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14.04.2011
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Einführung eines zweigliedrigen Schulsystems aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule im Saarland

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden und streiten in diesem Haus oft über Bildungspolitik. Wir reden und streiten mit besonderer Intensität, wenn es um Schulstrukturfragen geht. Seit Jahren und Jahrzehnten wird im Hessischen Landtag eine mehr oder minder ideologische Debatte geführt, was die richtige Organisationsform und das richtige pädagogische Konzept für die Mittelstufe sei.

Es gibt die glühenden Befürworter – ich schaue gerade den Kollegen Irmer an und er mich – des gegliederten Schulsystems. Es gibt andere, die sagen: Nehmt doch endlich den Elternwunsch nach längerem gemeinsamen Lernen ernst. Es geht seit Jahren und Jahrzehnten ideologisch hin und her. Ich glaube, es tut uns allen doch ganz gut, auch einmal zu schauen: Was ist eigentlich die Entwicklung in anderen Bundesländern? Wie machen es andere Bundesländer? Können wir davon vielleicht etwas lernen? Denn gerade in der Bildungspolitik kann lernen eigentlich nicht falsch sein.

Wenn wir schauen, was in den Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland um uns herum passiert, stellen wir fest, dass es da ganz interessante neue Bündnisse gibt, dass es da ganz interessante neue Konsense in den Fragen gibt, über die wir uns im Hessischen Landtag leider teilweise noch sehr ideologisch streiten.

Schauen wir ins Saarland. Dort hat sich eine Kooperation von CDU, FDP, GRÜNEN und LINKEN zusammengefunden. Das ist schon in der Konstellation überraschend. Schon wenn diese vier Fraktionen gemeinsam auf einem Antrag im Hessischen Landtag stünden, würde Herr Irmer mit Selbstentleibung drohen. Im Saarland geht das.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Kollege Rentsch, die haben dann auch noch inhaltlich gesagt: Lasst uns die ideologischen Gräben in der Bildungspolitik überwinden. Lasst uns den Elternwillen ernst nehmen und lasst uns ein zweisäuliges Schulmodell aus Gymnasien auf der einen Seite und längerem gemeinsamen Lernen auf der anderen Seite auf den Weg bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das könnte doch auch ein Vorbild für uns im Hessischen Landtag sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Rentsch, jetzt können Sie sagen, das Saarland gehört nicht zu den größten Bundesländern. Das stimmt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Herr Kollege Rentsch, ich lasse mich aber auch immer gerne von Ihnen belehren.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Sie sollten vielleicht einmal überlegen, ob Ihre Partei im Moment in einer Situation ist, dass sie allzu große Belehrungen aussprechen sollte. Das soll aber nicht unser Thema sein.

(Zurufe von der FDP: Mario Döweling (FDP) und Florian Rentsch (FDP))

Wenn Sie sagen: „Das Saarland ist klein“, dann schauen wir auf andere Bundesländer. Herr Kollege Rentsch, in Bremen wird jetzt genau diese Idee eines zweisäuligen Schulmodells in einem Zeitraum von zehn Jahren verfolgt – Herr Rentsch, jetzt passen Sie auf –, und zwar fraktionsübergreifend. In Berlin wird dieses Modell derzeit in einer rot-roten Konstellation auf den Weg gebracht.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

In Thüringen wird es in einer Großen Koalition auf den Weg gebracht. In Nordrhein-Westfalen wird es unter Rot-Grün auf den Weg gebracht, und die erste Gebietskörperschaft, die die neue Gemeinschaftsschule in Nordrhein-Westfalen beantragt, wird von einem CDU-Oberhaupt geführt. Sie sehen, es bewegt sich etwas außerhalb Hessens.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Nur in Hessen leisten wir uns weiter diese völlig ideologische Debatte. Ich frage: Warum? Wieso lernen wir nicht von den anderen Bundesländern?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in Hamburg und auch nach dem dortigen Volksentscheid geht die Entwicklung in Richtung eines Zwei-Säulen-Schulmodells.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Ich gebe zu, dass das nicht eine Erfindung der GRÜNEN und nicht der grünen Schulsenatorin war, sondern diesen Weg zu einem Zwei-Säulen-Schulmodell in Hamburg ist die CDU unter der Führung von Ole von Beust gegangen, als sie in Hamburg noch die absolute Mehrheit hatte. Ich sage ausdrücklich: Das war eine gute, das war eine mutige Entscheidung der CDU in Hamburg.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Wolfgang Greilich (FDP))

Herr Irmer, wieso können Sie davon nicht endlich auch in Hessen lernen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Wolfgang Greilich (FDP))

Herr Kollege Irmer, ganz aktuell: Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Kollegen in Sachsen-Anhalt. Ich habe Ihnen den relativ druckfrischen Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus Sachsen-Anhalt mitgebracht.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Ich zitiere: Die Koalitionspartner

sind sich darin einig, die Gemeinschaftsschule auf freiwilliger Basis durch gesetzliche Festschreibung als gleichberechtigte Schulform und vollwertiges Angebot in der Schullandschaft Sachsen-Anhalts zu ermöglichen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Schlimm, schlimm, schlimm!)

Dort kann grundsätzlich jeder allgemeinbildende Abschluss erworben werden. Auf eine äußere Fachleistungsdifferenzierung wird bei Einhaltung der Voraussetzungen für eine bundesweite Anerkennung der Abschlüsse weitgehend verzichtet.

Das ist nahezu wortidentisch mit unserem Konzept für eine neue Schule. Warum geht in Sachsen-Anhalt, was in Hessen nicht geht? Das müssen Sie noch einmal erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

– Jetzt kommt Herr Milde wieder mit dem Länderfinanzausgleich. Wenn er kein Sachargument mehr hat, ruft er immer mal „Länderfinanzausgleich“ dazwischen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Kollege Milde, das hat jetzt aber wirklich mit der Bildungsdebatte nichts zu tun, bei aller Wertschätzung, die ich sonst für Sie habe.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir glauben, es ist das richtige Konzept, das schon so viele Bundesländer auf den Weg gebracht haben. Wir wissen, dass viele Eltern diese ideologische Debatte leid sind. Wir wissen, dass in etwa die Hälfte der Eltern findet, dass das gegliederte Schulwesen das richtige pädagogische Konzept in der Mittelstufe ist. Aber ebenso viele Eltern wollen längeres gemeinsames Lernen als pädagogisches Konzept in der Mittelstufe haben. Deshalb sollten wir genau diese zwei Säulen auch in unserem Bildungssystem anbieten und endlich ermöglichen.

Was wir nicht tun sollten, ist das, was CDU und FDP mit der Schulgesetznovelle vorschlagen, nämlich einen Sonderweg im Konzert der Bundesländer mit der Mittelstufenschule, die pädagogisch überhaupt keinen Sinn macht, die organisatorisch überhaupt keinen Sinn macht und die Hessen bundesweit isoliert. Die Entwicklung geht bundesweit hin zu einem Zwei-Säulen-Modell. Wir hoffen, dass es auch im Hessischen Landtag endlich möglich ist, ein Zwei-Säulen-Modell auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir glauben, es würde dem Wunsch vieler Eltern entsprechen, sich nach Klasse 4, nach der Grundschule nicht den Kopf zermartern zu müssen: Was ist die richtige Schule für mein Kind? – Wir müssen vielmehr die Antwort geben: Es gibt eine Schule für Ihr Kind, an der alle Bildungsabschlüsse möglichst lange offengehalten werden, an der möglichst lange versucht wird, das Kind zum bestmöglichen Bildungsabschluss zu führen. Damit würde man den Eltern ein Stück weit die Sicherheit zurückgeben, dass sie mit der Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind nichts falsch machen können. Meine Damen und Herren, es wäre doch ein Riesenfortschritt, wenn wir das auch in Hessen endlich hinbekommen würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir würden es auch den Eltern leichter machen, die zwischen Bundesländern wechseln. Was wäre erreicht, wenn sich Hessen jetzt in die Reihe der Bundesländer einreihen würde, die sich schon in Richtung eines zweisäuligen Schulmodells entwickeln und wenn wir mit absehbarer zeitlichen Perspektive sagen könnten: Wenigstens in dieser Frage gibt es bundesweit einmal eine einheitliche Struktur, und Eltern müssen sich nicht völlig umorientieren, wenn sie das Bundesland wechseln wollen. Das wäre doch wirklich die Anstrengungen wert, auch im Hessischen Landtag über ideologische Gräben hinweg diesen Weg zu gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen uns mit unserem Vorschlag eines zweisäuligen Schulmodells nicht nur in guter Gesellschaft mit anderen Bundesländern, wie ich erwähnt habe, völlig unabhängig davon, wie diese Bundesländer regiert sind. Wir sehen uns auch in sehr guter Gesellschaft mit Experten, die empfehlen, diesen Weg zu einem zweisäuligen Schulmodell zu gehen. Der Aktionsrat Bildung hat sich vor Kurzem für ein solches Schulmodell ausgesprochen. Auch – das wird Herrn Irmer besonders interessieren – die Bundesdirektorenkonferenz Gymnasien, also die Direktoren der Gymnasien bundesweit, haben sich auf ihrer Tagung vom 30. März bis 2. April dieses Jahres ebenfalls für ein zweisäuliges Schulmodell ausgesprochen. Jetzt frage ich insbesondere die Kollegen von CDU und FDP: Warum um Himmels willen können wir das nicht auch endlich in Hessen machen? Wann wollen Sie endlich aus Ihrem Graben herauskommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage ausdrücklich für meine Fraktion: Wir glauben, dass die neue Schule die beste Schule für alle Schülerinnen und Schüler wäre, dass längeres gemeinsames Lernen das beste Modell für alle Schülerinnen und Schüler wäre. Wir haben aber nicht den Hochmut, den Eltern das vorzuschreiben, was wir für richtig halten. Auch das ist ein Argument für die Wahlfreiheit, auch das ist ein Argument für ein Zwei-Säulen-Modell,

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

dass Eltern zwischen dem Gymnasium und der neuen Schule entscheiden können. Lassen Sie uns das doch endlich machen. Sprechen Sie mit Ihren Parteikollegen in den anderen Bundesländern. Kommen Sie dann nächstes Mal wieder. Dann können wir das vielleicht endlich auch in Hessen voranbringen.

Frau Ministerin, das wäre eine richtige Innovation. Dann würden Sie bildungspolitisch nicht mehr nur dadurch auffallen, dass Sie an der Bildung kürzen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Herr Wagner.

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