Inhalt

08.09.2010
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner zu: Bildung darf nicht an den Kosten für den Schulweg scheitern

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben uns wieder einmal vorgenommen, in diesem Haus einen neuen Stil zu pflegen. Ich versuche, mich daran zu halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und demonstrativer Beifall bei der CDU)

Deshalb möchte ich zu Beginn festhalten, worin sich, glaube ich, alle Fraktionen in diesem Haus einig sind und worin bislang auch alle Rednerinnen – es waren nur Damen – übereingestimmt haben.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD) – Weitere Zurufe)

–„Nur“ im Sinne von ausschließlich.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir sind uns in diesem Haus einig – egal ob Mann oder Frau –,

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bildung entscheidet über die Teilhabechancen in unserer Gesellschaft. Darüber sind wir uns einig; das wollen wir festhalten. Wir sind uns einig, dass die Bildungschancen der Kinder nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein dürfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es darf auch nicht sein – so habe ich die Kollegin Habermann und die Kollegin Ravensburg verstanden –, dass der Zugang zu Bildungsabschlüssen an den Fahrtkosten für den Weg zur Schule scheitert. Darin sind sich alle einig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das können wir hier schon einmal festhalten; denn es ist eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen über dieses Thema, dass es über das Ziel keinen Streit gibt.

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie der richtige Weg dorthin aussieht. Wir können uns stundenlang mit einer Debatte darüber aufhalten, wer den Weg schon wie präzise beschrieben hat. Die SPD hat Vorschläge gemacht, meine Fraktion hat Vorschläge gemacht, und Frau Ravensburg hat Vorschläge angekündigt.

Wir können uns jetzt darüber streiten, dass sie sie erst angekündigt hat, wir sie aber schon vorgelegt haben. Ich weiß nicht, ob das weiterführt. Frau Kollegin Ravensburg, wenn wir uns darin einem einig sind, dass es so, wie es jetzt ist, nicht bleiben kann, haben wir eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Claudia Ravensburg (CDU))

– Die Kollegin Ravensburg klatscht. – Also geht es in diesem Haus jetzt nicht mehr darum, infrage zu stellen, dass wir ein Problem haben und dieses Problem lösen müssen, sondern nur noch darum, wie wir dieses Problem lösen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wenn man den neuen Stil und eine sachliche Debatte voraussetzt, muss man feststellen, es gibt nicht sehr viele Lösungsmöglichkeiten. Ich will die Lösungsmöglichkeiten skizzieren. Es gibt die Möglichkeit, sich auf § 161 Abs. 7 des Schulgesetzes zu berufen und zu sagen: Wir als Land haben mit dem Thema nichts zu tun. Das müssen die Kommunen lösen. Die Kommunen müssen es bezahlen, wenn es besondere Belastungen im Zusammenhang mit dem Schulweg gibt.

04 Ich finde, es sollte nicht unser Weg sein, zu sagen: „Wir als Land haben damit nichts zu tun“, und den Schwarzen Peter den Kommunen zuzuschieben. Frau Kollegin Ravensburg, ich hoffe, auch da sind wir uns noch einig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir könnten sagen: Wir machen die Kostenerstattung für den Weg zur Schule, die bislang nur bis zum Abschluss der Mittelstufe gilt, jetzt auch generell für die Oberstufe. Das wäre ein sehr eleganter Weg. Es wäre aber auch ein sehr teurer. Ich glaube, wir sollten deshalb zweimal darüber nachdenken, ob wir das machen wollen. Es wäre aber eine denkbare Lösung des Problems.

Es wäre auch eine denkbare Lösung des Problems, den Kindern bedürftiger Eltern, also den Kindern aus bedürftigen Familien, über eine Stiftung die Fahrt zur Schule zu finanzieren. Bei der Versorgung mit Mittagessen gehen wir diesen Weg über die Karl Kübel Stiftung. Wir begehen diesen Weg mit großem Erfolg.

Auch da gab es verschiedene Initiativen aus dem Parlament. Die GRÜNEN hatten dazu etwas beantragt. Am Ende ist es dann dazu gekommen.

Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns, unabhängig davon, auf welche Lösung wir uns verständigen, bei diesem Thema nicht so sehr damit aufhalten, wer da die Initiativen eingebracht hat. Vielmehr sollten wir über die Frage streiten, ob das, was in den Initiativen steht, das Richtige ist. Vielleicht können Sie dann auch einmal einer Initiative der Opposition zustimmen.

Das wäre ein Weg, wie man es machen könnte. Man könnte es auch, wie es die Kollegen der SPD-Fraktion vorgeschlagen haben, über ein eigenes Leistungsgesetz machen. Da würden die Gelder pauschal und zweckungebunden gezahlt. Das besagt der Vorschlag der SPD-Fraktion. Dieser Weg wäre relativ teuer. Das muss man sagen.

Oder aber man sagt, so wie wir GRÜNEN das gemacht haben: Lasst uns diese Leistung als eine nach dem Sozialgesetzbuch II definieren. Wenn Eltern einen besonderen Bedarf haben, weil der Transport ihrer Kinder zur Schule so teuer ist, dass sie das nicht bezahlen können, dann soll Ihnen in diesem Fall die Leistung erstattet werden. Das wäre aus unserer Sicht der Weg, der den bedürftigen Eltern helfen würde und der von den Kosten her noch überschaubar wäre. Deswegen werben wir sehr stark dafür, diesen Weg zu gehen.

Wir werden durch die Urteile der Sozialgerichte in Hessen bestärkt. Mehrere Sozialgerichte in Hessen haben festgestellt, dass die Eltern dieses Anrecht heute schon haben. Eltern, die auf Erstattung der Kosten nach dem Sozialgesetzbuch II geklagt haben, haben in Eilentscheidungen vor hessischen Sozialgerichten Recht bekommen.

Wir als Politiker müssen uns bei dieser elementaren Frage des Zugangs zur Bildung fragen: Wollen wir es Einzelfallentscheidungen und Klagen einzelner Eltern überlassen, ob sie das bezahlt bekommen; oder haben wir als Politiker die Kraft, die gesetzlichen Regelungen so klar zu gestalten, dass alle Eltern wissen, dass sie, wenn sie bedürftig sind, ein Anrecht auf diese Leistung haben? Wir sollten als Politiker die Kraft haben, das ganz klar im Sozialgesetzbuch II zu definieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die von uns vorgeschlagene Regelung hätte auch den Vorteil, dass sie sich auf Bundesebene in eine laufende Debatte über die Leistungen nach Hartz IV und dem Sozialgesetzbuch II einpassen würde. Wir kämen genau zur richtigen Zeit. Wir sollten als Landtag die Kraft haben, die Landesregierung zu beauftragen, sich in diese Debatte in diesem Sinne einzumischen.

Meine Damen und Herren, man kann viel über das Für und Wider der Bildungschipkarte diskutieren, die im Moment auf Bundesebene in der Debatte ist. Kerngedanke der Debatte, warum man überhaupt über eine Bildungschipkarte diskutiert, ist der Gedanke, dass man auch Kindern aus einkommensschwachen Familien einen besseren Zugang zur Bildung gewähren will. Das ist der Kerngedanke.

Es wäre doch geradezu absurd, auf Bundesebene die Einführung einer Bildungschipkarte zu vereinbaren, mit der die Kinder dann die Musikschule besuchen dürfen, gleichzeitig scheitert der Besuch der gymnasialen Oberstufe aber daran, dass die Eltern nicht den Transport zur Schule bezahlen können. Das wäre doch absurd.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

– Ich sehe, Frau Kollegin Ravensburg klatscht. – Deshalb müssen wir in diese Debatte hineinkommen. Wir müssen da hineinkommen und sagen: Wenn wir den Zugang zu Bildung auch für Kinder einkommensschwacher Familien verbessern wollen, dann ist das eine der ganze wichtigen Maßnahmen. Bevor wir über etwas anderes diskutieren, bevor wir große Pläne mit der Bildungschipkarte haben und bevor sich Frau von der Leyen überlegen kann, was sie noch alles Gutes tun kann, sollten wir die erste Angelegenheit auch wirklich zuerst regeln. Genau das ist unser Vorschlag.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man könnte es, wie es die Kollegen der SPD-Fraktion vorgeschlagen haben, auch über pauschale Leistungen machen. Ob das so gut wäre, weiß ich nicht. Wir streiten nicht darüber, dass das Existenzminimum für alle Menschen unseres Landes als pauschale Leistung gewährt werden muss. Man muss schauen, wie hoch dieses Existenzminimum sein muss. Ich finde aber, über die Frage, ob wir das, was darüber hinausgeht, was also die spezifischen Bedarfe sind, besser darüber erledigen, dass wir das im Einzelfall gewährleisten, ob wir das besser darüber gewährleisten, dass wir die öffentlichen Institutionen unseres Staates stärken, oder darüber, direkte Geldtransfers zu leisten, lohnt die Debatte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir täten sehr gut daran, das knappe Geld, das wir haben, in die Sicherstellung des Existenzminimums und in die Stärkung unserer öffentlichen Institutionen zu investieren. Das Geld, das wir dann noch haben, sollten wir dazu verwenden, bedürftigen Familien möglichst zielgenau zu helfen. Unser Vorschlag ist absolut zielgenau. Er würde das Problem absolut lösen. Deshalb glauben wir, dass das der beste Weg ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Mathias Wagner:

Falls es da noch Beratungsbedarf gibt, können wir das sehr gerne tun. Frau Kollegin Ravensburg, ich habe aber eine große Bitte. Ich glaube, das, was Sie gesagt haben, ist eigentlich nicht so weit weg von dem, was wir beantragt haben. Ich habe die herzliche Bitte: Lehnen Sie unseren Antrag nicht nur deshalb ab, weil BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nicht CDU und FDP darüber steht.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich glaube, das wäre der Sache nicht angemessen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, vielen Dank.

Kontakt

Zum Thema