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23.08.2011
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Regierungserklärung der Hessischen Kultusministerin - „Mehr Freiheit, Verlässlichkeit und gute Rahmenbedingungen für Hessens Schulen, Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schüler“

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Irmer, Sie haben sich heute hier ganz schön warmgeredet.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Herr Kollege Irmer, Sie werden Ihre Kraft für die Auseinandersetzung mit Ihrer Bundesbildungsministerin Annette Schavan brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie glauben, Sie haben heute gegen die SPD oder gegen die GRÜNEN und gegen die bildungspolitischen Ansätze von SPD oder GRÜNEN gekämpft.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Nein, Herr Kollege Irmer, über Föderalismus reden wir gleich. Sie haben heute gegen die progressiven Ansätze Ihrer eigenen Partei gekämpft,

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

gegen das, was Frau Schavan vorgelegt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben sich heute schon einmal für die Auseinandersetzung auf der Regionalkonferenz in zwei Wochen und auf den Bundesparteitag warmgeredet. Sie haben nicht gemerkt, es wird zumindest außerhalb Hessens immer einsamer um Sie, Herr Kollege Irmer. Das, was Sie im Hessischen Landtag vertreten, wird selbst von Ihrer Partei in anderen Bundesländern und von Ihrer Bundesbildungsministerin nicht mehr vertreten. Herr Kollege Irmer, insofern ist es schön, dass Sie sich für den Bundesparteitag der CDU warmgeredet haben. Für unsere Schulen bringen diese Ansätze allerdings leider nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Jetzt ist es sehr auffällig – man muss es vielleicht noch einmal sagen, die CDU stellt die Regierung –, wenn gerade ein Vertreter der CDU geredet und weite Teile seiner Rede nicht darüber gesprochen hat, was Sie in den letzten zweieinhalb Jahren gemacht haben, sondern den meisten Teil der Rede darauf verwendet, was in den Jahren 1991 bis 1999 oder was in anderen Bundesländern war.

Herr Kollege Irmer, das machen wir alle einmal gerne; wir kennen alle dieses rhetorische Instrument. Aber wenn wir aus der Regierung heraus zu dem Instrument greifen, dass wir nicht mehr über das Regierungshandeln sprechen, sondern dass wir nur noch die anderen beschimpfen, dann stimmt meistens im Regierungshandeln etwas nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Herr Kollege Irmer, das haben Sie mit Ihrer Rede sehr eindrucksvoll gezeigt. – Um eines gleich abzuräumen: Wir streiten im Hessischen Landtag nicht darüber, dass an unseren Schulen jeden Tag eine hervorragende Arbeit gemacht wird, dass Lehrerinnen und Lehrer in aller Regel einen engagierten Job machen, dass Schülerinnen und Schüler versuchen, ihre Leistung zu verbessern, dass sie von den allermeisten Eltern dabei unterstützt werden, dass Schulleiterin und Schulleiter engagiert versuchen, ihre Schulen weiterzubringen.

Herr Irmer, da parteipolitische Gräben aufzumachen, das bringt gar nichts. Der Dank an diejenigen, die sich jeden Tag und die Verbesserung von Schule kümmern, der ist hier fraktionsübergreifend. Sie sollten aufhören, das für eine Fraktion instrumentalisieren zu wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir sagen herzlichen Dank an alle, die einen sehr, sehr guten Job an unseren Schulen machen. Jetzt haben wir die Regierungserklärung der Kultusministerin. Alle Jahre wieder zum Schuljahresbeginn kommt die Erklärung der Kultusministerin. Die Namen der Minister wechseln, aber die Regierungserklärung bleibt.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Herr Kollege Hahn, die Inhalte auch. Es ist völlig richtig, wenn Sie von der Regierungsbank schon dazwischenrufen, die Inhalte bleiben immer dieselben.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Jetzt sagt er „armer Kerl“. Ich weiß nicht, über wen er redet.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Jetzt sagt er, er rede über mich. Ob das die Noblesse ist, die früher einmal liberale Minister ausgezeichnet hat, da habe ich große Zweifel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Aber jeder blamiert sich hier, so gut er kann. – Herr Minister Hahn, dann sagt diese Ministerin, wie jedes Jahr, es sei alles prima an unseren Schulen. Alles sei wunderbar, die verkürzte Gymnasialzeit kein Problem, G 8 wunderbar eingeführt. Jetzt frage ich Sie, was Sie von folgender Aussage halten. Ich frage auch Sie, Frau Kultusministerin. Ich zitiere:

Nur sehe ich auf der anderen Seite, dass wir es immer noch nicht geschafft haben, die Lerninhalte so zu komprimieren, dass man es auch achtjähriger Gymnasialzeit schafft. Ich habe immer noch das Gefühl, dass acht Jahre jetzt nicht eingestampft werden, sondern dass sie einfach nur hintereinander gereiht werden in acht Jahren.

(Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, was halten Sie von dieser Aussage? Finden Sie auch, dass diese Aussage in völligem Widerspruch zur Aussage der Kultusministerin steht, es sei alles in Ordnung an unseren Schulen, es sei alles prima mit dem G 8?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Hahn, wissen Sie, wer das gesagt hat? Sie haben das gesagt, an diesem Wochenende.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD der LINKEN)

Meine Damen und Herren, dann frage ich mich: Was ist das eigentlich für eine Regierung, wo der stellvertretende Regierungschef seiner Kultusministerin sagt, dass sie beim Thema G 8 schlicht und ergreifend ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten SPD – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Hahn, jetzt können wir noch einmal die Frage diskutieren, wer hier ein armer Kerl ist, Sie oder Frau Henzler – ich auf jeden Fall nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– Jetzt ruft Herr Kollege Hahn „Übermut“ dazwischen. Ich weiß nicht, wie stark Ihr iPad spiegelt, das Sie da vor sich haben.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber zu den Zwischenrufen noch einmal der Hinweis zwischen zwei bürgerlichen Parteien: Von der Regierungsbank darf man nicht dazwischenrufen. Aber, wie gesagt, die Noblesse, die liberale Minister einmal in diesem Hause hatten, suchen wir vergeblich.

Frau Ministerin, Sie sagen: „Alles prima an unseren Schulen“. Ich stelle eine ganz einfache Frage, die ich auch mit vielen Leuten an den Schulen diskutiere: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass mit dem, was Sie in Ihrer Amtszeit auf den Weg gebracht haben, unsere Schulen für die Herausforderungen unseres Bildungssystems gut gerüstet sind?

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

– Da sagt der Bildungsexperte Greilich: „Aber ja, und wie!“ Herr Kollege Greilich, glauben Sie ehrlich, dass wir zehn Jahre nach dem PISA-Schock, nach den für uns alle alarmierenden Ergebnissen, nach den Versäumnissen, die alle Parteien in der Bildungspolitik begangen haben, schon so gut sind, dass wir im Bildungsbereich kürzen können? Glauben Sie das wirklich? Warum vertreten Sie und Ihre Ministerin eine Politik, mit der im laufenden Jahr 45 Millionen Euro und im kommenden Jahr 68 Millionen Euro gespart werden?

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Herr Kollege Greilich, glauben Sie, wir sind schon so gut, dass wir uns das leisten können? Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Greilich, glauben Sie, dass wir es uns dauerhaft leisten können, in einem Land wie der Bundesrepublik ein Fünftel jedes Jahrganges zu verlieren, 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus der Schule zu entlassen mit der Prognose, die uns die Bildungsforscher sagen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz große Schwierigkeiten haben werden, ihr Leben eigenverantwortlich zu führen, ganz große Schwierigkeit auf dem Arbeitsmarkt haben werden? Herr Kollege Greilich, glauben Sie wirklich, dass Sie auf diese große sozial-, gesellschafts- und auch wirtschaftspolitische Herausforderung mit diesem Schulgesetz, mit dem, was Ihre Ministerin in den vergangen zweieinhalb Jahren gemacht hat, eine Antwort haben? Ich glaube definitiv nicht, dass Sie diese Antwort haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich will sehr genau auf das eingehen, was die Ministerin in ihrer Rede gesagt hat. Die Ministerin spricht von „Ruhe und Verlässlichkeit“ für die Schulen. Frau Ministerin, das wäre ein hoher Wert, wenn wir tatsächlich unsere Schulen in die Lage versetzt hätten, dass sie Neues auf den Weg bringen können, dass der Stress ein bisschen herauskommt, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr Zeit für individuelle Förderung haben. Das wären Ruhe und Verlässlichkeit, um an pädagogischen Konzepten arbeiten zu können. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie das erreicht haben? Haben Sie den Eindruck, wenn Sie an die Schulen gehen, dass Lehrerinnen und Lehrer in Ruhe arbeiten können, dass sie genug Zeit für individuelle Förderung haben? Nein, das haben sie nicht.

Frau Ministerin, Sie haben es auch schon einmal besser gewusst, und mit Ihnen haben es, wenn ich es recht überblicke, vier Fraktionen dieses Hauses vor der letzten Landtagswahl gewusst. Ich glaube, die Kollegen der LINKEN hatten die Forderung nach einer 105-prozentigen Lehrerversorgung nicht. Das wäre aber der entscheidende Schritt, um Ruhe und Verlässlichkeit und Konzentration für mehr individuelle Förderung an die Schule zu bringen. Frau Ministerin, dieses zentrale Wahlversprechen von Ihnen ist bis heute gebrochen. Die Schulen haben immer noch keine 105-prozentige Lehrerversorgung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt rühmen Sie sich, Sie hätte es in diesem Schuljahr geschafft – jetzt muss man genau zuhören; ich bin froh über meinen Mathematiklehrer, der mir immer gesagt hat, dass man die Nachkommastellen einzeln ausspricht –, wir haben jetzt eine Lehrerversorgung von 100,25 Prozent. Also nicht etwa 102,5 Prozent, wie man das für die Hälfte der Legislaturperiode erwarten könnte, dass man die Hälfte des Weges geschafft hat, sondern 100,25 Prozent, nach zweieinhalb Jahren dieser Kultusministerin 0,25 Prozent.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Frau Henzler, wenn Sie in diesem Tempo weitermachen, brauchen Sie 50 Jahre, bis wir bei 105 Prozent sind. Die Zeit haben die Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen aber nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, Sie sprechen von „Ruhe und Verlässlichkeit“. Die Wirklichkeit an unseren Schulen sind leider Stillstand und Rückschritt.

Dann haben Sie in Ihrer Regierungserklärung angesprochen, diese Regierung spare nicht am Unterricht. Frau Ministerin, Sie wissen, dass diese Aussage falsch ist. Diese Regierung hat zum laufenden Schuljahr die Mittel für den Vertretungsunterricht für die Schulen um 37 Prozent gekürzt. Diese Regierung spart am Unterricht, und diese Regierung wird uns irgendwann auch einmal erklären müssen – da bin ich sehr gespannt auf den Landeshaushalt 2012 –, wo sie die 68 Millionen Euro im Haushalt 2012 sparen will. Da hören wir von dieser Ministerin erst völliges Chaos, was die Schulverwaltung angeht, jede Woche einen neuen Vorschlag. Jetzt sagen Sie, es bleibe alles so, wie es ist. Frau Ministerin, dann bleibt aber nicht mehr viel, wo Sie rangehen wollen. Meine große Sorge ist, dass die nächste Sparbüchse, die Sie glauben entdeckt zu haben, die Lehrerausbildung ist, die Zahl der Referendare ist. Das ist Kürzen am Unterricht par excellence, wenn wir nicht mehr in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern investieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Frau Ministerin, dann haben Sie über Ganztagsangebote gesprochen. Da war ich etwas erstaunt; denn wir kennen uns nun schon eine Weile, auch in der Opposition. Als Sie noch in der Opposition bildungspolitische Sprecherin waren, haben wir hier und auf Veranstaltungen oft diskutiert. Da hat die schulpolitische Sprecherin der FDP, als sie noch in der Opposition war, immer kritisiert, wenn die damaligen Kultusministerin Karin Wolff die pädagogische Mittagsbetreuung als Ganztagsschule ausgeben wollte. Da haben Sie immer gesagt: Frau Wolff, so können wir das nicht machen, das ist Etikettenschwindel, das ist mit mir nicht möglich. – Heute, zweieinhalb Jahre später, stehen Sie hier als Kultusministerin und machen genau den gleichen Etikettenschwindel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Ministerin Dorothea Henzler)

Frau Henzler, das geht so nicht. Wenn Sie über Zahlen beim Thema Ganztagsschulen reden wollen, bei echten Ganztagsschulen, wo es um das pädagogische Konzept der Ganztagsschule, um eine andere Verteilung des Stundenplans über den Tag geht, dann ist die korrekte Zahl für die allgemeinbildenden Schulen, dass wir nur an 8 Prozent der allgemeinbildenden Schulen ein echtes Ganztagsangebot haben.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Frau Ministerin, das ist die Zahl. Alles andere ist pädagogische Mittagsbetreuung. Dazu hat Frau Kollegin Habermann schon völlig zu recht darauf hingewiesen, das ist besser als nichts, daraus machen die Schulen auch schon viel. Aber es hat eben nichts mit Ganztagsschule zu tun. Frau Henzler, deshalb erinnern Sie sich an das, was Sie einmal gesagt haben, und machen Sie als Ministerin diesen Etikettenschwindel nicht mit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da ein Plus in bildungspolitischen Diskussionen immer sehr beliebt ist – wir erinnern uns an die Unterrichtsgarantie plus –, machen Sie jetzt quasi, was die Ganztagsangebote angeht, den Etikettenschwindel plus. Sie geben nicht nur die pädagogische Mittagsbetreuung jetzt als Ganztagsangebot aus, sondern Sie wollen jetzt auch noch den Eltern weismachen, dass das, was wir an den Grundschulen haben, auch nur im Entferntesten irgendetwas mit einem bedarfsgerechten Betreuungsangebot, geschweige denn, mit echten Ganztagsschulen zu tun hat.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Was anderes wollten Sie uns denn sonst mit Ihrem Hinweis sagen? Frau Henzler, ich glaube, da sind Sie so meilenweit von den realen Problemen entfernt, die Eltern beim Wechsel von der Kindertagesstätte in die Grundschule haben, was die Betreuungssituation angeht, wie Sie es sich gar nicht vorstellen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die 5.000 Euro, die die Schulen haben,

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

reichen eben nicht für ein Betreuungsangebot, geschweige denn für ein Ganztagsangebot aus. Frau Ministerin, ich bedauere sehr, dass Sie als zuständige Ministerin das nicht benennen. Aber wir helfen gern. Das ist die entscheidende Betreuungslücke, die wir in diesem Land nach wie vor haben.

Bei den Kindergärten haben wir viel erreicht. Auch da müssen wir noch besser werden. Wir sind dabei, bei der U-3-Betreuung Fortschritte zu machen. Wir sagen, es könnte schneller gehen. Aber es gibt entsprechende Gesetze. Doch das große Problem für die Eltern ist die Grundschule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Frau Ministerin, da würden wir uns von einer Landesregierung auch einmal mutige Antworten erwarten. Da würden wir uns Vorschläge von einer Landesregierung erwarten.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich glaube, bei knappen Haushalten lohnt es sich, die Debatte zu führen, was in unserem Land besser ist: dieses Geld zu verwenden, um ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr mit ganz hohen Mitnahmeeffekten zu finanzieren oder um in der Grundschulbetreuung einen richtigen Schritt voranzukommen.

Frau Ministerin, dass solche Vorschläge nicht von Ihnen kommen, sondern dass solche Vorschläge nur aus dem Parlament kommen, das zeigt das Problem der Regierung. Sie haben nichts erreicht, und Sie haben nichts mehr vor, weil Sie keine Vorstellung haben, wie Sie dieses Land gestalten wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Sie sprechen von der selbstständigen Schule. Frau Ministerin, auch da haben Sie die Unterstützung von vier Fraktionen in diesem Hause. DIE LINKE ist auch dagegen. Aber was machen Sie aus dieser guten Idee der selbstständigen Schule, von der sich viele an den Schulen einiges versprochen haben?

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Sie machen aus der selbstständigen Schule ein bürokratisches Projekt. Sie machen daraus einen Verwaltungsakt. Sie machen eben nicht das daraus, was wir bräuchten, nämlich ein Mehr an pädagogischer Freiheit, ein Mehr an pädagogischer Gestaltung. Frau Ministerin, es besorgt mich wirklich, dass ein bildungspolitisch so zentrales Projekt, das von vier Fraktionen im Hessischen Landtag getragen wird, durch Ihre Politik an den Schulen mittlerweile einen zunehmend schlechten Ruf bekommt, weil die Schulen Selbstständigkeit von Ihnen hören und Mangelverwaltung von Ihnen bekommen. Damit wird die Idee kaputt gemacht. Frau Ministerin, das ist wirklich einer der größten Fehler Ihrer bisherigen Amtszeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben im vorauseilenden Gehorsam über Schulstrukturen gesprochen.

(Zurufe der Abg. Michael Boddenberg (CDU) und Peter Beuth (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, das gefällt Ihnen nicht so. Aber ich nehme ganz erfreut zur Kenntnis, dass der stellvertretende Minister mittlerweile nicht mehr dazwischenruft. Das ist auch schon ein Erfolg. Das heißt, er denkt nach.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist schlimm daran, dass ich ihm unterstelle, dass er nachdenkt?

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich würde auch noch sagen, es hat Ergebnisse, wenn er nachdenkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was soll ich denn jetzt noch machen?

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, jetzt reden wir über Schulstrukturen. Sie waren einmal Generalsekretär dieser Partei und waren für die Weiterentwicklung verantwortlich.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Jetzt weist Ihr Nachfolger darauf hin, dass er das jetzt ist. Das ist geschenkt. Das macht alles nichts.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Frau Schavan, die Bundesbildungsministerin, hat eine interessante Debatte darüber angefangen, ob es wirklich sinnvoll ist, unser Schul- und Bildungssystem in 16 Bundesländern 16 mal komplett neu zu erfinden und in 16 Bundesländern alles komplett anders zu machen.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

– Herr Kollege Döweling, ich bin Föderalist. Das ist gar nicht das Thema.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Frau Schavan hat eine Debatte darüber angefangen, wie wir darauf reagieren, dass Eltern die Hauptschule für ihre Kinder nicht mehr akzeptieren und sie nicht mehr wählen. Ob zu Recht oder zu Unrecht, das soll gar nicht meine Debatte sein. Ich hätte gedacht, eine Kultusministerin der FDP sagt: „Interessanter Ansatz; darüber diskutieren wir; schauen wir, wie wir das entwickeln.“ Aber noch bevor Herr Irmer aus dem Schützengraben des Kalten Krieges der Schulpolitik war,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

hat diese Ministerin schon gesagt: „Mit mir auf keinen Fall.“ Frau Henzler, was ist eigentlich von der FDP-Schulpolitikerin übrig geblieben, wenn Sie in so vorauseilendem Gehorsam die Pressemitteilungen von Herrn Irmer kopieren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Was Frau Schavan will, kann man im Detail kritisieren. Meine Damen und Herren, der spannende Punkt ist aber doch, dass wir in der Bundesrepublik mittlerweile – Herr Kollege Döweling, da bin ich Föderalist – in ganz vielen Bundesländern eine Entwicklung haben, wo die Landesregierungen, völlig unabhängig davon, welche Farbkonstellation das ist, sagen: „Wir wollen unser Schulsystem zu einem Zweisäulenmodell entwickelt haben, nicht von oben verordnet, sondern als Entwicklungschance für die Schulen.“ Egal, wer da die Regierung stellt – ob es Rot-Grün ist, ob es Grün-Rot ist, ob es die SPD mit den LINKEN ist, ob es CDU/FDP ist, ob es, wie im Saarland, Jamaika ist, unterstützt sogar noch von den LINKEN, da nicht von der SPD, aus welchen Gründen auch immer –, überall haben wir eine Entwicklung hin zu einem zweisäuligen Schulmodell.

Wenn Sie jetzt nahezu die Einzigen sind, die gegen diese Entwicklung sind, dann würde ich mir ein bisschen Nachdenklichkeit wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob nicht vielleicht Sie diejenigen sind, die auf der falschen Seite stehen. Dieses bisschen Nachdenklichkeit würde ich mir von Ihnen wünschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP) – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Na ja, Herr Kollege Döweling, ob da alle so wahnsinnig falsch liegen, beispielsweise im Saarland, wo vier Parteien sogar die Verfassung des Saarlandes ändern, um dieses Schulmodell zu ermöglichen, ist die Frage. In Nordrhein-Westfalen hat die CDU aus der Opposition heraus – große Leistung, das muss man anerkennen –

(Zurufe der Abg. Nancy Faeser (SPD) und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

gesagt: „Wir formulieren mit der dort regierenden rot-grünen Landesregierung einen Konsens und führen das Zweisäulenmodell ein.“ Ob die alle falsch liegen?

Herr Irmer, Sie haben die Sekundarschule beschlossen.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, ich will doch die Hauptschule gar nicht abschaffen. Ich sage es Ihnen noch einmal: Wir setzen auf eine Ermöglichungsstrategie, sodass sich die Schulen entwickeln können. Sie setzen mit Ihrer Mittelstufenschule auf blanke Ideologie.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU)und Mario Döweling (FDP))

Denn es gibt keinen Grund, zu sagen: „ein Eingang, zwei Ausgänge.“ Das richtige Konzept wäre gewesen: „ein Eingang, drei Ausgänge.“ Dass Sie es künstlich beschränken, zeigt: Sie wollen weiter auf Biegen und Brechen und egal, ob es die Eltern akzeptieren oder nicht, an einem strikt gegliederten Schulwesen festhalten.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Mario Döweling (FDP))

Wir wollen dem Elternwillen entsprechen, der das Schulsystem weiterentwickeln will hin zu längerem gemeinsamen Lernen, und zwar als Angebot – Herr Kollege Boddenberg, bevor wieder der Zwischenruf kommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Die Ministerin hat über den Bildungsmonitor gesprochen. Das ist ein bisschen merkwürdig, weil die Landesregierung diesen Bildungsmonitor bisher immer abgelehnt hat. Sie hat immer gesagt: „Dieser Bildungsmonitor ist unseriös. Die Datengrundlagen stimmen nicht. Das kann man alles nicht so ernst nehmen.“ Jetzt, wo Hessen von Platz 10 auf Platz 7 geklettert ist, ist dieser Bildungsmonitor auf einmal die Referenz für das, was man bildungspolitisch geleistet hat. Aber geschenkt, Frau Ministerin.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Wir freuen uns darüber, dass es eine Studie gibt, in der sich das hessische Bildungssystem verbessert hat. Das ist gut.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Boddenberg, die einen freuen sich still, die anderen laut. Wollen wir darüber im Hessischen Landtag jetzt streiten? Ist das jetzt das Niveau, auf dem wir diskutieren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Nein, es ist gut, dass es eine Studie gibt, nach der sich Hessen von Platz 10 auf Platz 7 verbessert hat. Das ist gar keine Frage. Aber, Frau Henzler, war es das Ziel der Landesregierung, Hessen zum Bildungsland Nummer 7 zu machen?

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hatte das immer so verstanden, dass es Ihr Anspruch war, Hessen zum Bildungsland Nummer 1 zu machen,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass Sie und Ihre Vorgänger immer erzählt haben, es sei schon so weit.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, jetzt ist es die große Offenbarung, wenn Hessen auf Platz 7 ist.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das zeigt doch, wie sehr die Maßstäbe mittlerweile verschoben sind.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Herr Kollege Döweling und auch die Ministerin haben den Bildungsföderalismus angesprochen. Sie haben die Frage angesprochen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass es mittlerweile per Grundgesetz kategorisch ausgeschlossen ist, dass die Bundesebene und die Landesebene in Bildungsfragen zusammenarbeiten – Stichwort: Kooperationsverbot.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Das ist eine spannende Frage. Diese Zusammenarbeit von Bund und Land hat dazu geführt, dass es ein 4-Milliarden-Euro-Programm des Bundes zum Ausbau der Ganztagsschulen gab. Ohne diese Zusammenarbeit von Bund und Ländern wären wir heute bei den Ganztagsschulen nicht da, wo wir sind. Da wären wir noch weiter zurück.

Herr Kollege Döweling und Frau Ministerin, da frage ich Sie jetzt: Was ist daran falsch, wenn der Bund uns als Land Hessen Geld gibt, um unser Bildungssystem zu verbessern? Das heißt ja nicht, dass wir die Bildungsautonomie der Eltern aufgeben. Das heißt nur, dass wir da, wo wir in allen 16 Bundesländern gemeinsame Probleme haben, den Bund mit in die Verantwortung nehmen, diese Probleme zu lösen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, Sie sind ja Bundesratsminister: Wo haben Sie denn die Umsatzsteuerpunkte für Hessen verhandelt? Sie gehören doch einer Landesregierung an, die jeder Steuersenkung und jedem Wegbrechen der Einnahmen für Bildung zugestimmt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, was erzählen Sie denn hier? Darf ich Sie einmal daran erinnern, dass Sie Minister sind und im Bundesrat für jede Steuersenkung für Hoteliers die Hand gehoben haben? Und Sie wollen mir jetzt hier etwas von Bildungseinnahmen erzählen? Das ist doch wohl unglaubwürdig hoch Zehn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, es kann ja sein, dass diese Landesregierung sich selbst nicht ernst nimmt. Aber wenn man Sie ernst nimmt, dann haben Sie mit Ihren Zustimmungen im Bundesrat dafür gesorgt, dass dem Land Hessen zahlreiche Steuereinnahmen fehlen, die wir im Bildungsbereich wunderbar brauchen können.

Wenn Sie jetzt sagen, Sie setzen sich dafür ein, dass die Steuerermäßigung für die Hoteliers bei der Umsatzsteuer fällt: Prima, das machen wir sofort.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das machen wir noch heute. Dieses Geld können wir für die Schulen gut gebrauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Meine Damen und Herren, das ist genau der Unterschied. Hier kämpft Schwarz-Gelb dagegen, dass Bund und Länder in der Bildungspolitik zusammenarbeiten können. Hier kämpfen Sie dagegen, dass der Bund den Ländern Geld gibt, um das Bildungssystem besser zu machen. Aber im Bundesrat heben die gleichen Leute die Hand, um die Steuerbasis des Staates und damit die Steuerbasis für Bildungsinvestitionen

(Zuruf des Abg. Nancy Faeser (SPD))

immer weiter zu reduzieren. Die Krönung ist, dass eine Vertreterin dieser Partei, der Steuersenkungssekte FDP, auch noch Kultusministerin ist. Meine Damen und Herren, unglaubwürdiger geht es wirklich nicht.

Die Zeit läuft davon. Ich will aber auf jeden Fall noch das Thema – –

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

– Dafür, dass das angeblich eine der schlechtesten Reden ist, sind Sie erstaunlich ruhig, Herr Kollege Rock.

Ich will noch das Thema Inklusion ansprechen. Frau Ministerin, hier ist es schlicht und ergreifend so, dass der von Ihnen vorgelegte und von CDU und FDP beschlossene Gesetzentwurf gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt. Es verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Was wird denn das Ergebnis sein – jenseits dessen, wie man zu der Frage der Inklusion steht? Diese Diskussion haben wir oft genug geführt. Was wird das Ergebnis sein?

Das Ergebnis wird sein, dass Eltern völlig zu Recht sagen: Wir akzeptieren ein Gesetz nicht, das gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt. Sie werden vor den Gerichten klagen, und sie werden von den Gerichten recht bekommen.

Dann aber müssen die Gerichte Bildungspolitik machen. Dann müssen die Gerichte entscheiden, wo welches Kind in welche Schule kommt, um diesen Anspruch auf inklusive Beschulung zu erfüllen.

Darauf sind die Schulen dann nicht vorbereitet. Aus blanker Ideologie nehmen Sie in Kauf, dass wir so etwas wie eine graue Inklusion bekommen – bei der Gerichte und nicht mehr Bildungspolitiker entscheiden müssen, wie Eltern für ihre Kinder zu ihrem Recht kommen. Ich finde, das ist absolut unangemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, kommen Sie bitte zum Schluss!

Mathias Wagner:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Ich glaube, ich habe hinreichend deutlich gemacht, dass das alles andere als eine Erfolgsbilanz ist, was Frau Henzler in den letzten zweieinhalb Jahren hier vorgelegt hat. Das waren verlorene Jahre für die Weiterentwicklung unseres Bildungssystems.

(Widerspruch bei der FDP – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Auch für Frau Henzler gilt: Nichts erreicht, nichts mehr vor. Aber zum Glück ist in zweieinhalb Jahren Schluss. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Wagner, vielen Dank.

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