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24.06.2010
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Scheitern des Bildungsgipfels schadet den Schulen und Hochschulen in Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der 10. Juni 2010 war ein schlechter Tag für die Bildungspolitik in unserem Land. Am 10. Juni 2010 fand der 3. Bildungsgipfel der Bundesregierung mit den Bundesländern statt. Nach diesem 3. Bildungsgipfel müssen wir leider sagen: Dieser Bildungsgipfel ist gescheitert. Der hehre Anspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen, ist an den Ministerpräsidenten und den Ländern gescheitert. Maßgeblichen Anteil an dieser schlechten Entwicklung hatten der Hessische Ministerpräsident und seine Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Erinnern wir uns: Am 22. Oktober 2008 trat der Bildungsgipfel zum ersten Mal zusammen. Es wurde ein sehr gutes und sehr wichtiges Ziel verabschiedet, dass sich Bund und Länder gemeinsam vornehmen, bis zum Jahr 2015  10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung zu investieren. Das sind Investitionen, die wir in einem rohstoffarmen Land dringend brauchen. Dann hat man gesagt: Auf das Ziel konnten wir uns schon einmal verständigen, jetzt müssen wir eigentlich nur noch schauen, wie das mit der Umsetzung klappt.

Dann traf man sich zum 2. Bildungsgipfel am 16. Dezember 2009. Wieder kam leider nichts heraus. Da kann man immer noch sagen: Gut Ding will Weile haben. Man traf sich zum dritten Mal, eben an diesem 10. Juni 2010 in der vergangenen Woche. Leider ist wieder nichts herausgekommen. Es ist nicht nur nichts herausgekommen, sondern zum ersten Mal gab es ein Bundesland, das das Ziel streitig gestellt hat. Zum ersten Mal seit dem 1. Bildungsgipfel, wo Bund und Länder gemeinsam gesagt haben, dass sie an diesem 10-%-Ziel arbeiten wollen und dass sie etwas für die Schulen und Hochschulen tun wollen, gab es ein Land, das gesagt hat: Wir stellen das Ziel streitig. Dieses Land war leider Hessen. – Nein, es war nicht das Land, sondern es war die Landesregierung, und zwar die Hessische Landesregierung, die das getan hat. Das ist ein ganz großer Fehler.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung hat mit ihrem Verhalten der Bildungspolitik in unserem Bundesland, aber auch in Deutschland, massiv geschadet.

Es waren sich eigentlich alle einig, dass etwas getan werden muss und dass wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern brauchen, damit wir unser Bildungssystem international wettbewerbsfähig machen und damit alle wirklich die bestmöglichen Chancen haben.

Jetzt kann man viel zwischen Bund und Ländern diskutieren, wer welche Verantwortung und wer welchen Anteil trägt und wie die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern aussieht. Das alles sind wichtige Fragen. Man muss sie klären. Aber dass eine Landesregierung in Verhandlungen mit dem Bund geht und die Position vertritt: Ihr könnt im Bildungsbereich eigentlich kürzen, und dann die Vorstellung hat, man könnte einen solchen Bildungsgipfel zum Erfolg führen, ist nun wirklich irrig. Wer so verhandelt, der schadet der Bildungspolitik in unserem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Henzler und Herr Koch, wenn er da wäre, was denken Sie sich eigentlich dabei? Was soll denn das für eine Verhandlungsposition eines Bundeslandes sein? Wir sind uns alle einig, dass wir Unterstützung des Bundes zur Verbesserung der Bildungssysteme der Länder dringend brauchen. Sie laufen da in Berlin auf und sagen nicht nur, dass wir nicht mehr Geld vom Bund haben wollen, sondern Sie sagen auch: Ihr könnt da auch noch kürzen, das geht auch noch, das halten wir für notwendig. Was soll das für eine Verhandlungsposition sein? – Sie haben den Interessen der hessischen Schulen und Hochschulen mit Ihrem Verhalten geschadet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Vor anderthalb Jahren haben die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung nicht ohne Grund gesagt, dass wir dringend etwas tun müssen in unserem Bildungssystem. Wenn wir uns den internationalen Vergleich anschauen, dann stellen wir fest, dass wir als Hessen und als Bundesrepublik Deutschland insgesamt nicht besonders gut dastehen. Am gestrigen Tag gab es einige positive Ergebnisse, was den nationalen Vergleich angeht.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, ich breche mir überhaupt nichts ab, zu sagen, dass wir uns natürlich freuen, dass hessische Schulen sich in einigen Bereichen im nationalen Vergleich verbessern konnten. Das ist überhaupt keine Frage, Herr Kollege Boddenberg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Aber es ändert leider überhaupt nichts daran, dass wir im internationalen Vergleich hinterherhinken. Das ändert überhaupt nichts daran, dass wir in Hessen ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler aus der Schule entlassen, von denen uns die Bildungsexperten sagen, sie werden allergrößte Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, sie werden allergrößte Schwierigkeiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung ihres Lebens haben. Daran ändern diese Werte nichts. Deshalb wäre es so wichtig gewesen – –

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

– Nein, ein Fünftel ist es. Herr Kollege Boddenberg, lesen Sie es in der Vorbereitung auf neue Aufgaben nach. Schauen Sie es sich in der PISA-Studie an. Ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler verlässt in Hessen die Schule mit erheblichen Qualifizierungsdefiziten. Von den 20- bis 30-Jährigen hat ein Sechstel keine Berufsausbildung.

Deshalb haben die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin am 22. Oktober 2008 beim ersten Bildungsgipfel zu Recht gesagt, hier muss sich etwas tun. Die Hessische Landesregierung ist die einzige, die diesen Konsens verlassen hat, und das war das völlig falsche Signal, das Sie an dieser Stelle gegeben haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie soll das jetzt weitergehen?

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Herr Grüttner, wenn Sie dazwischenrufen, ich wüsste nicht, wovon ich rede, dann ist das Projektion. Dann haben Sie vielleicht einmal in den Spiegel geschaut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN –Zuruf des  Ministers Stefan Grüttner)

Herr Kollege Grüttner, zum einen müssen Sie auf der Regierungsbank eigentlich ruhig sein. Dieser Hinweis sei mir gestattet. Aber ich nehme Ihren Hinweis gerne auf. Sie können gerne hierher kommen und noch einmal eine Bewerbungsrede als künftiger Fraktionsvorsitzender halten. Das können Sie gerne machen. Ihre ersten beiden Versuche heute Morgen waren nicht so erfolgreich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Aber wenn Sie mir erzählen, Sie hätten mehr Ahnung von Bildungspolitik, dann nehme ich das mit großer Gelassenheit.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Sie können jetzt auch schnell noch eine SMS schreiben, dass Sie den Wettstreit verloren haben. Das ist alles in Ordnung. – Aber halten wir uns nicht länger mit Herrn Grüttner auf, kommen wir zur Sache.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Meine Damen und Herren, es war doch richtig, dass wir ein Ziel hatten in der Bildungspolitik, ein gemeinsames Ziel von Bund und Ländern, dass wir mehr investieren wollen. Jetzt ist dieses Ziel weg. Einmal mehr ist es anscheinend das Motto dieser Landesregierung und dieser Kultusministerin: Ich habe kein Ziel, dann kann ich auch keines erreichen.

Das zeichnet mittlerweile Ihre Bildungspolitik aus. Aber wer kein Ziel hat, der kann eben auch keines erreichen. Deshalb war diese Entwicklung auf dem Bildungsgipfel so falsch.

Es ist eine ganz merkwürdige Doppelstrategie, die wir mittlerweile von der Landesregierung beim Thema Bildung erleben. Hier im Hessischen Landtag wird gesagt, wir würden gerne vieles an den Schulen und an den Hochschulen machen. Wir würden auch gerne vieles schneller machen, und uns geht vieles zu langsam – das haben wir gestern auch vom Ministerpräsidenten gehört. Wir würden es gerne schneller machen, aber wir haben nicht das Geld dafür. – Darüber muss man in Zeiten der Finanzkrise und unter den Bedingungen der Schuldenbremse auch sehr ernsthaft reden.

Aber was nicht geht, ist, im Hessischen Landtag zu sagen, wir hätten kein Geld dafür, und dann nach Berlin zu fahren und dafür zu sorgen, dass die Länder kein Geld haben. Diese Doppelstrategie funktioniert nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben Sie beim Bildungsgipfel gemacht. Sie haben beim Bildungsgipfel für Hessen schlecht verhandelt, und Sie sorgen im Bundestag mit der schwarz-gelben Mehrheit dafür, dass die Steuereinnahmen der Länder massiv einbrechen. So funktioniert es eben nicht. Man kann nicht im Hessischen Landtag beklagen, man würde gerne, und gleichzeitig auf Bundesebene diese Grundlagen untergraben, die uns als Länder in die Lage versetzen würden, unsere Bildungssysteme zu verbessern. So geht es wirklich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Eine einzige Zahl, weil ich weiß, dass es die Herren von der FDP so freut. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat beschlossen, dass die Hoteliers den ermäßigten Mehrwertsteuersatz bekommen. Das kostet bundesweit 1 Milliarde Euro an Steuermindereinnahmen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Wenn man das ausrechnet, wie sich das auf die Länder verteilt, dann bedeutet das für uns in Hessen 50 oder 60 Millionen Eurto weniger jedes Jahr, weil die FDP den Hoteliers versprochen hat, dass sie weniger Mehrwertsteuer bezahlen. 50 bis 60 Millionen Euro jedes Jahr sind die Frage: Haben wir 1.000 Lehrerstellen mehr, oder haben wir sie nicht? Das ist die Politik, wie sie die FDP in diesem Haus macht: auf Bundesebene die Finanzbasis des Staates sabotieren, Klientelgeschenke vergeben und, wenn hier in Hessen das Geld für die Lehrerinnen und Lehrer fehlt, sich hinstellen und sagen, wir würden ja gerne. – Das glaubt Ihnen niemand mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Deshalb sage ich, Herr Kollege Blum und Herr Kollege Döweling: Der 10. Juni dieses Jahres, die Ergebnisse des Bildungsgipfels, war ein schlechter Tag für die Bildungspolitik in unserem Land. Die Landesregierung war maßgeblich am Scheitern dieses Bildungsgipfels verantwortlich, und sie hat damit unserem Bundesland, unseren Schulen und unseren Hochschulen geschadet. Wir bedauern das ausdrücklich. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Wagner.

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