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17.11.2011

Sarah Sorge: Forschungsstandort Hessen

Guten Morgen, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich fange auch einmal mit einem Lob an. Es ist durchaus so, dass es in Zeiten der Hochphase der Exzellenzinitiative auf Bundesebene eine gute Entscheidung für Hessen war, ein solches Forschungsprogramm aufzulegen, weil wir gemerkt haben, dass Hessen in diesem Bereich nicht ganz mit den Bundesländern mithalten kann, mit denen wir eigentlich immer den Schulterschluss gesucht haben, vor allem Bayern und Baden-Württemberg. Deswegen war das LOEWE-Programm erst einmal ein gutes Programm. Dieses Lob möchte ich hier auch durchaus sehr deutlich aussprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings müssen wir einmal schauen, wie sich die Wissenschaftslandschaft seit der Exzellenzinitiative weiterentwickelt hat und was für Probleme wir haben. Dazu will ich sagen, dass LOEWE das eine ist. Was ich mir aber wünschen würde, wäre eine Löwin, eine Wissenschaftsministerin, die für die Wissenschaft kämpft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die erste Anmerkung ist, dass sich die Wissenschaftsministerin mit einem Setzpunkt ihrer Fraktion für ein Programm feiern lassen muss, was von ihrem Vorvorgänger stammt. Das zeigt schon, dass sie selbst nicht findet, dass sie in ihrer Regierungsperiode bis jetzt irgendetwas in diesem Bereich vorzuweisen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Zweite ist – Herr Kollege Grumbach hat es angesprochen –, dass wir heute einen bundesweiten Protesttag für bessere Bildung haben. Sich ausgerechnet an einem solchen Protesttag hierhin zu stellen und für das Forschungsprogramm zu werben, anstatt sich über die Situation an den Hochschulen, die Studienbedingungen und die vollen Hörsäle Gedanken zu machen – auch das ist leider bezeichnend für diese Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wünschte mit eine Ministerin, die sich die Situation an den Hochschulen anguckt, genau analysiert, in welche Richtung sich die Hochschulen entwickeln und die Antworten darauf findet, wie sie falsche Entwicklungen wieder in die richtige Richtung leiten kann und demzufolge die Hochschulen nach vorne bringt.

05 Schauen wir uns einmal an, was die Exzellenzinitiative auf Bundesebene gebracht hat, aus meiner Sicht viel Positives. Wir können gern daran erinnern, dass es eine Initiative war, die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung in Gang gekommen ist und gegen die sich der damalige Ministerpräsident Roland Koch sehr laut mit Händen und Füßen gewehrt hat.

Meine Damen und Herren, aber die Exzellenzinitiative führt zum einen im Positiven dazu, dass der Fokus auf dem Wissenschaftsbereich liegt, dass der Fokus der Gesellschaft und auch der politische Fokus auf die Situation an den Hochschulen gerichtet ist und dass der Fokus endlich darauf liegt, dass wir es uns nicht leisten können, diesen Bereich weiterhin unterzufinanzieren. Das ist das Positive an dieser Exzellenzinitiative.

Das Negative ist, dass sich die Wissenschaftspolitik auf Bundesebene und zunehmend auch in den Ländern auf Exzellenz- und auf Projektförderung konzentriert. Das hat negative Auswirkungen auf die Hochschulen, die ich Ihnen kurz skizzieren möchte.

Das LOEWE-Programm führt dazu, dass begrenzt Forschungsschwerpunkte finanziert werden. Diese Forschungsschwerpunkte sind zum Teil Verbünde mehrerer Hochschulen oder auch außeruniversitärer Forschungseinrichtungen. Herr Dr. Müller hat die ganze Zeit von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen gesprochen. Das ist nicht der Fall.

Es führt im Gegenteil dazu, dass das meist befristete Projekte sind, dass wir über die Projektförderung LOEWE, von Exzellenzinitiative, von anderen Drittmittelgebern wie die DFG an den Hochschulen so weit sind, dass der gesamte wissenschaftliche Mittelbau nur noch zeitlich befristet, und zwar in immer kürzeren Befristungsphasen arbeiten kann, da er absolut unterfinanziert ist. Ich glaube, das ist etwas, was wir uns als Gesellschaft, die auf dieses Know-how angewiesen ist, wirklich nicht leisten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meiner Ansicht nach ist es im Gegenteil wichtig, hier genau hinzuschauen. Ich will mich jetzt nicht auf Prozentzahlen festlegen. Aber alle, die sich in diesem Bereich auskennen, sagen, die Forschungsleistungen unseres Landes kommen zu einem sehr hohen Prozentsatz aus dem Mittelbau. Was ist denn das für eine Welt, was ist denn das für eine Wissenschaftslandschaft, in der diejenigen, die die neuen Ideen bringen, in denen diejenigen, die genau diese LOEWE-Projekte nach vorne bringen, in kurzzeitig befristeten, unterfinanzierten Beschäftigungsverhältnissen stehen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist nicht nur so, dass LOEWE ein Instrument ist, das zusätzlich zu den anderen Instrumenten in diese Richtung lenkt, sondern sich auch der Rest der Wissenschaftspolitik der Ministerin in diese Richtung entwickelt hat, obwohl sie sich meiner Meinung nach eher wie eine Löwin für und nicht gegen die Hochschulen richten sollte. Wir schauen uns einmal an, wie sich die Hochschulfinanzierung entwickelt hat.

Wir haben nicht nur die Kürzung der 30 Millionen Euro im Hochschulpakt, sondern weitere 20 Millionen Euro gehabt, die von der Grundfinanzierung in Erfolgsbudgets gezogen wurden. Das bedeutet weitere 20 Millionen Euro, die im Wesentlichen für Projektförderung, die für Exzellenz, die für Forschungsleistung ausgegeben werden. Das ist die große Kritik an LOEWE. Wir haben nichts gegen LOEWE. Aber wenn LOEWE dazu führt, dass die Gelder, die eigentlich für die Grundausbildung an den Hochschulen, für die Grundforschung an den Hochschulen nötig wären, alle aus den Hochschulen herausgezogen werden, dann ist dies wissenschaftlich absolut der falsche Weg, Frau Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, es ist so, dass zurzeit an den Hochschulen genau diese Wirkungen sehr breit diskutiert werden, da sich die Hochschulen selber, die Hochschulleitungen, aber auch der Mittelbau und auch die Studierenden überlegen, welche Entwicklungen wir an den Hochschulen brauchen und in welche Richtung wir gehen müssen. Jetzt kommt die Wissenschaftsministerin und hat endlich eingesehen, dass wir eine landesweit abgestimmte Wissenschaftsplanung brauchen.

Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, sie geht schon wieder den falschen Weg. Die Hochschulen werden als allererstes düpiert. Als allererstes wird wieder ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen eingekauft, anstatt sich einmal mit den Hochschulen zusammenzusetzen und die Probleme und vor allem die Lösungen miteinander zu besprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir diese Debatte hier weiterführen, aber wahrscheinlich besser im Wissenschaftsausschuss, weil ich schon an den Blicken der Kollegen merke, dass es irgendwie wahrscheinlich alles fachlich etwas überfordernd ist.

(Allgemeiner Widerspruch)

– Okay, dann mache ich weiter. – Ich glaube, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie die Hochschulfinanzierung auf neue Füße gestellt wird. Wir GRÜNE fordern schon lange, dass der Hochschulpakt neu verhandelt wird. Mit der gemeinsamen Hochschulentwicklungsplanung muss das einhergehen, weil wir Tendenzen haben, die dazu führen, dass die Grundfinanzierung an den Hochschulen weiter ausgehöhlt wird, und nur Projekte und nur das, was man öffentlich gut vermarkten kann, mehr und mehr finanziert wird. Und das ist für die Wissenschaft in Hessen der falsche Weg.

An dieser Stelle ein Appell. Herr Grumbach hat es angesprochen. Es kann nicht sein, dass diese Wissenschaftsministerin nicht mit eigenen Ideen kommt, die wenigen eigenen Ideen, z. B. die Änderungen im Hochschulpakt, dazu führen, dass die Strukturen an den Hochschulen noch schlechter werden, und jetzt vorbereitet – ich habe es gestern schon in der Haushaltsrede angesprochen –, eine halbe Million Euro dafür vorzusehen, LOEWE nach außen mit schick aufgemotzten Broschürchen zu verkaufen. Gestern habe ich gesagt, dass die Hochschulen selber wissen, dass es die Programme gibt. Die Hochschulen selber wissen auch, wie nötig sie diese Programme haben, weil sie jeden Cent brauchen. Aber dass die Wissenschaftsfinanzierung jetzt zum Teil noch dazu gebraucht wird, die Wahlkampffinanzierung vorzubereiten, das ist wirklich ein falscher Weg.

(Zuruf der Abg. Karin Wolff (CDU))

– Frau Wolff, nichts verstanden? Schauen wir einmal, warten wir es einmal ab, wie es im Endeffekt aussieht. Aber wir hören schon jetzt, dass die Kritik aus den Hochschulen groß wird. „Nichts verstanden“ gebe ich zurück an die Wissenschaftsministerin.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich glaube, dass Sie dringend – ohne eine Unternehmensberatung – an die Hochschulen gehen und einfach mit den Leuten reden und zuhören sollten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Sorge.