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02.04.2009
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner zum Thema: Schülerinnen und Schüler büffeln – Kultusministerium pfuscht

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich war schon einigermaßen erstaunt, als Sie uns zu Beginn Ihrer Rede diese grandiose Panne beim Zentralabitur als einen Beleg dafür verkaufen wollten, dass das Zentralabitur funktioniert. Meine Damen und Herren, realitätsferner geht es nun wirklich nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Ministerin, ich weiß nicht so richtig, woran es liegt. Irgendetwas stimmt in diesem Kultusministerium nicht. Ich weiß nicht: Ist es ein Fluch? Ist es ein Virus in diesem Haus? Sind es Ausdünstungen aus den Schreibtischen?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Auf jeden Fall ist es ganz merkwürdig: Vor sechs Monaten waren Sie noch eine hoffnungsvolle bildungspolitische Sprecherin mit einem einigermaßen klaren Blick auf die Probleme unserer Schulen, und heute reden Sie wie Karin Wolff. Irgendetwas stimmt doch in diesem Lande nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Ministerin, mit der Praxis der Schulen, mit der Wirklichkeit der Schülerinnen und Schüler hatte das, was Sie heute hier gesagt haben, nicht viel zu tun.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Ich erinnere mich noch ganz gut, wie das vor 16 Jahren bei meinem Mathe-Leistungskurs-Abitur war. Ich erinnere mich gut, wie nervös, wie angespannt ich war. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es in diesem Jahr für die Schülerinnen und Schüler war, als eine halbe Stunde nach Prüfungsbeginn jemand hereinkam und sagte: Die Aufgaben sind falsch.

Frau Ministerin, das sind doch die Probleme.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich will Ihnen ein bisschen Praxis erzählen. Hier schreibt mir ein Lehrer: „Erschrocken und fassungslos habe ich als Lehrer am letzten Freitag während der Abitur-Grundkurs-Klausur auf den in der Aufgabenstellung enthaltenen Fehler reagiert. Etwa eine Stunde nach Beginn der Schülerarbeitszeit erreichte uns die Korrekturmeldung des Kultusministeriums.“

Eine Schülervertretung schreibt: „Zum Zeitpunkt der Korrektur hatten sich bereits viele Schülerinnen und Schüler mit der betreffenden Aufgabe auseinandergesetzt, natürlich ohne auf ein Ergebnis zu kommen. Dies führte zu einer enormen Steigerung der Nervosität, da viele verzweifelt versuchten, ein korrektes Ergebnis zu erhalten.“

Ein Lehrer schreibt zu der konkreten Aufgabe, die gestellt wurde: „Was soll dieser Unsinn? Das ist kein Fehler, den man beim Lesen der Aufgabe einfach überlesen kann. Weshalb muss ich in einer Aufgabe, für die es grundsätzlich zwei Wege gibt, Baum oder Vier-Felder-Tafel“ – Mathe-LK-Leute kennen sich aus – „einen Lösungsweg vorgeben?“

Frau Ministerin, das ist doch die Realität, und das ist kein Beleg für das Funktionieren des Zentralabiturs, sondern der Beleg dafür, dass im Kultusministerium in der Vorbereitung auf dieses Zentralabitur schlampig gearbeitet wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Ministerin, es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr Sie nach wenigen Monaten im Amt die Praxis nicht mehr wahrnehmen. Wir haben hier kein funktionierendes Zentralabitur erlebt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Herr Rentsch, ich wähle die Worte, die ich wählen will. Sie können die Worte wählen, die Sie wählen wollen.

(Florian Rentsch (FDP): Ich korrigiere Sie!)

Das ist kein funktionierendes Zentralabitur. Was wir hier erlebt haben, ist die größtmögliche Blamage der Bildungspolitik von CDU und FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Jahrelang haben CDU und FDP uns und den Menschen erzählt, mit dem Zentralabitur würde alles besser. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Über Jahre wurde auf dieses Zentralabitur hingearbeitet, und jetzt können noch nicht einmal mehr korrekte Aufgaben aus dem Kultusministerium gestellt werden. Über Jahre wurde erzählt, mit dem Zentralabitur schaffen wir vergleichbare Prüfungsbedingungen. Das muss man sich ja wirklich auf der Zunge zergehen lassen: vergleichbare Prüfungsbedingungen.

Frau Ministerin, was ist eigentlich daran vergleichbar, wenn die einen Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Prüfung erfahren, dass die Aufgabe falsch ist, wenn es die anderen während der Prüfung und manche vielleicht gar nicht erfahren. Was ist daran eigentlich eine vergleichbare Prüfungsbedingung, Frau Ministerin?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist und bleibt die größtmögliche Blamage für die Bildungspolitik von CDU und FDP.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Frau Ministerin, ich räume Ihnen gern ein: Sie können persönlich nichts für die Fehler in den Prüfungsaufgaben. Das will ich gern einräumen. Dafür sind Sie noch zu kurz im Amt. Sie tragen aber die Gesamtverantwortung, und vor allem tragen Sie die Verantwortung dafür, wie auf diese Panne reagiert wird. Frau Ministerin, hierzu kann ich nur sagen: Ihre erste Bewährungsprobe haben Sie nicht bestanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein ganzes Wochenende werden die Schülerinnen und Schüler und die Eltern völlig im Unklaren darüber gelassen, was jetzt genau passieren wird. Das steigert in einer solchen Prüfungssituation natürlich zusätzlich die Nervosität. Was haben Sie eigentlich das ganze Wochenende über gemacht? Was ist denn daran so schwierig, die zuständigen Leute zusammenzurufen und sehr schnell zu einer Klärung zu kommen? Sie waren in diesem Verfahren die Getriebene, Sie waren niemals Herrin dieses Verfahrens, Frau Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Und so wundert es auch nicht, dass die „Bild-Zeitung“ vom 30.03., die mit Ihnen ein Interview darüber geführt hat, welche Konsequenzen Sie ziehen wollen, schreibt – ich zitiere –:

Einen solchen Interviewpartner hatte ich in 35 Jahren als Journalist noch nie. Hessens Kultusministerin, Dorothea Henzler, weiß einen Tag nach der Blamage beim Abi nichts. Kaum eine Antwort auf konkrete Fragen.

Auch das kennen wir. Das kennzeichnete die Amtszeit von Karin Wolff.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie sind offenkundig auf Ihren Spuren, Frau Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann nur sagen, gerade weil Herr Banzer hier auch auf der Regierungsbank sitzt, ich hätte nie gedacht, dass ich es so früh sagen würde. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde es auch nie sagen, aber ich bin mir sicher: Dieses dilettantische Krisenmanagement wäre Herrn Banzer nicht passiert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Frau Ministerin, die entscheidende Frage ist: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser größtmöglichen Blamage der Bildungspolitik von CDU und FDP? Das wird es sein, woran wir Sie die nächsten Wochen und Monate messen werden. Welche Konsequenzen ziehen Sie? Sind Sie bereit, endlich den Zentralismuswahn, die Misstrauenskultur im Kultusministerium gegenüber den Schulen zu beenden? Das ist Ihre zentrale Aufgabe. Sie müssen unseren Schulen, den Schülern, Lehrern und Eltern endlich wieder vertrauen und etwas zutrauen. Sie müssen mit ihnen arbeiten und aufhören, aus dem Kultusministerium gegen unsere Schulen zu arbeiten. Das ist die zentrale Herausforderung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Ministerin, Sie sollen eine weitere Bewährungschance haben.

(Anhaltende Zurufe von der FDP – Lachen bei der CDU)

– Nein, Sie sollen diese haben. Ich habe gesagt, die erste Bewährungsprobe ist nicht bestanden. Frau Henzler, aber auch Sie sollen Ihre 100 Tage haben.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU und der FDP)

Aber Sie müssen unter Beweis stellen, dass Sie dem Kultusministerium nicht nur einen gelben Anstrich geben, sondern dass Sie es von Grund auf renovieren wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank.

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