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27.06.2013
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Schulfrieden in Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kultusministerin, es kommt in den besten Schulklassen vor, dass einmal jemand zu spät kommt. Das wollen wir Ihnen nachsehen. Es ist schön, dass auch Sie jetzt bei der Debatte dabei sind.

Worum geht es? – Die bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen sind viel in Schulen unterwegs und werden in den Schulen oft mit der Frage angesprochen, was während des Wahlkampfs und was nach der Wahl passieren wird. Es gibt in den Schulen die große Hoffnung, dass sich nach den Wahlen endlich etwas ändert,

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

dass dann eine progressive und fortschrittliche Bildungspolitik gemacht werden wird.

Aber es gibt auch eine große Sorge in den Schulen. Da geht es um die Frage, ob jetzt im Wahlkampf wieder das ausbricht, was wir in Hessen schon seit Jahren und Jahrzehnten kennen, nämlich ein erbitterter ideologischer Schulkampf.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir sagen ganz deutlich: Die Zeiten des Schulkampfs müssen in Hessen endlich vorbei sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Boddenberg, es hat unseren Schulen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nichts gebracht, dass Sie die alten Plakate aus den Sechziger- und Siebzigerjahren herausgeholt haben. Das hat unsere Schule nicht weitergebracht. Was wir brauchen, ist ein Schulfrieden.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Unsere Schulen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Sie rufen „Systemwechsel“ dazwischen. Herr Dr. Wagner, das kann Ihr Programm sein. Unseres ist es nicht. Wir wollen einen Schulfrieden erreichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Dr. Wagner, es stimmt mich sehr besorgt, dass Ihr bildungspolitischer Sprecher, Herr Schork, in der Sitzung dieses Landtags im November 2012 gesagt hat, es ginge in der Bildungspolitik um Freiheit oder Sozialismus. Das hat Herr Schork gesagt.

Freiheit oder Sozialismus, das ist die Diktion des Kalten Krieges. Aber die Klassenräume unserer Schulen sind keine Kriegsschauplätze. Unsere Schulen brauchen vielmehr den Schulfrieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wie kann ein solcher Schulfrieden für Hessen aussehen? Wir GRÜNEN schlagen vor – –

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege Wagner, gestatten Sie Zwischenfragen?

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer möchte denn fragen?)

– Herr Boddenberg möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Boddenberg, bitte sehr!)

Michael Boddenberg (CDU):

Herr Kollege Wagner, ich habe mehrfach „Baden-Württemberg“ dazwischengerufen. Ich stelle deshalb jetzt eine Frage zu Baden-Württemberg. Können Sie das bestätigen, was in den Zeitungen steht, und was man erfährt, wenn man mit Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern und den Schülern in Baden-Württemberg redet? Sie sagen, dass eine Realschule nach der anderen geschlossen werde und dass dort Bürgerinitiativen entstünden. Sie entstehen dort, unabhängig davon, wo Sie hinschauen. Das geschieht, nachdem wir dort einen Regierungswechsel in Richtung Grün-Rot hatten.

Mathias Wagner:

Herr Boddenberg, ich kann Ihnen sagen, dass wir gerne das Spiel machen können, wer in welchem Bundesland was richtig oder falsch macht. Das ist ein Beleg dafür, dass Sie Schulkampf und keinen Schulfrieden wollen und dass Sie nicht über die Inhalte der Bildungspolitik reden wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Boddenberg, ich danke Ihnen für diesen Beleg.

Wir GRÜNE in Hessen wollen, dass wir spätestens in der nächsten Legislaturperiode eine Vereinbarung zwischen allen Fraktionen dieses Landtags und mit den Akteuren im Bildungswesen darüber erreichen, wie sich unser Bildungssystem in den nächsten zehn Jahren entwickeln soll.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Sie haben die letzten 15 Jahre darauf gesetzt, zu spalten. Wir wollen zusammenführen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir wollen endlich, dass der Elternwille und nicht die ideologische Überzeugung entscheidend ist, die in Ihren Parteiprogrammen stehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wenn in Hessen endlich der Elternwille entscheiden wird, dann wird es keine Petitionen mit über 30.000 Unterschriften von Eltern geben, die damit versuchen, G 9 für ihre Kinder zu erreichen. Dann bedarf es einer solchen Petition nicht. Vielmehr wird sich die Landesregierung bemühen, diesem Elternwillen und dem Wunsch, der Unterrichtung der Kinder in G 9, zu entsprechen. Das ist der Unterschied zwischen Schulfrieden und Schulkampf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, wenn man die Eltern in diesem Land ernst nimmt, dann müssen sie nicht mehr darum betteln und dann müssen sie nicht mehr darum kämpfen, dass ihr Kind mit Behinderung an einer allgemeinen Schule unterrichtet werden kann. Wir werden uns auf den Weg machen, diesen Elternwillen zu respektieren.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, wir werden diesen Kindern die Beschulung an einer allgemeinen Schule ermöglichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Boddenberg, dann wird der Elternwille und der Sachverstand in der Bildungspolitik wieder etwas zählen. Wir werden keine Monsterbehörde wie das Landesschulamt errichten.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir werden für die Schulen vielmehr eine Unterstützungsstruktur schaffen, die ihnen tatsächlich helfen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie kann man einen solchen Schulfrieden in Hessen erreichen? Das geht, wenn sich die Politik ein Stück weit zurücknimmt und wenn wir alle ein Stück weit von dem wegkommen, was wir mit guten Argumenten für richtig halten und was in unseren Parteiprogrammen steht.

(Zuruf von der CDU)

Jeder hat da seine Überzeugung. Aber keiner sollte die Hybris haben, seine Überzeugung über die Entscheidung der Eltern zu stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Bildungspolitik setzt auf Ermöglichen statt Verordnen. Sie wird den Schulen, den Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten geben, sich pädagogisch weiterzuentwickeln. Sie wird sich aber davor hüten, allen Schulen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Wohin das führt, haben wir in den vergangenen zehn Jahren gesehen. Schwarz-Gelb hat allen Schulen vorgeschrieben, dass sie jetzt G 8 machen müssen, unabhängig davon, ob sie es wollten oder nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Bildungspolitik, die den Elternwillen respektiert, setzt auf Evolution statt Revolution. Sie vertraut den Schulen. Sie traut den Schulen etwas zu.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Da wird in den Schulen gefragt: Welche Ideen und Konzepte habt ihr? – Sie wird diesen Ideen und Konzepten weitestmöglich Raum lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Boddenberg, wenn Sie damit nichts anfangen können, dass Ihnen Leute die Hand zu einem Schulfrieden reichen, ist das Ihr Problem.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Aber nehmen Sie einfach zur Kenntnis: Wir machen Ihnen ein Angebot. – Ich nehme zur Kenntnis: Sie wollen es ausschlagen, bevor Sie überhaupt zugehört haben. – Herr Kollege Boddenberg, das zeigt, dass Sie kein Interesse an einem Schulfrieden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Evolution statt Revolution bedeutet, dass wir an einigen Schulen manches ermöglichen, zulassen und ausprobieren werden, ob das gut funktioniert. Dann werden wir entscheiden, ob wir das auf andere Schulen übertragen werden oder ob wir das anderen Schulen ermöglichen werden.

Die Politik von Ihnen war: Wir wissen, was richtig ist, und alle müssen es machen, unabhängig davon, ob es in der Praxis funktioniert, oder nicht.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, Herr ehemaliger bildungspolitischer Sprecher, Sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass es mit Schwarz-Gelb keinen Schulfrieden gibt. Denn Sie waren doch das erste Opfer des Schulkampfes, der zwischen CDU und FDP tobt. Das Opfer war gut. Das kann ich wirklich nur sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ermöglichen statt Verordnen bedeutet, dass die Eltern, die sich einen flexiblen Schulanfang wünschen, dieses Angebot dann auch endlich finden werden. Das bedeutet, dass die Eltern, die sich an der Grundschule ein verlässliches Bildungs- und Betreuungsangebot von 7:30 Uhr bis 17 Uhr wünschen, ein solches Angebot endlich finden werden. Sie werden nicht im Hickhack und aufgrund des Klein-Kleins von Schwarz-Gelb zerrieben werden.

Schulfrieden bedeutet, dass es echte Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 gibt. Das bedeutet, dass die Landesregierung auch etwas dafür tut, dass alle Eltern, die für ihre Kinder ein G-9-Angebot haben wollen, tatsächlich auch eines finden. Wir werden nicht die Situation haben, wie sie jetzt ist, dass nämlich viele Eltern zum kommenden Schuljahr dieses Angebot für ihre Kinder nicht haben werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Politik des Schulfriedens ermöglicht den Schulen längeres gemeinsames Lernen, aber nicht als Zwang und vorgeschrieben für alle, sondern für die Kinder, deren Eltern sich das wünschen.

(Zuruf)

– Herr Kollege Döweling, nein, wir haben das nicht. Aufgrund Ihrer Politik haben wir nach wie vor zu wenig integrierte Gesamtschulen in unserem Land. Es werden nach wie vor Schülerinnen und Schüler, die integrierte Gesamtschulen besuchen wollen, abgewiesen. Denn es gibt nicht genug Plätze. Wegen Ihrer Politik nutzen wir die Spielräume nicht, die es seit Jahren für längeres gemeinsames Lernen in den integrierten Gesamtschulen gibt. Die nutzen wir wegen Ihrer Politik nicht. Herr Kollege Döweling, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage ganz deutlich dazu, dass wir selbstverständlich auch die Eltern respektieren, akzeptieren und wertschätzen, die sagen: Wir wollen für unsere Kinder eine Schule des gegliederten Schulwesens. Wir GRÜNEN haben da eine andere Überzeugung. Wir glauben, dass man mit längerem gemeinsamen Lernen bessern fördern könnte.

Jetzt kommt der wichtige Unterschied. Jetzt kommt das, was den Kern des Schulfriedens ausmacht. Wir stellen unsere Überzeugung nicht über die der Eltern. Denn die Eltern können am besten entscheiden, was für ihre Kinder richtig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist an diesem Ansatz eigentlich falsch?

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, Sie müssten zum Ende kommen.

Mathias Wagner:

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Wir reichen aus der Opposition die Hand zu diesem Schulfrieden. Ihre Reaktionen zeigen, dass Sie weit im Kalten Krieg verhaftet sind. Wenn Sie es von der Opposition nicht annehmen, verspreche ich Ihnen, das beeindruckt uns wenig. Wir bieten es Ihnen dann aus der Regierung noch einmal an, und dann schauen wir mal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

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