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02.02.2011
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Schulgesetz

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die heutige Kultusministerin hatte im Landtagswahlkampf den Schulen viel versprochen. Wir haben, seit die Legislaturperiode läuft und Frau Henzler Kultusministerin geworden ist, immer wieder gefragt, wie es denn mit der Einhaltung der Versprechungen aussieht. Es wurde immer gesagt: Gemach, gemach, es kommt alles mit dem neuen Schulgesetz.

Es verging ein halbes Jahr. Es verging ein Jahr. Es vergingen eineinhalb Jahre, mittlerweile zwei Jahre. Sie hätten genug Zeit gehabt, in diesem neuen Schulgesetz all das einzulösen, was Sie den Schulen im Wahlkampf versprochen haben. Wir müssen leider feststellen, Sie haben mit diesem Gesetz Ihre Versprechung nicht eingehalten. Sie haben die Schulen enttäuscht. Dieses Gesetz ist beileibe kein großer Wurf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

– Herr Kollege Döweling, dieses Gesetz gibt eben nicht die notwendigen Antworten auf die entscheidenden bildungspolitischen Herausforderungen. Dieses Gesetz zeigt keinen Weg, wie wir das hessische Schulwesen so weiterentwickeln, dass wir in der Spitze, in der Breite und bei den Bildungsverlierern deutlich besser werden.

Dieses Gesetz gibt keine Antwort auf das Akzeptanzproblem der Hauptschule. Dieses Gesetz gibt keine Antwort auf den Wunsch vieler Eltern für längeres gemeinsames Lernen für ihre Kinder. Dieses Gesetz gibt keine Antwortung darauf, wie wir die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen wollen. Dieses Gesetz ist eine große Enttäuschung. Mit dem heutigen Tage wissen alle in der hessischen Bildungspolitik, einen wirklichen Wandel wird es auch mit einer FDP-Kultusministerin in diesem Land nicht geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Herr Döweling, ich will das sehr genau durchdeklinieren. Die Ministerin spricht gern und viel von der selbstständigen Schule. Im Schulgesetzentwurf steht auch einiges zur selbstständigen Schule; das sei ausdrücklich anerkannt. Nur wird wesentlich sein, ob die Schulen in unserem Land diese Selbstständigkeit tatsächlich mit Leben füllen können, ob aus den Paragrafen tatsächlich gelebte Schulwirklichkeit werden kann.

Dafür brauchen die Schulen die notwendigen Mittel. Herr Kollege Döweling, es bringt nichts, Selbstständigkeit zu sagen und Mängelverwaltung zu meinen. Wenn wir die große Idee der selbstständigen Schule tatsächlich zum Erfolg führen wollen, dann brauchen die Schulen eben die 105-prozentige Lehrerversorgung, die bislang immer versprochen wurde. Ansonsten wird bei den Schulen ankommen, auch diese Kultusministerin redet von Selbstständigkeit und meint Mangelverwaltung. Damit schaden wir der Idee der selbstständigen Schule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

– Herr Kollege Döweling, Sie müssen es mir ja nicht glauben. Es gibt heute schon den Spott an den Schulen, wenn Sie durch das Land gehen: Warum heißt das kleine Budget eigentlich kleines Budget? – Die Antwort: Weil nichts drin ist. – Das hat sehr viel Wahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das Erste, was Sie auf dem Weg zur Budgetierung der Schulen gemacht haben, ist, Sie haben das kleine Budget und die Mittel innerhalb dieses kleinen Budgets gekürzt. Was glauben Sie denn, wie das bei den Schulen ankommt? Es nährt genau die Sorgen, dass Selbstständigkeit Mangelverwaltung bedeuten soll. Dabei müsste Selbstständigkeit mehr pädagogische Freiheit bedeuten.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau bei diesem Mehr an pädagogischer Freiheit legen Sie – das konnten wir heute, wie Sie es in einer großen Frankfurter Zeitung ausgedrückt haben, nachlesen – jetzt die Axt an. Es war bislang unbestritten, dass wir in diesem Punkt Bildungsstandards einführen wollen. Es war bislang unbestritten, dass wir Kerncurricula brauchen, dass wir eine stärkere Orientierung an Kompetenzen im Unterricht brauchen und dass die Schulen das in ihrem Unterricht umsetzen.

Jetzt gibt es seit letzter Woche per E-Mail aus Ihrem Haus, also noch nicht einmal als Erklärung der Ministerin oder des Staatssekretärs, die Aussage: Das war alles nicht so ernst gemeint; ihr könnt auch weiter nach den Lehrplänen unterrichten. – Frau Ministerin, wir könnten uns noch über Übergangszeiträume unterhalten. Aber dass Sie überhaupt nicht mehr die Bildungsstandards und Kerncurricula für verbindlich für den Unterricht erklären, das wird wirklich zu einer Atomisierung der Bildungslandschaft führen und nicht zum Aufbruch, den wir bräuchten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Frau Ministerin, wie müssen sich eigentlich die Kollegien vorkommen, die sich in der vergangenen Zeit schon mit großem Engagement und Einsatz, teilweise auch mit Widerstand in den Kollegien auf den Weg gemacht haben, Bildungsstandards umzusetzen, wenn Sie mit einer E-Mail aus Ihrem Haus mitteilen: Schön, dass ihr es gemacht habt; aber so ganz ernst nehme ich mich selbst nicht. – Wie müssen sich diese Schulen eigentlich fühlen? Frau Ministerin, so können wir unser Bildungssystem nicht steuern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie geben keine Antwort auf das Akzeptanzproblem der Hauptschule. Die Eltern in unserem Land stimmen doch mit den Füßen ab. Wir können hier ideologische Debatten führen, wie wir wollen – das interessiert die Eltern gar nicht. Die Eltern habe ihre Entscheidung über die Schulform der Hauptschule getroffen, nicht, weil an den Hauptschulen nicht eine gute Arbeit gemacht würde, nicht, weil sich Lehrer nicht engagieren würden, sondern weil die Eltern nicht darauf vertrauen, dass ihr Kind in dieser Schulform optimal gefördert wird.

An dem Fakt kommen wir nicht vorbei. Sie versuchen wieder, mit Ihrer Mittelstufe dieses Konstrukt Hauptschule irgendwie zu retten. Ein neues Türschild macht aber noch keine neue Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen einen anderen Ansatz. Wir müssten für die Eltern neben dem Gymnasium eine leistungsfähige Schulform schaffen, die tatsächlich alle Bildungswege möglichst lang offenhält, die alle Bildungsabschlüsse ermöglicht, wie wir das in einem Konzept für eine neue Schule vorgeschlagen haben. Das wäre die richtige Antwort, und das leistet Ihr Gesetz leider nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt keinen inhaltlichen Grund, warum Sie für Ihre Mittelschule sagen, ein Eingang und zwei Ausgänge, und warum Sie nicht sagen, ein Eingang und drei Ausgänge. Wir halten wirklich alle Abschlüsse offen. Es gibt keinen inhaltlichen Grund. Es ist blanke Ideologie. Sie wollen den Elternwillen nach längerem gemeinsamen Lernen weiter ignorieren. Und das ist sehr bedauerlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Zeit läuft leider ab. Ich will aber noch zum Thema Inklusion sprechen.

Die große Mauer, über die Eltern, die sich für ihr Kind die Beschulung an der Regelschule wünschen, nicht hinwegkommen, ist seit Jahren der sogenannte Ressourcenvorbehalt. Es wird also gesagt: Einen gemeinsamen Unterricht gibt es nur, wenn die personellen, materiellen und räumlichen Rahmenbedingungen erfüllt sind. – Das ist die große Mauer, an der Eltern immer scheitern. Frau Ministerin, wenn Sie genau diese Mauer wieder in Ihr Gesetz schreiben, dann können Sie sich alles Wortgeklingel vorher zum Thema Inklusion sparen, weil Sie materiell nichts verändern werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Auch beim Thema Inklusion können wir über Übergangszeiträume reden. Es wird nicht von heute auf morgen gehen. Es tut der Debatte nicht gut, die Förderschulen schlechtzureden, weil auch dort eine hervorragende Arbeit gemacht wird und wir die Kompetenz der Förderschullehrerinnen und -lehrer brauchen werden, aber eben in immer stärkerem Maße an der Regelschule.

Frau Ministerin, Sie müssen sagen, dass Sie das politisch wollen. Sie müssen sagen, bis wann Sie das umsetzen wollen. Wir brauchen beim Thema Inklusion zwei einfache Aussagen. Die erste Aussage ist: Wir wollen innerhalb eines definierten Zeitraums des gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung von der Ausnahme zur Regel machen. Das ist der erste einfache Satz.

Der zweite einfache Satz ist: Künftig folgen nicht mehr die Kinder den Lehrerinnen und Lehrern an die Förderschule, sondern die Lehrerinnen und Lehrer an den Förderschulen folgen den Kindern an die Regelschule.

Diesen einfachen Mechanismus müssen wir verankern. Auch das leistet Ihr Gesetz nicht. Es ist kein großer Wurf. Es zeigt, ob Frau Henzler Kultusministerin ist oder nicht, es ändert nicht viel an der Bildungspolitik in unserem Lande, und das ist sehr schade, weil wir im internationalen Vergleich wirklich nicht gut dastehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Wagner.

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