißig – die Handlungen in diesem Bereich, wie Sie das umsetzen wollen. Das Thema haben Sie gut erkannt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben das riesige Problem der Zugangschancen. Dieses Problem wird sich sehr wahrscheinlich noch verschärfen, zum einen wegen der Unterfinanzierung der Hochschulen und dem Andrang auf die Hochschulen, zum anderen aber auch wegen der Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master. Schon jetzt ist bei den ersten Masterplätzen zu hören, dass nicht alle, die dazu geeignet wären, nach dem Abschluss Bachelor zum Master-Studium wechseln können. Offensichtlich gibt es schon jetzt zu wenige Plätze für die Ausbildung zum Masterabschluss.

Das ist genau das Problem, das wir zu Beginn des Bologna-Prozesses diskutiert haben. Da waren sich alle einig. Durch die Einführung der Abschlüsse Bachelor und Master darf es nicht zu einer Verflachung der Grundausbildung der gesamten Gesellschaft kommen.

Genau dieses Problem haben wir jetzt. Wir müssen dafür sorgen, dass mindestens genauso viele, wie früher, die die Abschlüsse Diplom, Master oder adäquate andere Abschlüsse gemacht haben, jetzt Plätze für den Abschluss Master bekommen und dann selbstverständlich auch mit dem Master abschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir haben aber nicht nur das Problem der Verflachung der Ausbildung. Vielmehr haben wir aber auch noch ein anderes Problem bei der Ausbildung zum Master. Auch da gibt es erste Studien, die davor warnen, dass das wieder ein Instrument ist, die Chancenungleichheit im Bildungssystem zu zementieren.

Es gibt z. B. Untersuchungen, die zeigen, dass es weit weniger Frauen gibt, die nach dem Abschluss Bachelor den Abschluss Master anstreben. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass es wieder die „üblichen Verdächtigen“ trifft, nämlich die, die aus den sogenannten bildungsfernen Schichten kommen, die sich mit dem Bachelor begnügen. Da müssen wir als Gesellschaft – das ist nicht allein die Aufgabe der Hessischen Landesregierung, sondern der Gesellschaft – aufpassen, dass wir da nicht wieder strukturelle Instrumente einführen, die dazu führen, dass die üblichen benachteiligten Gruppen weiterhin aufgrund der Strukturen benachteiligt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gernot Grumbach (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir haben einen weiteren großen Themenkomplex, der auch sehr wichtig hinsichtlich der Fragestellung ist, die die Ministerin in der Regierungserklärung angesprochen hat. Dabei geht es um Antworten auf die Frage nach guter Forschung, nach Innovation und nach Ideen zur Lösung der Probleme dieser Welt. Das betrifft also die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dabei geht es vor allem darum, die guten Leute an den Hochschulen zu halten, damit sie eine Karriere als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler überhaupt anstreben.

Auch da gibt es das Problem, dass es durch die Umstellung aufgrund des Bologna-Prozesses, also durch die Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master, ein anderes Lern- und Lehrverhalten gibt. Viele Menschen, die aufgrund der alten Struktur vielleicht automatisch an der Hochschule geblieben wären, kommen aufgrund des Denkens, fertig werden zu müssen, überhaupt nicht mehr auf den Gedanken, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben. Wir müssen da wirklich aufpassen, dass wir dadurch nicht innovatives Potenzial an die Wirtschaft verlieren. Denn wir müssen als Gesamtgesellschaft ein enormes Interesse daran haben, die guten Köpfe in den Hochschulen zu halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

Ein weiterer Themenkomplex ist die Weiterbildung. Das ist etwas, was immer ein bisschen untergeht. Bei der Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master ist das ein breit diskutiertes Feld gewesen. Wir haben gesagt: Es kann für die Entwicklung eines Menschen durchaus gut sein, wenn er erst einmal eine wissenschaftliche Grundausbildung mit Abschluss Bachelor macht und dann ins Arbeitsleben geht. Danach kann er beispielsweise den Abschluss Master noch draufsetzen, oder er kann an einer Hochschule einen zusätzlichen Master auf einem anderen Gebiet machen, etwa dem, auf dem er gearbeitet hat. Er kann aber auch über andere Formen der Weiterbildung an die Hochschulen zurückgehen.

Auch diese Form des lebenslangen Lernens hat etwas damit zu tun, wie wir in der internationalen Konkurrenz aufgestellt sind. Dabei geht es ums Wirtschaftliche, aber natürlich auch um die guten Ideen.

Das ist aus meiner Sicht ein riesengroßes Thema, mit dem sich eine Wissenschaftsministerin beschäftigen sollte. Sie sollte da Ideen entwickeln, mit denen sie Antworten auf die Frage hinsichtlich der aktuellen nicht stattfindenden Entwicklungen geben sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt ein weiteres riesengroßes Thema. Da rollt etwas auf uns zu. Das hat sehr wohl explizit mit LOEWE zu tun. Das betrifft die Arbeitsbedingungen in den Hochschulen. Da geht es um die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Hochschulen unterhalb der Professur.

Die LOEWE-Projekte bieten zwar gute Forschungsbedingungen, aber die LOEWE-Projekte sind genauso wie die Drittmittelprojekte oder andere Forschungsprojekte für eine bestimmte Zeit angesetzt. Sie bieten den Hochschulen keine Verlässlichkeit.

Das führt an den Hochschulen strukturell dazu, dass unser wissenschaftlicher Nachwuchs in immer kürzer befristeten Zeitverträgen hängt. Das betrifft selbst den wissenschaftlichen Nachwuchs, der in den Exzellenzprojekten und den Exzellenzinitiativen der Bundesebene oder auch in den LOEWE-Projekten arbeitet.

Ob das wirklich die Arbeitsbedingungen sind, die dazu führen, dass diese klugen Köpfe, die wir unbedingt fördern und die wir unbedingt in Hessen und in Deutschland halten wollen, sich auch genug Wert geschätzt fühlen, möchte ich doch mit einem sehr großen Fragezeichen versehen. Ich glaube, das ist eines der drängendsten Probleme, mit dem wir uns im Hinblick auf die Innovation und auf gute neue Forschungsideen dringend beschäftigen müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gernot Grumbach (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich habe es eben schon angedeutet. Genau das sind die Probleme bei LOEWE. Genau deswegen habe ich gesagt: Zu der Zeit des Udo Corts war das Programm LOEWE die richtige Antwort. Aber angesichts der momentanen Entwicklung der Hochschulen ist LOEWE, wenn keine anderen zusätzlichen Antworten gegeben werden, die falsche Antwort. Denn LOEWE glänzt zwar, aber daneben wird es immer trüber. Denn der Schein von LOEWE glänzt nicht etwa auf die anderen Bereiche ab, sondern er zieht die Möglichkeit ab, in der breiten Fläche zu schimmern oder zu leuchten.

Das führt also dazu, dass die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schlechter werden. LOEWE führt aber auch dazu, dass diese Mittel der Grundfinanzierung der Hochschulen fehlen. Aufgrund der eben beschriebenen Strukturen, dass nämlich immer mehr Menschen an die Hochschulen kommen, zementiert das die Unterfinanzierung der Grundfinanzierung der Hochschulen.

Das bedeutet, nur diejenigen, die sich in Exzellenzprojekten befinden, beispielsweise in LOEWE-Projekten, finden einigermaßen gute Forschungsbedingungen vor. Aber diejenigen, die in anderen Bereichen forschen, müssen mit immer weniger Geld, mit immer mehr Studierenden und mit immer größeren Anforderungen an die Lehre, also mit immer weniger Zeit für ihre Forschungsprojekte, zurechtkommen.

Frau Ministerin, ich glaube, damit geht es genau in die falsche Richtung. Denn wir brauchen überall gut ausgebildete Köpfe. Es muss überall Anreize für Innovationen geben. Das darf es nicht nur in einzelnen Leuchtturmprojekten geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gernot Grumbach (SPD), Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

30 Minuten gehen doch schneller vorbei, als ich zu Anfang meiner Rede gedacht habe. Deswegen muss ich meine Rede langsam ein bisschen straffen.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

– Das ist aus meiner Sicht so. Aber Sie sitzen noch da und hören fleißig zu. So schlimm kann es also nicht sein.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Müller, ich will Sie nicht quälen. Deswegen fasse ich mich bei dem einen Part kurz, denn den haben wir wirklich schon oft genug erörtert.

Die Kürzung beim Hochschulpakt beträgt 30 Millionen Euro. Die Ministerin lobt sich immer für den Aufwuchs in Höhe von 20 Millionen Euro. Aber man muss eines immer dazusagen, damit die Leute das nicht aus dem Gedächtnis verlieren: Zuerst wurde um 30 Millionen Euro gekürzt, dann wurden wiederum 20 Millionen Euro draufgelegt. In der Summe ist das aber immer noch eine Kürzung um 10 Millionen Euro.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU) – Weitere Zurufe)

– Herr Klee, es wurde um 30 Millionen Euro gekürzt. Dann wurden 20 Millionen Euro draufgelegt. In der Summe sind das 10 Millionen Euro weniger.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht jetzt also um den Hochschulpakt. Herr Dr. Büger, ich sage jetzt etwas, damit auch Sie einmal etwas zum Nachdenken haben. Sie haben den Privatbereich so gelobt und gesagt, das mit der Ideologie ginge Ihnen mehr oder weniger auf den Keks.

Wir haben überhaupt nichts gegen private Angebote in der Wissenschaft. Wir haben auch nichts gegen private Angebote generell bei der Bildung. Vielmehr glauben wir, dass da die Balance richtig gehalten werden muss.

Wir halten es nach wie vor für nicht gerechtfertigt, 30 Millionen Euro bei den staatlichen Hochschulen zu kürzen, und zum gleichen Zeitpunkt den Fachbereich einer einzigen Privathochschule in Höhe von 25 Millionen Euro zu fördern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Machenschaften an der EBS sind nach wie vor nicht letztendlich aufgeklärt. Herr Dr. Büger, der Umgang mit dem Geld an der EBS zeigt uns, dass wir mit unserer Grundskepsis hier wohl auch nicht so ganz falsch gelegen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gernot Grumbach (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich möchte jetzt aber gar nicht auf die großen Zahlen eingehen, sondern noch ein bisschen in die kleineren Verästelungen gehen. Natürlich stimmt es, dass die Hochschulfinanzierung nominal in den letzten Jahren meistens – außer im letzten Jahr, wo um 13 Millionen Euro gekürzt wurde – gestiegen ist. Aber wenn wir das mit der Anzahl der Studierenden vergleichen, dann stellen wir fest, dass die Clusterpreise, die Preise, die die Hochschulen pro Studierendem in bestimmten Fächern bezahlt bekommen, in den meisten Fächern kontinuierlich Jahr für Jahr sinken.

(Minister Michael Boddenberg reicht der Rednerin ein zu Boden gefallenes Blatt.)

– Vielen Dank. Amtshilfe aus meiner Heimatstadt. Sehr schön.

(Minister Michael Boddenberg: Wir Frankfurter müssen zusammenhalten! – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– So ist es, Herr Boddenberg.

Selbst die Landesregierung musste in ihren Antworten zugeben, dass die Mittel pro Studierendem nicht im gleichen Maße gestiegen sind wie die Selbstlobhudeleien der Ministerin, sondern im Gegenteil, dass sie in den letzten Jahren bei steigenden Preisen gleich geblieben sind.

Damit Sie das noch einmal aus Ihren eigenen Veröffentlichungen bestätigt bekommen, möchte ich aus dem Bericht der Haushaltsstrukturkommission zitieren. Den hat die Landesregierung gemacht. Danach lagen die Grundmittel im Jahre 2006pro Studentin oder Student in Hessen bei 8.451 Euro, der Durchschnitt der Westflächenländer bei 8.874 Euro. Das heißt, in Hessen wurden pro Studierendem 423,40 Euro weniger ausgegeben als bei den anderen westlichen Flächenländern. Es wäre ganz gut, wenn Sie das noch einmal wahrnehmen würden. Denn bei der ganzen Selbstlobhudelei bei der Regierungserklärung habe ich manchmal das Gefühl: Sie glauben schon selbst dran. Das ist aber einfach nicht wahr.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Da das Jahr 2006 schon eine Weile her ist, lese ich auch die Zahl aus dem Jahr 2009 vor. Im Jahre 2009 wurden im Lande Hessen 6760 Euro pro Studierender oder Studierendem ausgegeben, in den Flächenländern 7400 €. Das heißt, im Vergleich zu 2006 ist ein zusätzliches Minus von 423 Euro pro Studierendem in Hessen dazugekommen.

Ich verstehe, dass es ein bisschen schwierig ist, wenn man die Zahlen nicht vor sich hat. Aber alles in allem sollten Sie sich merken: Die Mittel pro Studierendem steigen nicht, sondern lediglich die nominalen Mittel des gesamten Haushalts steigen.

Herr Dr. Büger, weil Sie hier seit neuestem nicht nur auf die Zeit vor 1999 zurückgreifen, sondern sogar auf 1970,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

lassen Sie es sich von mir gesagt sein: Das will da draußen an den Hochschulen, da draußen in Hessen keiner hören. Ehrlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich persönlich war zwar, allerdings gerade so, 1970 schon geboren, aber mein Fraktionsvorsitzender beispielsweise nicht, Frau Kollegin Dorn auch nicht, und meine Partei auch nicht.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Herr Dr. Büger, insofern ist das wirklich absurd. Ich glaube, dass wir in der Wissenschaft von diesem Spiel wegkommen müssen: wir und ihr und die da und Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz …

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Denn wir haben es hier wirklich mit massiven Problemen zu tun, die unsere Zukunft betreffen.

Ich habe schon mehrfach von diesem Pult aus gesagt, dass ich neidlos anerkenne, dass die Ausgaben gestiegen sind, sowohl die nominalen Ausgaben als auch die Ausgaben für HEUREKA, als auch die Ausgaben für LOEWE. Aber ich fände es wirklich ganz gut, wenn Sie endlich auch einmal anerkennen würden, dass das zwar eine Riesenanstrengung ist, dass es aber eben nicht reicht, wenn die Mittel pro Studierendem nicht steigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

– Ja, es reicht nie. Das ist uns auch klar. Auch uns ist klar, dass wir das Geld nicht backen können. Nichtsdestotrotz, wenn die Frau Ministerin hier eine Regierungserklärung hält und von innovativen Köpfen spricht, von Forscherdrang, von Wissensdurst, dann muss man von dieser Wissenschaftsministerin doch auch erwarten können, dass sie auf die Probleme schaut, die an den Hochschulen existieren. Man muss erwarten können, dass sie die Grundfinanzierung der Hochschulen, die seit Jahren zu gering ist, immerhin problematisiert, sie den Ausgaben für LOEWE gegenüberstellt und sich überlegt, ob die Entscheidung in dieser Art und Weise in der heutigen Zeit in die richtige Richtung geht, wo wir immer mehr Studierende gut ausbilden wollen, oder ob wir, wenn wir die Grundfinanzierung erhöhen, wenn wir mehr in der Breite finanzieren, viel mehr Köpfe erreichen, die über diese Finanzierung Innovation, Erfindergeist und neue Ideen entwickeln können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das ist genau das Problem. Meine Damen und Herren, wenn LOEWE nicht mit der Erhöhung der Grundfinanzierung einhergeht, dann ist LOEWE kontraproduktiv.

(Zuruf des Abg. Dr. Matthias Büger (FDP))

Was ich Ihnen vorwerfe, insbesondere der Ministerin – aber auch die Regierungsfraktionen sind weit vor, irgendwelche Antworten zu geben –, ist, dass Sie sich mit den Problemen, mit denen sich alle Leute all die Jahre beschäftigen – Sie brauchen nur jeden Tag die Zeitung aufzuschlagen –, überhaupt nicht beschäftigt.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus Ihrem Antrag. In Punkt 7 fordern Sie auf einmal, in Verhandlungen mit dem Bund zu einem finanziellen Ausgleich im Hochschulbereich zu kommen und die finanziellen Lasten für die Hochschulbildung bundesweit gerecht zu verteilen. – Das ist irgendwie süß. Seit 1999 regieren Sie. Da hatten Sie schon über ein Jahrzehnt Zeit. Oder? Was haben Sie da so gemacht? Ich persönlich bin schon länger im Parlament als Sie, Herr Dr. Büger. Ich kann mich daran erinnern, dass der frühere Ministerpräsident Roland Koch ein ziemliches Theater im Bundesrat gemacht hat, als es darum ging, ob sich der Bund an der Bildung beteiligt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es kann doch wirklich nicht wahr sein, dass Sie selbst mit den Stimmen des Landes Hessen dafür Sorge getragen haben, dass der Bund eben nicht gemeinsam mit den Ländern in die Bildung investieren kann, und Sie dann hier in einem Antrag fordern, dass es einen Ausgleich zwischen Bund und Ländern gibt. Außer dass Sie verhindern, dass es eine Zusammenarbeit gibt, haben Sie in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit keinen Millimeter dafür getan.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die FDP ist da gar nicht der richtige Ansprechpartner. Das ist eigentlich eher die CDU. Hier würde mich schon einmal die Position der Ministerin interessieren. Denn gerade in jüngster Zeit erleben wir, dass nicht nur die SPD, sondern auch Bundesbildungsministerin Schavan lernfähig ist. Eine solche Lernfähigkeit würde mich bei unserer hessischen Wissenschaftsministerin sehr erfreuen.

Aber es ist nicht nur so, dass sie nicht lernfähig ist. Ich persönlich kenne die Position unserer hessischen Ministerin zu dieser Fragestellung überhaupt nicht. Dazu hat sie noch nie irgendetwas gesagt. Frau Kühne-Hörmann, es wäre also schön, wenn Sie sich zur Frage Föderalismusreform einmal äußern würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ein Letztes noch. Es gibt einen Verdacht. Diesen Verdacht hatten wir spätestens seit dem Haushaltsplan für das Jahr 2012, wo eine halbe Million Euro für die Werbemittel für das LOEWE-Programm ausgegeben werden sollen.

(Zurufe der Abg. Horst Klee und Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Kollegin Sorge, Sie hatten vorhin recht, als Sie sagten, auch 30 Minuten gingen einmal zu Ende. Sogar 31 Minuten gehen einmal zu Ende. Das ist jetzt der Fall. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bemühe mich, das Argument in zwei Sätzen zu Ende zu bringen.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Auf jeden Fall ist es so, dass diese halbe Million Euro offensichtlich nicht ausreicht, sondern uns aus den Hochschulen die Nachricht erreicht, dass die Hochschulen jetzt auch noch die Daumenschrauben angelegt bekommen, zu dieser Wahlkampffinanzierung, wie ich es nennen mag, einen eigenen Obolus zu leisten.

Das finde ich ein wirklich starkes Stück, Frau Kühne-Hörmann. Kümmern Sie sich endlich einmal um die Probleme an den Hochschulen, geben Sie Antworten auf diese Probleme an den Hochschulen, anstatt sich hier einfach für das – nach allem, was ich Ihnen aufgezeigt habe strukturell auch noch in die falsche Richtung gehende – LOEWE-Programm selbst zu loben. Hier bleiben die Aufgaben weit größer als das, was Sie heute vorgetragen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Sorge.