Inhalt

22.11.2012
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Freiheit, Vielfalt und Qualität statt Einheitsschule

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Woran merkt man, dass in Hessen bald Landtagswahl ist? Man merkt es daran, dass sich sowohl CDU als auch SPD in bildungspolitischen Fragen radikalisieren,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD)
dass die alten Plakate und Parolen herausgeholt werden, dass die CDU sagt: „Aber dem Alfred Dregger haben wir es geschworen“, dass die SPD sagt: „Aber dem Ludwig von Friedeburg haben wir es geschworen“.
Bringt das unsere Schulen weiter? – Nein, meine Damen und Herren, das bringt unsere Schulen nicht weiter.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht eben nicht um das einfache Schwarz-Weiß. CDU und FDP sagen: „Nur weiter so mit unserem Weg der letzten 13 Jahre“ – wir haben gesehen, wohin der uns geführt hat. Ebenso falsch ist das einfache „Wählt uns, wir machen an den Schulen alles anders, und dadurch wird es besser“.
(Michael Siebel (SPD): Nicht alles anders, aber vieles besser!)
Diesen Schulkampf haben wir in Hessen in den letzten Jahrzehnten erlebt, und wenn wir ehrlich sind, wissen wir es alle: Er hat unsere Schulen nicht wirklich weiter gebracht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn uns dieser Schulkampf nicht weiterbringt, wenn er vielleicht gut ist für die Wahlkampfstrategen oder für vermeintlich klare Wahlkampfaussagen, dann sollten wir es doch vielleicht einmal mit dem Gegenteil des Schulkampfs versuchen, nämlich mit einem Schulfrieden und damit,
(Michael Siebel (SPD): Den haben wir doch angeboten! Der Ministerpräsident ist nicht darauf eingegangen!)
dass in der Bildungspolitik endlich nur der Elternwille entscheidet. Dafür ist in diesem Haus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Garant: dass der Elternwille tatsächlich zählt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn wenn die politischen Parteien in einer Frage so zerstritten sind, wie es CDU und SPD sind, wenn sich das unversöhnlich gegenübersteht, dann tut es gut, zu schauen: Was wollen eigentlich die Eltern? Dann tut es gut, zu sagen: Lasst uns doch die Schulen den Weg gehen, den die Eltern wollen. Lasst uns doch endlich für alle Eltern die schulischen Angebote machen, die sie wollen. Lasst uns doch bitte aufhören, hier von Wiesbaden aus in der einen oder anderen Richtung den Eltern vorzuschreiben, welche Schule sie richtig finden sollen.
Das ist unser grünes Angebot für einen Schulfrieden. Das muss doch endlich auch in Hessen möglich sein.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie können den Schulfrieden nicht für sich in Anspruch nehmen. In den vergangenen Wochen und Monaten durften wir sehen, welche Schwierigkeiten Sie haben, zu einem Schulfrieden innerhalb der Koalition zu kommen. Ihr koalitionsinterner Schulkampf hat auch ein Opfer gefordert – nicht, dass ich es bedauern würde, dass Herr Irmer jetzt nicht mehr bildungspolitischer Sprecher ist –,
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das hätte mich auch gewundert!)
aber wer sich so wie Sie wie die Kesselflicker über die Bildungspolitik streitet, der darf den Bürgerinnen und Bürgern nicht erzählen, dass er für Schulfrieden steht. Meine Damen und Herren, das geht nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Schork spricht von Freiheit und Vielfalt, die Sie angeblich den Schulen und den Eltern gegeben haben. Von welcher Freiheit und von welcher Vielfalt sprechen Sie da? Von welcher Freiheit für wen und von welcher Vielfalt für wen?
Wo ist die Freiheit für die vielen jungen Menschen, die aus einkommensschwachen Haushalten kommen? Die aus Haushalten kommen, in denen die Sozialstruktur, aus welchen Gründen auch immer, nicht so intakt ist, wie wir uns das alle wünschen? Wo ist die Freiheit für diese Kinder, einen Bildungserfolg im hessischen Bildungswesen zu erzielen? Nach 13 Jahren Schwarz-Gelb ist diese Freiheit eben nicht vorhanden.
(Widerspruch des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Es bleibt einer der größten sozialen Skandale in unserem Land, dass es uns immer noch nicht gelungen ist, den Bildungserfolg von Kindern vom sozialen Hintergrund der Eltern zu entkoppeln.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, wo ist die Vielfalt für die Eltern, die sich längeres gemeinsames Lernen für ihre Kinder wünschen? Wo ist diese Vielfalt, die wir in anderen Bundesländern haben,
(Mario Döweling (FDP): In der integrierten Gesamtschule, Herr Kollege!)
mit der Stadtteilschule, mit der Sekundarschule, mit der Gemeinschaftsschule oder mit dem, was wir GRÜNE vorschlagen, mit der neuen Schule? Wo ist diese Vielfalt? Sie tun doch seit 13 Jahren alles dafür, um den Eltern solche schulischen Angebote vorzuenthalten. So eine Politik kann für sich nicht den Schulfrieden in Anspruch nehmen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mario Döweling (FDP): So ein Käse! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie sind ein Genosse im Schafspelz!)
Wo ist denn die Freiheit für die Eltern, die sich ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote an der Grundschule nicht nur wünschen, sondern die sie brauchen, um Familie und Beruf vereinbaren zu können? Wo ist denn die Freiheit, diese Angebote zu finden? Von welcher Freiheit reden Sie eigentlich?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wo sind die Freiheit und die Vielfalt für die Eltern von behinderten Kindern, dass ihr Kind ganz normal die wohnortnahe Schule besuchen kann? Wo ist diese Freiheit, wo ist diese Vielfalt? Sie vergessen eines, wenn Sie von Freiheit und Vielfalt, von Entscheidungsfreiheit der Eltern reden: Das setzt ein Angebot voraus, und Sie bleiben den Eltern in vielen Bereichen dieses Angebot schuldig.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist es richtig, was die Kollegen der SPD sagen: Wir brauchen eine Weiterentwicklung in unserem Bildungssystem. Wir brauchen die pädagogischen Konzepte, die sich viele Eltern in unserem Land für ihre Kinder wünschen. Das sind ganztägig arbeitende Schulen. Das ist die flexible Schuleingangsstufe in der Grundschule. Ja, das ist auch längeres gemeinsames Lernen, was sich viele Eltern für ihr Kind in der Schule wünschen. Es ist völlig richtig, dass die SPD kritisiert, dass hier in 13 Jahren Schwarz-Gelb nichts passiert ist.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Jetzt ist die Frage: Was ist der beste Weg, um eine solche andere Bildungspolitik umzusetzen?
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, das ist die Frage!)
Da sind wir im Gespräch mit der befreundeten Volkspartei.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Volkspartei? – Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU))
– Befreundete Volkspartei, übrigens kein Plural, Herr Schork. Ich habe nicht von befreundeten Volksparteien geredet. – Wir GRÜNE sind fest davon überzeugt, es muss in der Bildungspolitik darum gehen, den Schulen einen Weg zu ermöglichen; aber wir sollten aufhören, es allen vorzuschreiben. Das hat uns in der Vergangenheit nicht weitergebracht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Holger Bellino (CDU): So wie die CDU! Damit können wir uns anfreunden!)
Um das am Thema G 8/G 9 sehr konkret zu machen: Wir GRÜNE sind die Erfinder der Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Wir GRÜNE waren es, die 2008 diesen Weg den kooperativen Gesamtschulen mit einem Gesetzentwurf ermöglicht haben.
(Mario Döweling (FDP): Was ist mit Schleswig-Holstein?)
Wir GRÜNE waren es, die seit dieser Zeit gesagt haben: Lasst uns das mehr Schulen ermöglichen. – CDU und FDP haben das über Jahre abgelehnt. Wir freuen uns, dass es jetzt einen Meinungswandel bei Schwarz-Gelb gab und jetzt auch Sie für die Wahlfreiheit sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der befreundeten Volkspartei, warum ist die Wahlfreiheit der bessere Weg? Wenn es doch falsch war, wo wir uns alle einig waren, G 8 zwangsweise allen vorzuschreiben, welchen Sinn soll es denn jetzt machen, G 9 allen zwangsweise vorzuschreiben?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)
Diesen Widerspruch thematisieren wir und diskutieren wir gern mit der befreundeten Volkspartei. – Sie klatschen jetzt auch dafür, dass es ein Fehler war, G 8 zwangsweise einzuführen. Das ist ein Fortschritt, sehr gut.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt sagen die Kolleginnen und Kollegen der SPD, 89 % der Eltern wollten G 9 für ihre Kinder. Das geht ja mit dem, was wir vorschlagen. Genau das geht mit der Wahlfreiheit.
(Heike Habermann (SPD): Das ist Elternwille!)
Deshalb sagen wir, die Eltern sollen es entscheiden. Deshalb sagen wir übrigens auch, Frau Ministerin, es reicht nicht, die Wahlfreiheit ins Gesetz zu schreiben, sondern Sie müssen jetzt auch mit den Eltern reden und die Eltern fragen, was sie für ein schulisches Angebot haben wollen, und müssen dann dafür sorgen, dass es genug Schulen gibt, die dieses G-9-Angebot auch tatsächlich machen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist doch der bessere Weg, als sich auf eine Umfrage zu berufen – da kommen nämlich die 89 % her, die die Kollegen der SPD gern ins Feld führen –, die ein Spielwarenversandhaus durchgeführt hat
(Heike Habermann (SPD): Emnid!)
und die als empirische Basis in Hessen noch nicht einmal 300 befragte Eltern hat. Da ist es doch besser, echte Wahlfreiheit zu geben und die Eltern zu fragen,
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ziemlicher Frontalangriff auf die SPD, mein lieber Mann!)
statt sich als Grundlage für die Bildungspolitik auf die Umfrage eines Spielwarenversandhauses zu stützen. Das muss doch jedem einleuchten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war ein guter Beitrag zum Schluss!)
Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Wagner, kommen Sie bitte zum Schluss.
Mathias Wagner:
Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, der Schulfrieden geht nur, wenn man den Elternwillen respektiert. Der Schulfrieden setzt voraus, dass man auf revolutionäre Parolen im Wahlkampf verzichtet und sich endlich darauf konzentriert, unsere Schulen weiterzuentwickeln – schrittweise, nicht mit Parolen, sondern mit harter Arbeit. Dafür steht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Herr Wagner.

Kontakt

Zum Thema