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18.06.2009
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner zu: Erneute Proteste der Schüler und Studierenden verdeutlichen die Notwendigkeit eines Kurswechsels in der Bildungspolitik

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir reden jetzt über den Bildungsstreik 2009. Am gestrigen Tag haben mehr als 100.000 Schülerinnen und Schüler und Studierende in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Bildungspolitik demonstriert. In Hessen haben mehrere Tausende Schülerinnen und Schüler und Studierende demonstriert.

Herr Kollege Beuth, Ihr Versuch, aufgrund einzelner Ausschreitungen, die hier im Hause niemand gut findet,

(Zurufe der Abg. Michael Boddenberg (CDU) und Peter Beuth (CDU))

die Schülerinnen und Schüler und die Studierenden zu kriminalisieren und in die linksradikale Ecke zu stellen, ist beschämend und eine Beleidigung dieser Schülerinnen und Schüler und Studierenden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ihr bildungspolitischer Sprecher hat in einer Pressemitteilung vom gestrigen Tage erklärt – ich zitiere –, dass „unter dem Denkmäntelchen der Bildungspolitik versucht werde, ideologische Stimmungsmache zu betreiben“.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren von der Union, wie billig geht es eigentlich noch?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie arrogant geht es eigentlich noch? Da machen sich Schülerinnen und Schüler und Studierende in unserem Land auf, um auf berechtigte Anliegen aufmerksam zu machen. Da fassen Kreis- und Stadtschülerräte Beschlüsse und organisieren Demonstrationen und Gespräche. Das Einzige, was der Regierungspartei dazu einfällt, ist, das Engagement der Schülerinnen und Schüler und der Studierenden zu diffamieren. Ihre Argumente zur Verteidigung Ihrer Politik müssen ziemlich dünn sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wenige Monate nach der Landtagswahl sind wir wieder in die grauen bildungspolitischen Zeiten von Karin Wolff zurückgekehrt.

Es ist wieder so wie in den vergangenen zehn Jahren: Mehrheit ist wieder Wahrheit. Proteste sind wieder Majestätsbeleidigung. Kritiker werden diffamiert, anstatt ernst genommen zu werden. Wir befinden uns wieder in der grauen bildungspolitischen Vorzeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN, Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Die Tatsache, dass die FDP jetzt mitregiert, ändert daran überhaupt nichts. Sie sind mit der Landtagswahl stark geworden. Sie nutzen ihren Einfluss überhaupt nicht. Es geht genauso weiter wie unter Karin Wolff.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD, Zuruf des Abg. Hugo Klein (CDU))

– Herr Kollege Klein, ich kann das gerne aufgreifen. Neu ist, dass die FDP dabei ist. Viele Menschen dieses Landes hatten die Erwartung, dass, wenn eine Partei die Regierung neu mit stellt und wenn sie von den Bürgerinnen und Bürgern den Auftrag bekommt, etwas an der Bildungspolitik zu ändern, sie das dann auch tut.

Wir stellen aber fest: Die FDP sagt zu allem Ja und Amen. Es kommt kein Wort von der FDP, wenn die Schülerinnen und Schüler von der CDU beleidigt werden. Die FDP ist froh, dabei zu sein. Ändern will sie nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist doch die Situation, die wir in der Bildungspolitik haben. Die Bürgerinnen und Bürger wollten eine andere Bildungspolitik in diesem Land. Sie haben die FDP bekommen. Das ist die Wirklich in diesem Land.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Herr Kollege Blum, rufen Sie nur dazwischen. Die beiden Landtagswahlen zeigen eines ganz deutlich: Die Menschen unseres Landes wollten eine andere Bildungspolitik. Die Menschen unseres Landes hatten die Nase von zehn Jahren Bildungspolitik der CDU voll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege Blum, ja, Sie haben die Mehrheit bekommen. Aber Sie haben die Verantwortung, mit dieser Mehrheit verantwortlich umzugehen und etwas zu ändern. Herr Kollege Blum, das ist Ihre Aufgabe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Veränderungen brauchen wir im hessischen Bildungssystem ganz dringend. Da halte ich es mit der Bundeskanzlerin. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt gerne:

Politik beginnt mit dem Wahrnehmen der Wirklichkeit.

Wenn wir uns die Wirklichkeit nach zehn Jahren Bildungspolitik einmal mit und einmal ohne FDP anschauen – einen Unterschied macht das nicht –, dann stellen wir fest: Das hessische Bildungssystem befindet sich bei keiner einzigen nationalen oder internationalen Vergleichsstudie auch nur in einem Fall im oberen Drittel. In allen nationalen und internationalen Vergleichsstudien befinden wir uns im Mittelfeld oder im unteren Drittel.

Politik beginnt mit dem Wahrnehmen der Wirklichkeit.

Da die Bilanz so ist und da man feststellt, die Ansätze der letzten zehn Jahre haben nicht dazu geführt, Hessen zum Bildungsland Nummer eins zu machen, ergibt sich daraus: Es wäre dringend an der Zeit, etwas anders zu machen. Dass die Schülerinnen und Schüler und die Studierenden gestern zu Tausenden darauf hingewiesen haben, ist gut. Denn sie merken, dass etwas mit der Bildung in unserem Land nicht stimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es wäre jetzt an der FDP, daran etwas zu ändern. Es wäre jetzt an Ihnen, dieses „Weiter so!“ zu beenden.

Aber wir stellen fest: Diese Regierung mit der neuen Kultusministerin hat auf die entscheidenden bildungspolitischen Fragen unseres Landes keine Antwort. Sie haben keine Antwort. Sie haben kein Konzept, aus dem sich ergibt, wie Sie den guten Bildungs- und Erziehungsplan tatsächlich in die Realität umsetzen wollen. Es gibt keine Vorschläge, wie die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass dieser Bildungs- und Erziehungsplan tatsächlich umgesetzt werden kann. Stattdessen machen Sie mit Ihrer Kinderschule wieder etwas völlig Neues, was alle verunsichert. Aber eine Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans erfolgt nicht.

(Zuruf von der FDP)

Sie haben keine Antwort auf das Akzeptanzproblem der Hauptschule bei den Eltern. Nicht einmal mehr 4 Prozent der Eltern melden Ihre Kinder an der Hauptschule an. Sie haben keine Antwort darauf, dass unsere Gymnasien aus allen Nähten platzen. Sie haben diese Antwort nicht, weil Sie sich der Wahlfreiheit der Eltern über das pädagogische Konzept der Mittelstufe verweigern. Sie verweigern den Eltern unseres Landes immer noch das pädagogische Konzept des gemeinsamen Lernens in der Mittelstufe, das die Eltern für ihre Kinder haben wollen. Deshalb lösen Sie die Probleme nicht, die es in der Mittelstufe gibt.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das Erste, was die vermeintlich liberale Partei FDP mit ihrer Kultusministerin gemacht hat: Sie hat die Rahmenbedingungen zur Neugründung integrierter Gesamtschulen verschlechtert. – Mit der Umsetzung des Elternwillens hat dies alles nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Sie haben keine Antwort auf den Wunsch der Eltern, der Schüler und der Lehrer, mehr Zeit zur Förderung und mehr Zeit zum Lernen an den Schulen zu haben. Meine Damen und Herren der FDP, es reicht nicht, in den Koalitionsvertrag hineinzuschreiben, bis zum Jahr 2015 solle es irgendwie an den Schulen ganztägig zugehen. Sie müssen konkret sagen, wie Sie das machen wollen. Dazu gibt es von Ihnen keine Aussage. Das Einzige, was wir haben, ist die Feststellung, dass Sie mit dem Haushalt für das Jahr 2009 ganzen zehn weiteren Schulen die Aufnahme in das Ganztagsschulprogramm des Landes ermöglichen wollen.

Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, brauchen wir 100 Jahre, bis wir an allen hessischen Schulen ein Ganztagsangebot haben. Sie haben keine Idee, Sie haben keine Perspektive, wo es mit unserem Bildungssystem hingehen soll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben keine Antwort auf den demografischen Wandel. Gerade im ländlichen Raum gehen die Schülerzahlen sehr stark zurück. Es fragen sich viele Eltern, wie es mit ihrem Schulstandort weitergeht, ob es ihre Schule in ein paar Jahren noch gibt.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

– Ja, Herr Kollege Döweling, wir haben eine Antwort. Schön, dass Sie nachfragen. Wir helfen da gerne.

Wir haben eine Antwort auf den demografischen Wandel im ländlichen Raum. Ein Teil dieser Antwort ist für die Grundschulen der jahrgangsübergreifende Unterricht und ist in der Mittelstufe das längere gemeinsame Lernen, weil man dann schulortnahe Standorte aufrechterhalten kann, Herr Kollege Döweling.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Kollege, beiden Punkten verweigern Sie sich und verweigert sich Ihre Kultusministerin aus ideologischen Gründen.

(Zurufe der Abg. Mario Döweling und Leif Blum (FDP))

Weil Ihnen der jahrgangsübergreifende Unterricht ideologisch nicht in den Kram passt, und weil Ihnen das längere gemeinsame Lernen ideologisch nicht in den Kram passt, müssen Kinder gegen den Wunsch ihrer Eltern weitere Schulwege in Hessen in Kauf nehmen. Sie haben keine Perspektive, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Sie haben auch keine Vorstellung, wie es mit dem Bolognaprozess an unseren Hochschulen weitergehen soll. Das große Versprechen, die große Idee des Bolognaprozesses war, einen europäischen Hochschulrahmen zu schaffen, war es, den Wechsel zwischen europäischen Hochschulen zu erleichtern, war eine Verbesserung der Studienbedingungen an unseren Hochschulen. Wenn man sehenden Auges durch unsere Hochschulen und durch unser Land geht, muss man feststellen: Das hat alles nicht geklappt; wir haben weniger Beweglichkeit, wir haben weniger Mobilität; wir haben ein weniger vertieftes Studium. Deshalb brauchen wir hier eine Reform der Reform – auch dazu von Ihnen kein Wort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Wagner, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Mathias Wagner:

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin ist heute nicht da. Herr Staatssekretär wird es gerne ausrichten. Die Ministerin soll erneut eine Chance haben. Es sind zwar jetzt weit über 100 Tage herum. Sie wird – nehme ich an – nach der Sommerpause erneut eine Regierungserklärung abgeben. Dieser Hessische Landtag und die hessische Öffentlichkeit erwarten dann auf die von mir genannten Fragen endlich eine Antwort der Regierung. Bislang gibt es Antworten der Opposition. Von der Regierung gibt es nichts. Deshalb waren die Proteste vom gestrigen Tag mehr als berechtigt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Wagner.

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