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07.03.2012
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Selbstständige Schule in Hessen

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor sage und schreibe neun Jahren, im Jahre 2003, hat der Hessische Landtag einstimmig beschlossen, dass es eine gute Idee ist, den Schulen mehr Selbstständigkeit zu geben. Das war vor sage und schreibe neun Jahren.

Vor sage und schreibe sieben Jahren haben sich die ersten Schulen, nämlich die ersten beruflichen Schulen, im Rahmend es Projekts „Selbstverantwortung plus“ auf den Weg gemacht, mehr Selbstständigkeit zu erproben.

Heute, im Jahr 2012 – neun Jahre nach dem Beschluss des Landtags –, möchten uns CDU und FDP weismachen, es ist eine Großtat, dass jetzt 59 von rund 1.700 Schulen in Hessen auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit sind. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie glauben doch nicht wirklich, dass das ein Erfolg ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Neun Jahre nach dem Beschluss eines Konzepts, das von allen Fraktionen im Landtag getragen wird – seit DIE LINKE dabei ist, leider nicht mehr von allen –, machen 59 von 1700 Schulen mit.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, glauben Sie wirklich, dass das die Geschwindigkeit ist, die Sie für Veränderungen an unseren Schulen brauchen? Glauben Sie wirklich, dass das die angemessene Geschwindigkeit ist, um Schülerinnen und Schüler individueller zu fördern? Glauben Sie wirklich, dass das die angemessene Geschwindigkeit ist, um die großen Probleme, die wir an unseren Schulen nach wie vor haben, zu lösen? Glauben Sie wirklich, dass das die Antwort auf die Tatsache ist, dass 20 % eines jeden Schülerjahrgangs die Schule nach wie vor mit größten Problemen verlassen? Wenn das das Tempo ist, mit dem Sie vorgehen, werden Sie den Herausforderungen unseres Bildungswesens nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will das hier sehr deutlich sagen: Wir haben im Jahr 2003 für die Idee der selbstständigen Schule gestimmt, und wir stehen auch im Jahr 2012 zu dieser Idee. Selbstständige Schule bedeutet aber mehr als eine bloße Mangelverwaltung. Sie muss auch mehr bedeuten. Selbstständige Schule muss bedeuten, dass die Schulen tatsächlich mehr pädagogische und organisatorische Freiheiten bekommen, um ihre Qualität zu verbessern und mehr individuelle Förderung auf den Weg zu bringen.

Damit das gelingen kann, brauchen die Schulen auch mehr Mittel. Deshalb war es richtig, dass wiederum alle Fraktionen erklärt haben: Wir brauchen die 105-prozentige Lehrerversorgung. Wer jetzt zwar die selbstständige Schule einführen, den Schulen aber die notwendigen Mittel vorenthalten will, versündigt sich an dieser Idee.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Herr Kollege Döweling, dann kommt nämlich bei den Schulen an: Die Schwarzen und die Gelben reden von selbstständiger Schule und meinen damit eigentlich eine Mangelverwaltung. Damit schaden Sie der Idee der selbstständigen Schule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die selbstständige Schule einzuführen ist richtig; denn vor Ort kann am besten über Förderkonzepte entschieden werden, und die jeweilige Schule kann am besten beurteilen, wie sie sich mit ihrem Lernumfeld vernetzt und wie sie mit der Kommune zusammenarbeitet. Zu dieser großen Idee der selbstständigen Schule stehen wir GRÜNE nach wie vor.

Aber die selbstständige Schule muss auch bedeuten, dass sich unser Bildungswesen ändert. Frau Ministerin, es kann eben nicht sein, dass man den Schulen sagt: „Ihr müsst euch ändern, ihr müsst euch auf den Weg machen“, und alles andere rund um die Schulen unverändert lässt. So wird die selbstständige Schule nicht funktionieren. Wir müssen auch die Kraft haben, die Schulverwaltungsstrukturen anzupassen, damit sie auf die selbstständige Schule ausgerichtet sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

– Herr Kollege Greilich, da Sie gerade wieder so freundlich dazwischenrufen: Eine Anpassung der Schulverwaltungsstrukturen nimmt man aus pädagogischen Erwägungen vor und nicht, weil man, wie Sie, den Rotstift ansetzen möchte. Herr Kollege Greilich, genau das ist der Unterschied.

(Befall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir brauchen eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Staatlichen Schulämtern und dem kommunalen Schulträger. Wir GRÜNE haben Ihnen ein umfangreiches Konzept zur selbstständigen Schule vorgelegt.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

– Jetzt ruft Herr Kollege Döweling dazwischen, das sei unausgegoren. Herr Kollege Döweling, wir haben immerhin ein Konzept. Sie dagegen sind an der Regierung und machen nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, es ist ein bemerkenswerter Ansatz, wenn Sie sagen, unser grünes Konzept sei unausgegoren. Herr Kollege Döweling, Sie sind herzlich eingeladen: Legen Sie ein eigenes Konzept vor – Sie stellen hier die Regierung, auch wenn man es nicht merkt –, dann können wir darüber diskutieren.

Herr Kollege Döweling, da Sie es freundlicherweise noch einmal in unsere Debatte einführen: Hinter unserem Konzept steht der Gedanke einer weitgehenden Zusammenführung der Staatlichen Schulämter und der kommunalen Ebene. Es ist also an eine weitgehende Kommunalisierung gedacht. Das ist genau der richtige Weg, wenn es um die selbstständige Schule geht; denn die selbstständigen Schulen brauchen Unterstützung aus einer Hand. Das leidige Zuständigkeitsgeschachere – wer ist für die Verbesserung der Situation an der Schule zuständig? – muss endlich aufhören. Die Schulen brauchen einen einzigen Ansprechpartner, der sie unterstützt, und kein Kompetenzgeschachere. Deshalb ist es ein sehr richtiger und kluger Vorschlag, den Weg der Kommunalisierung zu gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zurufe von der FDP)

Wir brauchen zumindest die Zusammenführung der Budgets. Das Land gibt den Schulen Geld, und die Kommunen geben den Schulen Geld. Die Schulen hätten es aber gern – sie brauchen es auch –, wenn sie dieses Geld insgesamt verwalten könnten.

Auch bei den strukturellen Verbesserungen, die die Schulen brauchen, um selbstständig arbeiten zu können, kommen Sie keinen Schritt voran. Feiern Sie sich deshalb bitte hier nicht dafür, dass 59 von 1700 Schulen selbstständige Schulen sind.

Frau Ministerin, Sie werden nachher noch sprechen. Ich bitte Sie, zu dieser Frage Stellung zu nehmen: Sind die 24 allgemeinbildenden Schulen, von denen Sie sagen, es seien selbstständige Schulen, dies überhaupt im Sinne Ihres Schulgesetzes? Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diese Ministerin und die Koalitionsfraktionen erklären: Wir haben 24 allgemeinbildende Schulen, die selbstständige Schulen sind. In dem Schulgesetz, das diese Koalition vorgelegt hat, steht: „Grundlage der Umwandlung in eine selbstständige Schule ist eine Konzeption der Gesamtkonferenz.“ Sonst sind es keine selbstständige Schulen.

Frau Ministerin, ich bitte Sie, nachher Stellung dazu zu nehmen, von wie vielen dieser 24 allgemeinbildenden Schulen eine solche Konzeption vorliegt. Sonst sind es formal keine selbstständigen Schulen, oder Sie verstoßen gegen Ihr eigenes Schulgesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist mehr als eine formale Frage. Warum steht das denn im Schulgesetz? Warum heißt es im Schulgesetz, wir benötigten eine Konzeption für eine selbstständige Schule? Das steht dort, weil eben diese Konzeption der Kern der Selbstständigkeit ist: dass sich die Schule auf den Weg begibt, dass die Schule tatsächlich etwas verändern will und dass man sich dort Gedanken über die Pädagogik macht. Deshalb brauchen wir eine von der Gesamtkonferenz vorgelegte Konzeption.

Wer sagt, das sei nicht so wichtig, weil er, wie diese Ministerin, getrieben von seinem politischen Geltungsdrang Erfolge präsentieren will, macht die selbstständige Schule zu einem Namen auf einem neuen Türschild, aber er will pädagogisch nicht wirklich etwas verändern. Frau Ministerin, das wäre der falsche Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es eingangs gesagt: 59 von 1.700 Schulen sind selbstständige Schulen. Man kann über den früheren Ministerpräsidenten und die frühere Kultusministerin, nämlich Roland Koch und Karin Wolff, vieles sagen. Aber es gab unter der Regierungsverantwortung dieser beiden wenigstens noch den Anspruch, Hessen zum Bildungsland Nummer eins zu machen. Wir stellen fest: Unter Volker Bouffier und Dorothea Henzler gibt es nicht einmal mehr diesen Anspruch. Da reicht ein Durchwurschteln, und da erklärt man, wenn lediglich 59 von 1.700 Schulen etwas machen, man habe alle Probleme an den Schulen gelöst. Mein Gott, welch ein Abstieg. Welch kleine Brötchen backen Sie mittlerweile bildungspolitisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Mathias Wagner:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Frau Kultusministerin, deshalb sage ich: Das, was Sie da vorlegen, mag ein großer Schritt für Sie sein, aber es ist ein kleiner Schritt für unsere Schulen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, vielen Dank.

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