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16.12.2010

Sarah Sorge: Hochschulen für Studierendenansturm rüsten

Guten Morgen, lieber Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Studierendenzahlen steigen. Deswegen stehen die Hochschulen in Deutschland vor einer großen Herausforderung.

Mit 196.000 Studierenden haben wir in Hessen einen neuen Höchststand der Studierendenzahl erreicht. Das sind über 30.000 Studierende mehr als noch vor fünf Jahren.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Damit wurden die Prognosen aus dem Hochschulpakt bereits jetzt deutlich überschritten. Viele Fachleute gehen davon aus, dass auch die neu bis zum Jahr 2015 prognostizierten Zahlen schon sehr viel früher erreicht sein werden. Die doppelten Abiturjahrgänge kommen erst jetzt an die Hochschulen.

Zu diesem ohnehin rasanten Anstieg der Zahl der Studienanfänger kommt jetzt noch die Aussetzung der Wehrpflicht. Die Anzahl der deswegen benötigten Studienplätze werden zwischen 30.000 und 100.000 geschätzt.

Meine Damen und Herren, wenn wir hier nicht schnell gegensteuern, dann werden die Hochschulen kollabieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt kleinere Versuche, gegenzusteuern. Es gibt den Hochschulpakt I und den Hochschulpakt II zwischen Bund und Ländern. Bei dem Treffen der Ministerpräsidenten gestern wurde der Versuch unternommen, auf dieses Problem zu reagieren.

Diese kleinen Versuche sind aber bei Weitem nicht auskömmlich, das reicht nicht aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, halten wir nochmals fest: Das Steigen der Studierendenquote ist eine grundsätzlich gute Nachricht. Wir brauchen mehr gut ausgebildete Menschen für die Wissensgesellschaft. Der drohende Fachkräftemangel wird tagtäglich in den Fachkreisen und Zeitungen diskutiert.

Die Hochschulen aber sind mit ihren Kapazitäten schon jetzt am Limit. Schon die Steigerung in den letzten Jahren wurde nicht auskömmlich finanziert. Wenn die Hochschulen bei den weiter steigenden Studierendenzahlen wiederum einen Großteil der Zusatzkosten aus eigener Kraft finanzieren müssen, werden sie wirklich kollabieren – dann wird an diesen Hochschulen nichts mehr funktionieren. Die Studienbedingungen und die Qualität der Ausbildung werden stark leiden. Das bedeutet: überfüllte Hörsäle, mangelnde Praktikumsplätze, zu wenig Geld für die Bibliotheken.

Schon jetzt beweisen die Hochschulen viel Kreativität. Beispielsweise werden in Kassel schon jetzt Veranstaltungen der Universität in Kinos und Kirchen verlagert. Aber mit Kreativität allein werden der weitere Anstieg der Studierendenzahl und die dadurch bedingte Unterfinanzierung nicht abzuwenden sein.

Meine Damen und Herren, verstehen Sie uns nicht falsch. Erst gestern haben wir die Schuldenbremse beschlossen. Auch uns GRÜNEN ist bewusst, dass sich das Geld nicht nach Belieben drucken lässt.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, einen Moment bitte.

Meine Damen und Herren, hinter der Wand hier ist eine Lautstärke. Ich darf ganz herzlich bitten, dass man aus Respekt auch vor der Rednerin diese Gespräche draußen führt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, ganz herzlichen Dank.

Meine Damen und Herren, hier aber droht nun, dass eine ganze Studierendengeneration durch eine verschlechterte Ausbildung verloren geht. Bund und Länder müssten sich hier gemeinsam anstrengen und finanzielle Prioritäten setzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Vorwurf an die Ministerin an dieser Stelle ist: Diese Wissenschaftsministerin hat bei dieser Problematik, die auf unsere Hochschulen zukommt – –

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, einen Moment bitte.

Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt noch einmal, die Gespräche, die im Hintergrund des Präsidiumsplatzes laufen, draußen durchzuführen. Es ist hier überhaupt nichts mehr zu verstehen.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Wort hat die Frau Kollegin Sorge.

Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, bisher habe ich die Wissenschaftsministerin nicht als Kämpferin für die Interessen der Hochschulen erlebt. Ich wünsche mir dringend, dass sich das ändert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Ministerin, treten Sie dringend in Verhandlungen mit dem Bund über Details der Aufstockung des Hochschulpakts II zwischen Bund und Ländern ein. Zeigen Sie auch auf, mit welchem Betrag des Landes die Hochschulen für den erneuten Studienansturm gerüstet werden.

Denn bislang finanziert der Hochschulpakt II lediglich 4.250 Euro pro Studienplatz; ab dem nächsten Jahr sollen es 5.000 Euro sein. Im Durchschnitt aber kostet ein Studienplatz 10.600 Euro – im Durchschnitt. Das bedeutet, dass schon jetzt jeder weitere Studienplatz von den Hochschulen allein aus ihren Mitteln mit 5.000 Euro pro Studierendem finanziert werden muss.

Wenn wir uns diese Zahlen anschauen, dann sehen wir doch: Je mehr Studierende wir unterfinanziert aufnehmen, desto mehr droht eine rapide Verschlechterung der Qualität der Ausbildung an den Hochschulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich muss sagen: An einer Stelle möchte ich die Bundesministerin Schavan ganz ausdrücklich unterstützen. Denn sie sagt, der Bund stehe zum Hochschulpakt II – aber damit vertrügen sich die Kürzungen für die Hochschulen in den Landeshaushalten überhaupt nicht.

Genau das ist unsere Position. Deswegen fordern wir von Ihnen, die Kürzungen im Hochschulpakt II rückgängig zu machen und ihn so neu zu verhandeln, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen gewährleistet ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank.