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19.03.2013
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Gesetz über die Neuregelung schulischer Inklusion in Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Worum geht es, wenn wir über Inklusion reden? – Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der alle von Anfang an dazugehören, in der alle gemeinsam auf die allgemeine Schule gehen können? Oder wollen wir weiter in einer Gesellschaft leben, in der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in der allgemeinen Schule so gut wie nicht vorkommen? – Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alle dazugehören, in der alle Chancen haben und in der niemand ausgegrenzt wird, und das von Kindesbeinen an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deshalb geht es beim Thema Inklusion auch um die Frage: „Gibt es da eine UN-Behindertenrechtskonvention?“, auch um rechtliche Fragen. Aber es geht vor allem um zutiefst menschliche Fragen, um die Fragen des Miteinanders, der Organisation des Kitts in unserer Gesellschaft. Darum geht es vor allem, und das sollten wir in so einer Debatte voranstellen, vor alle rechtlichen Fragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben im Hessischen Landtag schon einmal über dieses Thema debattiert. Es gab einen Vorschlag von Schwarz-Gelb, wie man die Inklusion umsetzen könnte. Dieser Vorschlag ist jetzt leider Gesetz geworden. Es gab ein komplettes Schulgesetz der Kolleginnen und Kollegen der SPD mit guten Vorschlägen, wie die Inklusion geregelt werden könnte und es gab einen Gesetzesvorschlag von uns GRÜNEN, wie es umgesetzt werden kann.

Nachdem das Gesetz von Schwarz-Gelb in Kraft ist, darf man einmal fragen: Was hat es der Inklusion eigentlich gebracht? Und realisieren Sie damit wirklich diese Gesellschaft, wie ich sie eben beschrieben habe? – Darauf muss man leider ganz klar mit Nein antworten. Was Sie mit dem neuen Schulgesetz auf den Weg gebracht haben, ist ein Inklusionsverhinderungsgesetz, kein Inklusionsförderungsgesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dazu möchte ich drei konkrete Beispiele anführen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, die Klassengröße zu reduzieren, wenn Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen unterrichtet werden. Das haben Sie gestrichen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, dass es eine Doppelbesetzung in den Klassen gibt. Das haben Sie gestrichen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, dass die Förderschullehrerinnen und -lehrer Teil des Kollegiums der allgemeinbildenden Schule sind. Das haben Sie gestrichen. Sie haben den Begriff Inklusion genommen und das genaue Gegenteil umgesetzt, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deshalb ist es richtig, dass die SPD heute einen weiteren Anlauf nimmt, um beim Thema Inklusion Verbesserungen zu erreichen. Wir müssen in Hessen endlich auch gesetzlich ein ganz einfaches Prinzip verankern, und dieses Prinzip heißt, dass Inklusion an unseren Schulen von der Ausnahme zu Regel werden muss – so einfach ist es, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn wir dieses Prinzip realisieren wollen, muss ein zweiter Satz gelten. Dieser lautet: Die notwendige Förderausstattung muss dem Kind an die allgemeine Schule folgen, und nicht mehr das Kind der Förderung an die Förderschule. – Diesen einfachen Grundsatz brauchen wir auch in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was wir nicht brauchen, ist der Ressourcenvorbehalt von Schwarz-Gelb. Was bedeutet dieser Ressourcenvorbehalt? Machen wir es einmal ganz plastisch: Schwarz-Gelb legt fest, dass es zu Beginn eines Schuljahres exakt 40 zusätzliche Lehrerstellen für die Förderung von behinderten Schülerinnen und Schülern gibt. Es sind exakt 40, egal, wie der Bedarf aussieht oder was die Eltern wollen – Sie sagen, mehr als 40 Lehrerstellen gibt es nicht. Das widerspricht dem Grundsatz einer gelingenden Inklusion. Dann müssen nämlich die Förderlehrer den Schülerinnen und Schülern folgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Natürlich müssen wir bauliche Voraussetzungen Schritt für Schritt schaffen. Natürlich kann es auch einmal sein, dass Lehrerstellen nicht so schnell von der Förderschule an die allgemeinbildende Schule gehen können. Aber wenn man von vornherein sagt, es dürfen gar nicht mehr als 40 wechseln, dann ist das Inklusionsverhinderung, was Sie hier betreiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Bevor wieder ein Popanz aufgebaut wird: Wir stehen – so habe ich auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD verstanden – für die Wahlfreiheit der Eltern, was den Förderort ihres Kindes angeht. Wenn Eltern die Förderschule wollen, wird es dieses Angebot natürlich auch geben. Aber die vielen Eltern, die sich die Förderung an der allgemeinbildenden Schule wünschen, müssen endlich ein Angebot bekommen. Ein Angebot setzt allerdings voraus, dass man sich darum kümmert, ein entsprechendes Angebot zu schaffen – und genau das tut Schwarz-Gelb nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt sagt Herr Schork, es gebe eine neue Statistik aus dem Kultusministerium und alles sei ganz prima geworden. Herr Schork, was Sie nicht gesagt haben, ist, dass sich die Zahl der Anträge auf sonderpädagogische Förderung gegenüber dem Schuljahr davor halbiert hat. Das aber ist ein ganz wichtiger Hinweis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das, was Frau Kollegin Habermann gesagt hat, exakt zutrifft: Viele Kinder sind vor dem Förderantrag direkt an die Förderschule gegangen.

(Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

– Frau Kollegin Ravensburg sagt auch noch, das sei gut so. Nein, Frau Kollegin Ravensburg: Gut wäre es, wenn sich Eltern endlich frei entscheiden könnten, ob ihr Kind die allgemeinbildende Schule oder die Förderschule besucht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Wir finden sehr viele Gemeinsamkeiten mit unseren Vorstellungen in dem Gesetzentwurf der SPD. Herr Kollege Pentz, wir sind ganz entspannt, was den Elternwillen angeht. Wer aber den Eltern ein Angebot vorenthält, der sollte nicht über den Elternwillen reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wir reden jetzt einmal über die Leute, die etwas zu diesem Thema beizutragen haben. Sehr interessant am Vorschlag der SPD ist das gemeinsame Förderbudget. Das würde uns in der Tat weiterbringen und Eltern den Gang von einer Behörde zur nächsten ersparen. Worüber wir in der Anhörung sicher noch einmal diskutieren müssen, ist die Frage, ob wir wirklich in das Gesetz hineinschreiben, dass die Förderschule für Lernhilfe ab einem gewissen Datum ausläuft.

(Zuruf von der CDU)

– Ob wir das wirklich machen sollten, muss diskutiert werden. Es ist ja nicht unser Entwurf, sondern der Entwurf der SPD. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Die wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass wir Inklusion wollen und Sie es verhindern wollen. Das sind ja ganz klare Unterschiede in diesem Haus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber werden wir noch einmal reden müssen. Aber es ist ein guter Aufschlag mit vielen Gemeinsamkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten im Detail. Und wie immer ist alles besser als Schwarz-Gelb.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

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