Inhalt

03.03.2010
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner zum Thema: Eine Neue Schule – längeres gemeinsames Lernen ermöglichen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das dreigliedrige Schulsystem basiert auf einem veralteten bildungspolitischen Ansatz, der die Menschen in drei Gruppen unterteilt: die intellektuellen Gymnasiasten, die handwerklich begabten Realschüler und diejenige, die beiden zuarbeiten, die Hauptschüler. Doch dieses Menschenbild ist überholt.

(Beifall bei der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich schaue in die entsetzten Gesichter der Abgeordneten der CDU-Fraktion. Ich darf Ihnen sagen: Das waren nicht meine Worte, sondern Worte des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Ole von Beust, Mitglied der CDU.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, man muss die Meinung von Herrn von Beust nicht teilen. Wir leben in einem freien Land mit vielfältigen Meinungen. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, man muss aber gesellschaftliche Entwicklungen wahrnehmen. Wenn man gesellschaftliche Entwicklungen wahrnimmt, dann muss man erkennen, dass viele Eltern in unserem Land es genauso sehen wir Ole von Beust.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Eltern mit den Füßen abgestimmt haben. Sie akzeptieren die Hauptschule nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele Eltern in unserem Land wünschen sich für ihre Kinder ein längeres gemeinsames Lernen. Sie wünschen sich endlich auch in Hessen eine Alternative zu dem aus ideologischen Gründen strikt gegliederten Schulwesen. Lieber Herr Greilich, das muss man endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man das zur Kenntnis genommen hat, hat man zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Dass das so ist, wie ich es beschrieben habe, wird hoffentlich niemand in diesem Hause bestreiten. Man kann sagen: Liebe Eltern, es ist uns völlig wurscht, dass ihr das so seht. Den Teil der Gesellschaft, der ein solches Bildungssystem für seine Kinder will, ignorieren wir einfach. – Oder man kann es ernst nehmen, und dann muss man sich über neue pädagogische Konzepte Gedanken machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Für den ersten Weg, nämlich für das Ignorieren des Elternwillens, stehen CDU und FDP. Für das Ernstnehmen des Elternwillens stehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD. Meine Damen und Herren, das ist der grundlegende Unterschied in diesem Haus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn man den Wunsch vieler Eltern in diesem Land ignoriert, legt man ein Konzept für die neue Mittelstufenschule vor. Wenn man den Wunsch der Eltern ernst nimmt, legt man, so, wie es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Haus gemacht haben, ein Konzept für die Neue Schule vor.

Frau Henzler, ich wundere mich sehr. Sie haben im Wahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land versprochen, mit Ihnen gebe es einen Aufbruch in der Bildungspolitik. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern versprochen, dass Sie die Fehler korrigieren, die in zehn Jahren Bildungspolitik der CDU gemacht worden sind.

Was stellen wir jetzt, nach einem Jahr, fest? Sie haben nicht nur nichts hinbekommen – Stichwort: Bildungsstandard, Stichwort: selbstständige Schule –, sondern Sie sind mittlerweile sogar eine Kultusministerin von Gnaden der CDU. Sie vertreten, was das gegliederte Schulwesen angeht, mittlerweile die Positionen der CDU. So haben sich die Menschen den Aufbruch mit der FDP sicherlich nicht vorgestellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind zwar nicht Frau Irmer, wie es Frau Habermann eben in einem schönen Versprecher herausgerutscht ist, aber eines ist wahr: Wo Henzler draufsteht, sind Irmer und Wolff drin. Das ist mit der Vorlage Ihres Konzepts deutlich geworden. Neue Ansätze: Fehlanzeige.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir hätten in der Bildungspolitik einen Aufbruch dringend nötig. Liebe Kollegen von CDU und FDP, es reicht eben nicht, nur ein neues Türschild an gescheiterten pädagogischen Konzepten zu befestigen, sondern wir müssen endlich etwas anderes machen. Wir brauchen einen Aufbruch und ein neues pädagogisches Konzept für unsere Schulen. Das ist der Ansatz der Neuen Schule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Kollege Rentsch, Neue Schule bedeutet, dass an einer Schule alle Bildungsabschlüsse angeboten werden, statt dass man sich auf zwei konzentriert. Die neue Schule bedeutet ein längeres gemeinsames Lernen, wie es viele Eltern für ihre Kinder wollen. Die Neue Schule bedeutet kleinere Klassen, damit tatsächlich individuell gefördert wird.

Wir brauchen ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot an den Neuen Schulen in der Mittelstufe. Wir brauchen eine individuelle Förderung statt des Querversetzens und Sitzenbleibens.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir brauchen endlich eine Vernetzung von Schule und Jugend- und Sozialarbeit, statt dass die Pläne von Herrn Banzer zurückgenommen werden. Frau Henzler, auch hier sind Sie mittlerweile ganz weit weg von der schulischen Realität.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich brauchen wir die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit vielfältigen Schwierigkeiten. Wir brauchen auch eine bessere Berufsvorbereitung. Herr Kollege Irmer, wer bestreitet das in diesem Haus?

Natürlich brauchen wir das. Aber müssen wir dafür zehnjährige Kinder in verschiedene Schubladen stecken? Nein, allen Schülerinnen und Schülern tut eine stärkere berufliche Orientierung gut. Herr Irmer, warum wollen Sie den Gymnasiasten eigentlich eine stärkere Orientierung auf den Beruf vorenthalten? Die künstliche Einteilung, die Sie hier vornehmen, ist völlig unverständlich. Ole von Beust hat dazu gesagt, das sei ein überholtes Menschenbild und durch nichts zu rechtfertigen, es sei denn, man setzt auf blanke Ideologie.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Einmal mehr ist der CDU – leider jetzt auch der FDP – die Ideologie wichtiger als die schulische Wirklichkeit und die Wünsche der Eltern in unserem Land. Machen Sie so weiter; das wird schiefgehen. Eine solche Schulpolitik hatten wir schon einmal unter dem Kultusminister Christean Wagner. Das Ergebnis ist bekannt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will sehr präzise auf die Unterschiede eingehen. Das Schöne an der parlamentarischen Demokratie ist schließlich, dass unterschiedliche Konzepte auf dem Tisch liegen und man sich mit ihnen auseinandersetzen kann. Auf der einen Seite gibt es die Mittelstufenschule von Schwarz-Gelb, und auf der anderen Seite gibt es die Neue Schule von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich möchte die Unterschiede ganz genau herausarbeiten. Wir stehen für den Elternwillen, und Sie stehen für die Abschaffung der freien Schulwahl. Dafür steht Schwarz-Gelb,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Wagner, schauen wir bei der neuen Mittelstufenschule einmal ins Kleingedruckte. Da heißt es nämlich: Ist ein Kind erst einmal auf der neuen Mittelstufenschule, haben die Eltern beim weiteren Bildungsweg nichts mehr mitzureden; dann entscheidet allein die Schule. – Das ist ein Rückschritt gegenüber dem Status quo.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Wagner, Sie sagen dem Elternwillen den Kampf an, wir sind für die freie Schulwahl.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

– Ja, Herr Wagner, wir haben es gemerkt. Es tut mir leid, wir haben es gemerkt, und die Eltern haben es auch gemerkt. Das werden Sie feststellen, wenn Sie sich einmal die Stellungnahmen des Elternbeirats anschauen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

– Herr Kollege, was heißt denn: „Ja, ja, die Frau Geis!“?

(Unruhe)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, eine Sekunde. – Meine Damen und Herren, ich darf Sie um mehr Ruhe im Plenarsaal bitten.

Mathias Wagner:

Der zweite Unterschiede zwischen uns ist, dass Sie sagen: ein Eingang, zwei Ausgänge. – Wir sagen: ein Eingang, drei Ausgänge. – Wieso beschränken Sie das denn künstlich? Dafür gibt es fachlich überhaupt keinen Grund. Ein Eingang, drei Ausgänge – das wäre ein vernünftiges politisches Konzept.

Wir stehen für Schulvielfalt, während Sie die Zerschlagung der Gesamtschulen ankündigen. Auch an diesem Punkt muss man Ihr Konzept einmal richtig lesen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Wenn Sie Ihr Konzept für die neue Mittelstufenschule auf die Gesamtschulen übertragen, ist das Ergebnis weniger gemeinsames Lernen, nicht mehr. Herr Kollege Irmer, das wollten Sie immer schon. Dann sagen Sie es doch auch. Wir stehen für Schulvielfalt, Sie wollen die Gesamtschulen zerschlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Sie müssen mir eines erklären: Was haben denn diese etatistischen Vorgaben für die Organisation der neuen Mittelstufenschule, die der Kollege Irmer hier vorgetragen hat, mit der selbstständigen Schule zu tun? Sie regieren wieder bis ins Detail in den Schulalltag hinein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Henzler, als Sie noch in der Opposition waren, waren wir uns doch einig, dass die Politik den Schulen die Ziele vorgibt, die sie erreichen müssen. Dann geben wir den Schulen die größtmögliche Freiheit bei der Erreichung dieser Ziele. Warum gehen Sie von diesem Weg ab? Warum regieren Sie wieder bis ins Detail in die Schulen hinein? Ich kann es Ihnen sagen: weil Sie Ihr Weltbild mit dem Gesetzesblatt durchsetzen wollen, statt das zu machen, was sich viele Eltern in unserem Land für ihre Kinder wünschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Letzter Punkt. Herr Kollege Irmer hat recht. Dieses Konzept ist wirklich bundesweit einmalig. Auf diese Idee kommt sonst bundesweit niemand.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, bitte kommen Sie zum Schluss.

Mathias Wagner:

Der Trend in der Bildungspolitik geht genau in die Richtung, die wir in unserem Konzept für die Neue Schule beschreiben. Auch CDU-Ministerpräsidenten haben das erkannt. In Hamburg, in Schleswig-Holstein, im Saarland, in Thüringen – überall werden solche Konzepte wie bei uns vorgelegt. Der hessischen CDU muss man das auch noch erklären. Wir sind mittlerweile froh, wenn Sie das, was Ihre Amtskollegen in Schleswig-Holstein und in anderen Bundesländern vertreten, hier nicht als Sozialismus geißeln. Das zeigt einmal mehr, dass die hessische CDU in bildungspolitischen Fragen leider noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist. Die FDP ändert daran einmal mehr überhaupt nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, vielen Dank.

Kontakt

Zum Thema