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10.09.2009
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner zur zunehmenden sowie zukünftig zu erwartenden Entgeltlichkeit des hessischen Schulsystems

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es tut ganz gut, verstehen zu wollen, was der Kern der Großen Anfrage der Kolleginnen und Kollegen der LINKEN hier in diesem Hause war. Wir finden, dass der Kern, nämlich danach zu fragen, wo an unseren Schulen für eine erfolgreiche Teilnahme am Schulbesuch Mittel bezahlt werden müssen, doch eine berechtigte Frage ist, Herr Kollege Bauer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Man kann sagen, die Erfassung sei zu bürokratisch. Man kann sagen, die eine oder andere Frage ist vielleicht zu kompliziert formuliert. Aber im Kern, das wissen wir doch alle, die wir Schulpolitik machen, und das hören wir von Eltern immer stärker, haben wir in den letzten Jahren eine Entwicklung an unseren Schulen, dass für immer mehr Unterrichtsmaterialien, für immer mehr Veranstaltungen an Schulen, für immer mehr Leistungen an den Schulen, die dort aus guten Gründen erbracht werden, die eine oder andere Form von Kostenbeteiligung erhoben wird.

(Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Das ist eine Entwicklung, die wir beobachten. Herr Kollege Klein, es lohnt doch, genau hinzuschauen, was da gerade geschieht und wie stark Eltern durch solche Abgaben belastet werden, die es dort gibt. Ein Ziel haben wir hoffentlich alle gemeinsam. Das Schulwesen in Hessen ist unentgeltlich. Deshalb müssen wir immer hinsehen, ob dieser Grundsatz wirklich noch gewahrt ist, dass das Schulsystem unentgeltlich ist, oder sich an vielen Stellen Entwicklungen ergeben haben, wo Eltern belastet werden und es immer stärker eine soziale Frage wird, ob sich Eltern diese zusätzliche Belastung noch leisten können. Um diese Frage geht es bei dieser Großen Anfrage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es wird doch keiner bestreiten, dass an immer mehr Schulen Kopierkostenpauschalen erhoben werden. Es wird doch niemand bestreiten, dass an immer mehr Schulen über die Lernmittelfreiheit hinaus Materialien über Elternspenden oder über eine Sammlung in der Klasse angeschafft werden. Das kann man doch alles nicht bestreiten. Wir werden nicht bestreiten können, dass manche Schulen zum Ausbau ihrer Infrastruktur mit Computern über Beträge, Gebühren oder ähnliche Modelle nachdenken.

Dann müssen wir sehen, wie lange es noch in der Grenze passiert, dass wir sagen können, alle Schülerinnen und Schüler haben gleiche Chancen. Wir müssen sehr genau hinschauen. Ich will im Moment noch nicht so weit gehen, zu sagen, die Grenze ist überschritten, aber dass wir hinschauen, dass wir uns um Daten bemühen, dass wir ernst nehmen, was uns Eltern sagen, dass sie für ihre Kinder mittlerweile unheimlich viel Geld aufwenden müssen, damit sie einmal an der Schule teilnehmen können. Ich finde, wir sollten das ernst nehmen und wollen keine – Herr Bauer, wie hatten Sie es genannt? – Überwachungsbürokratie aufbauen. Die will sicher keiner. Aber die Daten, die wir mit einfachen Mitteln erheben können und die uns teilweise schon zur Verfügung stehen, sollten wir sehr ernst nehmen. Es geht hier darum, ob die Unentgeltlichkeit des Schulsystems in Hessen tatsächlich in notwendigem Umfang gewahrt ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wenn Sie sich das Thema der Kostenerstattung für die Nutzung von Bussen und Bahnen, um zur Schule zu kommen, anschauen, haben wir objektiv ein Problem. Ich sage das jetzt nicht in irgendeiner parteipolitischen Schuldzuweisung.

(Zurufe von der FDP)

– Nein? Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

– Herr Kollege Boddenberg, ich hoffe zumindest, dass wir uns in der Frage, welche Kostenerstattung für die Nutzung von Bussen und Bahnen es gibt, um zur Schule zu kommen, dass die Frage, ob der Besuch der Oberstufe quasi als Luxus gilt, der nicht in die Erstattungsfähigkeit fällt, etwas ist, woran wir alle fünf Fraktionen gemeinsam einmal arbeiten müssten, dass wir sagen, die Schulpflicht ist formal mit dem Hauptschulabschluss oder mit dem mittleren Abschluss erfüllt, und darüber hinaus gibt es dann keine Kostenübernahme mehr für den ÖPNV.

Ich halte das für in einer Wissensgesellschaft nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich denke, wir alle sollten uns dieses Themas annehmen. – Herr Kollege Boddenberg, sind Sie bei mir? War der Zwischenruf doch zu früh?

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

– Gut, okay, Selbsterkenntnis.

Oder schauen wir uns die Nachhilfe an. Auch diesen Bereich muss man ernst nehmen. Seit Jahren haben wir die Entwicklung, dass der Nachhilfemarkt immer größer wird. Dazu gibt es empirische Zahlen und Erhebungen: Es wird immer mehr Geld für Nachhilfe ausgegeben.

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Irgendwann gelangt man an den Punkt, an dem sich Eltern fragen werden,

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

was sind die Ursachen. – Herr Kollege Bauer, Sie laden mich jetzt ein, die Bildungspolitik dieser Landesregierung zu kritisieren. Herr Kollege Bauer, das will ich an dieser Stelle aber trotzdem nicht tun.

Wir kommen zu der Frage: Wenn immer mehr Eltern sagen, neben dem staatlichen Schulsystem brauche ich für meine Kinder Nachhilfe, damit sie an dem staatlichen Schulsystem teilnehmen können, dann müssen wir uns fragen: Was machen wir im staatlichen Schulsystem nicht richtig? Und wir kommen zu dem Problem, dass sich das nicht alle Eltern leisten können. Das ist wiederum eine elementare Frage der Chancengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Denn es darf nicht sein, dass der Bildungserfolg vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist.

Wenn wir über die Unentgeltlichkeit des hessischen Schulsystems reden – das ist hoffentlich für alle fünf Fraktionen ein hohes Gut –, dann müssen wir uns anschauen, was derzeit bei den Schulen in freier Trägerschaft geschieht.

Da rede ich nicht über die bewährten und anerkannten Träger bei den Schulen in freier Trägerschaft – seien es die kirchlichen Träger, freie Schulen, Montessori-Pädagogik oder Waldorf-Pädagogik. Ich rede nicht über jene Schulen, die ein dezidiert anderes pädagogisches Konzept haben und sich deshalb in freier Trägerschaft organisieren, sondern ich rede von den Schulen, die – teilweise sehr aggressiv, mit teilweise sehr hohen Schuldgeldern – Eltern ein Angebot machen und sagen, wir sind besser als das staatliche Schulsystem und machen euch ein Angebot, weil ihr es euch leisten könnt, aus dem staatlichen Schulsystem hinauszugehen.

Das ist eine Entwicklung, die wir uns sehr genau anschauen müssen, weil das unser gemeinsames Ziel infrage stellt, ein leistungsfähiges öffentliches Schulsystem für alle Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Jetzt kann man sagen, bloß weil es die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN gefragt haben, nehmen wir diese Fragen nicht ernst. Ich denke, das wäre der falsche Weg.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Man kann sagen, weil einem die eine oder andere Frage nicht gefällt, nehmen wir es nicht ernst. – Ich rate dazu, sehr genau hinzuschauen, damit wir dieses leistungsfähige öffentliche Schulsystem erhalten und Fehlentwicklungen dort korrigieren, damit es nicht dazu kommt, dass die Menschen in unserem Land den Eindruck bekommen, Bildung und Bildungserfolg hängen vom Geldbeutel der Eltern ab. Das wäre fatal. Ich hoffe, wir sind uns darin einig. – Meine Damen und Herren, vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

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