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23.06.2015

Mürvet Öztürk: Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Soziales und Integration – „Bund, Land und Kommunen in gemeinsamer Verantwortung für die Flüchtlingspolitik“

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir heute die Regierungserklärung des Herrn Ministers bekommen haben, und ich bin sehr dankbar, dass wir im Laufe der Beratungen im Ausschuss immer wieder sehr intensiv und sehr transparent vom Herrn Minister darüber informiert worden sind, wie die Situation der Flüchtlinge im Lande ist, wie die Versorgung seitens des Landes Hessen gewährleistet wird und, vor allen Dingen, wie die Situation bei den Verhandlungen auf der Bundesebene aussieht. Es ist nämlich sehr früh von uns und von Sozialminister Grüttner kommuniziert worden, dass die Situation nur dann zu bewältigen ist, wenn wir diese gemeinschaftliche Aufgabe zwischen Bund, Ländern und Kommunen ernst nehmen. Er hat die Anregungen auf der Bundesebene durchgesetzt. Herr Minister, daher geht zunächst ein herzlicher Dank an Sie für Ihre Bemühungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte mich an dieser Stelle natürlich auch bei den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern vor Ort bedanken – in den Kreisen, in den Kommunen, in den Städten und in den Dörfern –, die sich auf diese Situation sehr flexibel einlassen und gesagt haben: Wenn Menschen in Not sind, möchten wir nicht lange zögern und auch nicht über Geld diskutieren, sondern wir möchten erst einmal das, was möglich ist, machen, nämlich diesen Menschen ihre Würde zurückzugeben.

Teilweise haben diese Menschen durch die Flucht und aufgrund der Traumata, die sie erfahren haben, ein Stück weit ihre Würde verloren. Ihnen ihre Würde in Hessen mithilfe des ehrenamtlichen Engagements ein Stück weit zurückzugeben ist ebenfalls sehr viel wert. An dieser Stelle möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern in Hessen einen ganz herzlichen Dank aussprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Mein Dank geht natürlich auch an die Regierungspräsidien und an die Gebietskörperschaften – die Kreise und die Kommunen – sowie an die Wohlfahrtsverbände und an die Kirchen, die sich seit mindestens vier Jahren sehr in der Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung engagieren und die Politik mit Ideen fordern und herausfordern, selbst aber auch bereit sind, etwas zu leisten.

Das ist etwas, was ich an dieser Stelle noch einmal betonen möchte; denn wir haben, auch im Landtag, mehrmals darüber diskutiert, wie es in den Neunzigerjahren war, als die Stimmung der Menschen gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden negativ war. Ich bin sehr dankbar, dass wir jetzt eine positive Stimmung gegenüber Flüchtlingen haben.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass wir am vergangenen Samstag den Weltflüchtlingstag begangen und im Zusammenhang damit zum ersten Mal gemeinsam der Opfer von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auch kurz an die Rede des Bundespräsidenten Gauck erinnern, der in Berlin über entwurzelte Menschen gesprochen hat, darüber, dass alle Menschen, die ihre Heimat verloren haben, gleichgültig ob sie schwarz oder weiß, jung oder alt, Mann oder Frau, Christ, Jude oder Moslem sind oder auch keiner Religion angehören, sehr tief in ihrer Seele dieselbe schmerzliche Erfahrung machen mussten, nämlich unfreiwillig ihre Heimat zu verlassen und damit entwurzelt zu werden.

An diese Menschen haben wir am vergangenen Samstag gemeinsam gedacht. Ich möchte Ihnen hier ein Zitat aus der Rede des Bundespräsidenten Gauck mitgeben. Er sagte:

Ich wünsche, die Erinnerung an die geflüchteten und vertriebenen Menschen von damals könnte unser Verständnis für geflüchtete und vertriebene Menschen von heute vertiefen. Und umgekehrt: Die Auseinandersetzung mit den Entwurzelten von heute könnte unsere Empathie mit den Entwurzelten von damals fördern.

Das ist ein Satz, den ich so stehen lassen möchte. Das ist etwas, was ich beherzigen und gern uns allen mitgeben möchte, wenn wir über Flüchtlinge, Flucht und Vertreibung reden: dass wir von den Erfahrungen derer, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden und heute noch darunter leiden, und ihrer Nachkommen einen Bogen spannen sollten zu der Situation derer, die heute zu uns kommen, die ihre Heimat verloren haben und bei uns eine neue Heimat suchen wollen. Ich bin mir sicher, dass wir, wenn wir uns das immer wieder vergegenwärtigen, bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, die notwendige Humanität walten lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte hier daran erinnern, dass wir seit 2011, also nachdem die Kriege im Nahen Osten ausgebrochen sind bzw. der Arabische Frühling mehr oder weniger zu einer kriegerischen Auseinandersetzung geführt hat, auch in Hessen sehr intensiv über die Situation der Flüchtlinge diskutiert haben.

Ich möchte auch daran erinnern, dass die Einberufung der Asylkonferenz im Dezember 2013 eine sehr vorausschauende Entscheidung war und dass man sich seitens des Landes Hessen schon damals mit den Vertretern der Kommunalen Spitzenverbänden zusammengesetzt und sich darüber Gedanken gemacht hat, wie man die Unterbringungsmöglichkeiten verbessern könnte.

Die zweite Asylkonferenz am 18. Februar 2015, die erweitert war, bei der auch Flüchtlingsverbände und die Parlamentarier mit am Tisch gesessen haben, hat vor kurzem gezeigt, dass wir hier an einem Strang ziehen müssen. Dieser Strang, an dem wir gemeinsam ziehen müssen, bedeutet auch, dass das Land Hessen die Aufgaben, die wir gemeinsam meistern wollen, nicht alleine bewältigen kann.

Das Land Hessen hat im Jahre 2012, als die Zahl der Flüchtlinge noch gering war, 43 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Jetzt, da im Jahre 2015 es fast 40.000 Flüchtlinge in Hessen sein werden, wurde die Summe auch auf 384 Millionen Euro aufgestockt.

Es ist auch schon in der letzten Rede von mir dargestellt worden, dass die Pauschalen mit der 15-prozentigen Erhöhung rund 100, 150, 200 Euro mehr Geld bedeuten, das pro Flüchtling pro Monat an die Kreise weitergegeben wird. Das ist eine Selbstverständlichkeit, zu der wir gern bereit sind. Es ist aber auch ein verantwortungsbewusstes Handeln und ein verantwortungsbewusster Umgang mit der Situation von Flüchtlingen, die ich hier immer wieder unterstreichen möchte.

Ich möchte dem damit auch erneut entgegenwirken: Es wird so getan, als ob wir hier im Lande mit den Maßnahmen zögerlich sein würden. Mitnichten ist das der Fall – im Gegenteil: Auf der Landesebene in Hessen versuchen wir von Beginn an – seit man die Situation erkennt, dass die Flüchtlingszahlen steigen – die entsprechenden Verantwortungen nach oben hin auch gegenüber der Bundesebene zu kommunizieren.
Jetzt möchte ich etwas zu der Ministerpräsidentenkonferenz am 19. Juni sagen: Ich habe mir schon am 19. Juni gewünscht, dass sich die Bundesebene viel stärker in Sachen „finanzielle Verpflichtung“ ausspricht. Stattdessen haben wir jetzt die pauschalen Zahlungen, die für 2016 angesetzt waren, auf 2015 vorgezogen. Was aber die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bundes sein wird, das wird noch eine ganz knallharte Verhandlungsmasse bleiben. Das finde ich sehr bedauerlich. Dazu hätte ich gerne schon jetzt vom Bund stärkere Zusagen bekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Thorsten Schäfer-Gümbel, da seid ihr aber mit in der Verantwortung. – Ich hoffe, dass die SPD auf der Bundesebene da den Druck stärker aufrechterhalten wird;

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD)

denn die aufenthaltsrechtlichen und die asylrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen liegen nun einmal auf Bundesebene. Das heißt, die Frage, ob man den Flüchtlingen Zugang zum Sprach- und Integrationskurs verschafft, wird auf Bundeseben beantwortet.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Über die Frage, ob man die Gesundheitsversorgung bundesweit über Gesundheitskarten löst, wird auf der Bundesebene entschieden. Die Frage, ob Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen und Ausbildungen machen dürfen, wird auf der Bundesebene entschieden. Meine Damen und Herren von der SPD, dafür brauchen wir auch mehr Vorschläge von den SPD-regierten Ministerien.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Es ist nicht die notwendige Lösung der Herausforderung, die wir hier gemeinsam annehmen müssen, alleine zu sagen: Das Land soll machen und wir beschweren uns, kritisieren oder finden es gut oder nicht. Das möchte ich noch einmal klar betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Zurufe der Abg. Michael Siebel, Gerhard Merz und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

– Wir haben unseren Job hier gemacht. Ich weiß nicht, ob ihr euren Job in Berlin macht. – Von daher: Ich glaube, die Situation heute lässt deutlich werden, dass wir, wenn wir über die Flüchtlinge sprechen und wenn wir über die Menschen mit einer hohen Anerkennungsquote sprechen, also über die Syrer, Afghanen, Iraker, Somalier, Eritreer, davon ausgehen können, dass 80 Prozent dieser Menschen in Deutschland bleiben werden.
Wenn wir es damit ernst meinen, dass nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Arbeitsmarktzugang für diese Menschen möglich gemacht werden soll, dann werden wir nicht darum herum kommen, auf Bundesebene die Öffnung der Sprach- und Integrationskurse zu erreichen, und wir werden nicht darum herum kommen, diesen Menschen durch einen Integrationskurs – sage ich jetzt einmal – die Teilhabe im Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu ermöglichen. Das kann nur von der Bundesebene geleistet werden. Meine Damen und Herren, da wünsche ich mir ein klares Signal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern: Ich bin sehr darüber überrascht gewesen, dass zum Beispiel das Projekt „Bleib in Hessen“, was vom Bundesministerium für Arbeit über die ESF-Programme kofinanziert wird, am 30. Juni ausläuft und ab dem 1. Juli 2015 in Hessen sehr viele Programme – von 33 Programmen fast mehr als die Hälfte – eingestampft werden müssen. Es gibt keine finanziellen Vorschläge der Arbeitsministerin Frau Nahles, wie man dieses Projekt aufrechterhalten kann. In der jetzigen Situation, in der wir gerade diese Unterstützung brauchen, können diese Projekte nicht einfach wegfallen.

Von daher möchte ich auch dazu eine Antwort haben, was wir ab dem 1. Juli machen – zumal diese Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Die Zahlen des Projekts „Bleib in Hessen“ zeigen, dass von rund 5.000 Personen 1.500 erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert worden sind. Es ist zu einfach, dass man jetzt, weil ESF-Mittel wegfallen, auf Bundesebene sagt: Wir können das nicht kompensieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

– Gern.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Also, mit Drohungen brauchen wir gar nicht zu arbeiten. Wir reden einfach darüber, dass wir die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge – je nachdem, wie die Zuständigkeiten sind – auch vernünftig verteilt und besorgt haben möchten.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Von daher ist das eine Frage, die ich hier stelle. Meine Damen und Herren, es ist so, dass sich im Lande Hessen viele Kommunen vor Ort und viele Mitarbeiter bei ehrenamtlichen Projekten die Frage stellen, was sie ab dem 1. Juli machen sollen, wenn sie die Flüchtlinge nicht mehr begleiten können.

Ich möchte auch kurz auf die EU-Ebene hinweisen. Es stimmt, dass die Solidarität auf der europäischen Ebene, von der wir hier die ganze Zeit sprechen, viel mehr Engagement notwendig macht. Ich finde es wichtig, dass man in Deutschland 20.000 syrische Flüchtlinge per Kontingent aufgenommen hat und dass die 16 Bundesländer bisher eigene Landesaufnahmeprogramme verabschiedet und sie auch erfolgreich umgesetzt haben.

Ich möchte aber auch klarmachen: Wenn wir auf der einen Seite mehr Flüchtlingen, die – ich sage einmal – eine höhere Aufnahmequote und eine höhere Anerkennungsquote hätten, legale Wege nach Deutschland und Europa ermöglichen wollen, dann kommen wir nicht darum herum, dass wir auch auf der Bundesebene mehr Kontingentprogramme und mehr Resettlement-Programme aufsetzen. Dafür ist wiederum die Bundesebene in der Verantwortung. Von daher würde ich mir einfach wünschen, dass viele der Appelle, die die SPD jetzt hier an uns richtet, wirklich an die richtige Stelle auf Bundesebene gerichtet würden.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

– Gut, wenn es nicht an uns gerichtet war, ist es okay. Ich hatte das nur so zur Kenntnis genommen. – Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir in unserem Antrag, den wir hoffentlich heute hier verabschieden werden oder den wir vielmehr im Ausschuss diskutieren werden, auch darauf hingewiesen haben, dass wir jene Länder der Europäischen Union entlasten müssen, die zur Zeit sehr viele Flüchtlinge aufnehmen – wie Griechenland, Italien, Malta –, und dass auch das zur europäischen Solidarität gehört, wenn man sich Gedanken macht, wie man diese Länder entlasten kann. Es kann natürlich auch ein Bestandteil sein, dass man die Dublin-III-Verordnung überprüft und schaut, ob das denn das richtige Mittel ist. Aber auch dazu kann ich nur sagen: Meine Damen und Herren, wir auf Landesebene haben keine Möglichkeit dazu. Das muss auf der Bundesebene gemacht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Programme der schulischen Integration INTER haben wir schon erwähnt. Wir haben auf der Landesebene ein Maßnahmenpaket versprochen. In diesem Maßnahmenpaket war die Rede davon, dass wir die Pauschalen erhöhen werden. Die Pauschalen sind seit dem 01.01.2015 erhöht. Es ist die Rede davon gewesen, dass wir Jugendlichen, die im schulpflichtigen Alter beziehungsweise 16-18 Jahre alt sind, also noch nicht erwachsen, aber aus der normalen Schulpflicht heraus sind, ein Angebot machen werden. Das ist mit dem Programm INTER, Integration durch Abschluss, geschehen. Ich weiß, dass da die Kritik vorhanden ist, was mit den 18- bis 21-Jährigen ist. Darüber muss man sich weiter Gedanken machen, aber auch schauen, was mit den Angeboten vor Ort ist, was die Jobcenter oder auch die Bundesagentur für Arbeit an Maßnahmen hätte, durch die auch diese Gruppe – beispielsweise in den Arbeitsmarkt – integriert werden kann.

Aber das Land hat denjenigen, für die es zuständig ist, ein Angebot gemacht, nämlich den 16- bis 18-Jährigen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir den Kommunen, die als Schutzschirmkommunen die Sorge haben, einen Haushalt nicht genehmigt zu bekommen, zugesichert haben, dass das kein Hindernis werden soll, ihren Haushalt genehmigt zu bekommen, wenn ihre zusätzlichen Ausgaben im Rahmen der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen getätigt sind. Das ist eine Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben, bei der wir den Kommunen diese Zusage gemacht haben, die wir auch erfüllen.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass wir hier auf Landesebene in Hessen darauf hingewirkt haben, auf Bundesebene Bewegung über die Frage hinzubekommen, wie denn die Bundesregierung dauerhaft bei den Kosten und strukturell beteiligt sein könnte. Ich glaube, wenn wir diesen Druck auf hessischer Ebene nicht ausgeübt hätten, wäre auf Bundesebene keine Bewegung in die ganze Sache gekommen. Von daher: Hessen versucht die Möglichkeiten, die es hat, gut auszuschöpfen. Wir versuchen den Flüchtlingen, die hier eine neue Heimat finden wollen, eine Heimat zu geben. Die Ehrenamtlichen vor Ort, die sich hier sehr stark engagieren, haben unsere Anerkennung.

Ob sie vor Ort in den Kreisen und in den Kommunen ausreichend eingebunden sind, muss man prüfen. Einen Leitfaden, wie ihn die Landesebene schon jetzt beabsichtigt, könnte man auch der kommunalen Ebene empfehlen, sodass man auch den Webseiten der Kreise oder Gebietskörperschaften einen Leitfaden zur Verfügung stellt, damit auch die Ehrenamtler vor Ort wissen, an wen sie sich überhaupt wenden müssen.
Last, but noch least möchte ich daran erinnern, dass die ganze Diskussion, wie wir sie hier auf hessischer Ebene führen, immer noch eine sogenannte „Luxus-Diskussion“ ist. Wenn wir uns einmal die Zahlen weltweit anschauen, die kurz vor dem Weltflüchtlingstag veröffentlicht worden sind: Es sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht, davon über die Hälfte Kinder, also fast 30 Millionen. Wir wissen, 80 Prozent der geflüchteten Menschen bleiben in ihrer Heimatregion. Die Zahlen derer, die in Jordanien, im Libanon, in der Türkei und im Irak untergekommen sind, kennen wir. Wenn wir uns über die afrikanischen Flüchtlinge Gedanken machen, sollten wir vor allem auch nicht vergessen, dass ein Großteil der afrikanischen Flüchtlinge im UNHCR-Lager in Kenia Schutz gefunden hat.

Daher halte ich auf EU-Ebene nichts von der Debatte, Flüchtlingsboote zu vernichten.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Wenn wir nicht wollen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, müssen wir diesen Menschen auch legale Fluchtwege nach Europa schaffen, und diese legalen Fluchtwege können Kontingent- und Aufnahmeprogramme sein. Es sind aber auf jeden Fall nicht Lager in Nordafrika, und es sind auch nicht wahllos vernichtete Boote, in denen Flüchtlinge sterben.

Ich glaube aber auch, wenn wir den Grenzschutz der Europäischen Union ernst nehmen wollen, dann kann es nicht sein, dass wir unsere Grenzen vor Flüchtlingen schützen wollen. Damit einhergehend kann ich sagen, dass wir gegenüber kriminellen Gruppen, die die Not der Flüchtlinge ausnutzen, schon Maßnahmen ergreifen müssen. Wichtig aber ist, dass dies alles im Namen der Humanität geschieht und nicht quasi auf Kosten der Leben von armen Menschen, die zu uns flüchten wollen, um Schutz vor Krieg und Gewalt zu suchen.
In diesem Sinne: Hessen hat viele seiner Aufgaben erfüllt. Ein Großteil auf Bundesebene ist noch offen. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesebene die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge in der Gesundheitsfrage übernimmt; denn ab dem 1. Juli wird die EU-Aufnahmerichtlinie in Kraft treten. Damit müssen wir Menschen, die Schutz suchen, eine besondere Unterstützung in der Gesundheitsversorgung gewähren.

Damit es hier nicht ein Flickwerk wird, ist es wichtig, dass ganz klar die Bundesebene diese Aufgabe übernimmt. Über die Sprach- und Integrationskurse habe ich schon gesprochen. Ein vernünftiges Konzept, wie man die Flüchtlinge in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt integrieren kann, muss die Bundesebene ebenfalls liefern. Ohne diese ganz konkreten Maßnahmen das Land allein zu lassen, das bisher 80 Prozent der Kosten für Flüchtlinge bzw. ihre Unterbringung und Verpflegung unternommen hat, davon rund 30 Prozent die Kommunen, das ist eine „Lastenteilung“, die vielen nicht gefallen mag – aber ohne eine größere Verantwortung der Bundesebene werden wir aus dieser Diskussion nicht anders herauskommen.

Ich möchte noch einmal klar appellieren und zum Schluss noch einmal Bundespräsident Gauck zitieren. Er sagt:

In jüngster Zeit ist nämlich erneut die Frage zu hören: Wie viele Flüchtlinge kann unsere Gesellschaft überhaupt verkraften? Eine Nation lebt vom Zusammengehörigkeitsgefühl, vom Vertrauen, der Kooperation und vom Mitgefühl unter ihren Bürgern. Flüchtlinge und andere Zuwanderer erhöhen einerseits die soziale und kulturelle Vielfalt und vergrößern die Innovationskraft der Gesellschaft. Andererseits wissen wir aus jüngsten Untersuchungen, dass gegenseitige Rücksichtnahme und die Bereitschaft zur Solidarität innerhalb einer Gesellschaft auch zurückgehen können, wenn etwa die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer in Ballungsräumen zu schnell und zu stark steigt oder die kulturelle Distanz allzu groß erscheint.

Zugleich dürfen wir aber die Möglichkeiten von Flüchtlingen und die Chancen für unsere Gesellschaft nicht verkennen. Erinnern wir uns daran, welch großen Anteil Flüchtlinge und Vertriebene am erfolgreichen Wiederaufbau Deutschlands hatten. Eben diesen Geist, der den Neuanfang sucht und die Zukunft gestalten will, erkenne ich auch bei vielen Flüchtlingen von heute.

– Und auch bei vielen Menschen, die diese Flüchtlinge aufnehmen. – In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.